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Phil und ich hielten uns seit sechs Tagen in Chicago auf, um einem gerissenen Gangsterboss namens Nick Jordan endlich das Handwerk zu legen. Als eine anonyme Anruferin dem FBI einen Mord in Jordans Umfeld meldete, kam Bewegung in unseren Fall. Doch die Leiche des angeblichen Mordopfers blieb unauffindbar. Bevor wir die Frau, die zu viel wusste, aufspüren und eingehender befragen konnten, verschwand sie plötzlich von unserem Radar. Und wir gerieten in das Visier von Jordans Killern, denn dem Mafioso wurden unsere Ermittlungen mehr als lästig ...
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Die Frau, die zu viel wusste
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: »Gianni Crispino«
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5782-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Frau, die zu viel wusste
Angst ist ein abscheuliches Gefühl. Körper und Geist spielen verrückt. Man schwitzt. Man zittert. Das Herz rast. Der Blutdruck steigt. Tausend hässliche Gedanken jagen einem durch den glühenden Kopf …
Das alles erlebte Sonny Garcia in diesem Augenblick, während er sich vor den Männern versteckte, die ihn jagten. Er gab sich keiner falschen Illusion hin.
Wenn sie ihn erwischten, war er erledigt. Verfluchte Scheiße, hallte es in ihm. Warum war ich so bescheuert? Wieso habe ich mich nicht zurückgehalten? Man kann doch jemandem wie Nick Jordan nicht »Leck mich am Arsch!« ins Gesicht brüllen. Damit hängt man sich praktisch selbst auf.
Er hatte sich in der Nähe der Wasseraufbereitungsanlage Eugene Sawyer Purification Plant in einer flachen Holzbaracke versteckt, die nicht mehr benutzt wurde.
Der Dunst des Lake Michigan lag in der Luft. Chicago stöhnte unter einer nahezu unerträglichen Hitzewelle, und Sonny Garcia hatte das Gefühl, sich langsam, aber sicher in Schweiß aufzulösen. Auflösen, dachte er aufgewühlt. Wenn ich das nur wirklich könnte. In Luft auflösen und verduften. Dann hätten Nick Jordans Männer das Nachsehen. Er schloss die Augen. Sollte ich das hier überleben, verschwinde ich nach Kanada und komme nie mehr zurück.
Man behauptete von ihm, er habe zwei Talente: Er könne mit verbundenen Augen Autos zerlegen und wieder zusammenbauen, mit jedem Wagen schneller und sicherer als jeder andere fahren, habe sogar schon einige halsbrecherische Rallyes bestritten und Spitzenplätze erkämpft.
Dadurch war Nick Jordan auf ihn aufmerksam geworden, und es hatte ihm immens geschmeichelt, als der elegante Boss ihm persönlich ein, wie er meinte, sehr großzügiges Angebot gemacht hatte.
Drei Jobs hatte er für Jordan zu dessen vollster Zufriedenheit erledigt. Dann hatte er erfahren, dass andere für die gleiche Arbeit mehr bekamen. Das hatte er nicht fair gefunden. Also war er zu Jordan gegangen und hatte gefragt: »Hast du eine Minute für mich, Boss?«
Der gut aussehende, top gekleidete Mann hatte sich hinter seinem großformatigen Schreibtisch zurückgelehnt.
»Was hast du auf dem Herzen, mein Junge?«, hatte er mit ruhiger Stimme gefragt.
»Ich nehme an, du bist mit mir zufrieden.«
»Wenn nicht, hätte ich es dir schon gesagt«, hatte Jordan zurückgegeben.
»Dann verstehe ich nicht, dass Bill, Frank und Dexter besser verdienen als ich.«
»Das kann ich dir erklären: Sie sind schon länger dabei. Wenn du so lange für mich arbeitest wie sie, bekommst du das Gleiche.«
Sonny war damit nicht einverstanden gewesen. Seiner Meinung nach sollte nicht ausschlaggebend sein, wie lange jemand schon für Jordan arbeitete, sondern wie gut er einen Auftrag erledigte. Gleiche Arbeit, gleiches Geld. So musste das sein. So und nicht anders.
Es hatte ihn maßlos geärgert, dass der Boss das nicht so sah. Sein ohnedies immer ziemlich heißes Blut war gefährlich in Wallung geraten und hatte ihn dazu verleitet, zornig und mit hochrotem Kopf alles hinzuschmeißen und Jordan ins finstere Gesicht zu brüllen, er solle ihn …
Ein folgenschwerer Fehler, den er jetzt zwar bereute, der aber nicht wiedergutzumachen war, denn Nick Jordan hatte gleich danach das Todesurteil über ihn verhängt. Und jetzt waren Jordans Killer hinter ihm her.
Schritte.
Garcia presste sich an die Wand und wagte nicht mehr, zu atmen. Irgendwo wurde eine Tür geöffnet. Sie ächzte so schauerlich wie in einem Gruselfilm.
Das widerliche Geräusch ging Sonny Garcia durch Mark und Bein. Er war nahe daran, die Nerven zu verlieren, rutschte langsam an der Holzwand nach unten.
Wenn es doch nur möglich gewesen wäre, im Boden zu versinken. Garcias Herz trommelte so laut gegen die Rippen, dass er befürchtete, man könne es in der ganzen Baracke hören. Zum ersten Mal bedauerte er, keine Waffe zu besitzen.
Er hatte bisher nie eine gebraucht. Wenn er Probleme gehabt hatte, hatten zumeist seine Fäuste gereicht, diese aus der Welt zu schaffen.
Der dunkelgraue Schatten eines Mannes schob sich bedrohlich über den staubigen Bretterboden. Sonny Garcia machte sich so klein wie möglich.
Er sah, dass der »Schatten« bewaffnet war. Seine Kehle wurde eng. Gleich, dachte er aufgewühlt. Gleich wird er mich entdecken und nicht lange fackeln. Schließlich hat Nick Jordan mich zum Abschuss freigegeben. Aber ich will noch nicht sterben. Ich bin erst dreiundzwanzig. Und ich möchte vierundzwanzig werden. Und älter.
Er straffte seine Muskeln, war entschlossen, den Mann anzugreifen und mit Klauen und Zähnen um sein Leben zu kämpfen. Salziger Schweiß brannte in seinen Augen und trübte seinen Blick. Er konnte schlecht abschätzen, wann der richtige Moment gekommen war, hochzuschnellen und zuzuschlagen, deshalb zwang er sich, noch einige Sekunden verstreichen zu lassen.
Das Timing musste hundertprozentig stimmen. Griff er zu früh an, war der Mann noch zu weit weg. Wartete er zu lange, bemerkte ihn der Killer und drückte ab.
Sie sind zu zweit, überlegte Garcia. Aber nur einer ist in der Baracke. Der zweite ist irgendwo draußen. Das heißt, ich bin noch lange nicht in Sicherheit, wenn es mir gelingt, den hier auszuschalten.
»Jeff?«, rief der zweite Kaltmacher durch die offene Tür.
»Hier drinnen, Abe«, gab der Mann, dessen Schatten Garcia fixierte, zurück.
»Ich glaube, der Scheißkerl hat es bis zum Wasser geschafft und ist uns entwischt.«
»Ich bin sicher, er ist in dieser Baracke, Abe. Ich kann ihn förmlich riechen.«
Abe lachte meckernd. »Du kriegst ja nicht einmal mit, wenn ich einen fahren lasse.«
Jeff Bromley ignorierte die Bemerkung des Komplizen. Abe Preston sagte, er würde im Wagen warten, entfernte sich, und Jeff Bromley machte den entscheidenden Schritt.
Garcia sprang auf und flog auf den Killer zu. Es gelang ihm, Jeff die Waffe aus der Hand zu schlagen. Sie polterte hart auf den Boden.
Der Killer fluchte zuerst und wollte dann Abe Preston zurückrufen, doch Sonny Garcia verpasste ihm einen Schwinger, in den er seine ganze Kraft legte.
Bromley wurde wuchtig gegen die Wand geschleudert, und ehe er sich von dem Treffer erholen konnte, bückte sich Garcia nach der Kanone.
Jeff Bromley ließ jedoch nicht zu, dass Sonny Garcia das Schießeisen aufhob. Er war zwar angeschlagen und benommen und seine Reflexe lahmten erheblich, aber sein Selbsterhaltungstrieb funktionierte nach wie vor, und der machte ihm unmissverständlich klar, dass er nicht vor dem Ballermann, sondern dahinter stehen musste. Also stürzten sie sich beide auf die Pistole und kämpften erbittert darum.
Garcia bekam sie zwar zu fassen, aber Bromley ließ nicht zu, dass er sie gegen ihn richtete. Keuchend, schlagend und tretend wälzten sie sich auf dem Boden hin und her. Mal war Garcia oben, mal Bromley.
Je länger der Kampf dauerte, desto mehr waren leichte Vorteile für den wesentlich jüngeren Garcia zu erkennen, und irgendwann gelang es ihm, sich von Jeff Bromley zu lösen und rascher auf die Beine zu kommen als sein Widersacher.
Schwer atmend und in Schweiß gebadet standen sie einander gegenüber. Garcia mit Bromleys Beretta in der Hand. Beide ziemlich am Ende ihrer Kräfte. Garcia richtete die Pistole mit zitternder Hand auf Bromley.
Der schüttelte langsam den Kopf. »Das wagst du nicht, Junge.« Garcia hatte noch nie einen Mann getötet. Bromley wusste das, und er verließ sich darauf, dass sein Gegenüber nicht die Courage haben würde, ihn zu erschießen. Er streckte verlangend die Hand aus. »Gib mir mein Schießeisen wieder.«
»Du hältst mich wohl für total bekloppt.«
»Du scheinst irgendetwas missverstanden zu haben. Der Boss hat uns nicht befohlen, dich umzulegen. Ehrlich nicht. Wir sollen dich lediglich zu ihm bringen, damit er noch einmal in aller Ruhe über alles mit dir reden kann. Ihr wart beide unbeherrscht und seid zu sehr und zu schnell hochgegangen. Das tut Nick Jordan leid. Er möchte dir die Hand zur Versöhnung reichen. Du bist ein guter Mann. Er ist mit dir zufrieden, möchte dich nicht wegen einer solchen Nichtigkeit verlieren.« Jeff Bromley wedelte verlangend mit der Hand. »Nun mach schon. Gib mir die Beretta.«
Garcia reagierte nicht.
Bromley zog die Augenbrauen zusammen. »Stell dir vor, Abe kommt zurück. Er ist ein ungeduldiger Mensch. Wenn ich nicht bald zu ihm stoße, schöpft er Verdacht. Und nun versetz dich mal ganz kurz in seine Lage. Er sieht uns beide. Du zielst mit meiner Kanone auf mich. Darauf kann er sich nur einen Reim machen, und was meinst du wohl, wie er reagieren wird?«
»Du bleibst, wo du bist«, sagte Sonny Garcia mit belegter Stimme.
»Kumpel, du bringst das nicht«, sagte Bromley überzeugt. »Es ist nicht so einfach, einem wehrlosen Mann in die Augen zu sehen und abzudrücken. Noch dazu einem, der überhaupt nichts gegen dich hat. Ich schlage vor, wir beenden das Theater. Du steigst mit uns in den Wagen. Wir bringen dich zu Nick. Ihr sprecht euch aus, vertragt euch wieder und …« Er hob den Finger, als hätte er noch etwas ganz Besonderes in petto. »Und du bekommst in Zukunft genau so viel wie Bill, Frank und Dexter. Das wolltest du doch, oder?« Er breitete lächelnd die Arme aus. »Du siehst, es gibt absolut keinen Grund, dem Boss den Rücken zu kehren. Er schätzt und braucht dich, hat noch viel mit dir vor.«
»Ich glaube dir kein Wort«, sagte Garcia heiser.
Jetzt platzte Bromley der Kragen. »Du gottverdammter …« Er machte einen Schritt vorwärts.
Garcia wich zurück. »Bleib stehen!«
»Schieß doch«, verlangte Bromley furchtlos. »Knall mich ab, wenn du den Mumm dazu hast!« Er schlug sich mit beiden Händen auf die Brust. »Nun mach schon, du blödes Arschloch!«
Aus dem Boden ragte ein von der Feuchtigkeit verzogenes Brett. Garcia stieß, rückwärtsgehend, mit dem Absatz dagegen, drohte das Gleichgewicht zu verlieren und war kurz unachtsam. Bromley handelte sofort.
Es war bisher immer seine Stärke gewesen, kleinste Chancen zu erkennen und zu nutzen. Er wuchtete sich vorwärts, Garcia erschrak, die Beretta krachte, und Jeff Bromley brach tödlich getroffen zusammen.
»Mist!«, krächzte Garcia kopflos. »Das … das wollte ich nicht. Das hast du dir selbst zuzuschreiben, Mann.«
Selbstverständlich hörte Abe Preston draußen den Schuss. Er wirbelte herum, riss seine Ruger Mark IV, die er bereits weggesteckt hatte, aus dem Holster und rannte zur Baracke zurück. In diesem Moment trat Sonny Garcia heraus. Er wirkte verstört.
Als er die Pistole in Prestons Faust sah, geriet er noch mehr in Panik und schoss mehrmals auf ihn. Preston zuckte zusammen und fiel. Garcia kickte ihm die Ruger aus der Faust. Sie rutschte über den Asphalt und blieb in einem schmalen Grünstreifen liegen. Garcia kümmerte sich weder um sie noch um den Angeschossenen. Er wollte nur so schnell wie möglich weg, rannte zum Wagen der Killer, sprang hinein und raste davon.
***
»Das ist meine Alte. Die schlage ich wann, wie, wo und wie oft ich will«, knurrte der stiernackige Brutalo in der gut besuchten Karaokebar in der East Pershing Road.
Das hatte er auch gerade getan. Vor allen Leuten. Ohne sich zu genieren. In seinen Augen hatte er lediglich sein ihm zustehendes Recht in Anspruch genommen.
Die dunkelhaarige Lady, die er geschlagen hatte, weinte lautlos und rieb sich die gerötete Wange. Drei Männer machten sich für sie stark.
»Joleene ist nicht mehr deine Alte«, sagte einer von ihnen. »Sie hat dich verlassen, ist jetzt mit mir zusammen, will nichts mehr von dir wissen. Wann wirst du das endlich kapieren?«
»Die Schlampe ist immer noch mit mir verheiratet.«
»Aber nur noch auf dem Papier«, konterte Joleenes Neuer. »Soll ich dir sagen, wozu dieser Wisch inzwischen noch gut ist? Du kannst ihn für hinterlistige Zwecke verwenden. Und jetzt verpiss dich.«
Knisternde Spannung lag in der Luft. Der Schläger war zwar kräftig, aber die Kerle, die sich vor ihm aufgebaut hatten, waren nicht viel schwächer – und zu dritt. War es ratsam, sich mit ihnen anzulegen?
Das ging dem Noch-Ehemann der dunkelhaarigen Schönheit vermutlich in diesen Sekunden durch den kahl rasierten Kopf. Angriff oder Rückzug? Wie würde er sich entscheiden?
»Joleene, wir gehen«, kommandierte er.
»Joleene bleibt bei mir«, blaffte der Nachfolger energisch. »Und du lässt dich hier besser nicht mehr blicken, sonst klopfen wir dich zu Brei.«
Dem Kerl, der nicht wusste, wie man sich einer Frau gegenüber zu benehmen hat, fiel es sichtlich schwer, das Feld zu räumen. Da er aber kein Verlangen danach hatte, blamabel vermöbelt zu werden – was ihm vermutlich alle Gäste von Herzen gegönnt hätten –, verdrückte er sich lieber.
»Du kriegst in den nächsten Tagen die Scheidungspapiere«, rief ihm der neue Mann in Joleenes Leben nach. »Wage ja nicht, sie zu zerreißen!«
Die Spannung verflüchtigte sich wie übler Geruch, sobald der Glatzkopf draußen war. Joleene verschwand für kleine Mädchen, um ihr desolates Make-up zu restaurieren, während sich ihr aktueller Partner und dessen kräftige Freunde setzten und vier Budweiser orderten.
Phil entspannte sich. Als die Ohrfeige geklatscht hatte, hatte er aufspringen und dem Typ, der sich so sehr vergessen hatte, Manieren beibringen wollen.
Es war dann aber zum Glück nicht nötig gewesen, dass er eingriff, und nun war er wieder total locker. Aber Verständnis hatte er für das inakzeptable Benehmen des Kahlen nach wie vor nicht.
Er schüttelte mit finsterer Miene den Kopf. »Manche Männer haben Ansichten wie in der Steinzeit. Sie wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass kein Mensch einem anderen gehört. Für diese Blödmänner gibt es keine Partnerschaft auf Augenhöhe, sondern nur das Recht des Stärkeren.« Er hob die Hand. »Vorhin hat es gehörig in meinen Fingern gekribbelt, das kann ich dir sagen, Jerry.«
Die unschöne Sache hatte sich direkt vor Phils Augen abgespielt. Ich hatte das nicht so genau mitbekommen, weil sich der Tisch, an dem Joleene gesessen hatte, hinter mir befand.
Mein Partner und ich hielten uns seit sechs Tagen in Chicago auf, um einem gerissenen kriminellen Zeitgenossen namens Nick Jordan das Handwerk zu legen.
In dieser Stadt war dereinst Al Capone groß geworden. Bis zum »Staatsfeind Nummer 1« hatte er es gebracht, und nun war Nick Jordan auf dem besten Weg dorthin.
Was immer ihm die Kollegen des hiesigen Field Office zur Last legten, die Beweise reichten nie aus, um ihn ins Gefängnis zu bringen.
Also versuchten jetzt wir, ihn zu Fall zu bringen. Allerdings hatten wir in diesem Spiel noch keine besonders guten Karten in die Hand bekommen.
Seit sechs Tagen stießen wir überall gegen eine Mauer des Schweigens. Niemand war bereit, mit uns zu reden. Alle litten unter akutem Gedächtnisschwund.
Wenn wir etwas wissen wollten, taten sich sogleich Gedächtnislücken auf, die größer waren als der Lake Michigan. Aber so bald warfen wir die Flinte nicht ins Korn. Irgendwann würde einer den Mund aufmachen.
Das wussten wir aus Erfahrung. Bis dahin hieß es, Ruhe zu bewahren, beharrlich weiter das ins Auge gefasste Ziel zu verfolgen und nicht die Geduld zu verlieren, dann würde sich früher oder später der Erfolg einstellen.
Wir waren kürzlich – nach etlichen Gesprächen, die zumeist sehr einseitig und unergiebig verlaufen waren – auf einen Mann namens Ferdy Landers gestoßen, der eventuell willens war, mit uns über Nick Jordan zu reden.
Auf den warteten wir seit zwanzig Minuten, aber er ließ sich nicht blicken. Obwohl das Treffen in dieser Karaokebar sein Vorschlag gewesen war.
Joleene kam gut restauriert zurück und setzte sich frisch und wunderschön zu den Männern, die sie so erfolgreich beschützt hatten.
Phil lächelte. »Was Schminke ausmacht.«
»Sie ist bestimmt auch ohne Make-up kein hässliches Entlein«, sagte ich.
»Das nicht. Aber so attraktiv war sie vorhin nicht.«
Ich musterte meinen Partner belustigt. »Kannst ja auch mal einen Schminkversuch wagen.«
Phil ging nicht darauf ein. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Langsam habe ich das Gefühl, dass uns Ferdy Landers vergessen hat.«
Ich rief Landers an. Er hob nicht ab. »Vielleicht hat er es nicht so mit der Pünktlichkeit«, vermutete ich.
»Ich sage dir, der kommt nicht, Jerry.«
»Wenn wir Glück haben, ist er unterwegs und steckt irgendwo im Stau.«
Phil schüttelte langsam den Kopf. »Er hat das große Hosenflattern gekriegt und ist abgehauen.«
»Du warst auch schon mal optimistischer«, erwiderte ich trocken.
Phil runzelte die Stirn. »Ich habe irgendwie kein gutes Gefühl, Jerry.«
»Vorschlag«, gab ich zurück. »Wir warten noch zehn Minuten. Dann fahren wir zu ihm. Okay?«
Auf der kleinen Bühne sang ein dicker Typ My way. Nicht gut, aber laut und voller Inbrunst. Phil warf dem Wohlbeleibten einen missbilligenden Blick zu.
»Da rollen sich einem ja die Zehennägel auf«, brummte er. »Sinatra rotiert jetzt bestimmt in seinem Grab.«
Nachdem der letzte Misston verklungen war, sprangen die Freunde des mutigen »Künstlers« auf und spendeten ihm frenetischen Beifall.
Ich grinste. »Er hat seine Fans.«
Phil zuckte verständnislos mit den Schultern.
Wenig später saßen wir in unserem Dienstwagen, einem mitternachtsblauen Ford Interceptor Stealth, und waren zu Ferdy Landers unterwegs.
Mir war nicht besonders wohl bei dem Gedanken, jemand könnte daran gedreht haben, dass Landers das Date mit uns nicht einhalten konnte.
***
Das Telefon läutete. Nick Jordan meldete sich.
»Boss«, sagte der Anrufer.
»Habt ihr ihn?«, wollte Jordan mit scharfer Stimme wissen.
»Nein.«
Jordan schlug wütend mit der Faust auf seinen Schreibtisch. »Verdammt, wieso nicht?«
»Er hat Jeff umgelegt und ist abgehauen«, ächzte Abe Preston am anderen Ende.
»Was? Jeff ist tot?«
»Und ich bin angeschossen.«
»Das darf ja wohl nicht wahr sein«, tobte der Gangsterboss im dunkelblauen Nadelstreifen-Maßanzug. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren. Eine dicke Schicht Gel glänzte auf Jordans schwarzem Haar. Er hatte wulstige Lippen und einen unangenehm stechenden Blick, war nicht schön, aber erfolgreich. »Was seid ihr zwei denn für ausgemachte Idioten?« Er ließ sich genauer berichten, was schiefgelaufen war, und wollte von Preston wissen, wie schwer es ihn erwischt hatte.
»Oberschenkel, Boss«, antwortete Preston mit belegter Stimme. »Ein Streifschuss.«
»Brauchst du einen Arzt?«
»Hab die Wunde erst mal notdürftig selbst versorgt, Boss.«