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Phil und ich bekamen es mit einem besonders perfiden Fall zu tun: Die Opfer wurden in den Selbstmord getrieben, indem ihnen ein anonymer Erpresser drohte, ansonsten einen nahen Angehörigen zu töten. Als Beweis schickte der Täter den Link zu einem Live-Videostream. In der Aufnahme war ein Verwandter zu sehen, auf den der Laserpointer eines Zielerfassungsgeräts gerichtet war. Wir nahmen die Ermittlungen auf und waren sicher, dass konkurrierende Verbrechersyndikate hinter den Todesfällen steckten. Doch als wir unseren Fehler bemerkten, war es schon fast zu spät ...
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Den Tod im Rücken
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Gianni Crispino
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5322-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Den Tod im Rücken
Der harte Schlag ließ die junge Frau zu Boden taumeln. Blut rann ihr aus der Nase. Das dunkle Haar fiel ihr zerzaust über die Schultern, die das knappe, eng anliegende Kleid freiließ.
»Was fällt dir ein, dich an meinem Stoff zu vergreifen, du Schlampe?«
Der Mann, der sie geschlagen hatte, war groß, kräftig und dunkelhaarig. Das Muskelshirt ließ zahlreiche Tätowierungen erkennen. Verschlungene Zeichen, Buchstaben, Zahlen … Das waren Tattoos, wie sie die Mitglieder der mittelamerikanischen Mara-13-Gangs trugen. Im Hosenbund steckte eine Automatik.
»Rico, ich wollte …«, begann die junge Frau, aber ehe sie weitersprechen konnte, bekam sie einen Tritt in den Bauch.
»Du wirst das alles abarbeiten, hast du verstanden?«
»Ja, Rico …«
»Aber vorher werde ich dir noch ein bisschen wehtun. Denn ohne Schmerz lernst du anscheinend nichts!«
In diesem Moment klingelte Ricos Smartphone.
Ein Anruf, der alles verändern sollte.
»Rico, ich tu das nie wieder«, wimmerte sie, nachdem er ihr noch einen halbherzigen Tritt verpasst hatte. Das Smartphone lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Und das kam ihr in diesem Moment zugute.
»Halt’s Maul, Elena!«, knurrte er.
Dann sah er auf das Handydisplay und erbleichte. Rico Mendoza erstarrte förmlich zur Salzsäule.
Elena blickte auf. Ihr war sofort klar, dass irgendetwas passiert sein musste. Etwas, das Rico von einem Augenblick zum nächsten vollkommen aus der Bahn zu werfen schien. Aber sie hätte es niemals gewagt, ihn in diesem Moment danach zu fragen.
Rico ging zum Fenster.
Er wirkte plötzlich sehr unruhig. Einen kurzen Blick warf er noch auf Elena. Aber dieser Blick galt nicht ihr. Er schien regelrecht durch sie hindurchzublicken. Schweiß stand auf seiner Stirn. Das Gesicht wirkte geradezu verstört.
Elena schluckte.
Sie fühlte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. Sie hatte Rico Mendoza noch nie so erlebt. Rico schützte sie. Er schlug sie manchmal. Aber selten so schlimm, dass sie nicht mehr auf die Straße gehen konnte und niemanden fand, der ihren Körper kaufen wollte. Das Wichtigste war, dass er sie mit Kokain versorgte, denn das brauchte Elena wie die Luft zum Atmen.
Irgendetwas stimmt da nicht!, ging es ihr durch den Kopf. Manchmal war Rico unberechenbar. Vor allem dann, wenn er selbst zu viel Stoff genommen hatte und ihn mit ein paar Pillen kombinierte, die eigentlich seine Stimmung aufhellen sollten, manchmal aber auch das genaue Gegenteil bewirkten. Dann konnte er wirklich gemein sein.
Ein paar sich unangenehm lang hinziehende Augenblicke hatte sie den Verdacht, dass sich Ricos unbeherrschter Zorn auf sie entladen konnte.
Er nahm die Pistole aus dem Hosenbund.
Aber statt die Waffe auf Elena zu richten, drückte er den Lauf gegen die eigene Schläfe.
Und drückte ab.
Elena schrie, wie sie noch nie zuvor in ihrem Leben geschrien hatte.
Sie spürte etwas Feuchtes im Gesicht. Als sie sich mit der Hand übers Gesicht wischte, stellte sie fest, dass sich ihre Tränen mit Blut vermischt hatten.
Blut, das zu ihr herübergespritzt war.
***
Ich begrüßte Dorothy Taylor. Die Sekretärin unseres Chefs war gerade dabei, ein Telefonat zu führen. Mit einer energisch wirkenden Geste bedeutete sie Phil und mir, weiter in Mr Highs Büro zu gehen. Offenbar wurden mein Partner und ich dort schon dringend erwartet.
Assistant Director High stand an der Fensterfront seines Büros und blickte über die Skyline von Washington. Er hatte die Hände tief in den weiten Taschen seiner Flanellhose vergraben. Die leicht gebeugte Körperhaltung deutete darauf hin, dass er im Augenblick konzentriert über etwas nachdachte. Als Phil und ich das Zimmer betraten, schien er uns zunächst nicht zu bemerken.
Wir warteten geduldig ab, bis Mr High uns schließlich einen Platz anbot. Ein Ruck ging dabei durch seinen Körper, der sich sofort wieder straffte.
»Guten Morgen«, sagte er. »Wir haben es in unserem Job immer wieder mit perfiden Verbrechen zu tun. Gleich werden Sie Zeuge eines solchen Verbrechens werden, das an Niederträchtigkeit und Skrupellosigkeit kaum zu überbieten ist.«
»Wir sind gewarnt, Sir«, sagte ich.
»In Baltimore ist vor einiger Zeit ein gewisser Rico Mendoza ums Leben gekommen. Und zwar durch Selbstmord. Nach übereinstimmender Aussage einer Zeugin und den Erkenntnissen der Kriminaltechnik hat sich Mendoza plötzlich seine Pistole selbst an die Schläfe gesetzt und abgedrückt.« Mr High drehte seinen Laptop auf dem Schreibtisch so herum, dass wir den Bildschirm sehen konnten. »Mendoza war Mitglied der berüchtigten Mara 13«, fuhr er fort.
»Also eher jemand, der andere erschießt – nicht sich selbst«, schloss Phil.
Die Mara-13-Gangs stammten ursprünglich aus Mittelamerika, genau genommen aus El Salvador, weswegen sie auch Mara Salvatrucha oder kurz MS 13 genannt wurden. Dabei war Mara die Abkürzung für Marabuntas, eine räuberische Ameisenart, die ganze Landstriche verwüsten konnte. Die 13 bezog sich auf eine Straßenecke in Los Angeles, wo der US-amerikanische Zweig dieses Gang-Netzwerks entstanden war, das sich inzwischen in ganz Nord- und Südamerika ausgebreitet hatte.
Mr High ließ auf dem Bildschirm ein Foto von Rico Mendoza erscheinen. Es stammte aus unseren Dossiers. Mendoza trug die für die MS-13-Gangster typischen Tätowierungen. Sie kennzeichneten den Rang oder wiesen auf Taten in der Vergangenheit hin: immer wieder verschnörkelte Fraktur-Buchstaben in Kombination mit Zahlen, deren volle Bedeutung nur diejenigen kannten, die zur Gang gehörten.
Der Ehrenkodex dieser Gruppen war mörderisch, ihre Aufnahmerituale ebenfalls. In vielen dieser Gangs war ein Mord die Voraussetzung, um überhaupt aufgenommen zu werden.
»Ein beachtliches Vorstrafenregister«, stellte Phil bei einem kurzen Blick auf die unter dem Foto aufgelisteten Angaben aus dem FBI-Dossier fest.
»Ja, Mendoza hat in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt«, erklärte Mr High. »Zumindest in Baltimore ist er zu einer der maßgeblichen Größen des organisierten Verbrechens aufgestiegen.«
»Ziemlich jung dafür«, staunte ich.
»Aber besonders skrupellos und schlau«, fuhr Mr High fort. »Auch wenn er herumlief wie ein Streetfighter, der jederzeit irgendeinem Schuldner die Knie zerschießt, hat er sich in den letzten Jahren mehr wie einer dieser Weiße-Kragen-Gangster verhalten.«
»Aber Sie nehmen doch nicht etwa an, dass er komplett handzahm geworden ist?«, meinte Phil.
Mr High schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Ein Gang-Leader kann bei den Mara Salvatrucha nicht an der Spitze bleiben, wenn er nicht bereit ist, selbst Gewalt anzuwenden. Und zwar eigenhändig, sonst verliert er den Respekt seiner Leute.«
»Das heißt wohl, er hat sich immer nur Opfer ausgesucht, bei denen er sicher sein konnte, dass die Justiz niemals dahinterkommen würde«, schloss ich.
Mr High nickte. »So dürfte es sein. Die Mauer aus Angst und Schweigen ist immer der stärkste Schutz des organisierten Verbrechens. Aber bei den Mara 13 gilt das noch viel stärker. Einerseits, weil sie besonders gewalttätig sind, und andererseits wegen ihres rigiden Ehrenkodexes.«
»Ein Mara-13-Gang-Krieger verrät einen anderen Mara nicht«, meinte ich. »Unabhängig davon, was er ihm angetan haben mag.«
»So ist es«, sagte Mr High. »Zuerst hatten die Kollegen in Baltimore den Verdacht, dass der Selbstmord dieses Mara-Anführers irgendetwas mit dem Ehrenkodex dieser Gruppierungen zu tun haben könnte – bis das Handy des vermeintlichen Selbstmörders untersucht wurde.«
Mr High aktivierte ein Video, auf dem das Gesicht einer Frau mit dunklem, von grauen Strähnen durchzogenem Haar zu sehen war. Sie saß auf einer Dachterrasse und schien die Sonne zu genießen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte entspannt. Ich schätzte sie auf Mitte bis Ende fünfzig.
Das Beunruhigende war der rote Laserpunkt, der in ihrer Herzgegend tanzte. Die Frau schien nicht einmal zu bemerken, dass sie im Visier einer lasergestützten Zielerfassung war und jemand mit einer Waffe auf sie zielte.
Unter den Bildern liefen Untertitel, die Mendoza aufforderten, sich zu erschießen.
»Die Identität der Frau wurde überprüft«, sagte Mr High. »Es handelt sich um Mendozas Mutter. Den Erkenntnissen unserer Kollegen in Baltimore nach war sie die wahrscheinlich wichtigste Person im Leben von Rico Mendoza.«
»Er hat sich umgebracht, damit sie nicht stirbt?«, stieß Phil hervor und beugte sich auf seinem Stuhl vor.
»Die Kollegen gehen davon aus, dass Mendoza möglicherweise wusste, wer hinter dieser Attacke steckte. Jedenfalls hat er die Drohung so ernst genommen, dass er es nicht gewagt hat, sich zu widersetzen«, erklärte Mr High.
»In der Tat eine perfide Art, jemanden dazu zu bringen, sich selbst umzubringen«, musste ich zugeben.
»Der Fall Mendoza ist allerdings nur der erste von einer ganzen Reihe ähnlich gelagerter Fälle«, sagte Mr High. »Die Verbrechen haben sich in verschiedenen Staaten ereignet. Und es gibt ein paar Gemeinsamkeiten, die keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass ein und derselbe Täter dafür verantwortlich ist.«
Ich hob die Augenbrauen. »Und diese Gemeinsamkeiten wären?«, fragte ich.
Mr Highs Gesicht wirkte ausgesprochen konzentriert. »Alle Opfer entstammen dem Dunstkreis des organisierten Verbrechens. Es sind Leute, die in ihren jeweiligen Organisationen bereits eine deutlich wahrnehmbare Führungsposition innehatten. Keine einfachen Drogendealer oder Schläger also. Die meisten hatten entweder Glück oder gute Anwälte oder beides. Nur aus diesem Grund waren sie noch auf freiem Fuß.«
»Will sich da jemand selbst einen Platz am Tisch der Bosse sichern?«, fragte ich.
»Die Überlegungen der Kollegen in Baltimore gehen ebenfalls in diese Richtung«, bestätigte Mr High. »Und Carlos Mendoza, Bruder und Nachfolger von Rico in der Mara-13-Hierarchie von Baltimore, hat wohl schon wüste Drohungen gegen seine Konkurrenten ausgestoßen und Rache geschworen.«
»Vielleicht steckt er ja selbst dahinter und versucht nun, die Schuld am Tod seines Bruders auf einen Mister Unbekannt abzuwälzen«, meinte Phil.
Ich nickte nachdenklich. »Das hätte wahrscheinlich noch den positiven Nebeneffekt, dass er die eigenen Reihen gegen seine Feinde schließen könnte.«
»Sie vergessen eines«, erwiderte Mr High. »Carlos hätte niemals seinem Bruder vorgegaukelt, seine eigene Mutter zu erschießen, falls er sich nicht umbringt. So grausam die MS-13-Gangster sonst auch sein mögen, aber in diesem Fall stünde der Ehrenkodex dagegen. Wenn nur ein entsprechender Verdacht aufkäme, wäre Carlos bei seinen Leuten unten durch.«
»Die eigene Mutter auf diese Weise zu benutzen wäre ausgeschlossen«, stimmte ich dem Assistant Director zu.
»Davon abgesehen gibt es eine Reihe weiterer Fälle, die ganz ähnlich gelagert sind. Die Opfer haben alle gemeinsam, dass sie in einer mehr oder minder herausgehobenen Position in irgendeinem Syndikat oder einer Gang aktiv gewesen sind.«
»Und alle haben sich selbst umgebracht?«, hakte ich nach.
»Ja. Der Täter wusste genau, wie er die Betreffenden wirksam unter Druck setzen konnte«, fuhr Mr High fort. »Die Betroffenen bekamen Videostreams per Handy, auf denen ihnen glaubhaft gemacht wurde, dass sich ein naher Angehöriger in unmittelbarer Lebensgefahr befand.«
»Wie viele Fälle gibt es inzwischen?«, fragte ich.
»Fünf«, antwortete Mr High. »Unterschiedliche Staaten, unterschiedliche Syndikate und immer dieselbe Methode.«
»Entweder will da jemand groß aufräumen, oder es legt jemand geradezu darauf an, dass ein Gangsterkrieg ausbricht«, sagte ich.
»Der scheint längst in Gang zu sein«, sagte Mr High. »Ich habe hier eine ganze Reihe von Meldungen über Schießereien, ungeklärte Todesfälle und so weiter, die sehr wahrscheinlich in Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen Mara-Gangs hier an der Ostküste und den anderen Syndikaten stehen.«
***
Den Rest des Morgens nutzten Phil und ich, um uns mit den Fakten vertraut zu machen und die entsprechenden FBI-Dossiers aus unserem Datenbestand durchzuarbeiten. Außerdem telefonierte ich mit Special Agent in Charge Kieran McCoy, dem Leiter des FBI Field Office Baltimore.
»Ich habe schon gehört, dass die Zentrale im J. Edgar Hoover Building den Fall jetzt an sich zieht«, sagte McCoy. »Und das ist auch gar nicht so verkehrt. Wenn Sie mich fragen: Da gibt es einen überregionalen Zusammenhang.«
»Haben Sie da einen konkreten Verdacht?«, fragte ich.
»Diese Mara-13-Gangster haben sich in den letzten Jahrzehnten wie eine Pest ausgebreitet, egal ob hier in Baltimore, in Philadelphia oder sogar in Boston. Selbst drüben in Kanada sind die schon zu finden. Es gibt Gangs in Montreal, Vancouver und Toronto.«
»Außerordentliche Brutalität hat ihnen den Weg frei gemacht«, sagte ich.
»Ja, aber auf diese Weise schafft man sich natürlich auf die Dauer Feinde.«
»Der Fall Mendoza war nur der Anfang einer Serie«, erklärte ich. »Und es sind auch Opfer dabei, die mit den Mara 13 überhaupt nichts zu tun haben.«
»Haben Sie mal etwas vom sogenannten Overlord gehört?«, fragte McCoy.
Ich dachte einen Moment nach. »Nein.«
»Das war vor einigen Jahren einer der umtriebigsten Lohnkiller in den Vereinigten Staaten. Seine spezielle Methode war es, Morde wie Selbstmorde aussehen zu lassen.«
»Sie glauben, dass dieser Overlord dahinterstecken könnte?«
»Das halte ich für denkbar«, sagte der SAC. »Er wurde weder gefasst noch identifiziert. Es gibt nichts über ihn, und die wenigen Spuren sind in ihrer Zuordnung nicht sicher. Angeblich hat er sich zur Ruhe gesetzt, aber das ist nur eine Version seiner Geschichte.«
»Und die andere?«, hakte ich nach.
»Es halten sich hartnäckige Gerüchte, dass er ein paar wichtige Leute aus dem Weg geräumt und sich anschließend an die Spitze eines Netzwerks aus mehreren Syndikaten gesetzt hat, das an der gesamten Ostküste tätig ist. Wenn dem jemand in die Quere kommt, könnte ich mir vorstellen, dass er wieder aktiv wird, um seine Herrschaft zu sichern.«
»Würde er dafür nicht jemanden beauftragen?«, fragte ich. »Ich meine, vorausgesetzt, die Gerüchte sind wirklich mehr als nur Gerüchte. In seiner Position macht man sich die Finger nicht mehr selbst schmutzig.«
»Ja, das gilt vielleicht für Leute, die früher einfach nur brutale Straßenschläger waren und dadurch andauernd unangenehmen Kontakt mit der Justiz hatten. Wenn die dann aufgestiegen sind, lassen sie andere die Drecksarbeit machen. Aber der Overlord war so was wie ein Virtuose auf seinem Gebiet. Für einen einfachen Schlächter ist es ein Risiko, selbst zu morden, aber wenn jemand der Überzeugung ist, der Beste zu sein, dann könnte diese Person auch auf den Gedanken kommen, dass es am besten ist, sich auf niemand anderen zu verlassen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.«
»Waren unter den bisherigen Opfern dieser Serie Personen, von denen vermutet wird, dass sie zum Netzwerk des Overlord gehören?«, fragte ich. »Ich nehme an, dass Sie sich die Fälle daraufhin angesehen haben.«
»Das habe ich«, erklärte SAC McCoy. »Das Problem ist nur, dass sich diese Frage nicht so einfach beantworten lässt. Wir wissen letztlich zu wenig darüber, wie weit das Netzwerk des Overlord tatsächlich gespannt ist. Und davon abgesehen kann es für einen großen Boss ab und zu ja auch mal nötig erscheinen, unter den eigenen Leuten aufzuräumen.«
»Wir werden Kontakt mit Ihnen halten und wahrscheinlich morgen nach Baltimore kommen«, kündigte ich an. »Was den Fall Mendoza anbelangt, gehe ich davon aus, dass er eine Schlüsselrolle spielt.«
»Weil er das erste Opfer war?«, vermutete McCoy.
Wir sind beide Angehörige des FBI. Und jeder von uns hat als kleiner Agent angefangen und sich bei zahllosen Ermittlungen die ersten Sporen verdient. Kein Wunder, wenn jemand den Gedanken des anderen vorwegnimmt.
»Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Verbrechen zum nächsten führt«, meinte ich. »Es beginnt mit dem als Selbstmord inszenierten Mord an einem Mara-13-Gangster – und der kann unmöglich folgenlos bleiben.«
***
Am Nachmittag fuhren Phil und ich nach Quantico, wo sich die FBI-Akademie befand. Abgesehen von ihrer Funktion als zentrale Ausbildungseinrichtung des Federal Bureau of Investigation waren in der Akademie auch einige kriminaltechnische und wissenschaftliche Ressourcen konzentriert. Unter anderem waren dort die Labors und Arbeitsräume des Scientific-Research-Teams, dessen Dienste Inspektoren wie uns zur Verfügung standen.
Eine gute Dreiviertelstunde brauchte man vom J. Edgar Hoover Building in Washington nach Quantico in Virginia. Zumindest, wenn die Straße frei war und es keinen Stau gab.
Aber wir hatten Glück und kamen gut durch.
Ich stellte den Jaguar auf einem der Parkplätze ab, die zum Gelände der FBI Academy gehörten. Phil und ich stiegen aus. Anschließend begaben wir uns in den Gebäudetrakt, in dem die Arbeitsräume unserer Kollegen aus dem Scientific-Research-Team untergebracht waren.