Jerry Cotton 3158 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3158 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

An der Küste von New Jersey tauchten die Überreste von Special Agent Barbara Lawson vom Field Office Philadelphia auf. Todesursache war ein Fall aus großer Höhe ins Meer gewesen. Phil und ich rekonstruierten die letzten Lebenstage und -stunden der Kollegin und erfuhren, dass sie bei ihrem Vorgesetzten einen schweren Stand gehabt hatte. Als wir dem Täter schließlich auf die Spur kamen, wurde ich überwältigt und fand mich wenig später selbst in einer Propellermaschine wieder, die Kurs auf den Atlantik nahm ...

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EPUB

Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Tod fiel vom Himmel

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Ein Mann räumt auf«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5783-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Tod fiel vom Himmel

Sie erwachte inmitten von Dunkelheit. Gleichmäßiges Brummen umgab sie. Sie war sicher, sie befand sich in einem Flugzeug. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war der Stich der Betäubungsspritze in den Nacken. Ihre Augen waren verbunden, die Hände gefesselt. Sie versuchte, sich aufzurichten.

»Die Lady ist wach«, sagte ein Mann. Er lachte kalt. »Umso besser. Jetzt kann sie selbst ihren letzten Gang antreten.«

Kräftige Hände packten sie und zogen sie nach oben. Als sie stand, kam jemand von hinten und schob sie vor sich her. Plötzlich war der Lärm viel stärker. Eisige Luft schlug ihr entgegen. Ein Stoß traf sie von hinten. Dann stürzte sie ins Bodenlose.

»Football, immer nur Football«, jammerte Shannon, die sich im Sessel rekelte und dabei gelangweilt zum Fernseher sah. Dort spielten gerade die Philadelphia Eagles.

Shannon trug nichts als einen kurzen, rosafarbenen Bademantel und streckte ein nacktes Bein vor.

Wahrscheinlich will sie was Bestimmtes, dachte Al, der von dem Blick auf den Bildschirm gefangen war und Shannon nur aus den Augenwinkeln beobachtete. Aber da kann sie lange warten, sagte er sich. Er hob die Bierdose und nahm einen Schluck. Dann beugte er sich vor, um klarzumachen, dass er im Moment mehr am Sport als an einem fröhlichen Beisammensein mit seiner Freundin interessiert war.

Shannon wackelte mit den Zehen. Die Fußnägel waren rot lackiert. Jetzt warf Al ihr doch einen Blick zu. Was er sah, fand er allerdings vollkommen reizlos.

Vier Monate waren sie jetzt zusammen, und es war einfach die Luft raus. Sie war ein altes Mädchen, ging schon auf die vierzig zu. Zeit für Al, sich nach was Neuem umzusehen. In einer der Bars in Philadelphia zum Beispiel. Aber Barbesuche konnte er sich längst nicht mehr leisten. Im Gegenteil. Er hatte Schulden bei einigen Pokerfreunden. Und allein deshalb war es besser, sich im Moment in einigen Gegenden der Stadt nicht blicken zu lassen.

Immerhin hatte er einen sicheren Job im Staatsdienst. Aber der reichte gerade mal zum Leben. Vor allem, wenn man hin und wieder ein Spielchen wagte und dabei auch noch regelmäßig verlor.

»Mir ist langweilig«, kam es genervt vom Sessel. »Könnten wir den Abend nicht ein bisschen netter verbringen?« Sie ließ den Bademantel aufklaffen. Ihre rechte Schulter und etwas von ihrer Oberweite wurden sichtbar. Auch das löste bei Al nichts aus.

Ein Toben wie ein Orkan kam aus dem Fernseher. Die Eagles hatten einen Touchdown erzielt. Die Fans im Stadion waren begeistert. Al nahm die Fernbedienung und stellte lauter.

Shannon stand auf. »Also gut«, rief sie. »Du hast es nicht anders gewollt. Ich habe keine Lust, hier den ganzen Abend zu versauern. Ich gehe jetzt aus. Allein, wenn es sein muss.«

Geh doch, dachte Al. Dann hab ich wenigstens meine Ruhe. Er sah ihr kurz hinterher, wie sie, ihre Hüfte schwingend, im Schlafzimmer verschwand, um sich anzuziehen. Es dauerte nur ein paar Minuten und sie war durch die Tür. Nicht ohne Al etwas zuzurufen, was er aber wegen des Lärms im Fernseher nicht verstand. Es klang wütend. Die Wohnungstür knallte zu.

Jetzt waren die Eagles im Rückstand. Das war gefährlich, aber auch spannend. Al hatte mit einem Kollegen um 200 Dollar gewettet, dass sie gewannen. Sollte er das Geld bekommen, konnte er Shannon ja das nächste Mal ausführen. Nein, nicht Shannon. Eine andere. Oder er leistete eine Anzahlung auf seine Schulden. Was wahrscheinlich besser war. Er hatte sich in letzter Zeit abgewöhnt, über die Höhe der Gesamtsumme nachzudenken.

Gebannt verfolgte er das Spiel. Ein weiterer Touchdown für die Eagles. Das konnte tatsächlich was werden mit den beiden Scheinen. Der Ball flog. Im selben Moment durchdrang ein elektronisches Jodeln den Lärm aus dem Fernseher. Das Handy. Es lag auf dem Couchtisch. Das Display leuchtete auf.

Wer war das jetzt? Shannon? Wahrscheinlich nicht. Einer von seinen Gläubigern?

Al spürte ein unangenehmes Ziehen im Bauch. Irgendwann war es ja so weit. Irgendwann musste er sich seinen Geldproblemen stellen. Irgendwann … Und jetzt war es eben so weit. Aber dass sie anriefen, war eigentlich nicht üblich. Normalerweise schickten sie gleich jemanden vorbei. So schlimm konnte es also nicht sein. Er nahm einen weiteren Schluck Bier zur Beruhigung und ging ran.

»Ist da Al Johnson?«, fragte eine Männerstimme.

»Wer sind Sie?«, brummte Al.

»Das erfahren Sie noch. Wie wir hören, haben Sie ein paar finanzielle Probleme.«

Shit. Also doch. Al überlegte, ob er die Stimme kannte. Aber ihm fiel nichts dazu ein. Er stellte den Fernseher leiser. Als er weitersprach, versuchte er sein Bestes, um selbstbewusst zu wirken.

»Wer hat Ihnen das gesagt?«, fragte er. »Und was geht Sie das überhaupt an?«

Der Mann lachte. »Glauben Sie mir, so was ist leicht rauszukriegen. Und es geht mich natürlich nichts an. Aber ich dachte, ich kann Ihnen helfen.«

Al trank erneut. »Danke, aber ich komme wunderbar alleine klar.«

»Tatsächlich.« Die Stimme klang sachlich, klar und kalt. »Sie haben insgesamt knapp elftausend Dollar Schulden. Bei drei Gläubigern. Seit Wochen löchert man Sie, die Summe zu begleichen. Aber Sie gehen den Leuten aus dem Weg. Wie lange wollen Sie das machen?«

Der Typ wusste sehr genau Bescheid. Ein kalter Schauer fuhr Al über den Rücken. Bis jetzt war es ihm gelungen, sie hinzuhalten. Die warnende Stimme in seinem Kopf, die ihm sagte, dass das bald nicht mehr so weiterging, hatte er immer besser unterdrückt.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte Al und war selbst überrascht, wie brüchig seine Stimme plötzlich klang. Er räusperte sich. »Ich besorge das Geld. Ganz schnell. Schon morgen …«

Das erneute Lachen des Mannes unterbrach ihn. »Aber Al, haben Sie doch keine Angst. Ich gehöre nicht zu Ihren Gläubigern. Im Gegenteil. Mir sind solche Blutsauger selbst ein Dorn im Auge. Da haben wir was gemeinsam. Aber wie gesagt.« Jetzt klang er kumpelhaft jovial. »Ich hätte eine Idee, wie ich Ihnen helfen könnte.«

»Helfen?« Al starrte auf den Bildschirm. Wie stand das Match überhaupt? Er hatte den Faden verloren. Die Anzeige am unteren Bildrand verschwamm. Aber das war sowieso egal. Hatte er sich wirklich eingebildet, mit lausigen 200 Dollar Gewinn irgendwas an seiner Situation ändern zu können?

»Ja, mein Freund«, fuhr der Mann fort. »Helfen. Ich bitte Sie lediglich um einen Gefallen. Keine große Sache. Wenn Sie mir den erfüllen, erhalten Sie das Geld, um Ihre Schulden zu bezahlen. Und noch ein bisschen was extra. Was meinen Sie?«

»Keine große Sache?«, fragte Al. »Und was soll das sein?«

»Lassen Sie uns das persönlich besprechen. Sagen wir, in einer Stunde?«

Al spürte, wie sein Herz gegen seinen Brustkorb hämmerte. »Sie meinen … jetzt gleich?«

»Wir sollten keine Zeit verlieren«, kam es zurück. »Ich erkläre Ihnen, wo ich mich mit Ihnen treffen kann.«

Al räusperte sich erneut. Seine Gedanken überschlugen sich.

Keine Schulden mehr. Shannon den Laufpass geben. Falls das überhaupt noch nötig war. Er würde sich eine andere anlachen. Mit Geld in der Tasche war das überhaupt kein Problem. Er wusste nicht, was der Typ am Telefon unter »ein bisschen was extra« verstand. Aber das war ja sicher Verhandlungssache. Auf jeden Fall würde er Kapital für weitere Pokerspiele haben. Und die Glückssträhnen kamen dann auch irgendwann.

Oder war das eine Falle? Wollte man ihn in Wirklichkeit irgendwo hinbringen und unter Druck setzen? Mit ganz, ganz schlimmen Mitteln? Aber er hatte doch nichts … Was konnten sie damit schon erreichen?

Nein, dachte er. Es geht um was anderes. Aber sicher nichts Legales.

»Was ist nun?«, kam es aus dem Hörer.

»Also gut«, sagte Al. »Erklären Sie mir, wo ich hinkommen soll.«

***

Es war nach halb neun Uhr am Abend, als mich der Chef in sein Büro kommen ließ. Dorothy hatte längst Dienstschluss. Ihr Schreibtisch im Vorzimmer war verwaist und ordentlich aufgeräumt.

Ich klopfte. Mr High bat mich herein. Nur die Schreibtischlampe brannte. Der Assistant Director saß am Tisch. Links und rechts von ihm türmten sich Akten. Auch auf der Arbeitsfläche lagen Papiere, die der Assistant Director mit dem Stift in der Hand gewissenhaft durchging.

»Guten Abend, Sir«, sagte ich und nahm auf einem der Besucherstühle Platz. Täuschte ich mich, oder wirkte Mr High ein wenig erschöpft? Eigentlich gab es so was nicht. Aber wenn man sich mit so viel Papierkram herumschlagen musste …

Er legte den Stift hin. »Guten Abend, Jerry. Hat sich Phil mal aus dem Urlaub gemeldet?«, fragte er.

»Das tut er nie«, erklärte ich. »Aber morgen ist er ja zurück. Ich bin gespannt, was er zu erzählen hat.«

Phil hatte seit einer Woche dienstfrei. Soviel ich wusste, war er ein paar Tage nach Mexiko gereist.

»Es geht wieder los für Sie beide«, sagte Mr High. »Sie fahren morgen gleich nach Philadelphia.«

Ich sagte nichts und nickte nur. Mir war klar, dass der Chef mir gleich weitere Informationen geben würde.

»Es geht um den rätselhaften Tod einer Kollegin«, fuhr er fort. »Special Agent Barbara Lawson vom Field Office Philadelphia. Ihre Leiche wurde am Strand von New Jersey angespült.«

»Wie kam Sie um?«, fragte ich.

»Das erfahren Sie hoffentlich vor Ort. Bis jetzt wissen wir es nicht. Leider handelt es sich auch in anderer Hinsicht um einen besonderen Fall, Jerry. Es ist schon schlimm genug, wenn eine Kollegin auf rätselhafte Weise zu Tode kommt. Aber hier spielen noch andere Dinge eine Rolle.«

»Was meinen Sie damit?«, fragte ich.

»Wie man hört, hatte Special Agent Lawson Probleme in ihrer Dienststelle. Ich habe mit dem Leiter des Field Office Philadelphia SAC Gordon gesprochen. Lawson war eine seiner besten Agentinnen. Aber in letzter Zeit haben ihre Leistungen spürbar nachgelassen. SAC Gordon dachte sogar über eine Suspendierung nach. Er hat sie in Sonderurlaub geschickt.«

»Und in diesem Urlaub starb sie?«

Mr High nickte. »So ist es.«

»Aber war denn überhaupt Fremdeinwirkung im Spiel?«, wollte ich wissen. »Da gibt es doch weitere Möglichkeiten.«

Der Chef hob die Augenbrauen. »Sagen Sie es ruhig, Jerry. Sie meinen Selbstmord, nicht wahr?«

»Das kann man nicht ausschließen, Sir. Es liegt sogar nahe. Sie hat vielleicht seelische Probleme gehabt.«

»Davon sollten wir erst einmal nicht ausgehen. Aber falls sich herausstellt, dass es ein Suizid war, werden wir danach den psychologischen Dienst einschalten, damit er die Sache genau untersucht. Als Präzedenzfall für ähnliche Fälle. Falls nicht und wenn es kein Unfall war, machen Sie mit Phil Ihre Arbeit. Sie werden morgen früh in Philadelphia erwartet. Ich bitte Sie nur darum, vorsichtig zu sein. Sie brauchen Fingerspitzengefühl.«

»Natürlich, Sir.«

Mr High nahm eine Akte von den Stapeln und gab sie mir. »Das ist alles, was wir bis jetzt über den Lawson-Fall haben. Studieren Sie die Unterlagen. Ansonsten wünsche ich Ihnen einen schönen Feierabend.«

Ich versuchte ein Lächeln. »Ich hätte gerne ›Danke gleichfalls‹ gesagt, aber das macht wohl keinen Sinn, oder?«

Der Chef gab das Lächeln zurück. »Nein, leider nicht. Ich muss mich hier noch mit einem anderen Thema befassen. Etwas, das uns leider immer mehr beschäftigt. Und so langsam glaube ich, wir sind fast machtlos dagegen.«

»All diese Akten gehören zu einem einzigen Thema?«, staunte ich.

»Allerdings.« Er rückte ein Stück mit dem Stuhl zurück und legte die rechte Hand auf einen der beiden Aktentürme. »Es geht um Cyberkriminalität. Allein im letzten Monat hat es eine fünfstellige Anzahl von Angriffen auf Regierungsbehörden gegeben. Und das nur in Washington. Die Computer werden immer intelligenter, immer schneller. Und immer mehr Institutionen, Behörden, Firmen und andere Einrichtungen verlassen sich auf sie. Und so entsteht eine Bedrohung ganz neuer Art. Ich weiß, das klingt banal. Aber es ist einfach so, dass in den Glasfaserkabeln der weltweiten Netze die eigentlichen Verbrechen stattfinden.«

Das war mir klar. Man musste nur die Zeitung aufschlagen, um das zu wissen.

»Seien Sie froh, dass Sie den Fall der toten Barbara Lawson auf die alte Art lösen können«, sagte er.

Ich stand auf. »Danke, Sir, ich wünsche Ihnen trotzdem einen schönen Abend.«

Während ich hinausging, dachte ich über die Gefahren der Computerkriminalität nach. Und darüber, dass wir viel mehr solcher Experten wie Mai-Lin Cha vom Scientific Research Team in Quantico gebrauchen konnten, die uns auf diesem Gebiet unterstützten.

Als ich im Wagen saß und nach Hause fuhr, schüttelte ich die Gedanken ab. Wie Mr High schon gesagt hatte: Special Agent Lawsons Tod war ein ganz normaler Kriminalfall. Wenn überhaupt.

Mr High und ich täuschten uns gewaltig. Doch das ahnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht.

***

Es war kurz vor sechs am Morgen, als ich an Phils Apartment klingelte. Bevor ich zu Hause losgefahren war, hatte ich ihn telefonisch geweckt. Eigentlich hätte er bei meiner Ankunft bereits unten an der bekannten Ecke warten sollen. Okay, man musste gelten lassen, dass er aus dem Urlaub kam.

Ich ging zu meinem Jaguar zurück und lehnte mich an das Fahrzeug. Eine Minute später drückte sich ein leicht verknitterter Phil durch die Eingangstür des Apartmentkomplexes.

»Jetzt will ich aber ein paar interessante Geschichten aus Mexiko hören«, sagte ich aufmunternd, nachdem Phil seine Tasche verstaut hatte. Ich deutete auf das kleine Papp-Tablett zwischen den Sitzen, auf dem zwei Coffee to go standen. Phil nahm sich einen.

»Sonne, Pool, Meer. Miezen zum Anbeißen«, krächzte er. »Was du dir so vorstellen kannst.« Er nippte an seinem Kaffee und stierte vor sich hin, während ich mich in den Verkehr einfädelte. Der alte Knabe würde das schon hinkriegen. Schlafmangel ist das geringste Problem für einen FBI-Beamten.

Zum Glück herrschte zu so früher Stunde kaum Verkehr. Und so erreichten wir die Interstate 495 recht schnell. Kaum hatte ich die Auffahrt absolviert, stellte Phil den leeren Becher weg. Ich hoffte, er würde jetzt seinen Urlaubsbericht nachholen.

»Fahren wir nach Philadelphia?«, fragte er stattdessen.

»Freut mich, dass du dich an die Infos erinnerst, die du vor einer Stunde erhalten hast.«

»Ich bin hellwach«, brummte er. »Auch wenn es nicht so aussieht.«

»Philadelphia ist richtig«, gab ich zurück.

Ich rekapitulierte für ihn die Informationen. Aus der Akte wusste ich, dass Barbara Lawsons Überreste am Strand in der Nähe von Atlantic City gefunden worden waren. Von einem Pärchen, das dort gerade Flitterwochen machte.

Ich war lange genug Phils Partner, um mit einem Seitenblick die feine Veränderung in seinem Gesicht zu bemerken, die das in ihm auslöste. Natürlich war jedes Gewaltverbrechen schlimm, aber wenn es um Morde an Polizisten ging, schwang da immer auch etwas anderes mit.

»Sie konnten die Leiche nur anhand der DNA identifizieren«, führte ich weiter aus.

»Ist sie ertrunken?«

Ich nickte. »Möglich. Aber ein Unfall war es nicht, da sind sich die Kollegen in Philadelphia bereits sicher. Warum, werden sie uns noch erklären.«

»Und weiter?«, drängte Phil. »Gibt es eine Schussverletzung oder etwas in der Art?«

»Das wird uns SAC Gordon sagen«, erwiderte ich.

Phil lächelte. »Der freut sich bestimmt schon auf uns.«

Nicht immer waren die Leiter vor Ort kooperationsbereit, wenn wir vom FBI Headquarter aus Washington anrückten. So mancher empfand es als Einmischung, wenn wir auftauchten.

»Nur zur Erinnerung«, sagte ich, denn so ganz wach wirkte mein Partner nach wie vor nicht. »Dorothy hat dir alles, was wir über Barbara Lawson wissen, auf dein Handy geschickt.«

»Ach ja, richtig.« Phil holte sein Telefon hervor und begann, die Nachrichten abzurufen.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er die Fotos der Agentin betrachtete. Ich hatte sie heute am frühen Morgen schon durchgesehen. Bilder von der Leiche. Und Bilder von Lawson als lebendige, braunhaarige, etwa dreißigjährige Frau mit leichtem Latinoeinschlag. Sie war absolut der Typ, nach dem sich die Männer auf der Straße umdrehten. Natürliche Schönheit nannte man das wohl, wenn kein bisschen Make-up oder sonstige Mittelchen nötig waren, um den Eindruck zu verbessern.

Und jetzt lag ihre Leiche in der Kühlung und wartete auf uns.

***

Es war vereinbart, dass wir nicht zum Field Office, sondern direkt zur Gerichtsmedizin fuhren. Sie lag in einem unscheinbaren Backsteinbau auf dem etwas außerhalb der Innenstadt gelegenen Universitätsgelände. Zuständig war ein gewisser Dr. Daniel Hoover.

Als er uns am Empfang abholte, konnte ich meine Überraschung kaum verbergen. Hoover war ein hageres, schwarzhaariges Jüngelchen mit runder Brille. Er wirkte, als habe er gerade erst das College absolviert.

»Folgen Sie mir, bitte«, sagte er mit hoher Stimme. Als er mit uns über die Gänge in Richtung seiner Abteilung ging, flatterten die unteren Ränder seines weißen Kittels hinter ihm.

»Ich hatte eigentlich SAC Gordon erwartet«, sagte ich. Der Junge hatte ein ganz schönes Tempo drauf.

»Er ist im Moment nicht verfügbar und empfängt Sie nachher«, kam es von vorne. »Vorsicht, die Tür!«

Hoover hatte eine der gläsernen Flügeltüren durchschritten, die nun zurückschwang. Schließlich erreichten wir den Saal, in dem die Obduktionen vorgenommen wurden. Auf dem Fliesenfußboden standen chromglänzende Untersuchungstische. Auf weiteren Arbeitsflächen vor den Wänden drängten sich technische Geräte und elektronische Apparate für die Analysen. Ein chemischer Geruch überdeckte nur leicht das süßliche Aroma der Verwesung. Und es war kalt. Mindestens vierzig Grad Fahrenheit kälter als draußen.

Hoover führte uns durch eine Isoliertür in einen Kühlraum und stellte uns zwei weibliche Mitarbeiter vor. Eine der beiden zog das Fach auf, in dem Lawsons Leiche gelagert war, und lüftete das Abdecktuch. Mir verschlug es den Atem. Egal, wie lange man in dem Job unterwegs ist, man gewöhnt sich nie daran. Auch Phils Gesichtsfarbe war eine Stufe blasser geworden.

Die andere Mitarbeiterin hatte Hoover ein Klemmbrett mit Papieren gereicht. »Barbara Maria Lawson, geboren am 4. März 1986 in San Antonio, Texas«, las er ab. »Massive stumpfe Gewalt am ganzen Körper, Verletzung der inneren Organe. Lockere Oberhaut. Wahrscheinlich lag sie also knapp eine Woche im Wasser, und …«

»Was ist mit ihren Händen?«, unterbrach ich ihn, weil mir dort eine eigenartige Verfärbung aufgefallen war.

Hoover sah erst auf die Leiche und dann auf seine Unterlagen. »Sie könnte an den Handgelenken gefesselt gewesen sein«, erklärte er. »Eventuell mit einem Seil oder Kabelbinder. Die Lagerung im Wasser und die stetige Reibung durch die Wellenbewegung haben dafür gesorgt, dass sich die Fessel selbst gelöst hat. Aber es gibt entsprechende Spuren. Das haben Sie ganz richtig erkannt, Inspektor Cotton.«

Ich wechselte mit Phil einen Blick. Nun war klar, dass es sich nicht um Selbstmord handeln konnte.

»Und was ist nun die genaue Todesursache?«, wollte Phil wissen. »Ein Schlag auf den Hinterkopf? Hat man auf sie geschossen? Tod durch Ertrinken?«

Hoover schüttelte den Kopf. »Keine Schussverletzung. Keine Verletzung am Kopf, die auf ein direktes Schädel-Hirn-Trauma hindeutet.«

»Aber was dann?«, fragte ich.