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Ein Lastwagen, der die plastinierten Leichen von Dr. Roger Talbert von einem Ausstellungsort zum nächsten transportierte, verunglückte schwer. Die Präparate waren nicht mehr zu retten und konnten nur noch nachträglich beerdigt werden. Ein Angehöriger klagte erfolgreich darauf, dass die Toten durch Gentests identifiziert und die sterblichen Überreste korrekt zugeordnet werden sollten. Als klar wurde, dass sich unter den plastinierten Gebeinen Genmaterial eines untergetaucht geglaubten Syndikatsbosses befand, übernahmen Phil und ich den Fall und gerieten mitten in einen Gangsterkrieg!
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Dr. Tod
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »The Assignment – Der Auftrag«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5553-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Dr. Tod
Patrick Darrenovsky aus Baltimore saß hinter dem Lenkrad seines BMW und gähnte. Eine anstrengende Arbeitswoche in einer Washingtoner Anwaltskanzlei lag hinter ihm. Und die Aussicht auf ein langweiliges Wochenende bei den Schwiegereltern in Baltimore wirkte auch nicht gerade erfrischend.
»Vorsicht! Da ist irgendwas los«, riss ihn die Stimme seiner Frau aus den Gedanken. Sie saß auf dem Beifahrersitz.
Auf dem Highway blinkten plötzlich überall Bremslichter auf. Darrenovsky hatte den Eindruck, auf eine zum Stillstand gekommene Lawine aus Blech zuzurasen. Er trat das Bremspedal voll durch. Reifen quietschten. Von hinten bekam der BMW einen heftigen Stoß. Offenbar war jemand aufgefahren.
Irgendetwas flog durch die Luft und knallte im nächsten Moment gegen die Frontscheibe. Die Scheibe hielt, bekam aber ein Muster aus spinnenwebenartigen Rissen.
»Was war das denn?«, murmelte Darrenovsky. Sein Gesicht war bleich wie eine Wand.
Darrenovsky stieg aus. Seine Knie waren weich, und sein Nacken schmerzte, vermutlich durch den Aufprall des hinteren Fahrzeugs. Er selbst hatte einen Aufprall auf den vorausfahrenden Ford vermeiden können.
»Ich krieg die Tür nicht auf!«, hörte er seine Frau sagen.
»Dann komm auf meiner Seite raus. Die hat sich wohl verzogen.«
»Patrick, was ist da los?«
»Keine Ahnung. Aber ich nehme an, wir erfahren es bald.« Ein Knall ließ Darrenovsky zusammenzucken. Weiter hinten hatte es einen weiteren Auffahrunfall gegeben.
Seine Frau kletterte über den Fahrersitz. Darrenovsky half ihr beim Aussteigen.
»Alles okay?«, fragte er.
»Es geht so.«
Darrenovsky sah kurz zu dem Fahrer des nachfolgenden Fahrzeugs, der sich gerade von seinem Airbag befreite. Er stieg wenig später aus seinem Geländewagen aus und streckte sich. Ihm schien nichts passiert zu sein.
Mrs Darrenovsky machte zwei Schritte in Fahrtrichtung, ging an ihrem Mann vorbei und versuchte zunächst, einen Blick auf das eigentliche Unfallgeschehen zu werfen. Irgendetwas musste die ganze Karambolage ja ausgelöst haben.
Mr Darrenovsky hingegen interessierte sich in erster Linie für den Schaden am Heck seines BMW, der durch den Aufprall des Geländewagens entstanden sein musste.
Bei dem Kuhfänger wird der Schaden sicher ziemlich schlimm sein, dachte Darrenovsky.
»Patrick!«, rief seine Frau.
»Was ist?«
»Sieh mal, was da vorhin gegen unsere Scheibe geflogen ist.« Ihr Gesicht wirkte fassungslos.
Darrenovsky trat zu ihr. Und dann war er es auch. Da lag etwas zwischen der Stoßstange des BMW und dem Fahrzeug davor auf dem Asphalt.
»Wofür hältst du das, Patrick?«
»Sieht aus wie ein Arm«, murmelte er.
Aus einiger Entfernung war die heisere Stimme eines Mannes zu hören. »Scheiße, ist das hier ein Horrorfilm? Hier liegen Körperteile!«
***
Monate später …
»Mister Talbert, bitte sagen Sie dem hohen Gericht, wer Sie sind und was Sie beruflich machen«, begann der Ankläger.
»Mein Name ist Roger Talbert. Ich bin Plastinator.«
»Nun, da nicht jeder im Gerichtssaal Ihre Show kennt …«
»Das ist keine Show. Das ist Kunst. Kunst und Wissenschaft.«
»Wie auch immer, Mister Talbert: Bitte erläutern Sie dem Gericht Ihre Tätigkeit.«
»Ich plastiniere tote Menschen, das heißt, ich bereite sie chemisch so auf, dass man ihre Körper anschließend präsentieren kann und sie nicht verwesen. Die Betroffenen haben natürlich vorher ihr Einverständnis erklärt, dass ich ihre Körper im Fall des Todes dafür verwenden darf.«
»Was sind die Motive der Menschen, die sich bei Ihnen melden, Mister Talbert?«, fragte der Ankläger weiter.
»Jedenfalls bekommt niemand Geld dafür. Auch die Angehörigen nicht. Bei manchen steht der Gedanke im Vordergrund, auf diese Weise in gewisser Weise körperlich zu überdauern. Andere wollen ausdrücklich der Wissenschaft dienen …«
»Wissenschaft?«, hakte der Ankläger nach.
»Ja, ich stelle ja den menschlichen Körper in seiner Funktionsweise dar, und das dient der Popularisierung und Veranschaulichung anthropologischer Erkenntnisse«, antwortete Talbert.
»So wie bei Frau, die Sie mit einem Fötus im Bauch im Längsschnitt gezeigt haben, wogegen es dann Proteste diverser religiöser Organisationen und Gruppen gab.«
Der Doktor nickte. »Ja, das ist ein Beispiel dafür. Und es trifft auch zu, dass immer wieder religiöse Gruppierungen aller Art an meinem Plastinierungsprojekt Anstoß nehmen.«
»Warum?«, wollte der Ankläger wissen.
»Die meisten argumentieren dahingehend, dass dieses Projekt die Würde des Menschen verletzen würde. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ich gebe den Toten die Würde zurück und erhalte sie.«
»Ein gutes Stichwort, denn um die Würde der Toten geht es ja auch in diesem Prozess, Doktor Talbert.«
»Wenn Sie das sagen …«
»Sehen Sie das nicht so?«, stellte der Ankläger die Gegenfrage.
»Ich glaube, es geht eher um die Gefühle der Angehörigen. Aber die sind meines Erachtens hier nicht maßgeblich.«
»Sondern?«
»Es zählen einzig und allein die Willensbekundungen der Toten, die diese zu Lebzeiten in vollem Besitz ihrer geistigen Kräfte schriftlich niedergelegt haben.«
»Einspruch, Euer Ehren!«, meldete sich der Verteidiger zu Wort. »Doktor Talbert äußert sich zu juristischen Einschätzungen, für die er fachlich gar nicht qualifiziert ist und derentwegen wir ihn hier auch gar nicht befragen.«
»Einspruch stattgegeben«, erklärte der Richter. »Befragen Sie Doktor Talbert bitte zur Sache.«
»In Ordnung.«
»Fahren Sie fort«, forderte der Richter.
»Doktor Talbert, Ihre Show oder Ihr Kunst- und Wissenschaftsprojekt – ganz gleich, wie man das jetzt auch immer bezeichnen will – wird nicht mehr gezeigt, wie wir alle wissen. Es kam zu einem katastrophalen Unfall auf einem Highway, in den auch der Truck verwickelt war, der Ihre Leichen transportierte, die eigentlich in der folgenden Woche in Washington gezeigt werden sollten.«
»Plastinate«, unterbrach Talbert.
»Wie?«, fragte der Ankläger.
»Nicht Leichen, es sind Plastinate.«
»Wir wollen uns hier nicht um einzelne Worte streiten, Doktor Talbert. Im Übrigen: Auch wenn Sie aus den Leichen Plastinate gemacht haben, so bleiben es doch die Körper toter Menschen, und die nennt man Leichen. Können wir uns so einigen?«
Talbert ging nicht darauf ein. »Der Unfall hat leider dafür gesorgt, dass fast alle meine Plastinate zerstört wurden und nicht mehr verwendet werden können.«
»Der Polizeibericht besagt, dass die Einzelteile Ihrer … Plastinate bis zu fünfzig Yards weit verstreut wurden. Können Sie das bestätigen?«, wollte der Ankläger wissen.
»Leider ja. Aber das bedeutet nicht, dass mein Projekt nun am Ende ist. Es ist nur ausgesetzt, bis ich genug Spenderkörper zur Plastination habe, um von Neuem zu beginnen. Ein halbes Jahr, dann wird man das Projekt wieder zeigen können.«
»Aber mit anderen Leichen.«
»Plastinaten.«
»Nein, Leichen, Doktor Talbert!«, widersprach der Ankläger. »Und das ist in diesem Zusammenhang auch keineswegs Wortklauberei. Angehörige dieser Toten haben diesen Prozess angestrengt, um zu erreichen, dass die sterblichen Überreste, die nach dem Unfall sichergestellt werden konnten, gentechnisch untersucht werden, damit sie den jeweiligen Verstorbenen eindeutig zugeordnet werden können. Das ist doch richtig?«
»Ja, das ist richtig.«
»Und es ist auch richtig, dass Sie sich mit allen Mitteln dagegen wehren!«
»Die Toten sind nach wie vor Teil des Projekts«, sagte Talbert. »Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass die Plastinate zerstört wurden.«
»Plastinate, von denen Sie selbst gesagt haben, dass sie nicht mehr verwendbar sind!«, wurde der Ankläger laut.
»Nun, ich …«
»Doktor Talbert, diese Menschen da vorne im Gerichtssaal möchten, dass ihre Angehörigen beerdigt werden. Und sie möchten, dass ihre Überreste eindeutig zugeordnet werden. Da uns der Sachverständige versichert hat, dass dies auch nach der Plastination ohne Weiteres möglich ist, verstehe ich nicht, weshalb Sie sich so dagegen sperren, dass diese Untersuchungen durchgeführt werden, zumal die damit verbundenen Kosten von der Versicherung übernommen werden würden.«
»Ich möchte, dass die Überreste der zerstörten Plastinate in meinem Besitz verbleiben. So entspricht es auch den Verträgen, die ich mit den Körperspendern abgeschlossen habe.«
»Diese Verträge sehen den Fall einer Zerstörung der Plastinate gar nicht vor, Doktor Talbert«, sagte der Ankläger gedehnt.
»Sie sehen aber auch keine Beerdigung vor, so wie sie von Ihrer Seite gefordert wird«, erklärte Talbert.
»Und genau deswegen muss dieses Gericht über diesen Sachverhalt entscheiden«, unterbrach nun der vorsitzende Richter. »Angesichts der fortgeschrittenen Zeit unterbreche ich die Verhandlung bis morgen um neun.«
***
»Guten Morgen«, begrüßte uns Mr High, nachdem wir das Büro unseres Vorgesetzten im J. Edgar Hoover Building betreten hatten. Er kam ohne Umschweife zur Sache. »Setzen Sie sich. Sie haben einen neuen Fall, und obwohl er in der Rubrik Cold Case einzuordnen ist, dürfte er viel Staub aufwirbeln und für einige Unruhe sorgen.«
»Um welchen Fall geht es?«, wollte ich wissen.
»Der Name Jacky Damiano sagt Ihnen beiden etwas, wie ich doch annehme.«
»Ein Mafiaboss, der vor Jahren unter ungeklärten Umständen verschwand«, sagte Phil. »Soweit ich mich erinnere, nimmt alle Welt an, dass er irgendwo unter südlicher Sonne und in einem Land, das kein Auslieferungsabkommen mit den USA unterhält, seine gut gewaschenen Drogengelder genießt.«
»Ja, das ist die bisher gültige Version der Geschichte«, erwiderte Mr High. »Ab heute gilt eine andere.«
»Und die wäre?«, fragte ich.
»Seine Leiche ist gefunden worden und zwar an einem Ort, an dem das nun wirklich niemand vermutet hätte.« Mr High gab jedem von uns einen bunten Prospekt. Er gehörte zu der Ausstellung des Plastinators Roger Talbert.
»Davon habe ich schon gehört«, meinte ich.
Mr High hob die Augenbrauen. »Sie finden Jacky Damiano auf Seite fünfzehn links oben. Ich habe Ihnen das Bild markiert, denn so ohne Weiteres würden Sie ihn nicht einmal dann erkennen, wenn Sie mit ihm gut bekannt wären.«
»Heißt das, Jacky Damiano ist überhaupt nicht im Ausland, sondern starb hier in Amerika und hat sich nach seinem Tod plastinieren lassen?«, fragte ich ungläubig.
»So viel Engagement im Dienst der Wissenschaft hätte ich Damiano nicht zugetraut«, ergänzte Phil, der das Foto bereits gefunden hatte. »Im Längsschnitt seines Beins soll man dem Begleittext nach degenerative Veränderungen der Kniegelenke gut erkennen können.«
»Soweit ich weiß, wird die Ausstellung derzeit nicht gezeigt«, meinte ich. »Abgesehen davon hat es immer wieder Proteste dagegen gegeben. Aber, ehrlich gesagt, habe ich das nicht so intensiv verfolgt.«
Phil nickte. »Wenn man im Job Leichen sieht, muss man nicht unbedingt noch die Freizeit damit verbringen, sich welche anzusehen, ob nun plastiniert, im Längsschnitt oder wie auch immer.«
»Dass die Ausstellung derzeit nicht gezeigt werden kann, hat einen einfachen Grund, ohne den dieser Fall niemals noch einmal untersucht worden wäre«, sagte Mr High. »Der Truck, der Doktor Talberts Plastinate zum nächsten Veranstaltungsort transportieren sollte, geriet in einen katastrophalen Unfall. Die Plastinate wurden dabei größtenteils zerstört und am Unfallort verstreut. Es gab daraufhin diverse gerichtliche Auseinandersetzungen. Ich werde Ihnen das nur kurz zusammenfassen, die Einzelheiten können Sie dem Dossier entnehmen, das Sie bekommen werden.«
»Worum ging es bei den Prozessen?«, fragte Phil.
»Unter anderem klagten Angehörige der sogenannten Körperspender darauf, dass die größtenteils nicht mehr zuzuordnenden sterblichen Überreste nicht im Besitz von Mister Talbert verbleiben, sondern ordentlich bestattet werden. Die Klage der Angehörigen hatte Erfolg. Daraufhin wurden Gentests durchgeführt und zwar von Professor Doktor Fleming. Fleming ist eine bekannte Kapazität auf diesem Gebiet. Sein Institut hat schon des Öfteren für das FBI gearbeitet. Im Übrigen ist Fleming ein guter Bekannter von Doktor Willson.«
Dr. Gerold M. Willson war der Gerichtsmediziner des Scientific Research Teams in Quantico, dessen Unterstützung uns für unsere Ermittlungen zur Verfügung stand.
»Ich nehme an, bei den Untersuchungen ist DNA aufgetaucht, die nicht zugeordnet werden konnte«, mutmaßte ich.
»Richtig. Dafür gab es aber Vergleichsdaten in unserer Datenbank, denn Jacky Damiano ist mehrfach vorbestraft gewesen, und bei verschiedenen Verfahren gegen ihn sind in der Vergangenheit auch DNA-Proben gesichert worden. Es war ein Volltreffer. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob der große Boss eines natürlichen Todes gestorben ist oder ein Verbrechen dahintersteht.«
»Ich könnte mir denken, dass diese Nachricht innerhalb des organisierten Verbrechens erhebliches Aufsehen erregen wird«, meinte ich.
»Davon können Sie ausgehen, Jerry. Aber unter der Decke halten lässt sich die Geschichte nicht mehr. Das Frühstücksfernsehen hat einen großen Bericht gebracht.«
»Wie konnten die davon erfahren?«, fragte ich.
»Wie meistens: über undichte Stellen. Es waren einfach zu viele Personen an dem Fall beteiligt. Und davon abgesehen muss man auch Folgendes bedenken: Falls tatsächlich jemand Damiano auf dem Gewissen hat und die Leiche auf diese besondere Weise entsorgte, wird der Betreffende die ganze Geschichte um den verunglückten Truck mit den plastinierten Leichen und den anschließenden Prozess genauestens verfolgt haben.«
»Das heißt, er konnte sich auf diese Situation vorbereiten«, stellte ich fest.
»Nun, hundertprozentig sicher sind wir noch nicht, ob ein Verbrechen vorliegt. Alles, was von Jacky Damiano zusammengetragen werden konnte, liegt zurzeit auf dem Seziertisch von Doktor Willson in Quantico, und ich hoffe sehr, dass er uns dazu bald etwas sagen kann.«
***
Wir fuhren mit dem Jaguar nach Quantico, das ungefähr eine Dreiviertelstunde von Washington entfernt war. Phil hatte den Laptop auf den Knien. Wir wollten die Fahrzeit nutzen, um uns in den Fall einzuarbeiten, insbesondere, was die Hintergründe betraf.
»Wusstest du, wie Jacky Damianos Spitzname damals lautete?«, fragte Phil.
»Keine Ahnung.« Wir hatten mit Damiano nur indirekt zu tun gehabt.
»Man nannte ihn den harten Knochen.«
»Klingt zum Fürchten.«
»Das sollte es wohl auch, Jerry. Und Damiano hat seinem Namen alle Ehre gemacht. Er war in jüngeren Jahren in eine Reihe von Schießereien verwickelt, bekam aber nie etwas ab. Nicht mal eine Kugel. Er soll einen Klubbesitzer, der ihm Geld schuldete, eigenhändig krankenhausreif geschlagen haben. Beim Prozess konnte sich das Opfer dann plötzlich nicht mehr erinnern, was nicht etwa mit irgendwelchen Schlägen auf den Kopf zu tun hatte, sondern damit, dass Damiano eine ansehnliche Summe überwiesen hat.«
»Woher weiß man das?«, fragte ich.
»Durch einen Informanten.«
»Ist der noch aktiv?«
»Wohnt in Washington und steht immer noch auf unserer Informantenliste. Ich werde mal mit den Kollegen vom Field Office Washington telefonieren, ob die ein Treffen arrangieren können.«
»Das Wissen eines Insiders könnten wir in dieser Sache sicher gut gebrauchen.«
»Ein paar Jahre später hat er ein Callgirl fast totgeschlagen«, fuhr Phil fort. »Da kam es auch zu einem Prozess.«
»Wieder dasselbe Muster?«
»Ja. Der Prozess ist letztlich geplatzt. Aber die DNA-Proben vom Tatort haben es ermöglicht, dass man Damiano als eine der plastinierten Leichen identifizieren konnte.«
»Wir müssen als Erstes mit diesem Roger Talbert sprechen«, entschied ich.
»Ich habe heute Morgen schon hinter ihm her telefoniert. Aber er scheint sich zu zieren.«
»Dann laden wir ihn notfalls vor«, meinte ich.
»Auf jeden Fall wird er uns einiges zu erklären haben«, gab Phil zurück. »Zum Beispiel, wie es sein kann, dass der Körper eines Mafioso in seiner Ausstellung von plastinierten Toten gelandet ist.«
»Das hat schon was …«, sagte ich.
»Was meinst du damit?«
»Ich stelle mir jetzt einfach mal vor, jemand hatte mit Jacky Damiano eine offene Rechnung. Jemand, der vielleicht tatsächlich einen guten Grund hatte, auf Rache aus zu sein.«
»Davon dürfte es viele geben, Jerry.«
»Ja, klar, aber darauf wollte ich jetzt nicht hinaus.«
»Sondern?«, hakte Phil nach.
»Na, ist das nicht die maximale Demütigung? Dieser Rächer besucht die Ausstellung, sieht sich die plastinierte Leiche an, von der nur er weiß, dass es sich nicht um irgendeinen Mister Smith handelt, sondern um den großen und gefürchteten Jacky Damiano! Ich kann mir das zufriedene Grinsen des Täters genau vorstellen …«
»Du meinst, der Täter war jemand, der von Damiano stark gedemütigt wurde?«
»Wenn du das so sagst, Phil.«
»Aber auch davon gibt es viele«, wandte mein Partner ein. »Wir spekulieren schon über die Psyche des Täters, und wissen nicht einmal mit letzter Sicherheit, ob es ein Verbrechen gab.«
Danach schwiegen wir eine Weile. Theoretisch war es schließlich möglich, dass doch noch eine Einwilligungserklärung zur Körperspende auftauchte, die Jacky Damiano irgendwann einmal abgegeben hatte. Aber selbst dann blieb die Frage, wieso offenbar über Jahre hinweg die Legende am Leben gehalten worden war, dass er noch lebte und irgendwo im Ausland seine ergaunerten Millionen genoss.
Dass hier ein Verbrechen vorlag, war angesichts der Umstände mehr als wahrscheinlich.
»Gibt es jemanden, der besonders davon profitiert hat, dass Jacky Damiano von der Bildfläche verschwand?«, fragte ich schließlich.
Ich legte dabei die Betonung auf das Wort besonders, denn es gab sicher einige, die sich darüber gefreut hatten, dass der harte Knochen nicht mehr auf seinem Posten war.