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In einem zerfallenen Haus an der Atlantikküste von New Jersey stießen die beiden Kinder eines wohlhabenden jungen Ehepaars, das das Grundstück kaufen wollte, auf eine einbetonierte Leiche. Der Tote war schnell identifiziert: Sal Galeano, eine bekannte New Yorker Größe im organisierten Verbrechen. Der Mann verschwand vor Jahren spurlos, bevor er gegen seinen Boss Arthur Nash hatte aussagen können. DNA einer zweiten Person, die offenbar Galeanos Mörder gehörte, rief Phil und mich auf den Plan und brachte uns auf die Spur eines Profikillers ...
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Alte Sünden
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Desert Saints«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5055-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Alte Sünden
Der Strand und das Rauschen der Atlantikwellen waren ganz nah.
»An diese Lärmbelästigung werden Sie sich gewöhnen müssen«, scherzte der Immobilienmakler. Er hatte das wohlhabende junge Ehepaar um das vom letzten Hurrikan stark beschädigte Haus am Meer herumgeführt, und sie waren wieder auf dem Vorplatz angekommen.
»Ich könnte mir keinen schöneren Lärm vorstellen«, sagte Amanda Jackson mit einem Blick auf die heranrollenden Wellen. Unvermittelt runzelte sie die Stirn. Sie erschrak. »Die Kinder!«, rief sie alarmiert.
»Mal wieder verschwunden«, knurrte Christopher, ihr Ehemann, kopfschüttelnd. »Ich hatte doch ausdrücklich verboten …«
In diesem Augenblick, noch bevor sie nach Aidan und Kaitlyn rufen konnten, gellte der Schrei einer hellen, jungen Stimme aus der Ruine.
»Das kommt von der Strandseite«, stellte der Makler fest.
Amanda Jackson lief bereits los. Der Schrei schien nicht aufhören zu wollen.
»Das ist Kaitlyn«, rief Amanda, während sie rannte. Sie trug Gummistiefel, wie ihr Mann und der Makler. Von der Sorge um Tochter und Sohn getrieben, kam die sportliche Siebenunddreißigjährige trotz der schlappenden Stiefel schnell voran.
Der Räumbagger hatte auf beiden Seiten des halb zerstörten Hauses Schneisen freigeschoben, die den Meeresblick durch die Trümmerberge rund um die Reste des Hauses wieder freigaben. Die meisten Nachbarhäuser hier, an der nördlichen Atlantikküste von New Jersey, waren vom letzten Hurrikan ähnlich stark in Mitleidenschaft gezogen worden oder vollständig zerfallen.
»Diese kleinen Teufel können einen fertigmachen«, seufzte Christopher Jackson und setzte sich ebenfalls in Bewegung.
»Mir müssen Sie nichts erzählen. Ich habe drei von der Sorte zu Hause.« Der Makler, ein schlanker Mann im eleganten Businessanzug, schloss zu seinem potenziellen Kunden auf.
Die beiden Männer lachten kumpelhaft und überzeugt, dass man sich wegen ein bisschen Kindergeschrei keine großen Sorgen machen musste. Und beide fühlten sich einig in dem Erfahrungswert, dass man ängstliche Ehefrauen wenigstens zum Schein ernst nehmen musste.
Das leicht abschüssige Grundstück erleichterte das Laufen. Amanda hatte die Schuttberge an der rückwärtigen Hausecke bereits erreicht und schlug einen Bogen nach links, wo der hochgespülte Sand mit Tang und Treibgut übersät war.
Kaitlyn schrie immer noch.
»Hier stand vorher mal ein älteres Haus«, informierte der Makler seinen Interessenten, während sie liefen. »Bis vor acht Jahren, als dieses gebaut wurde, glaube ich. Wenn Sie es genau wissen wollen, sehe ich gleich mal in den Unterlagen …«
Christopher Jackson unterbrach ihn mit einer Handbewegung im Laufen. »Moment mal! Haben Sie das eben auch gehört?«
»Nein, was denn?«
»Ich glaube, meine Frau hat irgendwas gerufen. Hörte sich an wie Oh mein Gott, Aidan, was machst du da? Was ist das? Oder so ähnlich.«
Kaitlyn war inzwischen verstummt.
Stattdessen schrie ihre Mutter.
Erst war es ein lang anhaltender Entsetzensschrei, den Amanda von sich gab. Dann folgten schrille Worte, die nur mit einiger Mühe zu verstehen waren:
»Komm da weg, Aidan! Komm da sofort weg, hörst du?«
Die beiden Männer liefen schneller, hatten inzwischen den Strand hinter dem Haus erreicht.
Die Grundstücksgrenzen, früher durch Zäune markiert, waren nicht mehr zu erkennen. Schutt hatte alles unter sich begraben. Wie von den Nachbarhäusern zu beiden Seiten, waren auch vom Verkaufsobjekt nur noch geborstene Mauern und Wände stehen geblieben.
Die Außenmauern an der Rückseite des Hauses waren durch die vereinten Urgewalten von Sturm und Wasser herausgebrochen und ließen die Ruine an dieser Stelle aussehen wie ein schrundiges Ungeheuer, aus dessen aufgerissenem Maul ein Schwall von Geröll quoll.
Der größte Teil der Schuttlawine, die sich am weitesten auf den Strand ergossen hatte, bestand aus einem grobkörnigen grauen Granulat. Es sah aus, als hätte man Zement erst gebacken und dann gemahlen. Dabei handelte es sich um das frühere Haus.
Weiter oben lagen die Trümmer aus dem Erd- und Obergeschoss. Dort waren es hauptsächlich Mauerbrocken, vermischt mit Fußbodenplatten, verbogenen Versorgungsrohren und zerschmetterten Möbeln.
Amanda Jackson stand am Fuß der Zementlawine und hielt ihre zehnjährige Tochter fest an sich gepresst. Kaitlyn umklammerte ihre Mutter und schluchzte laut. Amanda strich ihr beruhigend übers Haar.
»Bitte tu etwas!«, flehte sie ihren Mann an, als sie ihn erblickte. »Er will einfach nicht hören.«
Die beiden Männer stoppten ihre Schritte. Sie begriffen nicht. Das Bild, das sich ihnen bot, schien alles andere als schockierend.
Aidan kniete fünf, sechs Yards höher auf dem ansteigenden Zementgranulat. Vornübergebeugt holte der Zwölfjährige Handvoll um Handvoll davon aus einem Loch und warf es hinter sich.
»Aidan!«, rief Christopher Jackson energisch. »Was, zum Teufel, treibst du da in dem Dreck?«
Der Junge drehte sich um und strahlte vor Stolz. »Dad, Dad! Sieh mal, was ich gefunden habe. Ich hab’s Mom schon gezeigt, aber es ist noch mehr da, viel mehr!« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Aidan wieder dem Loch zu und grub mit Feuereifer weiter.
Als sein Vater und der Makler den Zementhügel erklommen hatten und dem Jungen über die Schulter blickten, stockte ihnen der Atem.
Aus dem grauen Granulat starrten ihnen die Augenhöhlen eines Totenschädels entgegen.
Und Aidan war bereits damit beschäftigt, die Schulterknochen des dazugehörigen menschlichen Skeletts freizulegen.
***
Mit einer schnellen Folge von Mausklicks ging Mr High auf Websuche. Seine schlanken Finger wechselten von der Maus auf die Tastatur und bedienten sie, ohne dass er den Blick vom Bildschirm wenden musste. Er lehnte sich zurück, als die gefundene Seite auf dem Bildschirm erschien.
»Die Vergangenheit«, sagte er gedehnt, »holt uns doch immer wieder ein.« Nur kurz überflog er den Inhalt, dann schwenkte er den Bildschirm so weit herum, dass wir ihn gemeinsam ansehen konnten.
Es war die aktuelle Titelseite einer Zeitung, die der Chef aufgerufen hatte. Groß und fett prangte die Schlagzeile unter dem Kopf der Asbury Park Press.
Leiche im Keller
Kinder finden Skelett in Hurrikan-Ruine – Tod durch Kopfschuss
Phil und ich kannten die Zeitung aus unserer Zeit in New York. Es war ein auflagenstarkes Regionalblatt und erschien im Monmouth County in New Yorks Nachbarstaat New Jersey. Die Ortsangabe des Artikels zur Schlagzeile lautete Monmouth Beach. Das war eine Kleinstadt, benannt nach dem gleichnamigen Strand an der Atlantikküste.
Mit der Vergangenheit, so vermutete ich jetzt, meinte der Chef etwas, das mit unseren gemeinsamen Dienstjahren in New York zu tun hatte.
Phil hatte seinen gewohnten Platz rechts neben mir am Besuchertisch in Mr Highs Büro eingenommen. Wir hatten beide einen doppelten Espresso aus dem Hightech-Automaten im Vorzimmer mitgebracht. Allein das Aroma, das aus den schlanken braunen Bechern aufstieg, reichte aus, um uns für den Rest des Tages munter zu machen.
Ein Leichenfund sorgte nicht unbedingt gleich für Aufregung, weder bei uns im FBI Headquarter in Washington noch bei den Redakteuren großer Tageszeitungen. All right, wenn ausgerechnet Kinder so einen Fund machten, war das schon bestürzend. Und wenn der Totenschädel, wie es im Vorspann des Artikels hieß, ein Einschussloch in der Stirn und ein faustgroßes Ausschussloch in der hinteren Schädeldecke aufwies, war die Ursache sehr wahrscheinlich ein Gewaltverbrechen.
Aber das allein reichte höchstens, um die Mordabteilung der örtlichen Polizeibehörde auf den Plan zu rufen. Die Kollegen würden erst einmal davon ausgehen, dass es sich nicht um einen Suizid handelte. Denn Selbstmörder, die diese brachiale Todesart wählten, schossen sich meist in den Mund.
Fiel das zugrunde liegende Verbrechen allerdings in die Zuständigkeit des FBI, war das Field Office in Newark, New Jersey, die korrekte Adresse. Doch die Tatsache, dass Mr High, Assistant Director der FBI Field Operation Section East, seine Inspektoren Cotton und Decker deswegen zu einer vorgezogenen morgendlichen Dienstbesprechung gerufen hatte, ließ schon auf einen Fall schließen, der ganz weit oben angesiedelt war.
Und weil es sich bei der Leiche um ein Skelett handelte, kam das ins Spiel, was der Chef bereits erwähnt hatte.
Die Vergangenheit.
Es war wie ein Stichwort, das mir automatisch wieder in den Sinn kam.
»Der Name des oder der Toten wird da noch nicht erwähnt«, sagte ich deshalb und deutete auf den Bildschirm. »Wann genau wurde die Leiche gefunden?«
»Vor drei Tagen«, antwortete Mr High. »Die Asbury Park Press wurde gestern als erste Zeitung darauf aufmerksam, und zwar durch Anwohner, die in der Redaktion angerufen haben. Alle anderen Zeitungen werden den Bericht erst morgen bringen können, nur die Radiostationen und die Fernsehsender wohl schon heute im Laufe des Tages.«
»Weil die Kollegen in Newark wohl schon in Kürze ein Statement herausgeben werden«, folgerte ich.
»Die Press kam zwar als Erste mit der Meldung über den Leichenfund heraus«, ergänzte Phil. »Aber sie hat nur das, was zufällige Augenzeugen mitbekommen konnten. Die Sache mit den Kindern vor allem.«
»So dürfte es gewesen sein«, bestätigte der Chef. »Noch am Fundtag wurde das Gebiss der Leiche gescannt und an Zahnärzte und Zahnkliniken in New Jersey und New York gemailt. Und es gab einen Volltreffer: Ein Zahnarzt aus Belleville meldete sich. Das ist eine Kleinstadt nördlich von Newark. Er konnte das Gebiss eindeutig als das eines seiner Patienten identifizieren. Es konnten aber auch DNA-Proben sichergestellt werden, die dann endgültige Gewissheit bringen werden.«
»Eine männliche Leiche also«, sagte ich und setzte meinen Espressobecher ab. »Und wir«, ich sah Phil und dann wieder den Chef an, »erfahren den Namen noch vor den Medien.«
»So ist es«, bestätigte der Chef. »Der Tote ist Sal Galeano.«
Ein Name wie Sprengstoff. Einen Atemzug lang waren wir stumm vor Überraschung.
»Das gibt es nicht!«, entfuhr es Phil schließlich.
»Einundzwanzig Jahre?«, sagte ich nach kurzem Nachrechnen und blickte den Chef fragend an. »So lange war er verschwunden?«
»Stimmt«, antwortete er. »Wir waren damals an den Ermittlungen beteiligt, weil es auch New York betraf. Aber dann gab es letztlich nicht viel zu ermitteln, denn es gab keine Spuren.«
Phil und ich nickten und wechselten einen nachdenklichen Blick. Die Vergangenheit, tatsächlich. Da war sie. Wie gestern.
Salvatore Galeano, so sein vollständiger Name, war Unterboss in der New-Jersey-Familie gewesen. So hatten sie es damals genannt, das organisierte Verbrechen oder die Mafia im Nachbarstaat westlich des Hudson River. Familienoberhaupt war damals ein gewisser Arthur Nash.
Die Ermittler hatten ihn in die Enge getrieben, nachdem es ihnen gelungen war, Männer wie Galeano zu Belastungszeugen umzudrehen. Wobei Galeano vom Rang her eindeutig die Nummer eins war. Seine Aussage vor Gericht würde den großen Arthur Nash für immer ins Gefängnis bringen.
Agents vom FBI und US Attorneys hatten belastbare Beweise über Mordaufträge, Aufträge für Raubüberfälle, Drogengeschäfte auf Großhandelsniveau, Erpressungen, die Organisation von illegalem Glücksspiel, Kreditwucher und weitere Spezialitäten des Organized Crime aufgelistet.
Nash blieb praktisch keine andere Wahl mehr, als ein Geständnis abzulegen und mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Die Journalisten hatten sich mit diebischer Freude auf die Geschichten gestürzt, die am Rand für sie abfielen. Sie hatten seine gescheiterten Ehen ans Tageslicht gebracht und ebenso seinen richtigen Namen, Arturo Nascimento.
Alles hatte danach ausgesehen, dass der große Boss restlos erledigt und schon so gut wie verurteilt war. Doch dann, zwei Tage vor dem Prozess, war der Kronzeuge spurlos verschwunden – nachts, aus einem Safe House an einem geheimen Ort, trotz Rund-um-die-Uhr-Überwachung durch den US Marshals Service.
Sal Galeano war nie wieder aufgetaucht. Es hatte nicht den Hauch einer Spur von ihm gegeben. Sein Verschwinden gehörte bis heute zu den rätselhaftesten aller Cold Cases des FBI.
Nun bedeutete das Auftauchen der Leiche aber keineswegs, dass der Mordfall Galeano damit automatisch aufgeklärt war.
In dem Verfahren gegen Arthur Nash hatte Galeanos Verschwinden eine Sogwirkung auf die meisten der übrigen Zeugen ausgelöst. Entweder erinnerten sie sich plötzlich nicht mehr, oder sie behaupteten, ihre Aussagen seien erzwungen worden.
Das Ergebnis hatte die Öffentlichkeit wie ein Schock getroffen.
Nash hatte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Er war aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden.
Auch für uns vom FBI war es ein schwerer Schlag gewesen. Obwohl nicht direkt beteiligt, hatten wir in New York mit den Kollegen in New Jersey gelitten. Aber würde der Leichenfund jetzt, nach all den Jahren, eine Chance eröffnen, Nash doch noch hinter Gitter zu bringen?
***
»Lebt er überhaupt noch?«, fragte Phil. »Nash, meine ich.«
»In Florida«, antwortete Mr High. »Er soll da einen passablen Altersruhesitz sein Eigen nennen. Das heißt, so alt wird er noch nicht sein, Mitte fünfzig, höchstens sechzig.«
»Wenn Newark Sie benachrichtigt, Sir«, sagte ich, »dann sicherlich nicht nur, um uns einen Namen zu nennen und uns an alte Zeiten zu erinnern.«
Ein Lächeln deutete sich in den Mundwinkeln des Chefs an. »Special Agent in Charge Hayes bittet uns, den Fall Galeano zu übernehmen. Er sagt, es darf nicht noch einmal passieren, dass die Akte Galeano unaufgeklärt in der Schublade landet. Ich habe bereits zugesagt und Sie beide, Jerry und Phil, angekündigt.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Ihre Linienmaschine startet in drei Stunden vom Ronald Reagan National Airport. Genug Zeit also, um auch das Team zu benachrichtigen. Die Faktensammlung aus Newark finden Sie in Ihrer Mailbox.«
Milton Hayes war der Chef des FBI Field Office Newark, ein alter Bekannter. Ihm unterstanden außerdem fünf sogenannte Resident Agencies, Filialbüros also, verteilt auf das Gebiet des Bundesstaats New Jersey.
Wir verschwendeten keine Zeit mit Selbstverständlichkeiten und machten uns auf die Socken. Im Vorzimmer ließ uns Dorothy kurz wissen, dass wir die Reservierungsdaten für den Flug nach New Jersey ebenfalls in unserer Mailbox finden würden.
Die Zeiten, in denen freundliche Sekretärinnen FBI-Agents, die auf Dienstreise gingen, mit Flugtickets und Hotelreservierungen in einer hübsch bedruckten Mappe versorgten, waren nun einmal vorbei. Im Zeitalter der Online-Buchungen musste auch Dorothy diese Dinge nicht mehr selbst erledigen, sondern sie beauftragte die zuständige Abteilung damit.
Die elegante afroamerikanische Sekretärin des Chefs trug an diesem Tag ein smaragdgrünes Kostüm aus feinem irischem Tweed. Das effektvoll gebauschte rote Seidenhalstuch ließ Teile einer elfenbeinfarbenen Bluse erkennen. Dorothys kurzgeschorenes schwarzes Kraushaar war noch etwas kürzer als sonst.
»Diese Farben, nein, diese Farbkombination steht Ihnen ganz wunderbar«, konnte sich mein Partner nicht verkneifen zu schwärmen, während wir bereits weitereilten.
»Ich wünsche Ihnen beiden einen schönen Tag und einen angenehmen Flug«, entgegnete die Sekretärin des Chefs kühl. Es klang wie: Komplimente am Arbeitsplatz muss ich nicht haben, Gentlemen. Und welche Farben mir stehen, weiß ich selbst.
Schon in der Tür, wollte sich Phil umdrehen und etwas erwidern.
Ich schob ihn über die Schwelle. »Wir müssen uns beeilen.« Gleichzeitig wandte ich den Kopf in Dorothys Richtung, lächelte und rief ihr zu: »Und wenn Sie morgen in Sackleinen zum Dienst kommen, wäre auch das äußerst kleidsam für Sie.«
Bevor ich die Tür hinter uns schloss, sah ich noch, dass Dorothy mein Lächeln auf eine zaghafte Weise erwiderte.
Phil übernahm es, das Scientific Research Team zu verständigen. Die Forensiker, die auf die Schnelle einsatzbereit waren, würden uns im Abflugbereich des Flughafens treffen.
Die Flugzeit nach Newark in New Jersey betrug etwas mehr als eineinhalb Stunden. Ich würde unterwegs also genügend Zeit haben, um Phil und die SRT-Kollegen zu briefen. Grundlage dafür waren das Fakten- und Aktenmaterial des FBI Field Office Newark, das ich aus meiner Mailbox herunterlud und ausdruckte.
Dazu gehörte auch der Zeitungsartikel, den Mr High uns bereits gezeigt hatte. Darin wurden im Wesentlichen die Einzelheiten über das Schreckenserlebnis der beiden Kinder abgehandelt, außerdem die Geschichte des Grundstücks und der Häuser, die darauf gestanden hatten. Ich beschloss, das alles im Flugzeug durchzuarbeiten.
Nur den Kommentar, den der Verfasser des Berichts am Ende eingefügt hatte, las ich im Schnelldurchgang.
Fragen, Fragen, Fragen …
Wie man hört, hat das FBI den Fall Jackson übernommen. Nennen wir ihn mal so, nach den neuen Grundstückseigentümern an der Ocean Avenue in Monmouth Beach, denn die dort gefundene Leiche hat ja noch keinen Namen. Normalerweise müsste das FBI Field Office in Newark seine Resident Agency in Red Bank damit beauftragen, weil diese für das Monmouth County zuständig ist. Doch aus den bekanntlich gut unterrichteten Kreisen sickerte durch, dass Newark seine Fühler in Richtung Washington D.C. ausgestreckt hat.
Nun weiß ja jedes Kind, dass etwas im Busch ist, wenn sich die eigentlich Zuständigen an übergeordnete Dienststellen wenden und um Amtshilfe bitten, oder gar um Übernahme des kompletten Falles.
War die Leiche von der Ocean Avenue also eine große Nummer? Fühlen sich unsere »Locals« überfordert? Haben sie hier einen Cold Case, der ihnen zu heiß wird? War die Leiche nur der Anfang? Haben wir es womöglich mit einem neuen Mafia-Friedhof zu tun, der gerade am Atlantikstrand von Monmouth Beach entdeckt wurde? Wie viele Kellerleichen werden uns also noch beschert?
Fragen über Fragen also, die uns als Bürger beschäftigen.
Werden die zu erwartenden FBI-Inspektoren aus Washington uns Antworten geben können?
Ich packte meine Siebensachen ein, bestellte einen Wagen aus der Fahrbereitschaft und holte Phil aus seinem Büro ab. Laut Flugplan würden wir noch in den Mittagsstunden in New Jersey landen.
***