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Die Staatsanwältin Lisa Finnegan war ermordet in Kanada aufgefunden worden. Vor ihrem Tod war sie mit den Ermittlungen bezüglich Menschenhandel und Zwangsprostitution beschäftigt gewesen. Es gab da allerdings einige Ungereimtheiten, z.B., dass sich in der Handtasche der Toten 20.000 Dollar befanden. Mr High schickte Phil und mich nach Detroit und schnell stellten wir fest, dass es noch einige dunkle Punkte mehr in der Sache gab...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Der Tod schläft nie
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Film: »Deadly Revenge«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4191-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Tod schläft nie
Die Staatsanwältin spürte die Waffe an ihrer Halsschlagader.
Lisa Finnegan hatte schon lange mit einer Attacke gerechnet. Und momentan war weit und breit keine Hilfe in Sicht. Sie fuhr durch das öde Grenzland zwischen den Staaten und Kanada. Ihr Blick fiel auf den Rückspiegel.
»Schau auf die Straße! Sonst baust du noch einen Unfall!«
Die Stimme des Mannes auf der Rückbank klang unangenehm. Und das nicht nur, weil er Lisa Finnegan mit einer Pistole bedrohte.
»Sie machen einen Fehler, ich bin Staatsanwältin.«
Der Täter antwortete mit einem gemeinen Lachen.
»Glaubst du, das wüsste ich nicht?«
Zehn Minuten später war sein Opfer tot.
»Die Staatsanwältin Lisa Finnegan ist ermordet worden.«
Mr High kam sofort zur Sache, nachdem er Phil und mich in sein Office gebeten hatte. Wir saßen zusammen mit dem Assistant Director am Konferenztisch. Ich hakte sofort nach.
»Der Name sagt mir nichts, Sir. In welchem Bezirk war sie tätig?«
»In Detroit, wobei ihr Aufgabengebiet in letzter Zeit auch grenzübergreifende Kriminalität umfasste. Konkret ging es um eine Anklageerhebung gegen einen amerikanisch-kanadischen Menschenschmugglerring.«
Phil schnaubte verächtlich.
»Der Hauptverdacht fällt natürlich auf die Menschenhändler. Dennoch werden Sie gewiss in alle Richtungen ermitteln. Insbesondere, da in der Handtasche des Opfers zwanzigtausend Dollar in bar gefunden wurden.«
Einen Moment lang herrschte Stille in dem Büro, bis ich das Wort ergriff. »Warum wird der Fall nicht vom zuständigen Field Office bearbeitet, Sir?«
»Weil SAC Webster uns um Hilfe gebeten hat. Er benötigt jeden verfügbaren Agent, um dieses weit verzweigte Schmugglernetz zu überwachen und die Hintermänner aus dem Verkehr zu ziehen. Übrigens wurde die Leiche von Lisa Finnegan auf der kanadischen Seite der Grenze gefunden. Sie werden also auch mit den Kollegen von der RCMP zusammenarbeiten.«
»Wann geschah der Mord?«, fragte Phil.
»Irgendwann während der vergangenen Nacht. Gestern machte Mrs Finnegan im Büro der Staatsanwaltschaft pünktlich Feierabend und stieg in ihren Wagen. Die Mitarbeiter nahmen an, dass sie nach Hause fahren würde. Aber gegen Mitternacht meldete sich der Ehemann telefonisch bei der Sekretärin und fragte, wo seine Frau bliebe. Bevor es zu einer Vermisstenanzeige kommen konnte, wurde der Wagen mit der Leiche von einer kanadischen Polizeistreife gefunden. Da weder die Autokennzeichen noch der Führerschein fehlten, konnte die Tote sehr schnell identifiziert werden.«
Der Chef machte eine Pause. Ich spürte, dass er noch etwas sagen wollte. Und so war es auch.
»Mrs Finnegans Kleider waren zerrissen. Wir müssen von einem Sexualmord ausgehen.«
***
»Wenn Sie den nächsten Flug nach Detroit nehmen wollen, müssen Sie sich beeilen.«
Dieser Satz kam von Dorothy Taylor, als wir aus dem Chefbüro ins Vorzimmer traten. Sie hatte offenbar schon für eine Buchung durch Up and Away gesorgt. Das war gut, denn wir wollten uns sofort in die Arbeit stürzen.
Auf der Fahrt zum Reagan National Airport meinte Phil: »Der Mord an der Staatsanwältin ist doch eindeutig eine Botschaft an uns, Jerry. Die Menschenhändler wollen, dass wir die Füße stillhalten und sie weiterhin ihren dreckigen Geschäften nachgehen können. Aber das wird nicht geschehen.«
»Nein, natürlich nicht. Wir sollten uns trotzdem nicht zu sehr auf die Verbrecherorganisation einschießen. Noch wissen wir nicht, weshalb Lisa Finnegan nach Kanada gefahren ist. Was hat sie dort getan? Und woher kam die hohe Bargeldsumme in ihrer Handtasche?«
»Glaubst du etwa, dass sie geschmiert wurde?«
»Ausschließen können wir momentan noch gar nichts. Wir sollten auch den Ehemann durchleuchten. Nur weil er sich nach dem Verbleiben seiner Frau erkundigt hat, können wir ihn nicht automatisch von unserer Verdächtigenliste streichen.«
Phil nickte düster. Wir hatten momentan einfach noch zu wenig Informationen, um den Fall richtig einschätzen zu können.
Der anderthalbstündige Flug nach Detroit verlief ereignislos. Als wir in der amerikanischen Autometropole eintrafen, wurden wir dort bereits von einem Agent erwartet.
Agent Paul Hadley war noch sehr jung und wirkte auf mich wie ein Collegeboy. Er gab uns lächelnd die Hand, während wir uns vorstellten.
»Wir sind alle sehr froh, dass Sie hier sind, Inspektor Cotton und Inspektor Decker. Der SAC ist wie ausgewechselt, seit er von dem Mord an der Staatsanwältin erfahren hat.«
Phil hob die Augenbrauen.
»Wie meinen Sie das, Agent Hadley?«
»So wütend habe ich ihn noch nie zuvor erlebt. Ich habe die Academy in Quantico allerdings erst vor einem halben Jahr abgeschlossen. So viel Berufserfahrung habe ich also noch nicht. Trotzdem, dieser neue Fall scheint SAC Webster ganz besonders an die Nieren zu gehen.«
»Hat Ihr Chef denn in letzter Zeit besonders eng mit der Staatsanwältin zusammengearbeitet?«, wollte ich wissen.
»Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, Inspektor Cotton. Ich bin ja meistens im Außeneinsatz. Aber es kam noch zu keiner Anklageerhebung in dem Menschenhändlerfall.«
Während unseres Wortwechsels lenkte Agent Hadley den schwarzen Chevrolet Tahoe Richtung Field Office. Als wir in der Michigan Avenue angekommen waren, gingen Phil und ich sofort zu SAC Webster.
Der sportliche fünfunddreißigjährige Agent erwartete uns bereits. Auch mir fiel sofort auf, wie angegriffen er aussah. Sein Gesicht war bleich, er wirkte gestresst. Offenbar hatte ihn der Tod von Lisa Finnegan wirklich getroffen.
»Wir sind für Ihre Unterstützung dankbar«, sagte Webster mit rauer Stimme, nachdem wir uns gesetzt hatten. »Wir müssen diesen Bastard so schnell wie möglich erwischen.«
»Gibt es schon Erkenntnisse zum Tathergang?«
»Nein, Inspektor Cotton. Nachdem eindeutig geklärt war, dass es sich bei dem Opfer um eine Amerikanerin handelt, haben die Mounties den Leichnam hierher nach Detroit überstellt. Momentan wird eine Obduktion vorgenommen. Nach ersten Erkenntnissen müssen wir vom Tod durch eine Schusswunde ausgehen.«
»Es gab auch Anzeichen für sexuellen Missbrauch, wie ich hörte.«
Webster reagierte auf meine Feststellung mit einem stummen Nicken. Er schien einige Minuten zu benötigen, bis er sich wieder in der Gewalt hatte.
»Ja, Lisas … Mrs Finnegans Kleider waren zerrissen, als sie in ihrem Auto gefunden wurde. Das Fahrzeug wird bereits kriminaltechnisch untersucht, aber für ein Ergebnis ist es noch zu früh.«
Unser Kollege wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ehrlich gesagt wirken Sie sehr mitgenommen. Stand die Staatsanwältin Ihnen nahe?«
Agent Webster zögerte für meinen Geschmack eine Sekunde zu lange, dann schüttelte er heftig den Kopf.
»Nein, wie kommen Sie darauf, Inspektor Cotton? Wir haben zusammengearbeitet, das ist alles. Mrs Finnegan war eine attraktive Frau, aber verheiratet. Es lässt mich selbstverständlich nicht kalt, was mit ihr geschehen ist. Das ist ein weiterer Beweis dafür, mit welcher erbarmungslosen Brutalität diese Menschenhändler vorgehen.«
»Für Sie steht also fest, dass der Killer in den Reihen dieser Organisation zu suchen ist?«
Webster beantwortete Phils Frage mit einem Kopfnicken.
»Mrs Finnegan und ich versuchen seit Wochen, eine wasserdichte Anklageschrift gegen Ted Cartwright zu verfassen. Leider fehlt uns immer noch der entscheidende Beweis für seine Verstrickung in die dunklen Geschäfte.«
»Wer ist dieser Cartwright?«, wollte ich wissen.
»Paddy O’Learys Statthalter in Detroit. Der alte Ire sitzt in Ontario und zieht von dort aus die Strippen im grenzübergreifenden Menschenhandel.«
»Könnte Mrs Finnegan von ihm bestochen worden sein?«
Kaum hatte Phil diesen Satz ausgesprochen, als Webster beinahe die Augen aus dem Kopf gequollen wären. Er lief knallrot an. Doch schließlich bekam er seinen Zorn in den Griff.
»Sie wissen nicht, wovon Sie reden, Inspektor Decker. Mrs Finnegan war die integerste Person, die ich kenne.«
»Dann muss es eine andere Erklärung für die zwanzigtausend Dollar in ihrer Handtasche geben«, stellte ich fest. »Wir sollten zunächst rekonstruieren, was die Staatsanwältin überhaupt in Kanada wollte. Sie haben mit ihr zusammengearbeitet, Agent Webster. Weshalb könnte sie an dem Abend in Kanada unterwegs gewesen sein?«
»Diese Frage habe ich mir während der letzten Stunden bestimmt schon hundert Mal gestellt. Aber eine befriedigende Antwort konnte ich nicht finden.«
»Was ist eigentlich mit dem Ehemann?«, wollte ich wissen. »Könnte er ein Motiv gehabt haben, seine Frau beseitigen zu wollen? Wie hat er die Todesnachricht aufgenommen?«
»Bruce Finnegan hat einen Schock erlitten«, erklärte Agent Webster. »Ich habe ihn persönlich über die Bluttat informiert. Der arme Teufel erlitt einen Kreislaufkollaps und musste ins Hospital eingeliefert werden. Ich weiß nicht, ob er bereits vernehmungsfähig ist.«
Ich nickte und notierte mir, den Ehemann auf jeden Fall später zu kontaktieren. Wir waren auf jede Information angewiesen.
»Wo genau wurde die Leiche denn gefunden?«, fragte Phil.
»Unweit von Comber auf einem Wanderparkplatz. Comber ist ein Dorf in der Provinz Ontario. Dort gibt es nur ein paar Farmen, einen Supermarkt und ein großes Naturschutzgebiet.«
»Wäre es möglich, dass die Staatsanwältin einen Tipp bekommen hat, der die Ermittlungen vorangebracht hätte?«
Webster runzelte die Stirn, er dachte offenbar über meine Worte nach.
»Lisa wäre nicht so leichtsinnig gewesen, sich ohne Rückendeckung durch das FBI mit einem Informanten zu treffen.«
»Wir würden uns gern die Stelle anschauen, wo der Wagen gefunden wurde. Was für ein Modell hat die Staatsanwältin übrigens gefahren?«
»Einen Cadillac. Ich werde gleich mal bei den Mounties anrufen, vielleicht kann ein kanadischer Kollege sich dort mit Ihnen treffen. Es sind übrigens nur zweiunddreißig Meilen von Detroit bis nach Comber.«
Der SAC griff zum Telefonhörer. Das Gespräch dauerte nur kurz. Dann wandte er sich wieder an mich.
»Ja, das klappt. Inspektorin Joan Reed von der RCMP wird Sie dort erwarten. Womöglich haben die Kanadier inzwischen schon mehr herausgefunden.«
Wir verabschiedeten uns einstweilen von dem SAC. Während unserer Ermittlungen in Detroit konnten Phil und ich den Chevrolet Tahoe benutzen, mit dem uns Agent Hadley hergefahren hatte. Vor dem Field Office konnte Phil nicht mehr an sich halten.
»Webster verschweigt uns etwas, Jerry. Und das gefällt mir überhaupt nicht.«
»Ja, er hat die Staatsanwältin zweimal beim Vornamen genannt. Und seine Betroffenheit geht weit über normales Mitgefühl mit einem Opfer hinaus. Wir sollten Mai-Lin bitten, die Vergangenheit der beiden zu durchleuchten.«
»Gute Idee.«
Bevor wir losfuhren, rief ich unsere Informatikerin in Quantico an. Ich schilderte ihr kurz, worum es ging.
»Bitte prüfen Sie, ob es irgendwelche Verbindungen zwischen Webster und Lisa Finnegan gegeben hat. Womöglich sind sie sich schon bei früheren Gelegenheiten begegnet, und zwar nicht nur auf beruflicher Ebene.«
»Sie meinen, es könnte eine romantische Affäre gegeben haben?«
»Die Möglichkeit besteht zumindest, Mai-Lin.«
»Ich verstehe«, sagte unsere chinesischstämmige Kollegin ernsthaft. »Sie hören umgehend von mir, Jerry.«
***
Phil und ich fuhren über die Grenze. Nachdem wir den verschlafenen Ort Comber durchquert hatten, führte uns das Navi zu dem Wanderparkplatz. Dort wartete bereits eine junge Rothaarige mit Fransenfrisur auf uns, die sich gegen einen zivilen SUV lehnte.
»Ich bin Inspektorin Joan Reed von der Royal Canadian Mounted Police«, sagte sie und zeigte ihren Dienstausweis. Nachdem auch wir uns vorgestellt hatten, schaute ich mir die Umgebung genauer an.
»Weit und breit erkenne ich hier nur unberührte Natur. Haben Sie eine Ahnung, was die Staatsanwältin hier gewollt haben könnte?«
»Meiner Meinung nach wurde sie von ihrem späteren Mörder entführt, Inspektor Cotton. Er saß bei ihr im Auto, hat sie hier zum Anhalten gezwungen und sie getötet. Dann rief er einen Komplizen an, der ihn abgeholt hat. Die ganze Aktion war für die Täter risikolos. Der Ortsrand von Comber ist weit entfernt. Wenn hier ein Schuss abgegeben wird, kann man ihn im Dorf nicht hören.«
»Der Killer hat sich also gut ausgekannt, er wählte diesen Parkplatz mit Bedacht«, stellte ich fest. Die Kanadierin nickte.
»Nachts fahren hier kaum Autos vorbei. Die Wahrscheinlichkeit, von einem unliebsamen Zeugen gesehen zu werden, tendiert gegen null.«
»SAC Webster sagte uns, dass Sie einen gewissen Paddy O’Leary im Visier haben?«
»Ja, leider konnten wir ihm noch nichts nachweisen. O’Leary ist alte Schule, er macht sich selbst niemals die Finger schmutzig und hat stets ein wasserdichtes Alibi.«
»Aber traditionelle Gangster legen sich ungern mit den Cops, dem FBI oder der Staatsanwaltschaft an«, wandte Phil ein. »Sie wissen, dass sie gegen uns auf die Dauer den Kürzeren ziehen.«
»Vielleicht gibt es in der Organisation einen Machtkampf, und ein junger Heißsporn will an die Spitze«, schlug ich vor. »Auf jeden Fall will ich diesen O’Leary kennenlernen. Aber wir sollten abwarten, bis das Ergebnis der Obduktion und der kriminaltechnischen Untersuchung vorliegt. Womöglich können wir ihn mit Indizien festnageln.«
»Das wäre gut«, erwiderte Inspektorin Reed düster. »Bisher hatte O’Leary unverschämtes Glück. Wir haben zu wenig Mounties, um das weitläufige Grenzgebiet lückenlos überwachen zu können. Ich gehe davon aus, dass wir höchstens jeden zehnten von O’Learys Vans vor dem Grenzübertritt stoppen können.«
»Dann haben Sie also schon Komplizen des Menschenhändlers verhaften können?«
»Ja, Inspektor Decker. Aber es sind immer nur kleine Fische, die alle Schuld auf sich nehmen und lieber hinter Gitter wandern, als O’Leary zu verpfeifen. Und die Zwangsprostituierten sind als Zeuginnen auch nicht besonders zuverlässig. Sie fürchten sich, sprechen unsere Sprache nicht und haben O’Leary wahrscheinlich niemals persönlich zu Gesicht bekommen.«
Der Drahtzieher musste wirklich clever sein, sonst hätte er nicht die Ordnungskräfte zweier Länder so lange an der Nase herumführen können. Ich wechselte das Thema.
»Haben Sie eigentlich Lisa Finnegan persönlich gekannt?«
»Ja, sie arbeitete eng mit der Staatsanwaltschaft in Ontario zusammen. Ich halte die Ermordete für eine sehr ehrgeizige und durchsetzungsfähige Person, die sich von Gangstern nicht einschüchtern lässt. Vielleicht ist ihr das zum Verhängnis geworden.«
»Hatten Sie privaten Kontakt, sozusagen von Frau zu Frau? Wurde sie von jemandem bedroht? Wissen Sie, ob ihre Ehe glücklich war?«
Die kanadische Inspektorin schüttelte den Kopf.
»Darüber kann ich Ihnen leider nichts sagen. Ich schätzte Lisa Finnegans Kompetenz, aber sie hätte niemals meine beste Freundin werden können. Dafür waren wir zu verschieden.«
Ich nickte und kam noch einmal auf den Fundort zurück.
»Es wäre gewiss kein Problem, die Leiche und auch den Wagen in der Nähe auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen. Sie sagten eben selbst, dass der Täter keine Zeugen befürchten musste. Warum hat er die zwanzigtausend Dollar nicht mitgenommen? Ich habe noch keinen Kriminellen getroffen, der sich nicht für Geld begeistert.«
»Sag das nicht«, wandte Phil ein. »Wenn Rache, Eifersucht oder Hass die Motive sind, dann spielen die Dollars keine Rolle.«
»Außer dem Bargeld hatte die Staatsanwältin auch noch ihr Smartphone, ihre Kreditkarten und ihre teure Uhr bei sich«, berichtete die Kanadierin. »Deshalb schlossen meine Kollegen einen Raubmord sofort aus.«
»Ich bin sicher, dass Lisa Finnegan gefunden werden sollte«, sagte ich. »Und das Bargeld hat man ihr untergeschoben, um ihren Ruf zu beschmutzen.«
»Und die Vergewaltigung sollte eine zusätzliche Demütigung darstellen«, knurrte Phil.
»Noch wissen wir nicht, ob der Täter sich wirklich an dem Opfer vergangen hat«, stellte Joan Reed klar. »Fest steht, dass die Kleider zerrissen waren. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Das ist ja schon schlimm genug …«, begann Phil. Er wurde von dem Klingeln meines Smartphones unterbrochen. Mai-Lin war am Apparat.
»Jerry, es gab wirklich eine Liebesbeziehung zwischen Lisa Finnegan und Rick Webster. Sie liegt allerdings schon ungefähr fünfzehn Jahre zurück. Es ist mir sogar gelungen, ein Foto aus der Zeit aufzutreiben.«
»Das Internet vergisst eben nie.«
»So ist es, Jerry. Lisa trug damals noch ihren Mädchennamen Douglas, aber sie ist es eindeutig. Ich schicke Ihnen die Aufnahme gleich auf Phils Notebook.«
Mein Freund klappte sein Gerät auf. Joan und ich schauten ihm über die Schulter. Auf dem Bild war ein junges Liebespaar an einem Flussufer zu sehen. Im Hintergrund erblickten wir ein Landhaus im New-England-Stil.
»Das muss irgendwo am Potomac sein«, meinte Phil.
»Möglich«, gab ich zurück. »Agent Webster wird uns jedenfalls einiges zu erklären haben.«
***
Phil und ich kehrten nach Detroit zurück. Auf der US-Seite der Grenze blieben wir allerdings im Stau stecken. Ein Truck war havariert, und der Highway wurde gesperrt. Es ging nicht vor und nicht zurück.
»Ich will heute noch mit Webster reden«, sagte ich, während ich auf die Uhr schaute. »Wenn er schon Feierabend gemacht hat, dann knöpfen wir ihn uns daheim vor.«
»Soll ich ihn anrufen, Jerry?«
»Besser nicht. Wenn der Agent vorgewarnt ist, dann kann er sich eine plausible Geschichte zurechtlegen.«
»Ich weiß nicht, wie Webster sich herauswinden will. Schließlich hat er uns bewusst wichtige Tatsachen verschwiegen. Aber es ist wirklich besser, wenn wir ihn kalt erwischen.«
Endlich wurden die Fahrbahnen von der Highway Patrol wieder freigegeben, und wir fuhren so schnell wie möglich nach Detroit zurück. Als ich in den Parkplatz des Field Office einbiegen wollte, stieß mich Phil an.
»Das nenne ich Glück. Webster kommt gerade heraus.«
Auch ich hatte nun den SAC bemerkt, der mit einem Aktenkoffer in der Hand auf seinen Wagen zuging. Aber wir waren nicht die Einzigen, von denen unser Kollege registriert worden war.