Jerry Cotton 3163 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3163 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In Baltimore, Philadelphia und Cleveland wurden drei pensionierte katholische Priester grausam ermordet - offenbar von ein und demselben Täter. Phil und ich ermittelten in verschiedene Richtungen und entdeckten eine heiße Spur, die in undurchsichtige CIA-Kreise führte. Als wir uns nach Rom begaben, um den Mörder endlich dingfest zu machen, bekamen wir es im Schatten des Vatikans mit einem weitaus gefährlicheren Gegner zu tun ...

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EPUB

Seitenzahl: 139

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Im Schatten des Vatikans

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Amityville Horror 4«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5835-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Im Schatten des Vatikans

Pater Steven Shipman sah überrascht von seinem Ikonen-Bildband auf. Wer klingelte mitten in der Nacht an seiner Tür?

Der Schein der Schreibtischlampe fiel aus dem Fenster auf die Straße wie ein Leuchtfeuer in einer ansonsten stockdunklen Nachbarschaft. Die gottesfürchtigen Bürger Baltimores schliefen seit Stunden, doch Shipman plagte die Bürde des Alters: seine Schlaflosigkeit. Er legte das Lesebändchen ein, klappte das schwere Buch zu und begab sich zur Eingangstür. Er lugte durch den Türspion. Draußen stand ein junger Mann, gehüllt in den Habit eines Geistlichen. Shipman lächelte beruhigt und öffnete die Tür.

Der junge Mann sah ihn aus dunklen Augen an. „Stipan Shiplinsky?“

In diesem Moment wurde Shipman klar, dass es ein Fehler gewesen war, dem Fremden die Tür zu öffnen. Das Lächeln wich schlagartig aus seinem Gesicht. Sein Herzschlag verdoppelte sich, und Schweiß trat ihm auf die Stirn.

„Shiplinsky lebt schon lange nicht mehr. Was wollen Sie von ihm?“, fragte er rau.

Der Besucher zog die Jacke weg, die er über den rechten Arm gelegt hatte. Eine Waffe mit Schalldämpfer kam zum Vorschein. Bevor Shipman einen Laut von sich geben konnte, blitzte Mündungsfeuer auf, es ploppte leise, und Shipman hatte das Gefühl, von einem Pferd getreten zu werden. Er stolperte und landete rücklings im Hausflur. Ein roter See breitete sich unter ihm aus.

Sein Mörder beugte sich über ihn. „Beste Grüße von Franziskus!“

Das war das Letzte, was Shipman hörte, bevor ihn ewige Dunkelheit umfing.

Das Ende ist nah!, stand auf dem Pappschild, das der ausgemergelte Kerl mit dem verfilzten Bart vor der Brust trug. Er hatte ein Lächeln im Gesicht und ein Lodern im Blick. Sein tausendfach geflickter Mantel wurde nur noch von seinem unerschütterlichen Glauben zusammengehalten.

»Jesus wird dich erretten!«, verkündete er.

»Danke, Kumpel, aber für mich kommt jede Rettung zu spät«, antwortete ich lapidar.

Er starrte gierig auf den heißen Kaffee, den ich am Zeitschriftenstand Pennsylvania Avenue Ecke Zehnte besorgt hatte. Der Jahreszeit zum Trotz war es morgens empfindlich kalt in der Hauptstadt. Niemand wollte in der Haut eines Obdachlosen stecken, auch wenn der Gedanke an seinen Schöpfer ihn vermutlich wärmte. Ich drückte ihm den Becher in die Hand.

»Jeder darf auf Rettung hoffen, mein Freund.« Er drängte mir ein kopiertes Pamphlet auf. Doch bevor ich einen Blick darauf werfen konnte, klingelte mein Mobiltelefon. Es war Phil.

»Der Chef braucht uns im Büro.«

Ich sah an der Gebäudefront des FBI-Hauptquartiers hoch. »Weiß ich, Dorothy hat mich vor fünf Minuten angerufen. Ich stehe schon fast vor der Tür.«

»Wie hast du das so schnell hinbekommen?«, wunderte sich mein Partner.

»Ich war in einer Matinee im Smithsonian American Art Museum. Mord ist ihr Hobby.«

»Du siehst dir eine Kunstausstellung an, Partner? Und dazu am heiligen Sonntag? Ich bin sprachlos.«

Ich musste lachen. Ich legte ihm dar, dass die Ausstellung über Frances Lee, den ersten weiblichen Police Captain der USA, und ihre forensischen Miniaturen Kunst und Wissenschaft zugleich war und hochinteressant dazu. So wie ich hatten Tausende Polizisten und FBI-Beamte an Lees Puppenhaus-Tatorten forensische Arbeit gelernt.

Zwanzig Minuten später saßen wir Mr High in seinem Büro am Besprechungstisch gegenüber. Unser Chef fächerte drei Kladden vor sich auf dem Schreibtisch auf. Das verhieß nichts Gutes.

»Wir haben drei Morde an Priestern«, begann er.

»Passend zum Wochentag«, kommentierte Phil.

Mr Highs Blick machte deutlich, was er von dieser Art Humor hielt. Er klappte die Umschläge auf. Von den Schwarzweißfotos blickten uns drei Geistliche in ehrwürdiger Tracht an. Mr High blätterte um. Tatortfotos. Dieselben drei Männer, in weniger ehrwürdigen Posen. Hingestreckt von Schüssen lagen sie in ihrem eigenen Blut mit verdrehten Gliedmaßen, gebrochenem Blick und Entsetzen im Ausdruck.

»Doktor Glen Jackson aus Cleveland«, führte er aus. »Erschossen in seinem Haus von einem Einbrecher vor zwei Wochen. Alexander Kudelski, erschossen in seiner Wohnung in Philadelphia von einem Einbrecher vor einer Woche. Bis dahin kam niemand auf die Idee, das FBI einzuschalten. Aber dann Steven Shipman aus Baltimore, gestern Abend getötet von einem Raubmörder.«

»Ein bisschen viele Raubmorde in kurzer Folge an Geistlichen. Und daher wohl kein Zufall, dass Sie uns an einem unserer wenigen freien Tage herzitieren«, mutmaßte ich.

»So ist es, Jerry. Unser Täter hat alle drei besucht. Laut Doktor Fortesque war der Kerl clever genug, nicht dieselbe Waffe zu benutzen, aber immerhin den gleichen Typ, vermutlich eine Makarov mit Schalldämpfer. Immerhin haben wir Abdrücke im Garten, auf den Wegen und im Haus entdeckt, die zum selben Schuh passen. Die Eintrittswinkel der Projektile lassen auf dieselbe Körpergröße schließen. Und wenn der Täter es tatsächlich auf Wertsachen abgesehen hatte, hat er sich ziemlich dumm angestellt.«

Ich hob die Augenbrauen. »So?«

»Zwar entwendete er Bargeld aus dem Portemonnaie und brach den Tresor auf, in dem sich nur Dinge befanden, das man nicht zu Geld machen kann. Aber die unglaublich wertvolle Ikonensammlung von Shipman ließ er links liegen.«

»Ein vorgetäuschter Raub also, um das wahre Motiv zu verschleiern?«, schlug Phil vor.

»Durchaus möglich«, bestätigte der Chef. »Wir haben identische DNA am Tatort sichergestellt.«

»Die aber mit keiner unserer Datenbanken matcht«, vermutete ich. Denn wäre das der Fall gewesen, hätte Mr High nicht uns, sondern ein SWAT-Team bestellt, um den Verdächtigen festzunehmen.

»So ist es. Drei Morde in drei verschiedenen Bundesstaaten und derselbe Täter. Gehen Sie der Sache auf den Grund. Heute Morgen noch vor der Predigt hat der Erzbischof von Washington Director Fuller persönlich aus dem Bett geklingelt. Die Kirche will Antworten.«

Ich deutete mit dem Finger zur Decke. »Kommen die nicht von da oben?«, fragte ich scherzhaft.

Mr High verzog das Gesicht. »Sie glauben nicht, welchen Einfluss die Kirche nach wie vor auf die Regierung hat. Besonders, seit die Konservativen wieder am Ruder sind. Also strengen Sie sich an, Gentlemen.«

Phil und ich erhoben uns.

»In God we trust«, deklamierte ich beim Hinausgehen den Wahlspruch der Vereinigten Staaten, der auf die Nationalhymne zurückging und sogar die Rückseite des Eindollarscheins zierte.

***

Wir starteten mit Steven Shipman, allein deswegen, weil Baltimore mit etwa vierzig Meilen Entfernung am nächsten an Washington lag. Shipmans Backsteinhäuschen befand sich in Ruxton, einem beschaulichen Vorort etwa acht Meilen nördlich von Baltimore City inmitten einer sattgrünen hügeligen Landschaft. Die Grundstücke waren groß wie Parks, die Autos blitzblank gewienert, die Häuschen gepflegt, und die Einfahrten glänzten nass. Falls der amerikanische Mittelstand tatsächlich im Niedergang begriffen war, war diese Nachricht noch nicht nach Ruxton durchgedrungen.

Der Leiter des Field Office Baltimore, SAC Kieran McCoy, ein rothaariger Mittvierziger, dem man seine Kilt tragenden Vorfahren auf hundert Yards ansah, hatte vorab die kleine Polizeistation in Ruxton informiert. Daher erwartete uns in Shipmans Einfahrt ein weiblicher Officer. Die ältere und etwas beleibte Polizistin brach das an der Haustür angebrachte Siegel und schloss uns auf. Wir versprachen, uns zu melden, sobald wir fertig waren, damit sie den Tatort wieder versiegeln konnte. Sie stieg in ihren Wagen und brauste davon.

Phil und ich betraten Shipmans Haus. Die Spurensicherung hatte ihrerseits haufenweise Spuren hinterlassen. Überall standen kleine Pappschilder mit Nummern. Es roch metallisch nach Shipmans vergossenem Blut, das in einer großen eingetrockneten Pfütze den Plankenboden im Flur verunzierte. Wir mussten zwar nicht darauf achten, den Tatort frei von Kontaminationen zu halten, aber aus alter Gewohnheit griff ich in meine Jacketttasche und förderte Gummihandschuhe zutage, die ich fast immer bei mir trug.

Wir sahen uns gründlich um. Öffneten Schranktüren und Schubladen, warfen einen Blick in den Abfalleimer und den Kühlschrank, befassten uns mit den durch die Pappschilder gekennzeichneten Orten, an denen man DNA, Fußabdrücke und sonstige Spuren sichergestellt hatte. Sogar in Shipmans riesigem Garten spazierten wir eine Weile herum.

Schließlich nahmen wir in der Küche am Esstisch Platz, und Phil klappte seinen Laptop auf.

»Okay, lass hören, was wir über Shipman haben«, bat ich ihn.

Er tippte eine Weile, bis er die Fallakte vor sich hatte.

»Steven Shipman lebte alleine, sehr zurückgezogen. Er war in Rente, lehrte aber als Emeritus an der Notre Dame of Maryland University Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Ikonenkunst.«

Das erklärte die vielen christlichen Kunstwerke, die hier überall an den Wänden hingen. Die meisten wohl Originale, wie das abgeblätterte Gold und die brüchige Farbe nahelegten.

»Auch wenn ich kein Experte bin, aber dass der Täter ein Kunsträuber war, können wir wohl ausschließen«, sagte ich. »Es gibt nirgendwo ein Zeichen dafür, dass ein Bild entwendet worden ist.«

Phil bestätigte, dass die lokalen Behörden das genauso sahen. »Shipman hatte eine Putzfrau«, fuhr er fort, »die seit zehn Jahren einmal wöchentlich kam. Sie hat auch seine Leiche gefunden. Es gibt eine ausführliche Aussage von ihr, ich denke, wir ersparen es uns, sie noch einmal in die Mangel zu nehmen.«

Dem stimmte ich zu. Hier hatten wir es wohl eher mit einem Profi zu tun.

»Es gibt keine Spuren gewaltsamen Eindringens, das bedeutet, Shipman hat seinem Mörder die Tür geöffnet«, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf. »Er kannte ihn, oder vertraute ihm zumindest.«

»Yep«, bestätigte mein Partner. »Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass er ihn persönlich kannte. Und nicht nur er. Alle drei waren mit dem Täter persönlich bekannt.«

»Weil?«, fragte ich verwundert.

»An keinem der drei Tatorte gab es echte Einbruchsspuren, obwohl der Täter immer versucht hat, es wie Raubmord aussehen zu lassen. Die Todeszeitpunkte aller Opfer sind auf die frühen Morgenstunden datiert. Alle wurden zwischen zwei und vier Uhr nachts erschossen. Shipman dem Obduktionsbericht hier zufolge zwischen halb drei und drei Uhr.«

»Du denkst, wem öffne ich um diese unchristliche Zeit meine Tür? Nur jemandem, den ich kenne.«

»So ist es«, sagte Phil.

»Oder einem Unbekannten, der dir jedoch vertrauenswürdig scheint«, erwiderte ich.

Phil runzelte die Stirn. »An was denkst du, Jerry?«

»Es klingelt, du gehst an die Tür und schaust durch den Spion. Du siehst jemanden, den du nicht persönlich kennst. Trotzdem öffnest du, weil du ihm auf den ersten Blick traust. Wer könnte das sein?«

Phil zuckte ratlos mit den Schultern.

»Jemand in Uniform«, half ich ihm auf die Sprünge.

»Eine Polizeiuniform?«

»Etwas in der Art. Ein Arzt, ein Feuerwehrmann oder ein Soldat«, erwiderte ich, auch wenn ich das Gefühl hätte, dass wir zwar nahe dran waren, aber nicht ins Schwarze getroffen hatten.

Wir vertieften uns eine Weile in den Fallbericht, stießen aber auf nichts, das uns einen größeren Erkenntnisgewinn verschaffte. Also machte ich noch einmal einen Gang durch Shipmans Haus, während Phil seine Recherchen in unseren Datenbanken fortsetzte.

Vor dem großen Bücherregal aus Eiche im Studierzimmer blieb ich stehen. Ich ließ meinen Blick über die Reihen von Buchrücken schweifen. Die meisten Titel waren christliche Fachliteratur, es gab Klassiker der Kriminalliteratur wie Agatha Christie oder G. K. Chesterton. Ein Fach jedoch erregte meine Aufmerksamkeit. Darin befanden sich ausschließlich fremdsprachige Titel. Ich zog einige Exemplare heraus und blätterte darin herum. Die meisten Bücher waren in Warschau verlegt, die Titel in Polnisch. Zum Beispiel Drogi dojscia do Boga von einem gewissen Ryszard Mysliwiec. Ich ging damit zu Phil und bat ihn, den Titel in ein Online-Übersetzungsprogramm einzuspeisen.

»Es bedeutet In einer Meile links abbiegen oder Weg, um zu Gott zu kommen, je nachdem, welches Übersetzungsprogramm du bemühst«, klärte er mich auf. Ich beschloss, der zweiten Variante zu glauben.

Wir wiederholten das Spiel mit anderen Büchern, die meisten klerikale Werke. Eine Handvoll befasste sich jedoch mit einem polnischen General namens Jaruzelski, der vor dem Zusammenbruch des Ostblocks eine Militärdiktatur in dem Land errichtet hatte.

»War Shipman gebürtiger Pole?«, fragte ich Phil.

Er prüfte es nach und schüttelte schließlich den Kopf. »Nein. Er wurde in Ludlow, Maine auf einer Farm geboren.«

Das kam mir merkwürdig vor. Aber vielleicht war das Land ein Steckenpferd Shipmans gewesen. Ein früherer Papst war Pole gewesen, möglicherweise gab es da einen Zusammenhang. Vielleicht bekam man in Polen einfach die kompetenteste Literatur zur Ikonenkunst. Was die Bücher über den polnischen Diktator in der Reihe zu suchen hatten, verstand ich nicht. Es musste nichts bedeuten, aber es fühlte sich an wie ein Satz, den ein Fremder einem Text hinzugefügt hatte, oder ein ungewöhnliches Instrument in einem ansonsten perfekten Arrangement. Ich behielt es einstweilen im Hinterkopf.

»Heiliges Kanonenrohr«, entfuhr es Phil plötzlich, der gebannt auf seinen Bildschirm starrte.

Ich horchte auf.

»Du erinnerst dich an den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche vor ein paar Jahren?«, fragte er.

»Der, den der Boston Globe an die Öffentlichkeit brachte?«

»Genau der. Halt dich fest, Shipman war einer der Priester, die beschuldigt worden waren.«

»Wurde er verurteilt?«, wollte ich wissen.

Phil schüttelte den Kopf. »Die Kirche nahm ihn aus dem Schussfeld. Er musste seinen Posten an einem College räumen. Es kam nie zu einer Anklage. Man vermutet, dass viel Geld geflossen ist, um die Opfer zum Schweigen zu bringen.«

Ich nickte. »Da hast du potenzielle Täter und ein starkes Motiv. Jetzt sollten wir uns die anderen Mordopfer ansehen. Waren die auch alle in den Skandal verwickelt?«

Phil begann, hektisch auf seine Tastatur einzuhacken. »Das finde ich in Nullkommanichts heraus«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

***

Alexander Kudelski in Philadelphia war unser nächster Kunde. Als wir tags darauf sein Apartment im historischen Stadtteil Bella Vista aufsuchten, war eine Entrümpelungsfirma gerade dabei, seine komplette Habe zu verladen. Der Vorarbeiter deutete grinsend auf eine resolute alte Lady, die neben der Eingangstür Position bezogen hatte und seine Mannschaft mit schneidender Stimme auf Trab hielt.

»Stellt euch nicht so an, ihr Riesenbabys«, lachte sie zwei Burschen aus, die mit hochroten Köpfen ein Trumm von Schreibtisch durch den Flur wuchteten. »Füttert eure Mama euch etwa nicht mit genug Pasta?«

Die Kerle fluchten auf Sizilianisch und schwitzten noch mehr.

Wir ließen die armen Teufel passieren, stiegen die Stufen empor und wiesen uns aus. Wie sich herausstellte, war die Frau Alexander Kudelskis Schwester.

»Dürfen wir uns in der Wohnung umsehen, Ma’am?«, bat ich.

Sie zuckte mit den Schultern. »Können Sie, aber Sie werden nicht viel finden. Das Apartment ist so gut wie leer.«

Sie hatte recht. Bis auf ein halbes Dutzend Kisten waren alle Zimmer ausgeräumt. Ein Mitarbeiter der Entrümpelungsfirma schraubte die letzten Lampen von der Decke. Ich wanderte den Flur entlang, warf einen prüfenden Blick in jeden Raum. Hier gab es nichts mehr zu finden. Als ich im Flur am Kartonstapel vorbeikam, hielt ich inne. Ich öffnete den Deckel und warf einen Blick hinein. Alte Gartenzeitschriften. Schade, dachte ich und verschloss die Kiste wieder. Die Idee hätte Charme gehabt.

Einer der Träger kam herein und griff sich den Bücherkarton. In dem Moment, in dem er damit aus der Haustür trat, brach der Boden durch, und Bücher und Zeitschriften purzelten die Stufen hinunter. Der Mann fluchte herzerfrischend, und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Schon meiner Schadenfreude wegen fühlte ich mich verpflichtet, ihm zu helfen. Also kleideten wir den Boden des Kartons mit Pappe aus und packten die Bücher gemeinsam wieder ein. Und da hielt ich es auf einmal in der Hand. Orbitor,Corpul. Autorin: Mircea Cartarescu. Aus dem Verlag Humanitas in Bukarest.

»Phil!«, brüllte ich nach draußen.

Wenige Augenblicke später blätterte er ebenfalls durch den Band. »Kudelski ist genauso wenig Rumäne, wie Shipman Pole ist. Er kommt aus Texas.«

»Ist das nicht fast das Gleiche?«, witzelte ich.

Phil verdrehte die Augen. »Sag das bloß nicht Gerold«, meinte er. Dr. Gerold Willson, unser Gerichtsmediziner vom Scientific Research Team in Quantico, war Texaner und ziemlich stolz darauf.

»Aber auffällig ist es, das musst du zugeben«, entgegnete ich.

Mein Partner stimmte mir zu. Wir gingen zu Kudelskis Schwester, vielleicht hatte sie eine Erklärung.

»Mrs Kudelski …«

»Miss Kudelski«, korrigierte sie mich und schrie einem Möbelpacker hinterher, von dessen einziger Ladung, einer Zimmerpflanze, ein Blatt gesegelt war.

»Warum besaß Ihr Bruder rumänische Bücher?«

Sie hielt einen Moment inne und musterte mich, als müsse sie sich die Antwort erst zurechtlegen. »Unsere Großeltern waren Siebenbürger. Sie wanderten Anfang des Jahrhunderts in die USA ein. Mein Bruder hat seine Herkunft nie vergessen. Er sprach neben Englisch auch Rumänisch.«

Ich bedankte mich für die Auskunft. Phil war in unseren Datenbanken auf einen ungewöhnlichen Eintrag gestoßen, auf den wir uns keinen Reim machen konnten. Also sprach ich das Thema direkt an.

»Vor siebzehn Jahren war Ihr Bruder Zeuge in einem Todesfall in Utah. Was hatte es damit auf sich?«

Ihre Haltung veränderte sich. Auf dieses Thema war sie offensichtlich nicht besonders gut zu sprechen. »Sind Sie gekommen, um den Mord an meinem Bruder aufzuklären? Oder um alte Wunden, die seit Jahren verheilt sind, wieder aufzureißen?«

»Vielleicht hat das eine mit dem anderen zu tun«, sagte Phil.

»Ganz sicher hat es das nicht«, blaffte sie. Wie es aussah, hatten wir mit einem Stock auf ein Hornissennest geschlagen.