Jerry Cotton 3123 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3123 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Richard Baker, ehemaliger Leiter der Field Operation Section Midwest, stattete Mr High einen Besuch ab. Der pensionierte Assistant Director wirkte verwirrt. Schnell stellte sich heraus, dass der Mann an Alzheimer erkrankt war und ihm die Gegenwart langsam, aber sicher entglitt. Doch eine Erinnerung aus frühester Kindheit ließ den alten Mann nicht los: Sein Onkel hatte jemandem vor seinen Augen die Kehle aufgeschlitzt! Mr High bat Phil und mich, der Sache nachzugehen. Und ehe wir uns versahen, landeten wir tief im Sumpf eines politischen Skandals, der nun weitere Todesopfer forderte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Das Lächeln des Killers

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Alle meine Väter«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4621-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Lächeln des Killers

Der kleine Richard hatte das Radio laut gestellt. Gerade spielte der Sender Heartbreak Hotel. Er fand den Song umwerfend. Vor wenigen Wochen hatte der junge Elvis damit die Charts gestürmt. Doch dann übertönten laute Stimmen die Musik.

Der Lärm kam aus dem Büro seines Onkels eine Etage tiefer. Neugierig schlich Richard die Treppe hinunter und spähte durch die halb geöffnete Tür. Onkel Blair und ein fremder Mann brüllten sich an.

Plötzlich nahm sein Onkel den schönen Brieföffner aus dem Sekretär und fuhr damit tief durch den Hals des Mannes. Pulsierendes Blut spritzte im hohen Bogen durch das Zimmer.

Dickie spürte, wie seine Hose warm und feucht wurde.

Dorothy steckte ihren Kopf zur Tür herein. »Ihr Besuch ist jetzt da, Mister High.«

Der Assistant Director wandte sich vom Monitor seines PCs ab und nickte.

»Danke, Dorothy, bitten Sie ihn gleich herein!«, bat er.

Mr High hatte soeben den Abschlussbericht des letzten Falles geprüft und freute sich nun auf etwas Abwechslung. Da kam ihm dieser Besuch gerade recht. Richard Baker war als Assistant Director in der Vergangenheit Leiter der Field Operation Section Midwest des FBI gewesen.

Mittlerweile war er siebzig Jahre alt und seit zwei Jahren im Ruhestand. Vor seiner Pensionierung hatte er oft mit Mr High zusammengearbeitet, wenn ein Fall überregionale Dimensionen angenommen hatte. Die beiden hatten den gleichen methodischen Ansatz und hatten sich auf Anhieb verstanden.

Man konnte fast von Freundschaft sprechen. Mr High schätzte Richard Bakers hintergründige Ironie außerordentlich. Darüber hinaus hatte der Leiter der Section Midwest die Gabe, ein festgefahrenes Problem aus einem völlig anderen Blickwinkel zu betrachten und so ganz neue Lösungsansätze zu finden. Gerne diskutierte Mr High deshalb auch den ein oder anderen aktuellen Fall mit ihm.

Nun hielt Dorothy Baker die Tür auf. Ein wenig irritiert beobachtete der Ruheständler dabei das fliederfarbene Kostüm der Vorzimmerdame, das leicht ins Gelbliche changierte. Er sah auch noch in ihre Richtung, als sich die Tür längst wieder hinter ihr geschlossen hatte.

Dann wandte sich Bakers Blick Mr High zu, flackerte einen kurzen Moment und leuchtete dann auf.

»John, schön, dich wiederzusehen«, sagte er. »In den letzten Wochen habe ich öfter an die alten Zeiten gedacht.«

Die beiden Freunde umarmten sich leicht distanziert, aber dennoch herzlich. Sie hielten sich einen Augenblick gegenseitig an den Ellenbogen und betrachteten einander. Mr High fiel auf, dass ein Jackettknopf seines Freundes ein Knopfloch zu hoch saß und die Jacke dadurch etwas verzogen wirkte. Er hatte seinen alten Kollegen immer besonders akkurat in Erinnerung gehabt.

Jetzt setzte sich Richard Baker auf den Besucherstuhl und fuhr mit seiner Hand einige Sekunden lang unmotiviert die Knopfleiste entlang, bis er die richtige Stelle fand und sein Jackett öffnete. Auf dem Hemd darunter zeigte sich ein Kaffeefleck.

Mit der Rechten ordnete er sein Haar. »Also kommen wir gleich zur Sache, John. Warum hast du mich hergebeten? Gibt es einen interessanten Fall, den du mit mir besprechen möchtest? Würde mich freuen, denn ich habe unsere Gespräche zugegebenermaßen vermisst.«

»Ich auch, Dick, ich auch«, lächelte Mr High. »Doch es gab in den letzten Monaten keinen Anlass für ein Treffen. Wir hatten zwar Fälle genug, die uns teilweise überdurchschnittlich viel Aufwand abgenötigt haben. Aber kein Fall war so kompliziert, dass dein Scharfsinn da ernsthaft gefordert gewesen wäre.«

»Verstehe«, sagte der Besucher nickend. »Warum sollte ich dann heute kommen?«

»Ich freue mich, dass du da bist«, setzte Mr High vorsichtig an. »Aber ich habe dich nicht eingeladen. Du selbst hast um diesen Termin gebeten.«

»Ach so, stimmt, natürlich«, versicherte Baker etwas zu schnell. »Entschuldige, ich bin in letzter Zeit manchmal unkonzentriert.«

»Das macht nichts«, entgegnete Mr High. »Der Stress hinterlässt bei uns allen gelegentlich seine Spuren. Hattest du einen besonderen Grund, warum du herkommen wolltest?«

Richard Baker hob ruckartig den Kopf. »Kannst du mir einen Gefallen tun? Vielleicht erinnerst du mich nachher daran, dass ich meinen Schirm wieder mitnehme, wenn ich gehe.«

Der Assistant Director blinzelte irritiert. »Heute scheint doch schon den ganzen Tag die Sonne. Ich glaube kaum, dass du einen Schirm dabeihattest, als du gekommen bist. Meiner Ansicht nach brauchst du gar keinen.«

Frustriert senkte der Ruheständler den Blick auf seine Schnürsenkel, von denen einer nicht richtig gebunden war. Lähmendes Schweigen breitete sich im Raum aus.

Mr High räusperte sich. »Richard, im Ernst, was ist los mit dir?«

»Ich habe alles im Griff«, erklärte Baker mit einem Anflug von Panik in der Stimme. »Ich bin allein aus Minneapolis hierhergeflogen. Vorher habe ich mir in Washington ein Hotelzimmer gebucht, in dem ich jetzt wohne. Und mit dem Taxi bin ich ohne Probleme zu dir in die Pennsylvania Avenue gekommen.«

»Das habe ich nicht gefragt«, stellte der Leiter der Field Operation Section East richtig. »Und das wollte ich auch gar nicht wissen. Ich wollte vielmehr von dir wissen, was mit dir nicht in Ordnung ist. Wie es dir geht. Denn ich sehe doch, dass etwas nicht stimmt.«

»Also gut.« Richard Baker atmete tief aus. »Mit einem Wort: Ich habe Alzheimer. Das dürfte dir vermutlich nicht entgangen sein.«

***

Mr High schlug die Augen nieder und senkte bestätigend den Kopf. Welch eine Verschwendung – so ein brillantes Gehirn in Selbstauflösung, dachte er, sprach es aber nicht aus.

»Noch befinde ich mich in einem relativ frühen Stadium«, fügte der Rentner hinzu. »Ich habe sehr gute Ärzte und bekomme die besten Medikamente. Ein halbwegs normales Leben ist mir nach wie vor möglich … Noch.«

»Wenn ich dir irgendwie helfen kann …«, versuchte es Mr High mit einem freundlichen Angebot, brach den Satz aber gleich wieder ab, weil er wusste, dass er nicht viel tun konnte.

Sein Besucher bestätigte diesen Gedankengang auch gleich. »Das ist lieb von dir. Aber die Einzigen, die mir jetzt noch helfen können, sind die Ärzte. Und auch die haben nur begrenzte Möglichkeiten. Alzheimer ist heute noch eine unheilbare Krankheit, die unerbittlich fortschreitet, wenn sie sich einmal in deinem Kopf eingenistet hat.«

»Ich erinnere mich, davon gelesen zu haben«, räumte der Assistant Director ein. »Doch ich habe auch gehört, dass Forscher an einem Heilmittel arbeiten.«

»Nur wird das für mich zu spät sein«, meinte Baker. »Ich habe nicht mehr viel Zeit. Bis ein solches Mittel marktreif wäre, ist mein Geist längst im ewigen Nichts verschwunden. Wenn das Medikament überhaupt jemals entwickelt wird.«

»Ich werde jedenfalls für dich da sein, wenn du mich brauchst«, blieb Mr High nur noch zu sagen.

»Das weiß ich wirklich zu schätzen«, antwortete sein Freund. »Nur wird dir das nicht zu jedem Zeitpunkt möglich sein. Du steckst bis über beide Ohren in Arbeit und kannst deinen Job nicht einfach hinwerfen. So etwas würde ich nie von dir erwarten. Schließlich rettest du mit deiner Abteilung oft genug Menschenleben.« Richard Baker besann sich und blickte auf den Kaffeefleck auf seinem Hemd. »Eine solche Aufgabe darf man nicht vernachlässigen. So wichtig bin ich auch wieder nicht.«

»Für mich bist du wichtig«, widersprach Mr High halbherzig, wohlwissend, dass sein alter Kollege nicht ganz unrecht hatte. »Also, wenn ich irgendetwas für dich tun kann, zögere nicht, es mich wissen zu lassen.«

»Weißt du, mir kommen urplötzlich Bilder oder Szenen von früher in Erinnerung«, wechselte Baker scheinbar unmotiviert das Thema. »Gelegentlich sind es Ereignisse aus einer Zeit, als ich gerade beim FBI angefangen und meine ersten Fälle als einfacher Agent gelöst habe. Manchmal handelt es sich um Begebenheiten aus meiner Kindheit, die mir ganz lebhaft vor Augen treten.«

»So etwas soll bei einer Alzheimer-Erkrankung nicht untypisch sein«, stimmte ihm der Assistant Director zu.

»Ich weiß nicht, ob ich mir das alles nur einbilde«, schränkte der Rentner unsicher ein.

»Das glaube ich nicht«, beruhigte ihn Mr High. »Nach allem, was man so hört, sind das reale Erinnerungen, die da hochkommen.«

»Na, schöne Erinnerungen sind es in meinem Fall nicht immer«, fuhr Richard Baker fort.

»Es sind in der Regel emotional aufwühlende Ereignisse, die sich einprägen. Egal, ob krank oder gesund«, merkte Mr High an. »Und solche Begebenheiten sind eben nicht immer nur schön.«

»Das kannst du laut sagen.« Baker lachte freudlos auf. »An eine Szene erinnere ich mich besonders plastisch, die läuft wie eine Endlosschleife immer wieder vor meinem inneren Auge ab. Ich war damals vielleicht zehn Jahre alt. Es geht um meinen Onkel, er kommt auch in meinen Erinnerungen vor.«

»Dein Onkel?« Mr High horchte auf. »Der war jahrzehntelang Gouverneur von Minnesota, richtig? Das muss ein bedeutender Mann gewesen sein. Habe ich jedenfalls gehört, auch wenn ich ihn nie persönlich kennengelernt habe.«

Der Assistant Director erinnerte sich, dass er damals verwundert gewesen war. Als Richard noch im aktiven Dienst war, erfuhr er nur durch Zufall über einen Dritten, welch herausragende Position sein Onkel früher bekleidet hatte. Bis dahin wusste Mr High nicht einmal, dass sein Freund überhaupt einen Onkel hatte. Baker hatte nie über ihn reden wollen.

»Das war er wohl«, riss Mr High Bakers Stimme aus den Gedanken. »Genaueres kann ich dazu nicht sagen. Ich habe ihn all die Jahre über gemieden, mehr oder weniger unbewusst. Ich hatte einfach kein gutes Gefühl, wenn ich in seiner Nähe war.«

»Vielleicht hat das mit den Bildern zu tun, die jetzt immer wieder vor deinem geistigen Auge auftauchen«, schlug Mr High vor.

»Schon möglich«, entwickelte Baker den Gedanken weiter. »Verdrängte Erlebnisse, die in einer persönlichen Krisensituation an die Oberfläche gespült werden. In Verbindung mit einer besonders heimtückischen Krankheit. Vielleicht war das der Grund für meine spätere Zurückhaltung. In meiner frühen Kindheit war ich oft und gerne bei meinem Onkel.«

»Was ist denn damals los gewesen? Was ist das für eine Szene, an die du dich plötzlich wieder so genau erinnerst? Erzähl doch mal!«, forderte Mr High den Rentner auf.

***

Ich hatte mich so auf dieses Wochenende gefreut. Ich war lange nicht mehr bei Onkel Blair gewesen. Das letzte Mal war bestimmt schon sechs Wochen her.

Mein Onkel machte immer so tolle Sachen mit mir. Wir gingen ins Kino, hörten Musik oder übten mit dem Baseballhandschuh. Onkel Blair war der Schläger, ich war der Fänger. Er hatte einen tückischen Schlag, aber ich war ziemlich geschickt mit dem großen Handschuh.

Diesmal wollten wir Schlitten fahren. Es war frischer Schnee gefallen. Aber mein Onkel hatte außerdem eine besondere Überraschung: Er hatte Skier für mich gekauft.

Warum konnte ich nur nicht öfter bei ihm sein? Es war so schön dort. Abends erzählte Onkel Blair spannende Geschichten. Niemand hatte eine so reiche Fantasie. Und eine solch tiefe Stimme.

Meine Mutter war seine Schwester. Eigentlich sah sie es nicht gern, wenn ich zu ihm ging. Sie traute ihrem kleinen Bruder wohl nie recht über den Weg.

Er musste früher als Junge ziemlich viel Unsinn angestellt haben. Und kam dann doch meistens straflos davon, weil er es damals schon gut verstand, die Leute um den Finger zu wickeln – auch die Erwachsenen.

Aber wenn ich lange genug bettelte, durfte ich irgendwann wieder zu Onkel Blair. Es passte meiner Mom ab und an ganz gut in den Kram, wenn ich anderswo gut versorgt war. Sie war oft mit ihrer Wohltätigkeitsorganisation beschäftigt. Damit leistete sie wichtige Arbeit für bedürftige Kinder.

Und mein Dad war als Staatsanwalt so gefragt, dass er sich auch nicht den ganzen Tag um mich kümmern konnte. Also war Onkel Blair für uns alle manchmal eben die beste Lösung.

Mein Onkel und ich waren wirklich ein gutes Team. Wir verstanden uns prächtig. Jetzt hatten wir es wieder einmal geschafft, zusammenzukommen.

Einen weiten Weg zueinander hatten wir nicht. Onkel Blair hatte eine alte Villa am Prospect Park, meine Eltern und ich wohnten etwas außerhalb am Stadtrand von Minneapolis.

Gerade saß ich in dem Zimmer im Obergeschoss, das Onkel Blair extra für meine Besuche eingerichtet hatte. Hier hatte ich sogar ein eigenes Radio.

Ich konnte es kaum erwarten, endlich meine neuen Skier auszuprobieren. Doch mein Onkel hatte gerade irgend so einen langweiligen Besuch bekommen. Ich musste mich also gedulden, bis Onkel Blairs Besprechung in seinem Büro im Erdgeschoss vorbei war.

Da konnte man nichts machen. Mein Onkel war ein junger Politiker und spielte in seiner Partei eine ziemlich wichtige Rolle, soweit ich das mitbekam. Da ließen sich ungeplante Besprechungen auch an einem Samstagvormittag wie diesem gelegentlich nicht vermeiden.

Also stellte ich erst mal das Radio an, um mir die Zeit zu vertreiben. Sie spielten Elvis Presley mit seinem ersten großen Song. Toller Musiker, hat bestimmt eine große Zukunft, dachte ich gerade.

Da hörte ich plötzlich von unten laute Stimmen, die meine Musik übertönten. So etwas hatte es im Haus meines Onkels bis dahin noch nie gegeben, das war ich nicht gewohnt.

Also schlich ich die Treppe hinunter. Die Tür zu Onkel Blairs Büro stand einen Spaltbreit offen. Ich spähte hinein. Ein fremder Mann war dort.

Mein Onkel redete mit schneidend scharfer Stimme auf ihn ein. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass Onkel Blair überhaupt so sprechen konnte. Der Mann antwortete, brüllte zurück.

Plötzlich steckte Onkel Blairs wunderschöner Brieföffner mit dem jadegrünen Griff im Hals des fremden Mannes. Er wollte schreien, gab aber nur noch ein gurgelndes Geräusch von sich und sank zu Boden.

Blut spritzte auf, immer wieder, so schnell wie mein pochendes Herz. Es lief über die Wände im Büro meines Onkels … Über die Fensterscheiben … Rotes Blut … Tiefrotes Blut vor weißem Schnee … Überall …

Und Onkel Blair lächelte kalt …

***

Richard Baker schwitzte stark. Seine Erzählung hatte ihn mitgenommen. Die Erinnerung war übermächtig, hatte ihn fest im Griff.

Mr High beugte sich vor und reichte seinem Freund ein Taschentuch. »Ganz ruhig, Dick, ist schon gut. Du bist hier, bei mir.«

»Mein Onkel hat einen Menschen getötet … Brutal … Mitleidlos … Eine grausige Bluttat«, stammelte Baker. »Ich habe alles mitangesehen.«

»Du meinst Blair Livingston, der ehemalige Gouverneur von Minnesota, ist ein Mörder?«, hakte der Assistant Director vorsichtig nach.

»Ja, ich kann es bezeugen«, erwiderte der Rentner. »Ich war dabei, als er die Tat begangen hat …« Dann wurde seine Stimme brüchig, klang unsicherer. »Ich weiß nicht. Oder bilde ich mir das alles nur ein? Es ist schrecklich, wenn man seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr trauen kann.«

»Du kannst den Ärzten vertrauen, und du kannst mir vertrauen«, versuchte Mr High die Verzweiflung seines alten Kollegen zu mildern. »Und ich denke, dass deine Geschichte nicht deiner Fantasie entsprungen ist. Es handelt sich vielmehr um eine realistische Erinnerung, die jetzt wieder hochgespült wird.«

»Aber was soll ich jetzt machen?« Richard Baker schlug verzweifelt die Hände vors Gesicht.

»Muss man denn da etwas machen?«, reagierte Mr High mit einer Gegenfrage. »Du hast erzählt, dass du ungefähr zehn Jahre alt warst, als du den Mord beobachtet hast. Heute bist du siebzig und im Ruhestand. Vielleicht kannst du lernen, mit der Erinnerung zu leben. Auch wenn sie jetzt erst wieder in dein Bewusstsein gedrungen ist.«

»Aber Mord verjährt bei uns in den Staaten nie«, gab Baker zu bedenken. »Mein ganzes Berufsleben habe ich damit verbracht, Morde aufzuklären. Und nun kommt ausgerechnet so eine Erinnerung hoch.«

»Du warst damals ein unschuldiger Junge, der zufällig Zeuge der Tat geworden ist, kein Mittäter«, besänftigte ihn Mr High. »Niemand wird dir einen Vorwurf daraus machen.«

»Was ist mit meinem Onkel?«, wollte der Rentner wissen.

»Was soll mit ihm sein?« Der Assistant Director hob irritiert den Kopf. »Blair Livingston war zur Tatzeit ein erwachsener Mann. Das ist jetzt sechzig Jahre her. Da wäre es sehr ungewöhnlich, wenn er heute noch leben würde.«

»Mein Onkel war ein ungewöhnlicher Mensch«, antwortete Richard Baker bedächtig. »Und er ist es nach wie vor. Nein, Blair Livingston ist nicht gestorben.«

Mr High lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Dann muss er uralt sein.«