Jerry Cotton 3169 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3169 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Bei einem Ausbruch aus dem Marquette County Jail in Michigan gelang es drei Insassen, durch einen Tunnel zu entfliehen. Hinweistafeln an den Straßen rings um Marquette warnten davor, dass Autofahrer keine Anhalter mitnehmen sollten. Doch Janis Gallagher, eine junge Lehrerin, missachtete diese Anweisung und nahm einen der Männer mit. In den TV-Spätnachrichten sah sie schließlich die Fahndungsmeldung - und verständigte die Polizei. Denn der Anhalter lag tot in ihrem Schlafzimmer ... Als wir die Ermittlungen aufnahmen, blieb es nicht bei dieser einen Überraschung!

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EPUB

Seitenzahl: 139

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Flucht ins Verderben

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Happy, Texas«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5918-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Flucht ins Verderben

Janis Gallagher schenkte sich ein Glas Wein ein. Im Fernsehen liefen die Spätnachrichten.

»Wie wir berichtet haben, ist es in der Nacht zu Dienstag drei Straftätern gelungen, durch einen Tunnel aus dem Marquette County Jail in Michigan, Upper Peninsula zu flüchten«, verkündete der Nachrichtensprecher. »Bei den Geflohenen handelt es sich um Lenny Willcox, vierunddreißig, Jorge Patterson, zweiundvierzig, und Ron Murray, fünfundzwanzig.«

Die Fotos der Verbrecher wurden eingeblendet.

»Alle drei werden als äußerst gefährlich eingestuft. Wer die Ausbrecher sieht, wird dringend gebeten, sich sofort mit dem Police Department in Marquette in Verbindung zu setzen. Die Männer tragen orangefarbene Anstaltskleidung mit dem Aufdruck DOC. Auf die Ergreifung der Täter ist eine Belohnung ausgesetzt. Autofahrer seien noch einmal darauf hingewiesen, dass es lebensgefährlich ist, in der Umgebung von Marquette Anhalter mitzunehmen.«

Janis kannte die entsprechenden Hinweistafeln. Die junge Lehrerin schaltete den Fernseher aus. Trotz aller Warnungen hatte sie auf der einsamen Landstraße angehalten. Janis bemühte sich, das Weinglas ruhig zu halten, aber es gelang ihr nicht. Sie beobachtete die konzentrischen Ringe, die sich an der Oberfläche der Flüssigkeit bildeten.

Es gab keinen Grund zur Aufregung. Der Fremde lag in ihrem Schlafzimmer. Er war tot.

»Ausbruchssicher«, sagte der Direktor. »Unsere Justizvollzugsanstalt galt als ausbruchssicher. Bis vorgestern!« Art Brenner wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Ich hatte den Eindruck, dass er immer noch damit haderte, dass ihm das Schicksal diese Prüfung auferlegt hatte.

»Es ist, wie es ist«, erwiderte ich »die Gefangenen sind weg, und wir müssen sie wiederfinden.«

Phil und ich waren gerade erst in Marquette eingetroffen. Von Washington gab es keine Direktflüge. Wir hatten in Chicago umsteigen müssen, und die Reise hatte den ganzen Vormittag gedauert. Zum Glück war der Platz neben mir frei gewesen, sodass ich im Flugzeug zeitweise hatte schlafen können. Es gab eine FBI Resident Agency in Marquette. Special Agent King hatte uns vom Flughafen abgeholt und uns auf der Fahrt zum Gefängnis den Stand der Dinge mitgeteilt.

Es war selbstverständlich, dass wir uns zunächst einmal im Gefängnis darüber informierten, was genau passiert war. Die Anstalt galt in der Tat als ausbruchssicher. Ich hielt nicht viel von derartigen Attributen. Gefangene sind von überall ausgebrochen, aus Gefangenenlagern im Krieg, von der französischen Teufelsinsel und selbst aus dem Zuchthaus von Alcatraz. Und davon abgesehen, selbst das Gefängnis in Marquette hatte bereits früher die Flucht von Gefangenen erlebt.

Phil erinnerte den Direktor an den Zwischenfall von 1922. »Soweit ich weiß, sind damals zwei Gefangene entkommen, die erst nach tagelanger Suche gefunden wurden.«

Brenner ließ das nicht gelten. »Das zählt nicht. Die Gefangenen waren seinerzeit zu Außendienstarbeiten eingesetzt. Es war also keine Flucht aus dem Gefängnis, sondern eine Flucht von außerhalb des Gefängnisses.«

Phil schüttelte leicht den Kopf.

Das State House of Correction and Branch Prison, wie das Gefängnis offiziell hieß, existierte seit 1889. Der Kern des Gebäudekomplexes sah so aus, wie sich ein Kind eine Ritterburg vorstellte, mit Türmen und Zinnen. Das Gefängnis war in der Vergangenheit mehrfach umgebaut und erweitert worden. Dabei war ein alter, inzwischen funktionsloser Kabeltunnel nicht hinreichend abgesichert worden, durch den die drei Ausbrecher aus dem eingezäunten Bereich der Strafanstalt herausgekrochen waren.

Wir besichtigten den Tunnel. Der Zugang lag im Heizungskeller des Gefängnisses und war zugemauert gewesen. Die Gefangenen hatten ihn, wie es schien, mit einem großen Hammer aufgebrochen.

»Woher hatten sie den Hammer?«, fragte Phil.

»Sie haben den Werkzeugschrank aufgebrochen«, antwortete Brenner. Es klang ziemlich kleinlaut.

Der sogenannte Werkzeugschrank war ein ausgemusterter hölzerner Garderobenschrank, den man mit einem Fußtritt öffnen konnte.

Entscheidend war meiner Meinung nach ein anderer Punkt. »Ich nehme an, dass der Heizungskeller nicht allgemein zugänglich ist.«

»Nein, natürlich nicht. Er ist, wie Sie ja gesehen haben, durch eine Stahltür versperrt. Dazu gibt es drei Schlüssel. Den einen hat der Techniker, der für die Heizung zuständig ist. Der zweite Schlüssel ist bei der Gesellschaft hinterlegt, die für die Wartung der Gebäudetechnik verantwortlich ist, und der dritte Schlüssel hängt im Vorzimmer bei meiner Sekretärin. Selbstverständlich in einem verschlossenen Schlüsselkasten.«

»Welcher Schlüssel fehlt?«, wollte ich wissen.

»Keiner.«

Phil und ich sahen uns an.

Mein Partner sprach aus, was wir beide dachten: »War denn überhaupt abgeschlossen?«

»Davon gehen wir aus«, erwiderte Brenner.

Wir glaubten nicht, dass man davon ausgehen konnte. Aber wie dem auch war, die Klärung dieser Frage war für uns zunächst zweitrangig. Fest stand, dass die Gefangenen weg waren. Die sofort eingeleitete Suche in der Umgebung des Gefängnisses mit allen verfügbaren Polizeikräften war ohne Ergebnis geblieben.

»Wie alle Gefängnisse waren wir auf ein solches Ereignis vorbereitet«, sagte Brenner. »Wir haben einen entsprechenden Notfallplan. Im Falle eines Ausbruchs werden von den Einsatzkräften sofort zwei Ringe um das Gefängnis gelegt. Der innere Ring hat einen Radius von zehn Meilen. Alle Straßen, die aus diesem Ring hinausführen, werden nach dem Alarm innerhalb einer halben Stunde gesperrt.«

»Zehn Meilen sind nicht viel«, meinte ich.

»Das ist richtig, aber sie reichen aus, um jedem Flüchtigen, der zu Fuß unterwegs ist, den weiteren Weg in die Freiheit abzuschneiden. Und ein anderer Punkt kommt hinzu: Je größer wir den Radius des inneren Rings wählen, desto schwieriger ist es, alle Fluchtwege sofort zu sperren. Wir haben in Marquette und Umgebung ja nicht allzu viel Polizei. Deswegen haben wir uns für die zehn Meilen entschieden.«

»Aber es gibt zusätzlich einen äußeren Ring?«, fragte Phil.

»Ja, natürlich. Der äußere Ring entspricht sozusagen der gesamten Upper Peninsula.«

»Das ist demnach ein Ring mit einem Radius von fast hundert Meilen,« wunderte sich Phil.

Brenner wurde rot. »Es ist die vernünftigste Abgrenzung«, verteidigte er sich. »Im Osten müssen überhaupt nur zwei Straßen gesperrt werden. Im Westen, an der Grenze nach Wisconsin, sind es ein paar mehr. Aber wenn niemand den Ausbrechern hilft, dann haben wir auf jeden Fall genügend Zeit, alle Fluchtwege abzusperren.«

»Wie groß war der Vorsprung, den die Ausbrecher gehabt haben?«, fragte ich.

»Das wissen wir nicht genau«, erwiderte der Direktor. »Fest steht, dass sie am Abend gegen elf Uhr zuletzt gesehen worden sind und dass sie gestern früh weg waren. Das ist eine Zeitspanne von acht Stunden, aber in Wirklichkeit ist ihr Vorsprung kleiner gewesen, denn sie mussten ja erst einmal den Fluchtweg freilegen. Wir glauben, dass das mindestens zwei Stunden gedauert hat.«

Das andere Ende des Tunnels war mit Beton verfüllt worden. Die Ausbrecher hatten vor dieser Sperre ein Loch schräg nach oben gegraben und waren auf diese Weise auf dem Rasen der Abteilung für natürliche Rohstoffe der Landesregierung hinausgekommen. Niemand hatte sie gesehen, denn nachts wurde in der Behörde nicht gearbeitet.

Die Ausbrecher durften also einen Vorsprung von etwa sechs Stunden gehabt haben. In sechs Stunden konnte ein sportlicher junger Mann zu Fuß mehr als zwanzig Meilen zurücklegen. Aber nach allem, was wir wussten, waren zumindest zwei der Ausbrecher nicht besonders jung. Und sportlich?

Der Direktor bestätigte, was ich vermutet hatte. »Brutal sind alle drei«, sagte er, »aber sportlich ist keiner von ihnen. Im Grunde können sie nicht allzu weit gekommen sein. Ich wundere mich, dass wir sie nicht längst geschnappt haben.«

»Was haben die drei Männer miteinander gemeinsam?«, fragte ich. »Soweit ich weiß, haben Patterson, Willcox und Murray bisher nie zusammengearbeitet, oder?«

»Ja, das ist richtig. Sie kommen aus verschiedenen Gegenden. Willcox stammt aus Chicago. Patterson, den wir für den gefährlichsten der drei Ausbrecher halten, ist am Stadtrand von Detroit aufgewachsen, und Murray stammt aus Flint. Das heißt, zwei sind aus Michigan, aber sie stammen aus sehr verschiedenen Landesteilen, und der dritte Mann ist aus Illinois.«

Ich nickte.

»Die Freundschaft zwischen ihnen hat sich, nach unseren Erkenntnissen, erst hier im Gefängnis entwickelt. Willcox war übrigens zuerst gar nicht bei uns. Er ist in Ohio verhaftet worden und hat später um seine Verlegung in ein anderes Gefängnis gebeten. Angeblich ist er in Ohio mit dem Tode bedroht worden.«

»Wie ist es dazu gekommen?«, hakte ich nach.

»Das wissen wir nicht genau. Nach allem, was wir erfahren haben, handelte es sich um eine Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Banden. Niemand will einen Bandenkrieg in seinem Gefängnis haben, und deshalb haben die zuständigen Dienststellen nicht allzu viel Schwierigkeiten gemacht, um der Verlegung von Willcox zuzustimmen.«

»Hat er gesagt, dass er nach Marquette wollte?«, erkundigte sich Phil.

»Ja, das hat er, in der Tat. Er hat früher schon einmal in unserem Gefängnis eingesessen, und offensichtlich hat es ihm damals gut gefallen.«

»Vermutlich vor allem das Essen«, scherzte Phil.

Brenner fand das nicht lustig. »Das war noch vor der Zeit, als wir Schwierigkeiten mit dem Essen hatten«, brummte er. »Und wir sind nicht dafür verantwortlich. Die Behörde hat die Verpflegung der Gefängnisinsassen outgesourct, wie man so schön sagt, und dabei ist leider kurzfristig jede Qualitätskontrolle ausgefallen. Wir haben das selbstverständlich gemeldet, aber unglücklicherweise hat es lange gedauert, bis die Behörde reagiert hat. Die Firma ist schließlich zu hohen Geldstrafen verurteilt worden, und heute ist das Essen in unseren Gefängnissen einwandfrei.«

»Ich möchte noch einmal auf die Freundschaft zwischen den drei Ausbrechern zurückkommen«, sagte ich. »Waren sie in benachbarten Zellen untergebracht?«

Brenner schüttelte den Kopf. »Normalerweise nicht. Aber alle drei haben sich nacheinander in der letzten Woche krankgemeldet, sodass sie in benachbarten Räumen in der Krankenstation untergebracht waren. Und von dort aus haben sie ihren Ausbruch gestartet.«

»Aber ich nehme an, dass man auch in der Krankenstation dieses Gefängnisses normalerweise die Zellentüren zuschließt«, bemerkte Phil. »Wenn dem so ist, dann können sie kaum ohne Hilfe aus dem Gefängnis hinausgekommen sein.«

»Sie werden Hilfe gehabt haben«, bestätigte der Direktor. »Möglicherweise Hilfe von innen und von außen.«

Wir einigten uns darauf, dass sich Brenner um die Suche nach den Helfern im Inneren des Gefängnisses kümmern würde. Er würde eine Liste aller Mitarbeiter aufstellen, die mit den Ausbrechern Kontakt gehabt hatten.

»Sexuelle Abhängigkeiten könnten eine Rolle gespielt haben«, warf Phil ein.

Der Direktor nickte. Er kannte selbstverständlich die Geschichte des Gefängnisausbruchs aus der Clinton Correctional Facility im Bundesstaat New York, bei dem sich zwei weibliche Angestellte des Gefängnisses mit den Ausbrechern eingelassen hatten. Und die Essenslieferung durch Fremdfirmen stellte natürlich auch einen Schwachpunkt in der Sicherheit der Gefängnisse dar.

Wie sah es aus, wenn man keine Hilfe von außen hatte? Der naheliegende Weg wäre gewesen, irgendein Auto anzuhalten und den Fahrer entweder als Geisel zu nehmen oder ihn zu töten. Doch das war offensichtlich nicht passiert, sonst hätten wir längst davon gehört.

»Kann es sein, dass die Ausbrecher den inneren Ring noch gar nicht verlassen haben?«, fragte ich. »Kann es sein, dass sie immer noch in irgendeinem Unterschlupf in der näheren Umgebung des Gefängnisses stecken?«

Brenner schüttelte den Kopf. »Unsere Leute haben inzwischen alle Häuser und Caravans im Umkreis durchsucht. Ohne Ergebnis.«

»Und haben sie auch keine Spuren von Einbrüchen gefunden?«, wollte Phil wissen.

Der Direktor schüttelte den Kopf.

Hilfe von außen, dachte ich. Sonst hätte ich erwartet, dass sie eine ganze Reihe von leer stehenden Sommerhäusern aufgebrochen hätten. Irgendwo mussten sie ja ihre Anstaltskleidung gegen normales Zeug tauschen, und zwar möglichst rasch.

Wir studierten die Landkarten, die der Direktor im Besprechungszimmer an die Wand gepinnt hatte. Die dünn besiedelte Upper Peninsula, die Obere Halbinsel, nahm etwa ein Drittel der Landfläche Michigans ein, sie war an drei Seiten vom Wasser umgeben. Man konnte die Halbinsel auf drei Wegen verlassen: Über die Brücke von Mackinaw gelangte man zur Lower Peninsula, dem Kern von Michigan. Über die Schleuse von Sault Ste. Marie konnte man nach Kanada kommen. Diese beiden Fluchtwege waren leicht zu kontrollieren. Aussichtsreicher erschien mir eine Flucht in das ebenfalls ländliche nördliche Wisconsin. Aber auch diese Grenze war inzwischen längst abgeriegelt. Alle Fluchtwege schienen damit unter Kontrolle.

Es klopfte an der Tür.

»Das wird unser Kaffee sein«, hoffte Phil.

Es war nicht der Kaffee. Eine junge Frau kam herein.

»Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber es gibt eine neue Entwicklung«, sagte sie. »Wir haben eben einen Anruf vom Police Department bekommen. Offensichtlich ist einer der Ausbrecher gefunden worden. Tot. Eine Lehrerin hat ihn erstochen.«

***

Die Lehrerin hieß Janis Gallagher und war neunundzwanzig Jahre alt. Sie wohnte in einem kleinen Haus an einem See, der Wheelbarrow Lake hieß. Das Gelände gehörte zum Alger County, sodass erfreulicherweise dasselbe Police Department dafür zuständig war wie für das Gefängnis in Marquette.

Als wir dort eintrafen, parkten bereits drei der himmelblauen Streifenwagen der Michigan State Police vor dem Haus. Die Kollegen waren noch nicht fertig mit der Spurensicherung. Miss Gallagher stand draußen vor der Tür und rauchte. Es war nicht zu übersehen, dass sie nervös war. Wer wäre nicht nervös, wenn er gerade einen gewalttätigen Sträfling erstochen hatte?

»Können Sie uns bitte erzählen, was sich genau abgespielt hat?«, fragte ich, nachdem ich uns vorgestellt hatte.

»Ja, wenn es denn sein muss.« Es war offensichtlich, dass sie nicht über das reden wollte, was sie erlebt hatte. »Eigentlich habe ich ja Ihren Kollegen schon alles erzählt. Aber ich weiß, dass es mit einer einzigen Vernehmung nicht getan ist.«

»Sie haben mit der Michigan State Police geredet«, sagte Phil.

»Ich habe mit allen geredet, die in dieser Angelegenheit irgendetwas zu sagen haben. Ein Vertreter des Sheriffs ist da gewesen, dann der zuständige Mordermittler der Marquette Police, gleich zwei Spezialisten der Michigan State Police, und ich habe allen dasselbe erzählt. Und jetzt wollen Sie es noch einmal hören.«

Phil nickte. »Wir sind vom FBI. Wir machen uns gerne ein eigenes Bild davon, was sich abgespielt hat.«

»Das verstehe ich«, antwortete sie. Ich hatte das Gefühl, dass sie von der örtlichen Polizei keine besonders hohe Meinung hatte. »Um es kurz zu machen, ich habe ›meinen‹ Ausbrecher, der jetzt tot im Haus liegt, auf dem Michigan Highway M-neun-vier gut zehn Meilen östlich vom Gefängnis mit dem Auto eingesammelt.«

Das verschlug mir den Atem. »Haben Sie nicht gewusst, dass es einer der gesuchten Ausbrecher war?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich wusste gar nicht, dass irgendjemand aus dem Gefängnis ausgebrochen ist.«

»Haben Sie keine Nachrichten gehört?«, hakte ich nach.

»Nein.«

Ich warf ihr einen skeptischen Blick zu.

»Na gut«, gab sie zu, »ich habe geahnt, dass es ein Ausbrecher sein könnte. Ich habe wirklich keine Nachrichten gehört, aber wenn alle paar Minuten ein Streifenwagen vorbeifährt und Hubschrauber in der Luft sind, dann liegt es nahe, dass das irgendetwas mit dem Gefängnis zu tun hat.«

»Aber Sie haben den Mann trotzdem mitgenommen, obwohl Sie geahnt haben, dass er aus dem Gefängnis ausgebrochen sein könnte, und obwohl überall Hinweistafeln stehen, dass man auf keinen Fall Anhalter mitnehmen soll?«, bohrte ich nach. Ich wusste inzwischen, wer der Tote war. Er hieß Lenny Willcox und war wegen mehrfachen Mordes verurteilt, begangen in Ohio und Michigan.

»Ja, das habe ich. Aus Mitleid.«

»Mitleid mit einem Mörder?«

»Mitleid mit einem gejagten Menschen, Inspektor Cotton. Das Leben ist auch nicht immer nett zu mir gewesen, und ich weiß sehr wohl, wie es sich anfühlt, wenn man verzweifelt ist und alle anderen wegsehen. Da habe ich ihn mitgenommen. Ich habe gesagt ›Du kannst dich satt essen und über Nacht bleiben, aber dann musst du verschwinden. Denn die Polizei wird die ganze Halbinsel absuchen, und wenn sie beim ersten Mal keinen Erfolg gehabt hat, dann sucht sie ein zweites Mal.‹ Und er hat gesagt, dass er das weiß und einverstanden ist damit.«

»Was Sie gemacht haben, nennt man Unterstützung eines flüchtigen Strafgefangenen«, stellte ich fest.

Sie zuckte mit den Schultern. »Ja, das mag so sein. Vielleicht werden sie mich dafür einsperren, aber das muss das Gericht entscheiden. Die Höchststrafe beträgt in Michigan dreiundneunzig Tage Haft oder maximal fünfhundert Dollar.«

»Sie kennen sich gut aus«, erwiderte ich.

»Nein, ich hatte keine Ahnung. Ihre Kollegen vom örtlichen Police Department haben mich darüber aufgeklärt.«

»Also gut, Sie haben den Mann zu sich nach Hause genommen«, fuhr ich mit der Befragung fort. »Was ist dann passiert?«

»Erst einmal gar nichts. Er war völlig erschöpft und ausgehungert. Er hat alles gegessen, was ich ihm vorgesetzt habe. Dann hat er gefragt, ob er duschen könne. Natürlich durfte er duschen. Danach ist er ins Bett gegangen und hat sofort geschlafen.«

»Sie haben ein Gästebett, Miss Gallagher?«

»Ich habe kein Gästebett. Er hat sich in mein Bett gelegt und geschlafen. Und als ich gesehen habe, dass er in meinem Bett liegt, habe ich im Wohnzimmer auf der Couch geschlafen.« Sie zog an ihrer Zigarette, stieß den Rauch aus und schwieg.

»Und was geschah dann?«, fragte ich.