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Auf einem Abbruchgelände in San Francisco wurde ein Junkie Zeuge eines hinrichtungsartigen Mords. Das Opfer war Fred Karner, Mitglied der OA, der Operation Apokalypse, einer Terrorbewegung von Anarchisten, die glaubten, das Ende der Welt durch Anschläge herbeiführen zu können. Sofort nahmen Phil und ich die Ermittlungen auf und fanden Pläne zu einem Attentat, das offenbar kurz bevorstand. Während wir an der Authentizität der Unterlagen zweifelten, überschlugen sich die Ereignisse, und wir mussten erkennen, dass wir mitten in eine tödliche Falle geraten waren!
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Ich und die Anarchisten
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Point Blank«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6427-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Ich und die Anarchisten
Marvin quetschte sich durch die enge Lücke im Bauzaun und huschte über das nächtliche Abbruchgelände. Kühler Wind brachte Seegeruch von der Bay herüber, an deren Ufer das Industriegebiet im Südosten von San Francisco angrenzte.
Marvin fröstelte, aber nicht wegen der Kälte. Er brauchte unbedingt einen Schuss. Und in dem Abbruchhaus war Stoff versteckt. Er tauchte in das Gebäude ein und lief durch die dunklen Gänge. Er kannte sich hier aus.
Vor Schreck blieb er stehen, als er das Licht sah. Auf dem Grundstück parkte ein Wagen mit eingeschalteten Scheinwerfern. Verdammt, den hatte er von vorne nicht gesehen!
Daneben waren dunkle Gestalten zu erkennen. Eine Person kniete auf dem Boden. Es war ein Mann. Er rief irgendetwas. Eine andere zielte mit einer Waffe auf ihn. Dann peitschte der Schuss …
Erschrocken warf sich Marvin auf den schmutzigen Boden. Sein Herz schlug wild. Dumpf hörte er die Stimmen der Leute. Was sie sagten, war kaum zu verstehen. Doch da kam ein klarer Satz.
»Ich glaube, er hat uns gesehen. Da hinten in dem Haus.«
Im selben Moment leuchtete eine helle Lampe herein.
Marvin sprang auf. Raus hier!
Reste von Putz lagen in Haufen herum, dazwischen irgendwelcher Schrott, den die Bauarbeiter zurückgelassen hatten. Marvin erreichte stolpernd das Freie und duckte sich. Gut zehn Yards vor ihm befand sich der Bauzaun. Dahinter lag die Straße, die durch das Industriegebiet führte. Und diese Straße war bestens beleuchtet. Und um diese Zeit menschenleer. Er würde ein wunderbares Ziel abgeben.
Von seinen Verfolgern war nichts mehr zu hören. Marvin hoffte, sie würden ins Auto steigen, wegfahren und ihn in Ruhe lassen. Er würde sich seinen Stoff aus dem Versteck holen. Etwas nehmen und dann eine weitere Portion, um sie oben im Norden an den Docks zu verscheuern. Und anschließend würde er sich hier drei Wochen nicht mehr blicken lassen. Mindestens!
Er drückte sich in eine Ecke, in der sich Plastiksäcke häuften. Sie stanken nach Müll.
Nein, das geht nicht, überlegte er weiter. Wenn du so lange nicht herkommen kannst, musst du alles mitnehmen. Und du brauchst ein neues Versteck …
Der Bauzaun wurde zur Seite gerissen. Wieder traf Marvin das helle Licht.
»Du solltest nicht hier sein«, sagte eine kalte Männerstimme. Schemenhaft war zu erkennen, wie der Angreifer eine Waffe hochnahm.
Marvin versuchte, aufzuspringen, aber die Säcke behinderten ihn. Ein Schuss knallte, die Kugel schlug dicht neben Marvins Kopf in die Mauer.
Der Mann fluchte. Marvin gelang es endlich, hochzukommen. Er rannte in die dunklen Schatten auf der anderen Seite. Er folgte dem Zaun über die gesamte Länge des Gebäudes, das bis zur nächsten Querstraße reichte. Marvin hatte keine Wahl. Er musste auf die hell erleuchtete Trasse. Vielleicht würde man dort nicht wagen, auf ihn zu schießen. Vielleicht fand er sogar jemanden, der ihm half.
Und wovon träumst du nachts?, fragte er sich selbst, als er durch das niedrige Gebüsch preschte, das ihn von der Straße trennte. In dieser Gegend hilft dir überhaupt niemand. Es sei denn, die Cops kommen gerade vorbei. Aber selbst viele Polizeibeamte mieden das Gebiet. Abgesehen davon konnte er die Polizei gerade gar nicht gebrauchen.
Marvin rannte die schnurgerade Straße entlang, ohne sich umzublicken. Links und rechts reihten sich niedrige Gebäude von irgendwelchen Firmen aneinander. Gelegentlich sah er parkende LKW. Die gaben vielleicht ein gutes Versteck ab. Er konnte sich unter eines dieser Fahrzeuge legen. Natürlich musste er aufpassen, dass er im Morgengrauen, wenn die Fahrer ihre Tour antraten, weg war.
Er erreichte eine Kreuzung, rannte mit letzter Kraft weiter. Plötzlich kam von rechts ein Fahrzeug. Bremsen quietschten. Eine Stoßstange gab ihm einen harten Stoß in die rechte Seite. Marvin knallte auf den Asphalt.
Einen Moment lang war er benommen, dann sah er, wie sich zwei Männer über ihn beugten.
»He, alles in Ordnung?«, fragte der eine.
Marvin richtete sich vorsichtig auf. Die Schulter tat ihm weh.
»Sind Sie verletzt?«
In der Richtung, aus der Marvin gekommen war, glaubte er, eine menschliche Gestalt zu sehen. Weit hinten. Nein, er hatte sich getäuscht. Vorsichtig stand er auf.
»Ich bin nicht verletzt«, antwortete er. »Aber … ich brauche Hilfe.«
Der Schreck fuhr ihm in die Glieder. Er stand vor einem Streifenwagen der San Francisco Police. Die beiden Männer waren Polizisten. Einer ein Latino, der andere ein Farbiger.
Marvin wollte weglaufen, aber der Latino hielt ihn fest. »He, nicht so schnell. Erst heißt es, du brauchst Hilfe, und jetzt willst du wegrennen?« Er sah Marvin abschätzig an. »Schauen wir erst mal, ob nicht vielleicht du die Gefahr bist.«
Marvin wurde zum Auto gebracht und von dem zweiten Polizisten in Sekundenschnelle durchsucht.
»Da haben wir ja schon mal was«, sagte der Farbige mit tiefer Stimme und hielt das Päckchen Shit in der Hand, das Marvin in der Tasche gehabt hatte. »Immerhin keine Waffen«, klärte er seinen Kollegen auf. »Dafür Drogen. Der Junge ist ein Dealer, da gehe ich jede Wette ein. Wahrscheinlich hat er in der Gegend ein Versteck.«
Der Latino nickte nachdenklich. »Zeig uns besser, wo du dein Zeug hast, Junge. Das hilft dir nämlich beim Haftrichter, vor dem du gleich stehen wirst. Wir kennen da einen, der schiebt immer die Nachtschichten.«
In Marvin flackerte Panik auf. »Ich habe nichts gemacht«, rief er. »Ich war nur unterwegs. Und auf einmal hab ich gesehen, wie sie da hinten jemanden erschossen haben. Da bin ich weggerannt.«
Die beiden Cops warfen sich einen vielsagenden Blick zu. »Soso, erschossen, sagst du?«, brummte der Latino und griff routinemäßig nach den Handschellen.
Eine Sekunde später spürte Marvin das kalte Metall an den Handgelenken. »Es ist die Wahrheit«, jammerte er. »Da ist ein Mord passiert.«
»Und wo genau soll das gewesen sein?«, fragte der Latino.
Marvin wurde klar, dass er in der Falle saß. Wenn er ihnen den Ort zeigte, führte er sie in die Nähe des Verstecks. Wenn nicht, würden sie ihm erst recht nicht glauben.
Der Kollege ging zum Wagen und sprach über Funk mit der Zentrale. Nach einer Minute kam er zurück.
»Wenig los im Moment«, meinte er und grinste Marvin an. »Du kriegst eine Chance, Junge. Zeig uns die Stelle.«
Also gut, dachte Marvin. Sie würden ihn ohnehin wegen der Drogen drankriegen. Vielleicht nützte es ihm, wenn er half, einen Mord aufzuklären. Wohl war ihm dabei aber immer noch nicht. Hatten ihn die Mörder erkannt? Würden sie ihn finden, wenn er eine Aussage machte? Und ihn ebenfalls töten? Egal, ihm blieb nichts anderes übrig.
Er nickte den Cops zu. Sie schoben ihn auf den Rücksitz und schlossen die Handschellen an. Etwa drei-, vierhundert Yards ging es die Illinois Street entlang.
»Hier«, sagte Marvin. Er lotste den Streifenwagen durch eine weitere Querstraße bis zum Bauzaun. Das Gebäude, in dem er sich versteckt hatte, ragte als dunkler Kasten in den Himmel. Daneben erstreckte sich ein Stück Brachland. Das Auto war verschwunden.
»Du hast zwei Minuten«, knurrte der Latino, als er die hintere Tür öffnete. »Die Handschellen bleiben dran.«
Marvin stieg aus und ging los. Die Cops blieben hinter ihm. In der Mitte des Grundstücks blieben sie stehen.
»Hier hat das Opfer gekniet«, erklärte Marvin.
Der Dunkelhäutige hatte eine Taschenlampe dabei und leuchtete. Es war nichts zu sehen außer plattgefahrener Erde und ein paar Pfützen.
»Und wo ist das Opfer jetzt?«, fragte er.
»Woher soll ich das wissen?«, erwiderte Marvin.
»Ich glaube, dass du uns hier nur hinhalten willst«, meinte der Latino. »Wir bringen dich jetzt besser endlich dahin, wo du hingehörst. In den Knast.« Er packte Marvin am Arm.
»He, warte mal«, rief der andere Polizist plötzlich. Er leuchtete auf eine Stelle, die etwa zehn Yards entfernt lag. Dort gab es eine kleine dunkle Pfütze.
Der Cop gab seinem Kollegen die Lampe, holte ein paar Latexhandschuhe aus der Tasche und legte den Finger in die dunkle Flüssigkeit. Gemeinsam betrachteten die Cops das Ganze im Licht.
»Wow«, sagte der Latino. »Der Junge könnte recht haben. Soweit ich das beurteilen kann, ist das Blut.«
***
Ich träumte gerade von einem Urlaub auf Hawaii, als sich das angenehme Meeresrauschen im Sonnenlicht unter dem blauen Himmel in das hässliche Geräusch eines Telefonklingelns verwandelte.
Während die Urlaubsbilder in sich zusammenfielen, ließ mich mein Unterbewusstsein zum Handy greifen, das auf dem Nachttisch lag.
»Cotton«, murmelte ich schlaftrunken.
»Guten Morgen, Jerry«, begrüßte mich die ruhige, vollkommen wache Stimme von Mr High. »Es tut mir leid, aber Ihre Nachtruhe ist zu Ende.«
Schlagartig war ich wach und blickte zur Uhr. Es war kurz vor halb fünf.
»Guten Morgen, Sir«, sagte ich. »Was ist passiert?«
»Ein Wagen ist zu Ihnen unterwegs, Jerry. In anderthalb Stunden geht Ihr Flieger. Bitte machen Sie sich fertig. Ich gebe Ihnen weitere Instruktionen, wenn Sie im Wagen sitzen. Am Flughafen treffen Sie Phil. Ich habe ihn ebenfalls wecken lassen.«
»Wo geht es denn hin, Sir?«
»San Francisco.«
Der Assistant Director des FBI unterbrach die Verbindung. Routinemäßig traf ich meine Vorbereitungen. San Francisco war der Inbegriff von Kalifornien, und viele verbanden die Stadt mit wohliger Wärme. Darin konnte man sich jedoch böse täuschen. Im Frühjahr wehte oft ein ziemlich kühler Wind von der Bay her.
Ich hatte gerade meinen Mantel vom Haken genommen, da klingelte es schon in meinem Apartment. Ich begrüßte den Fahrer, den ich von der Fahrbereitschaft im Hauptquartier bereits kannte.
Kaum waren wir losgefahren, rief ich Mr High zurück. Ich brauchte gar nicht zu überlegen, wo ich ihn erreichte. Natürlich im Büro. Auch wenn es Viertel vor fünf am Morgen war.
»Ich bin bereit für Ihre Anweisungen, Sir«, meinte ich.
Der Chef kam gleich zur Sache. »Wir haben einen Hinweis erhalten, dass ein gewisser Fred Karner in San Francisco aufgetaucht ist. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Nein, Sir«, gab ich offen zu.
»Rufen Sie später von unterwegs die Informationen aus der CJIS ab«, erwiderte er. »Aber ich gebe Ihnen eine Zusammenfassung: Karner gehört zur sogenannten OA. Die Abkürzung steht für Operation Apokalypse«.
Da klingelte etwas bei mir. »Das ist eine Terrorbewegung, richtig?«
»Ganz genau, Jerry. Eine etwas diffuse Gruppe von Anarchisten, die glaubt, durch Anschläge das Ende der Welt herbeiführen zu können.«
»Das Ende der Welt, Sir?«
Mr High seufzte. »Das Ende der menschlichen Gesellschaft. Für einen Neuanfang, in dem die Starken ihre Stärken wirklich nutzen können und sich von den Schwachen befreien.«
Ich räusperte mich. Das verstand ich immer noch nicht.
»Ja, ich weiß, es klingt verrückt, Jerry«, fuhr Mr High fort. »Und das ist es auch. Aber unsere Aufgabe besteht nicht darin, die wirren Theorien dieser Terrorgruppen zu verstehen. Es ist unsere Pflicht, zu verhindern, dass sie Straftaten begehen.«
»Wie ist die Art der Bedrohung?«, wollte ich wissen.
»Die Gruppe hat in den letzten Jahren Geld gesammelt«, erklärte der Assistant Director. »Und das natürlich nicht auf legale Weise, sondern mit Raubüberfällen und Internetbetrug. Einmal haben sie sogar einen Geldkurier überfallen, der in einem neutralen Wagen unterwegs war. Das Auto hat bei der Verfolgungsjagd Feuer gefangen, und der Fahrer ist darin verbrannt.«
Das war starker Tobak. »Was wissen wir über die OA, Sir?«, fragte ich.
»Leider gibt es eine Menge, was wir nicht wissen«, gab der Chef zurück. »Zum Beispiel wissen wir nicht so richtig, wer dazugehört. Einiges haben wir über die digitalen Netzwerke erfahren können, mit denen die Gruppe ihre Betrügereien organisiert. Letztlich kann man ihren Angehörigen aber wenig oder nichts nachweisen. Sicher ist aber, dass einige Sprengstoffanschläge auf das Konto der OA gehen. Zuletzt gab es einen Versuch in New York, der jedoch vereitelt werden konnte. Das Schwierige ist, dass die Gruppe keine Bekennerschreiben verfasst. Anders als bei anderen Organisationen geht es ihr nur um die Wirkung, die Verunsicherung. Nicht darum, als Organisation bekannt zu werden. Daher können wir bei manchen ihrer Verbrechen noch nicht einmal genau sagen, ob sie tatsächlich auf ihr Konto gehen.«
»Aber diesen erwähnten Karner kennen wir?«, brachte ich die Unterhaltung auf den Anfang zurück.
»Ganz genau, Jerry. Er war unter anderem an Banküberfällen beteiligt, die wir der OA zuordnen konnten. Und es gehen noch weitere Straftaten auf sein Konto. Das steht alles in den Datenbanken.«
»Wie können wir ihn fassen?«, erkundigte ich mich. »Ich meine, wo wurde er gesehen? Wenn wir ihn verhaften, hätten wir einen perfekten Ansatzpunkt. Sicher kann er uns einiges über die Organisation sagen.«
»Das wird leider nicht zu machen sein«, meinte Mr High bedauernd.
»Aber schicken Sie uns nicht deswegen nach Kalifornien? Um ihn zu finden und Anschläge zu verhindern?«
»Karner ist tot, Jerry. Er wurde auf einem Gelände im Südosten von San Francisco erschossen. Die Polizei fand Blutspuren, die wir über einen DNA-Test zuordnen konnten. Und jetzt kommen wieder unsere Wissenslücken ins Spiel. Wir wissen nicht, wer ihn umgebracht hat. Zeuge ist ein Junkie, der auch als Dealer arbeitet und zufällig in der Nähe war. Sie sollen herausfinden, wer Karner getötet hat und warum. Und natürlich müssen wir den nächsten Anschlag verhindern, von dem wir glauben, dass er sich in der Gegend von San Francisco ereignen könnte.«
»Wir, Sir?«
Ich konnte mir genau vorstellen, wie Mr High lächelte, als er sagte: »Nein, Jerry. Ich muss mich korrigieren. Ich meine natürlich Sie. Und Phil. Viel Glück Ihnen beiden.«
***
So früh am Morgen herrschte auf dem Highway 267 wenig Verkehr. Wir erreichten den Airport Dulles in knapp einer Dreiviertelstunde.
Phil stand am Check-in. Blass wie ein Pancake und mit Augen so winzig wie Stecknadelköpfe. Er nippte an einem Kaffeebecher.
»Ich habe überhaupt nicht geschlafen«, sagte er mit kratziger Stimme. »Ich war gerade eine halbe Stunde zu Hause, als Mister High anrief.«
»Und mir hat er gesagt, er hätte dich geweckt«, erklärte ich grinsend.
Phil fasste sich an den Kopf. »Ich war mit April unterwegs. Erst haben wir gegessen. Dann hat sie mich in so einen Tanzschuppen geschleppt, und da fand sie gar kein Ende mehr. Zum Glück war sie mir nicht böse, als ich sie nach Hause schicken musste.«
»Du meinst, April war bei dir, als der Anruf kam?«, fragte ich.
»Nicht nur das«, meinte Phil mit Bedauern in der Stimme. »Er rief gerade in dem Moment an, als … Ach, reden wir nicht mehr davon.«
»Das ist wahrscheinlich das Beste«, gab ich zurück.
Er trank den Kaffee aus. Wir kamen an die Reihe. Unsere Tickets lagen bereit. Außerdem die Sondergenehmigung, Waffen mitzunehmen, die im Flugzeug während der Reise eingeschlossen wurden.
Der Sicherheitsbeamte beäugte Phil misstrauisch, als er dessen Ausweis inspizierte. Wahrscheinlich sah mein Partner dem Foto auf der Karte gerade nicht besonders ähnlich. Außerdem vermittelte er nicht den frischen Eindruck, den man wahrscheinlich von FBI-Agents erwartete.
Während wir durch die Schleuse gingen, rief ich die Informationen über Kerner ab, die ich brauchte, um Phil ins Bild zu setzen.
»Wir haben sechs Stunden«, sagte ich anschließend. »Wenn ich dir erklärt habe, worum es geht, kannst du noch ein kleines Schläfchen machen.«
***
Der Sonnenaufgang über der Bay war eines der schönsten Dinge, die man sich vorstellen konnte. Und wenn eines Tages die natürliche Ordnung allen Lebens wiederhergestellt war, würde es noch viel mehr von diesen schönen Dingen geben.
In einer Welt, in der Gleichgewicht herrschte. In einer Welt, in der das Schwache ausgemerzt und das Starke sein natürliches Recht wiedererlangt haben würde. In einer Gesellschaft, wo es keine sozialen Parasiten mehr gab. Keine Schmarotzer, die sich jede Kleinigkeit an Wohlstand von denen nehmen wollten, denen er eigentlich zustand. In einer Welt voller Harmonie.
Die Welt war von Natur aus harmonisch, man musste nur die Schmutzschicht, die sich durch die menschliche Gesellschaft und ihre Geschichte gebildet hatte, abkratzen.
Notfalls mit Gewalt.
Klaas Owen genoss den Wind, der ihm ins Gesicht wehte, als er das Boot über das glatte Meerwasser lenkte. Jetzt, am frühen Morgen, lag eine dicke Dunstschicht auf dem Wasser, und das sorgte für eine ganz besondere Stimmung.
Er war im Norden der Bay aufgebrochen und hatte sich nach Süden gewandt. Und jetzt kam einer der wunderbarsten Momente. Auf der rechten Seite öffnete sich das Golden Gate, die Durchfahrt aus der San Francisco Bay in den Pazifik, überspannt von den Konturen der berühmten Brücke. Dahinter gingen Meer und Himmel ineinander über, bildeten eine graue Masse.
Owen beachtete nicht das längliche Bündel, das hinter ihm im Boot lag. Er konzentrierte sich darauf, die richtige Stelle zu finden, um es loszuwerden. Die Bay war berühmt für ihre gefährlichen Strömungsverhältnisse. Vor allem in der Nähe vom Golden Gate entstand durch die Enge ein besonders starker Sog. Wenn er das Paket da loswurde, war es mit ein wenig Glück für alle Zeiten verschwunden.
Owen drosselte den Motor. Langsam kam das Boot zum Stillstand. Er blickte Richtung Osten, wo die Sonne langsam den Nebel durchbrach. Dort, eine knappe Meile entfernt, ragte etwas aus dem Meer heraus, das einer Burg glich. Alcatraz Island, die legendäre Gefängnisinsel, die heute Millionen von Touristen anlockte. Jeder, der San Francisco besuchte, wollte die Zellen sehen, in denen Gangster wie Al Capone oder Machine Gun Kelly gesessen hatten.
Owen wandte sich dem Paket zu. Der Leichnam war in blickdichte Plastikfolie eingewickelt. Zusätzlich hatte Owen einige Metallteile mit verpackt, die als Beschwerung dienen sollten.
Kaum hatte er das Gebilde ins Wasser geworfen, vibrierte sein Handy.
Owen meldete sich.