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Ich war live dabei, als eine gewaltige Explosion während eines Eishockeyspiels im Stadion der Frisco Bears unzählige Zuschauer in den Tod riss. Das Stadion gehörte inoffiziell der Mafia, die prompt einen Kopfgeldjäger auf den Bombenattentäter ansetzte. Nachdem das FBI in Erfahrung gebracht hatte, dass Lee J. Drake, ein ehemaliger Special Agent, diesen Job übernahm, schalteten Phil und ich uns in die Ermittlungen ein. Denn wir mussten zusehen, den Attentäter aufzuspüren, bevor Drake ihn der ehrenwerten Gesellschaft ausliefern konnte ...
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Mord im Stadion
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Goon«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5921-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Mord im Stadion
Im ausverkauften Eishockeystadion der Frisco Bears, die gegen die Chicago Blackhawks angetreten waren, rumorte es wie in einem überhitzten Druckkochtopf. Ungezügelte Emotionen prallten mit unbeschreiblicher Wucht aufeinander. Die Menge tobte und brüllte sich auf den steilen Rängen die Seele aus dem Leib.
Man hatte dafür bezahlt, dass man hier seinen Gefühlen freien Lauf lassen durfte, und tat dies wild, hemmungslos und leidenschaftlich.
Eishockey war für viele kein Spiel, sondern Krieg. Sie wollten Blut sehen, und sie würden Blut sehen. Aber dieses Mal – ihr eigenes …
Die Bombe war gelegt. Sie würde in Kürze hochgehen und ein schreckliches Blutbad anrichten. Sie sollte so viele Menschen wie möglich in den Tod reißen. Das war der Plan, und er würde mit Sicherheit funktionieren. Die Voraussetzungen hätten nicht besser sein können.
Vorläufig waren die Opfer ahnungslos. Sie waren gekommen, um sich zu vergnügen – und würden einen grausamen Tod finden.
Heißblütig feuerten sie ihre Mannschaft an, fieberten gespannt mit den übers Eis flitzenden Spielern, drückten ihnen die Daumen, wenn es brenzlig wurde, und erfrischten sich zwischendurch mit kalter Coke und gut belegten Hotdogs. Was für ein grandioser Nachmittag.
Aber nicht für alle. Nicht für Randolph und Farley Gill. Die beiden Bombenleger erlebten gerade den Stress ihres Lebens, und Farley, der Jüngere, drohte, daran zu scheitern. Er war achtzehn, sein Bruder neunzehn. Um nicht aufzufallen, hatten sie sich wie irre, total ausgeflippte Ultra-Fans gekleidet: Frisco-Bears-Mütze, Frisco-Bears-T-Shirt, Frisco-Bears-Schal, Frisco-Bears-Sticker … Sie besaßen einfach alles, was es im Fanshop der Heimmannschaft zu kaufen gab. Schließlich lautete das Motto der glühenden Anhänger: Frisco Bears forever!
Farley Gill bekam plötzlich massive Probleme. Seine Nerven streikten. Sie waren doch nicht so stark, wie er geglaubt hatte.
Gewissensbisse begannen, ihn zu plagen. Er schwitzte wie im Dampfbad und bedauerte mit einem Mal all diese ahnungslosen unschuldigen Menschen, die sich hier nur harmlos amüsieren wollten.
Er kannte sie nicht, und sie kannten ihn nicht. Sie hatten ihm nichts getan. Er hatte eigentlich überhaupt keinen Grund, sie zu töten, und doch würden viele von ihnen seinetwegen sterben.
Einige würden sofort tot sein. Andere würden vielleicht noch ein paar Stunden leben und erst dann ihren letzten Atemzug tun. Viele würden einen Arm, ein Bein oder das Augenlicht verlieren. Und das nur, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren.
Das dürfen wir ihnen nicht antun!, dachte Farley Gill in diesem Moment der aufflammenden Vernunft betroffen. So etwas kann unmöglich richtig sein. In wessen Namen auch immer.
Er blieb stehen. Noch konnte er die Katastrophe verhindern. Die Zeit reichte wahrscheinlich nicht mehr, um umzukehren und die Zeitschaltuhr abzustellen, aber er konnte die Menschen warnen. Randolph Gill schien zu spüren, dass sein Bruder nicht mehr hinter ihm war. Er drehte sich um. Farleys schweißnasses Gesicht war weiß wie frisch gefallener Schnee geworden.
»Komm weiter!« Randolphs Ruf ging im Gebrüll der außer Rand und Band geratenen Fans unter.
Farley rührte sich nicht von der Stelle, als hätte er Wurzeln geschlagen.
Randolph hastete zu ihm zurück. »Was ist?«
»Wir dürfen das nicht tun.«
»Wir müssen es tun! Für unsere Brüder im Maghreb. Wir sind ihre Wegbereiter. Verdammt noch mal, mach jetzt nicht schlapp, Farley. Reiß dich gefälligst zusammen!«
»Das sind unschuldige Menschen, Randolph!«
»Denen bist du doch scheißegal. Sie sterben für ein großes Ziel.«
Farley schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht zulassen, Randolph.«
»Wenn du nicht mit mir kommst, gehst du mit diesen Leuten drauf«, schrie Randolph eindringlich. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das wirklich willst.«
»Bombe!«, plärrte Farley Gill plötzlich aus vollen Lungen. »Da ist eine Bombe!«
Niemand hörte es. Randolph stürzte sich auf ihn und hielt ihm den Mund zu. Er zerrte seinen weich gewordenen Bruder mit sich, stieß ihn eine Betontreppe hinunter und folgte ihm. Hinter ihm brach im selben Augenblick die Hölle los. Einem satten Knall, der den gesamten Sektor erschütterte, folgten Panik und Entsetzen.
Körper wurden zerrissen. Blut floss in Strömen. Angst, Chaos und Schrecken griffen um sich, während Randolph von einer heißen Druckwelle erfasst und seinem Bruder hinterhergeschleudert wurde.
Farley erhob sich gerade benommen, als Randolph gegen ihn prallte. Er wäre beinahe noch einmal gestürzt. Eine der Stufen hatte ihm einen Cut geschlagen. Dunkelrotes Blut rann ihm übers Gesicht, das dadurch wie eine gruselige Halloweenmaske aussah.
Randolph sprang auf. Farley hielt sich die Ohren zu, um die fürchterlichen Schmerzensschreie der Verletzten nicht zu hören. Randolph packte ihn am Arm und rannte mit ihm los. Da waren auf einmal Cops.
»Halt! Stehen bleiben!«, riefen sie, während sie zu ihren Waffen griffen.
Farley Gill riss sich von seinem Bruder los und blieb tatsächlich stehen. Als er sich überhastet umdrehte, schienen die Uniformierten irgendetwas falsch zu verstehen. Sie schossen auf ihn.
Er zuckte und zappelte bei jedem Treffer, als würde er heftig erschrecken, riss die Arme unkontrolliert hoch, machte zwei unsichere, tappende Schritte zur Seite und brach dann tot zusammen …
Wie Randolph Gill die Flucht gelang, vermochte er hinterher selbst nicht mehr genau zu sagen. Ein magerer grauhaariger Stadionordner stellte sich ihm mutig in den Weg und wollte ihn stoppen. Gill streckte ihn in vollem Lauf mit einem wuchtigen Faustschlag nieder, verließ das Stadion und rannte so lange blindlings weiter, bis ihn die Kräfte verließen. Ausgepowert ging er in irgendeiner engen Sackgasse in die Knie, keuchte, hustete und spuckte. Während die Cops alles unternahmen, um seiner habhaft zu werden, entledigte er sich in fieberhafter Eile all dessen, was ihn optisch zum Ultra-Fan der Frisco Bears gemacht hatte.
Er warf das ganze Zeug, das ihm in Wahrheit nicht das Geringste bedeutete, in einen großen Müllcontainer und setzte seine Flucht unerkannt und unbehelligt fort. Abgrundtiefer Hass brannte in seiner Brust. Sie hatten ihm seinen Bruder genommen.
Sie haben dich wie einen räudigen Köter über den Haufen geschossen, Farley, dachte er. Das verzeihe ich ihnen nie. Ich werde deinen Tod rächen, Bruder, das verspreche ich dir! Er seufzte schwer. Irgendwo heulten Polizeisirenen, und zwei Krankenwagen rasten an ihm vorbei.
Ich hätte wissen müssen, dass du zu weich für diesen Job bist, dass dir die nötige Härte fehlt. Vielleicht hätte ich mehr Überzeugungsarbeit leisten und dich gründlicher radikalisieren müssen, fuhr er in Gedanken fort. Aber, alles in allem, waren wir ein verdammt gutes Team. Wir hätten noch vieles bewegen können. Leider sollte es nicht sein. Wo immer du jetzt bist, Farley, mach’s gut. Du wirst mir fehlen. Ich vermisse dich jetzt schon.
***
Ich war dabei, als die Bombe hochging. Allerdings nur via Fernsehen. Mir wäre das dreieckige Pizzastück, in das ich gerade beißen wollte, beinahe aus der Hand gefallen, als zwischen den grölenden, hüpfenden und Fähnchen schwingenden Ultra-Fans der Frisco Bears ein Rauchpilz aufstieg. Die gewaltige Explosion schleuderte die Zuschauer wie Schaufensterpuppen auseinander.
Jene, die im Zentrum der Detonation standen, verloren augenblicklich ihr Leben. Andere brachen schwer verletzt zusammen.
Es spielten sich schreckliche Szenen ab, und die Kamera hielt unentwegt brutal drauf, anstatt taktvoll wegzuschwenken.
Aber auch die Regie reagierte nicht, zeigte kein anderes Bild oder stieg überhaupt aus der Übertragung aus. Alle schienen vom Schock gelähmt zu sein und nicht fassen zu können, was passiert war.
Ich legte das warme, mit würziger Salami belegte Pizzastück in den Karton zurück. Mir war der Appetit gründlich vergangen, obwohl ich viele Flugmeilen vom Ort des Geschehens entfernt war. Ich war weder ein Anhänger der Chicago Blackhawks noch ein Fan der Frisco Bears, hatte nur ein spannendes Spiel sehen, mich an Ladislav Sameks eleganter, ausgefeilter Stocktechnik und der beispiellosen Raffinesse, mit der er den Puck zu führen verstand, erfreuen wollen – und was war daraus geworden?
Das Telefon läutete. Ich wischte meine linke Hand an der rechten ab, nahm die Fernbedienung, schaltete den Fernseher leiser, stand auf, griff nach dem Hörer und meldete mich. Am anderen Ende war Phil.
»Siehst du das, Jerry?«, rief er aufgeregt.
»Meinst du das Attentat in San Francisco?«
»Du wolltest dir das Spiel ansehen.«
»Habe ich auch getan.«
»Ich ebenfalls«, sagte Phil. »Meine Güte. Sie reden von Dutzenden Toten. Grauenvoll. Hoffentlich kriegen sie den oder die Täter.«
»Das werden sie«, erwiderte ich zuversichtlich.
»Weißt du, woran mich der Anschlag erinnert?«, fragte Phil. »An dieses abscheuliche Verbrechen beim Boston Marathon.«
»Das kam mir vorhin auch in den Sinn.«
»Verdammt, Jerry«, entrüstete sich Phil mit berechtigter Verbitterung, »es vergeht fast kein Tag mehr, an dem nicht irgendwo auf der Welt eine Bombe hochgeht, Menschen mit Lastwagen überfahren oder öffentlich abgeschlachtet werden.«
Wir ahnten zu diesem Zeitpunkt nicht, dass dieser Terroranschlag in San Francisco bald unser neuer Fall sein würde.
***
Sie hatten sich im Darknet radikalisiert und mit einer im Maghreb ansässigen Terrorzelle verbunden gefühlt. Man hatte ihnen eine Bombenbauanleitung zugespielt, und sie hatten tagelang die einzelnen Elemente zusammengetragen. Einiges hatten sie sogar ganz offiziell bei internationalen Versandhäusern bestellt und von ahnungslosen Boten ins Haus geliefert bekommen.
Sobald sie alles beisammengehabt hatten, hatten sie mit dem Bau der Bombe begonnen, und Farley hatte sich dabei äußerst geschickt angestellt.
Er hatte von uns beiden das bessere technische Verständnis, dachte Randolph Gill, während er wehmütig ein gerahmtes Foto betrachtete, das ihn mit seinem Bruder zeigte.
Das Selfie war unten am Pier entstanden. Im Hintergrund war unscharf im trüben Nebel Alcatraz zu sehen. Übermut hatte damals vor allem in Farleys Augen gefunkelt. Und nun war er tot.
Randolph schleuderte das Bild auf den Boden und trampelte wütend darauf herum. Er hatte nicht viel Zeit, war nach Hause gelaufen, um schnell Bargeld und ein paar Sachen einzupacken und belastendes Material zu vernichten. Er löschte Dateien auf dem Laptop, zerriss Ausdrucke, Briefe, Skizzen und Pläne, rannte mit einem Benzinkanister durchs Apartment, bespritzte Möbel, Wände und Vorhänge mit Treibstoff, damit nachher alles schön brennen würde.
So war das nicht geplant gewesen. Wenn Farleys Nerven nicht schlappgemacht hätten, hätten sie das Eishockeystadion unbemerkt verlassen, und niemand wäre auf die Idee gekommen, sie mit der Explosion in Verbindung zu bringen. Aber nun war Farley tot, und es würde mit Sicherheit nicht lange dauern, bis die Cops hier antanzen würden.
Bis dahin muss ich mich abgesetzt haben, dachte Randolph Gill hektisch. Und die Bude muss abgefackelt sein.
Er trug die pralle Reisetasche mit seinen Habseligkeiten hinaus auf den Flur, kehrte noch einmal um und legte das Feuer.
Die Wohnung stand binnen weniger Augenblicke im Vollbrand. Gill hastete die Treppe hinunter, warf die Reisetasche in den Kofferraum eines weißen Honda Civic Type R, den er mit Farley erst vor einigen Wochen gekauft hatte, und fuhr los. Ihm war klar, dass er den Wagen nicht behalten durfte, aber vorläufig hoffte er, sich im Honda noch sicher fühlen zu dürfen. Er ließ das Radio laufen, schaltete die Sender durch.
Man berichtete auf nahezu allen Kanälen von dem »verabscheuungswürdigen« Attentat, zu dem sich bislang noch niemand bekannt hatte.
»Wir waren es!«, brüllte Randolph Gill gehässig gegen die Windschutzscheibe. »Farley und ich. Die Gill-Brüder, ihr Arschgeigen!« Es war von dreißig Toten, ebenso vielen Schwerverletzten und noch einmal so vielen Leichtverletzten die Rede. »Bam!«, schrie Gill begeistert. »Das hat gesessen. Das tut weh, was? Wir haben einen Volltreffer gelandet, sind Helden. Mitten in eure grottenhässliche Kapitalistenfresse haben wir euch einen Schlag verpasst, der euch noch lange schmerzen wird. Das war unsere Absicht. Vielleicht wird bald wieder irgendwo eine Bombe hochgehen. In einem Konsumtempel, in einem vollbesetzten Musicaltheater oder während eines groß aufgezogenen Wohltätigkeitsevents. Wer weiß? Es ist überall denkbar.«
Ihm kam ein Streifenwagen entgegen. Er nahm sofort den Fuß vom Gas. Bloß nicht auffallen, sagte er sich. Du musst ganz brav sein und alles richtig machen, damit diese uniformierten Hohlköpfe nicht auf die Idee kommen, dich anzuhalten. Er fuhr nicht zu schnell und nicht zu langsam, überholte nicht und behielt das Einsatzfahrzeug gewissenhaft im Auge. Erst als es nicht mehr zu sehen war, nahm er wieder Fahrt auf, und er überlegte sich zum ersten Mal, wohin die improvisierte Reise eigentlich gehen sollte.
***
Das Eishockeyspiel wurde selbstverständlich abgebrochen, und da sie schon vor Ort waren, wurden die Sportberichterstatter zu Sensationsreportern. Das Nachrichtenstudio schaltete zwischen ihnen hin und her, und jeder erzählte, was man ihm an neuen Fakten zugetragen hatte, während er nicht im Bild gewesen war. Die Berichte strotzten vor Mutmaßungen, Fehleinschätzungen, Halbwahrheiten und Verdächtigungen.
Man holte den Stadionsprecher, einige Spieler und Barney Baxter, den Coach der FriscoBears, vors Mikrofon. Ladislav Samek, der gut aussehende Star der Bears, sagte mit tschechisch gefärbtem Akzent, er sei geschockt und hoffe, dass diese grausame Wahnsinnstat nicht ungesühnt bleibe.
Auch Eric Corman, der reiche Sponsor der FriscoBears, kam zu Wort. Er war selbst einmal ein gefeierter Eishockeystar gewesen und konnte es sich heute leisten, die Bears mit seinem vielen Geld großzügig zu unterstützen. Wie er so wohlhabend geworden war, war nur ihm und einigen wenigen Auserwählten bekannt.
Wie jedermann weiß, fließt Geld nicht immer für jeden sichtbar an der Oberfläche. Es gibt auch weitaus ergiebigere unterirdische Quellen und Ströme, über die man besser nicht spricht.
»Ich habe vorhin gehört, dass die Bombenleger zu zweit waren«, schrie Eric Corman, ein gut gekleidetes Schwergewicht um die vierzig, aufgebracht ins Mikrofon. »Einen haben die Cops erschossen. Ich sage: Bravo! Und ich sage auch ganz ehrlich, dass ich angesichts des schrecklichen Blutbads, das sie angerichtet haben, auch dem zweiten den Tod wünsche. Der Bastard verdient keine faire Gerichtsverhandlung. Auge um Auge, Zahn um Zahn!«
Mehr Mikros reckten sich ihm entgegen.
»Wenn ich wüsste, wo der Dreckskerl im Moment steckt, würde ich zu ihm gehen und ihm höchstpersönlich eine Kugel in seinen blöden Terroristenschädel schießen. Solche herzlosen Bestien haben kein Recht, zu leben. Die gehören ausgelöscht, eliminiert, vernichtet. Alle. Alle! Sollten die Behörden dazu nicht imstande sein, müssen wir eben selbst zur Waffe greifen und dafür sorgen, dass unser Land von diesem widerlichen Ungeziefer befreit wird, damit wir anständigen Bürger keine Angst mehr zu haben brauchen und uns wieder sicher fühlen dürfen.«
Er rief in aller Öffentlichkeit dazu auf, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen, und das fand ich überhaupt nicht in Ordnung, weil dabei so mancher zu Unrecht Verdächtigte einem irreversiblen Irrtum zum Opfer fallen konnte.
»Leute, lasst den Job jene tun, die davon etwas verstehen«, murmelte ich, klappte den Pizzakarton zu, trug ihn in die Küche, kehrte ins Wohnzimmer zurück und schenkte mir einen Scotch ein, während auf dem Bildschirm blutverschmierte, unter Schock stehende Leichtverletzte gezeigt wurden, die stammelnd schilderten, was sie erlebt hatten.
Einer dankte mit theatralisch erhobenen Händen lautstark seinem gnädigen Schöpfer dafür, dass er ihm das Schlimmste erspart hatte.
Ich dachte an die Kollegen in Kalifornien und speziell an diejenigen, die in San Francisco Tag für Tag ihren harten Job erledigten.
Von ihnen wurde jetzt, wie immer in solchen Fällen, erwartet, dass sie Wunder wirkten. Sie hatten schnellstens den zweiten Bombenleger zu finden und so medienwirksam wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Sollte ihnen das nicht gelingen, war zu befürchten, dass das eintreten würde, was Eric Corman zornig ins Mikrofon geschrien hatte. Da kam eine Menge Stress auf sie zu.
Ich hörte mir noch an, was der Bürgermeister von San Francisco zu sagen hatte. Er mahnte die Menschen zur Besonnenheit und versprach, dass der zweite Täter schon bald gefasst werden würde.
Vermutlich handelte es sich dabei um eine der vielen leeren Worthülsen, die man, wie immer nach solchen Attentaten, zu hören bekam.
Voller Trotz und Groll hieß es, man werde sich keinesfalls vom Terror einschüchtern oder gar unterkriegen lassen, sondern genauso furchtlos weiterleben wie bisher.
Hört sich gut an, dachte ich düster, und ist leicht dahergeredet, aber unterschwellig macht sich in allen die Angst breit. Das kann niemand verhindern.
Ich schaltete den Fernseher aus, trank einen Schluck Scotch und griff nach einem dicken bunten Motormagazin, um mich auf andere Gedanken zu bringen, doch das schaffte ich nicht. Sie kehrten immer wieder nach San Francisco zurück.
***
Als die zuständigen Behörden zweiundsiebzig Stunden nach dem Anschlag immer noch keine zufriedenstellenden Ergebnisse vorweisen konnten, begann es, in San Francisco gehörig zu rumoren.
Enttäuschung, Ärger und Unzufriedenheit machten sich breit. Die von den Medien aufgewiegelte Volksseele fing gefährlich zu kochen an. Der Ruf nach einem vorzeigbaren Ermittlungserfolg wurde immer lauter. In mir erwachte so ein Gefühl.
Ich meinte, zu ahnen, was das zur Folge haben würde, und genau so kam es. Der Fall wurde Phil und mir übertragen. Wir sollten das Kunststück fertigbringen, das unsere Kollegen nicht geschafft hatten.
Also packten wir unsere Koffer und flogen an die Westküste. Wir landeten bei strahlendem Sonnenschein und postkartenblauem Himmel in San Francisco.
Ein junger Kollege mit guten Manieren, tipptopp gekleidet und bestens rasiert, holte uns ab und brachte uns zum FBI Field Office in der Golden Gate Avenue. Er war ein Meister des angenehmen Smalltalks, und deshalb wurde es eine kurzweilige Fahrt.
In einem gut klimatisierten Konferenzraum erfuhren wir während einer langen Besprechung mit jenen Kollegen, die maßgeblich an der bisherigen Ermittlungsarbeit beteiligt gewesen waren, alles, was im Moment an Ergebnissen vorlag. Schwarzer Kaffee floss in Strömen.
Wir wurden so umfassend informiert, dass wir zum Schluss genauso viel wussten wie jeder im Raum. Demnach war der Anschlag von zwei Brüdern namens Randolph und Farley Gill verübt worden.
Farley Gill war von Cops erschossen worden – wir sahen von einem Beamer auf eine weiße Wand projizierte Fotos von seiner Leiche –, seinem Bruder war die Flucht gelungen.
Man hatte Randolph Gills Verkleidung zum Ultra-Fan der FriscoBears in einer Mülltonne unweit des Eishockeystadions gefunden.
Er hatte kurz nach dem Attentat das gemeinsame Apartment in Brand gesetzt, die Flammen hatten aber keinen allzu großen Schaden angerichtet, weil die von den Nachbarn alarmierte Feuerwehr zu schnell zur Stelle gewesen war.
Dadurch konnte wichtiges Beweismaterial sichergestellt werden. Die Kollegen hatten in mühevoller Kleinarbeit zerrissene Briefe, Folder, Rechnungen, Zahlungsbelege und Empfangsbestätigungen zusammengesetzt und die gelöschten Dateien mithilfe einer speziellen Rescue-Software wiederhergestellt.
Es stand fest, dass die Täter Kontakt zu einer Terrorzelle im nordafrikanischen Raum gehabt und sich als deren verlängerter Arm und Wegbereiter gesehen hatten. Sie hatten aus dieser Region auch mehrmals von dubiosen Scheinfirmen Geld überwiesen bekommen.
Wenige Stunden nach dem Anschlag war der Wagen der Brüder, ein weißer Honda Civic Type R, von der Besatzung eines Streifenwagens auf einem Supermarktparkplatz entdeckt worden. Von Randolph Gill fehlte jede Spur. Niemand wusste, wohin er sich abgesetzt hatte. Theoretisch konnte er auch das Land verlassen haben.
Wir bekamen einen unscheinbaren USB-Stick, auf dem Zahlen, Daten, Fakten, Fotos, Namen, Adressen, Telefonnummern, Videoaufzeichnungen und dergleichen mehr gespeichert waren. Ganz besonders interessant wurde das Meeting für uns, als zur Sprache kam, dass das Eishockeystadion inoffiziell der ehrenwerten Familie gehörte und maßgebliche Figuren in der oberen Cosa-Nostra-Etage wegen des Anschlags mächtig sauer waren.