1,99 €
Für einen Deal mit der Staatsanwaltschaft behauptete der Ganove Tony Fowler, dass ein Betrüger-Trio im großen Stil gefälschte US-Staatsanleihen an verschiedene Karibikstaaten verkaufen würde. Aber die Verdächtigen, die Fowler benannte, durfte es eigentlich gar nicht mehr geben: Denn sie alle standen auf der 9/11-Opferliste. Phil und ich dachten zunächst an einen schlechten Scherz - bis eine junge Frau entführt wurde ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Tag der Abrechnung
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Flucht durch Nizza«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4620-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Tag der Abrechnung
Earl Price lehnte sich in seinem Stuhl zurück und genoss den Ausblick. Der Financial District und Lower Manhattan lagen weit unter ihm.
Der kanadische Millionär war euphorisch. Er hatte in New York City einen gewinnbringenden Geschäftsabschluss gemacht. Und nun war er mit einer wunderschönen Frau verabredet. Das Leben meinte es gut mit ihm.
Price zuckte zusammen, als eine aparte Brünette das Wolkenkratzer-Restaurant betrat. Vivian Dunn sah in Wirklichkeit noch viel besser aus als auf dem Foto. Sie trug ein Silberlamé-Kleid, das ihre aufregende Figur betonte. Nun hatte auch sie den Kanadier bemerkt. Lächelnd kam sie auf ihn zu.
Weder Earl Price noch Vivian Dunn konnten ahnen, dass sie ihr Treffen im World Trade Center nicht überleben würden.
Das Datum lautete 11. September 2001.
Tony Fowler war ein nervöser Rothaariger mit Sommersprossen und schütterem Haar. Er wirkte auf den ersten Blick wie ein schnell gealterter Collegeboy. Aus seiner Strafakte wusste ich aber, dass sein fünfzigster Geburtstag schon hinter ihm lag.
Fowler saß Phil und mir in einem Verhörraum des FBI-Hauptquartiers gegenüber. Er war morgens im J. Edgar Hoover Building erschienen und hatte sich freiwillig gestellt. Wir hatten uns vorgestellt und ihn über seine Rechte belehrt.
»Ich will als Kronzeuge aussagen«, erklärte Fowler. Er konnte weder Phil noch mir in die Augen sehen.
Mr High hatte uns gebeten, den Verdächtigen zu vernehmen. Angeblich konnte er mit wichtigen Informationen aufwarten, die er einem einfachen Special Agent nicht preisgeben wollte.
Ich blickte in Fowlers elektronische Strafakte, die Phil auf seinem Notebook aufgerufen hatte.
»Geht es um den Raubüberfall, an dem Sie beteiligt waren?«, wollte ich wissen. »Laut den Ermittlungsergebnissen der Michigan Highway Patrol sollen Sie den Fluchtwagen gefahren haben.«
»Wenn Sie uns den Mörder des Tankstellenpächters nennen können, wird sich Ihr Geständnis für Sie strafmildernd auswirken«, ergänzte Phil.
Fowler machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kann Ihnen sagen, wer geschossen hat. Das war Eric Davis. Er verkriecht sich momentan bei seiner Cousine in Grand Rapids. Aber den Trottel liefere ich Ihnen sozusagen als Zugabe.«
»Also haben Sie noch weitere Informationen für uns?«
Fowler nickte eifrig. »Genau, Inspektor Cotton. Glauben Sie, ich komme wegen eines simplen Raubüberfalls ins FBI-Hauptquartier? Es kocht eine ganz heiße Sache hoch, von der Sie garantiert noch nichts wissen. Ich will völlige Straffreiheit, sonst behalte ich das Geheimnis für mich.«
Fowler versuchte, energisch zu wirken. Aber damit biss er bei mir auf Granit.
»Sie haben keine Forderungen zu stellen, Fowler. Angesichts Ihres Vorstrafenregisters ist es fraglich, ob sich die Staatsanwaltschaft auf einen Deal einlässt. Aber bevor ich den zuständigen Juristen hinzuziehe, will ich Klarheit haben. Wir müssen zumindest in etwa wissen, worum es hier überhaupt geht.«
Der Ganove blinzelte. Er hatte offenbar geglaubt, leichtes Spiel zu haben. Ich merke meist, ob mich jemand anlügt oder nicht. Bei Fowler fiel mir diese Beurteilung schwer. Ich führte mir vor Augen, dass wir es mit einem abgebrühten Gewohnheitsverbrecher zu tun hatten.
Nun meldete sich auch Phil zu Wort. »Sie müssen natürlich nichts weiter aussagen, Fowler. Für den Raubüberfall wandern Sie ohnehin in den Bau. Ich werde gleich die Kollegen in Michigan verständigen, damit sie Ihren Komplizen Eric Davis festnehmen.«
Fowler knickte schnell ein. »Versprechen Sie mir, dass Sie wirklich den Staatsanwalt informieren? Dann sage ich Ihnen jetzt schon, um was es geht.«
»Sie müssen uns schon vertrauen«, betonte ich. »Als FBI-Inspektoren können wir beurteilen, wie Ihre Informationen einzuordnen sind.«
Der Verbrecher nagte unruhig an seiner Unterlippe. Ich konnte ihm ansehen, dass er innerlich mit sich rang. Endlich gab er sich einen Ruck.
»Also gut, ich lege die Karten auf den Tisch«, begann er. »Ein groß angelegtes Betrugsmanöver ist in vollem Gang. Wir reden hier über gefälschte US-Staatsanleihen im Wert von fünf Millionen Dollar.«
Fowler lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er hatte offenbar gehofft, uns mit dieser Summe beeindrucken zu können. Aber ich nahm ihm gleich den Wind aus den Segeln.
»Wenn ich mir Ihre verbrecherische Laufbahn anschaue, dann machen Sie auf mich nicht den Eindruck eines Wirtschaftskriminellen«, gab ich zurück. »Sie wurden wegen versuchtem Totschlag verurteilt, außerdem wegen Drogenhandel und räuberischer Erpressung. Aber Sie sind mit Ihren Straftaten niemals auf einen grünen Zweig gekommen.«
»Ich weiß selbst, dass ich ein kleiner Fisch bin«, erwiderte Fowler mürrisch. »Trotzdem habe ich von diesem Staatsanleihen-Deal Wind bekommen.«
»Solange niemand die wertlosen Papiere kauft, entsteht dem amerikanischen Staat kein Schaden«, warf Phil ein.
Fowler beugte sich vor. »Das ist es ja gerade, Inspektor Decker! Diese Staatsanleihen haben bereits Interessenten gefunden. Regierungen verschiedener Karibikländer wollen kaufen, um ihre eigene Wirtschaft zu stützen. Und was passiert, wenn sich das Zeug als wertloses Altpapier herausstellt?«
Mit dieser Frage hatte Fowler den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich war kein Wirtschaftsexperte. Aber ich konnte mir die Auswirkungen dieses Großbetrugs lebhaft vorstellen. Chaos, Armut, Hunger und Gewalt wären die Folge. Wenn die halbe Karibik im Elend versank, betraf das auch unser Land.
Fowler merkte, dass seine Worte ihre Wirkung auf uns nicht verfehlt hatten. Er grinste siegesgewiss.
Ich hakte nach. »Und wer steckt hinter diesem Millionenhandel?«
»Das möchte ich nur dem Staatsanwalt verraten, nachdem er einen schriftlichen Deal unterzeichnet hat.«
Ich stand auf. »Wir sind hier fertig, Phil. Fowler kommt in Untersuchungshaft, bis …«
»Okay, okay!«, rief der Ganove. »Ich wollte es einfach noch mal versuchen, Inspektor Cotton. Jeder muss schließlich sehen, wo er bleibt, nicht wahr? Aber Sie sollen sehen, dass ich Ihnen vertraue: Das Ding wurde von Vivian Dunn eingefädelt. Ihre Komplizen heißen Max Shane und Dean Howard.«
Fowler schaute uns triumphierend an. Phil tippte die drei Namen in die Suchfunktion der CJIS-Datenbank. Das System wurde im Handumdrehen fündig. Ich runzelte die Stirn, als ich das Ergebnis auf Phils Notebook-Bildschirm erblickte.
»Wollen Sie uns für dumm verkaufen, Fowler? Vivian Dunn, Max Shane und Dean Howard sind ausnahmslos vorbestraft und daher beim FBI registriert.«
Der Verbrecher schaute mich verständnislos an. »Aber dann ist doch alles in Ordnung, Inspektor Cotton!«
Ich nickte. »Abgesehen von der Tatsache, dass sich alle drei Personen am 11. September 2001 im World Trade Center befanden. Sie wurden bei dem Terroranschlag getötet, gemeinsam mit über dreitausenddreihundert anderen Menschen. Also wird Ihr angeblicher Millionenbetrug von drei Leichen eingefädelt, Fowler.«
***
Der Verbrecher war einen Moment lang sprachlos. Dann begann er zu stammeln. »D-das kann nicht möglich sein. Meine Quelle ist hundertprozentig zuverlässig.«
»Das kann jeder sagen«, sagte ich. »Ich will wissen, wer Ihnen diese Information geliefert hat.«
Fowler verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Ich verweigere die Aussage. Sie wollen mich ja doch nur verladen. Es war ein Fehler, überhaupt herzukommen.«
Wir redeten noch eine Weile auf den Ganoven ein, aber er gab sich stur. Schließlich brachen wir das Verhör ab. Da Fowler seine Beteiligung an dem Raubüberfall gestanden hatte, blieb er sowieso hinter Gittern. Als der Kriminelle abgeführt wurde, warf er mir einen enttäuschten Blick zu. Er schien fest an seine eigene Story geglaubt zu haben.
Zunächst rief ich beim Field Office in Michigan an, um den von Fowler beschuldigten Eric Davis verhaften zu lassen.
Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, wandte ich mich an Phil. »Wir sollten Fowlers Informationen mit dem Chef besprechen.«
Phil legte die Stirn in Falten. »Glaubst du, dass dieses Gefasel einen wahren Kern enthält, Jerry? Fowler hat eine blühende Fantasie, zugegeben. Er wollte besonders clever sein, um straffrei davonzukommen. Aber dann war es ein Schuss in den Ofen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das hätte er einfacher haben können. Warum hat er ausgerechnet diese drei Namen genannt? Er schien völlig überrascht davon gewesen zu sein, dass die Personen bei dem Terroranschlag getötet wurden.«
»Fowler hat die Frau und die beiden Männer möglicherweise wirklich gekannt, Jerry. Aber er hat sie aus den Augen verloren und konnte nicht ahnen, dass sie schon 2001 ums Leben gekommen sind. Er wollte sich auf ihre Kosten die Freiheit erkaufen und hat nun selbst das Nachsehen.«
Das war natürlich möglich. Aber ich wollte nicht ausschließen, dass Fowler doch eine wichtige Information für uns hatte.
Phil und ich gingen ins Vorzimmer von Mr High hinüber. Dorothy Taylor blickte von ihrer Computertastatur auf.
»Ist der Assistant Director zu sprechen?«, fragte ich.
»Mister High hat gleich einen Termin. Aber es ist wahrscheinlich wichtig.«
Ich nickte.
»Dann werde ich seinen anderen Besucher noch etwas aufhalten. Gehen Sie einfach durch!«
Die Sekretärin informierte unseren Chef per Gegensprechanlage. Wenig später saßen wir mit Mr High am Konferenztisch in seinem Büro. Ich berichtete von Fowlers Behauptungen.
»Falls diese Informationen einen wahren Kern enthalten, könnte die Wirtschaft in einigen Karibikstaaten zusammenbrechen«, sagte er, nachdem ich geendet hatte. »Eine solche Krise hätte nicht nur Auswirkungen auf unser Land, sondern wahrscheinlich sogar auf die gesamte Weltwirtschaft. Ich muss Ihnen nicht erklären, was das bedeuten würde.«
Phil schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Die Banken der betroffenen Staaten würden zusammenbrechen. Löhne könnten nicht mehr gezahlt werden, Geschäfte müssten schließen. Gewalt und Plünderungen wären die Folge. Womöglich muss auch mit Terrorismus oder mit Verzweiflungstaten gerechnet werden.«
»Viele Karibikbewohner haben Verwandte in den USA, sodass auch wir von der Krise angesteckt werden würden«, stimmte ich ihm zu. »Die Region könnte im Chaos versinken. Das ist eine schreckliche Vorstellung.«
»Trotzdem halte ich diesen Informanten für einen Schaumschläger«, wandte Phil ein.
»Wenn Fowler Sie wirklich angelogen hat, wird sich das schnell herausstellen. Die Geschichte muss Hand und Fuß haben, andernfalls will der Verdächtige tatsächlich nur von seiner eigenen Schuld ablenken. Gehen Sie dem Hinweis bitte auf den Grund, Jerry und Phil.«
Wir machten uns sofort an die Arbeit. Als Erstes rief ich Mai-Lin in Quantico an. Wenn es um knifflige Aufgaben im Internet ging, war Dr. Cha unsere bevorzugte Adresse. Es gab fast nichts, was die zierliche, chinesischstämmige Kollegin nicht möglich machen konnte. Ich schilderte der Informatikerin die Ausgangslage.
»Finden Sie bitte heraus, ob die drei Personen nach dem 11. September im Internet irgendwo Spuren hinterlassen haben könnten, Mai-Lin. Sowohl Vivian Dunn als auch Max Shane und Dean Howard sind vorbestraft. Es ist schwer zu glauben, dass sie völlig im Nichts verschwinden können, ohne Spuren zu hinterlassen. Nehmen Sie sich ihre erkennungsdienstlichen Daten vor und checken Sie Querverweise und Verbindungen zu Komplizen aus anderen Fällen.«
»Selbstverständlich, Jerry. Außerdem werde ich die Fotos der drei Verdächtigen morphen, um ihr heutiges Aussehen zu simulieren. Falls sie noch am Leben sind, dann können sie sich nicht unsichtbar gemacht haben. Laut Wahrscheinlichkeitsrechnung und unter Einbeziehung des Zeitstrahls …«
Ich unterbrach Mai-Lin, bevor ihre Erklärung zu weitschweifig wurde. Für uns war wichtig, dass sie in der virtuellen Welt auf die Jagd nach den drei Phantomen ging. Die Ermittlungen vor Ort übernahmen Phil und ich. Wir begannen, indem wir Fowlers Unterkunft einen Besuch abstatteten.
***
Man musste kein Meisterdetektiv sein, um Fowlers Unterschlupf in Washington zu ermitteln. Als Fowler das FBI-Hauptquartier betreten hatte, war er gründlich durchsucht worden. Dabei hatten die Kollegen eine Schlüsselkarte vom Motel 24 in Brightwood sichergestellt.
Phil und ich nahmen einen Ford Interceptor aus der Fahrbereitschaft und machten uns auf den Weg in die nördlichen Stadtteile.
»Jerry, die Sache stinkt zum Himmel. Ich halte Fowler nicht für die hellste Kerze auf der Torte. Für so einen groß angelegten Betrug mit Staatsanleihen sind Verbrecher mit Köpfchen gefragt. Ich traue unserem Informanten höchstens zu, bei einem Raubüberfall den Fluchtwagen zu steuern. Und genau das hat er ja auch gestanden.«
»Wir wissen nicht, ob Fowler überhaupt an der Planung dieses Coups beteiligt war. Auch ein simpler Handlanger kann eine wichtige Information aufschnappen.«
Phil nickte. »Das stimmt. Ich finde es merkwürdig, dass Fowler kein Smartphone bei sich hatte, als er zu uns gekommen ist. Heutzutage läuft niemand mehr ohne so ein Ding herum, Ganoven schon mal gar nicht. Wenn er es in seinem Motelzimmer zurückgelassen hat, dann enthält es womöglich wichtige Daten. Und dann wird sich schnell zeigen, ob Fowler gelogen hat oder nicht.«
Immerhin wussten wir, auf welche Art der Verbrecher zum J. Edgar Hoover Building gelangt war. Er hatte vom Motel aus ein Yellow Cab genommen, was von der Taxigesellschaft bestätigt worden war.
Während unseres Wortwechsels hatten wir uns durch den vormittäglichen Hauptstadtverkehr gekämpft und näherten uns nun dem Motel 24 an der Missouri Avenue.
Es war ein unauffälliges einstöckiges Flachdachgebäude, schätzungsweise fünfzig Jahre alt und renovierungsbedürftig. Fowlers Zimmer hatte die Nummer sieben.
Ich steuerte den Ford Interceptor an der Rezeption vorbei.
»Da vorne links ist es, Jerry.«
Ich hatte Fowlers Unterkunft ebenfalls entdeckt. Auf dem zum Zimmer gehörigen Parkplatz stand ein alter Buick Skylark mit Michigan-Nummernschildern.
»Das dürfte Fowlers Karre sein«, meinte Phil. »Ich frage mich, warum er nicht damit zum Hauptquartier gefahren ist.«
»Vielleicht versteckt er in dem Auto etwas, das wir nicht finden sollen. Andererseits hätte sich Fowler denken können, dass wir seinen Unterschlupf und seinen Wagen durchsuchen werden.«
»Ja, falls er so weit denkt«, meinte Phil. Er öffnete den Mund, um noch mehr zu sagen.
Aber in diesem Moment explodierte das Motelzimmer.
***
Wir befanden uns ungefähr drei Autolängen von der Detonation entfernt. Die Fensterscheibe von Fowlers Zimmer ging zu Bruch, die Scherben flogen weit auf den Parkplatz hinaus.
Flammen schlugen aus der aufgesprengten Tür und der leeren Fensterhöhle. In dem Raum war offensichtlich nichts mehr zu retten.
In einigen benachbarten Zimmern befanden sich Gäste, die nun panisch ins Freie liefen. Ich bremste, stieg aus und hielt meinen FBI-Ausweis hoch.
»Bringen Sie sich in Sicherheit!«, rief ich. »Wir alarmieren die Feuerwehr.«
Auch der dickbäuchige Rezeptionist kam jetzt herbeigeeilt und schaute sich verwirrt nach allen Seiten um.
Ich wandte mich an ihn. »Haben Sie auf dem Gelände Personen bemerkt, die nicht als Gäste eingecheckt haben?«
Der Mann kratzte sich sein unrasiertes Kinn, er schien angestrengt nachzudenken. Da wurde meine Aufmerksamkeit abgelenkt. Am Ende des nächstgelegenen Blocks scherte ein blauer Dodge Neon aus einer Parklücke und jagte in Richtung Süden davon.
Hatte der Fahrer die Explosion per Fernzünder ausgelöst?
Diese Frage wollte ich ihm gern selbst stellen. Ich stieg wieder ein, wendete den Ford Interceptor und nahm die Verfolgung auf.
Phil hatte wegen der Explosion bereits das Fire Department informiert. Jetzt nahm er Funkkontakt mit der Zentrale des Metropolitan Police Department auf.
»Hier spricht Inspektor Decker, FBI«, sagte er ruhig. »Inspektor Cotton und ich verfolgen einen blauen Dodge Neon auf der Missouri Avenue Richtung Süden. Der Fahrer ist möglicherweise bewaffnet. Wir bitten um Unterstützung!«
Ich schaltete die Sirene und das rot-blaue Warnlicht hinter dem Kühlergrill ein. Wenn der Flüchtende nichts zu verbergen gehabt hätte, wäre er jetzt an die Bordsteinkante gefahren. Aber davon konnte keine Rede sein. Er drückte kräftig aufs Gas. Offenbar wollte er sich auf keinen Fall erwischen lassen.
»Der Kerl hat nicht damit gerechnet, dass das FBI auftaucht«, rief Phil mir zu. »Nachdem er den Sprengsatz hochgejagt hat, muss er Panik bekommen haben.«
Das glaubte ich auch. Und es musste einen Grund geben, dass Fowler uns nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Um Licht ins Dunkel zu bringen, mussten wir uns den Flüchtenden vorknöpfen.
Aber das war leichter gesagt als getan. Der Mann in dem Dodge Neon überfuhr eine rote Ampel an der Kreuzung Missouri Avenue und Kansas Avenue. Mehrere Fahrer konnten nur durch Vollbremsungen eine Kollision mit dem Fluchtfahrzeug verhindern. Empörtes Hupen erklang, es gab kleine Auffahrunfälle. Ich hoffte, dass nur Blechschäden entstanden.
Der Fahrer des Dodge Neon riss auf der nächsten Kreuzung das Lenkrad herum. Er bog in die New Hampshire Avenue ein. Zu spät bemerkte der Kerl, dass sich der Verkehr dort staute. Der Flüchtende stieg in die Eisen und setzte zurück, während sich unser Dienstwagen ihm schnell näherte.
Einen Moment lang schien es, als ob die beiden Fahrzeuge kollidieren würden. Ich sah das Gesicht des Fahrers. Er war ein junger Weißer mit Sonnenbrille. Außer ihm konnte ich keine weiteren Personen in dem Dodge Neon ausmachen.
Er drehte am Lenkrad, wollte die Flucht auf der Missouri Avenue fortsetzen. Aber aus Richtung Fort Totten kamen uns nun zwei Streifenwagen des MPD entgegen. Außerdem klebte unser Ford Interceptor beinahe an seiner hinteren Stoßstange. Es wurde eng für den Flüchtenden.
Der Verdächtige stieß die Fahrertür auf. Er hatte einen Revolver in der Hand und feuerte in unsere Richtung. Die Kugel sirrte knapp an unserem Dienstwagen vorbei. Phil und ich sprangen ebenfalls auf die Fahrbahn, unsere Glocks hielten wir schussbereit.
»FBI! Waffe weg!«, rief ich mit durchdringender Stimme.
Aber der Kriminelle wollte nicht aufgeben. Er lief auf die gegenüberliegende Straßenseite zu und schoss wild um sich. Es war pures Glück, dass niemand getroffen wurde. Offenbar kam es ihm darauf an, Chaos und Verwirrung zu stiften. Und das gelang ihm auch.