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Chelsea Lynwood, Reporterin der Newarker Zeitung New Jersey Chronicle, wurde mit mehreren Schusswunden im Foyer des Redaktionsgebäudes aufgefunden. Das Brisante daran: Sie war die Ex-Freundin von Assistant Special Agent in Charge Ross Carter. Der stellvertretende Leiter des FBI Field Office Newark geriet sofort unter Mordverdacht, weshalb Phil und ich hinzugezogen wurden. Doch schnell stellte sich heraus, dass sich die Journalistin bei ihren Recherchen in gefährlichen Mafiakreisen bewegt hatte. Wir mussten nun klären, ob die ehrgeizige junge Frau ihr Leben damit tatsächlich leichtsinnig aufs Spiel gesetzt hatte oder ob etwas ganz anderes dahintersteckte ...
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Tödliche Schlagzeilen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Schlagzeilen«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6498-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Tödliche Schlagzeilen
Die Worte flossen nur so aus ihr heraus. Und sie waren gut, das wusste sie. Chelsea Lynwood lächelte bei dem Gedanken an das Gesicht ihres Chefs, wenn sie ihm am nächsten Morgen ihren Artikel präsentieren würde. Die Story würde ihn umhauen. Endlich würde er sehen, wozu sie wirklich fähig war.
Sie war so sehr ins Schreiben vertieft, dass sie die Schritte hinter sich erst bemerkte, als es zu spät war. Sie hörte eine hämische Stimme, die ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
»Was glaubst du, was du da tust?«
Phils Magen knurrte laut. Ich lehnte im Türrahmen seines Büros und wartete darauf, dass er seine Sachen zusammenpackte. Mein Partner fuhr nur selten und eher ungern Auto, deshalb nahm ich ihn meistens in meinem Jaguar mit zur Arbeit und brachte ihn auch wieder nach Hause.
»Soll ich dich lieber in einem Restaurant absetzen?«, fragte ich ihn grinsend, als sein Magen erneut lautstark rumorte.
Phil rieb sich den Bauch. »Ich weiß nicht, warum, aber manchmal machen mich Arbeitstage im Büro hungriger als Tage, an denen wir mitten in Ermittlungen stecken.«
»Vielleicht weil man über Tatortbesuche, Zeugenbefragungen und Verfolgungsjagden das Essen leicht vergessen kann?«
»Kann schon sein, Jerry. Jedenfalls hat in der Nähe meiner Wohnung ein neuer Mexikaner aufgemacht. Warum kommst du nicht mit?«
»Schwitzt man von scharfem Essen nicht noch mehr?«, gab ich zurück. »Ich wäre eher für Italienisch.«
Seit Tagen hatte eine Hitzewelle Washington und überhaupt weite Teile der Ostküste fest im Griff. Zum Glück war das J. Edgar Hoover Building, in dem sich das FBI-Hauptquartier befand, klimatisiert.
Als Phil und ich gerade sein Büro verlassen hatten und den Flur durchquerten, stellte sich uns Dorothy Taylor in den Weg, die Sekretärin unseres Chefs, Assistant Director High.
»Mister High möchte Sie sprechen«, sagte sie mit ernstem Gesichtsausdruck, der nichts Gutes verhieß. Den Feierabend konnten wir erst einmal vergessen.
Phil verzog gequält das Gesicht.
»Der Mexikaner läuft nicht weg«, tröstete ich ihn, als wir das Büro unseres Chefs betraten und uns setzten.
»Jerry, Phil, gut, dass Sie noch da sind«, begrüßte uns Mr High. »Ich hätte Sie ungern aus dem Feierabend zurückgeholt. Aber es gibt einen neuen Fall, der keinen Aufschub duldet, und ich möchte dafür nur meine vertrauenswürdigsten Mitarbeiter einsetzen.«
»Worum geht es, Sir?«, fragte Phil neugierig. Das Lob unseres Chefs hatte ihn seinen knurrenden Magen offensichtlich sofort vergessen lassen.
»Um eine Angelegenheit, bei der ich mich auf Ihre absolute Diskretion verlassen muss. Nicht nur, dass keine Details an die Öffentlichkeit dringen dürfen, auch innerhalb des FBI sollten so wenig Agents wie möglich eingeweiht werden.« Mr High sah uns erst an. »Es ist nämlich ein hochrangiger FBI-Agent aus New Jersey involviert.«
»Special Agent in Charge Milton Hayes?«, fragte ich. Hayes war der Leiter des FBI Field Office in Newark, New Jersey.
»Nein, aber es geht um seinen Stellvertreter, Assistant Special Agent in Charge Ross Carter.«
Den Namen hatte ich schon mal gehört, Carter jedoch noch nie persönlich getroffen.
»Was ist passiert?«, wollte Phil wissen.
»Heute am frühen Morgen wurde eine junge Frau in Newark ermordet aufgefunden. Chelsea Lynwood. Sie lag im Foyer des Redaktionsgebäudes der Tageszeitung New Jersey Chronicle, wo sie als Reporterin arbeitete. Sie ist erschossen worden.«
»Eine Enthüllungsjournalistin, die bei ihren Recherchen den falschen Leuten in die Quere gekommen ist?«, mutmaßte ich.
Mr High wiegte den Kopf. »Der Verdacht liegt nahe, aber Genaueres wissen wir bis jetzt nicht.«
»Und was hat das mit ASAC Carter zu tun?«, erkundigte sich Phil.
»Chelsea Lynwood ist Carters Ex-Freundin. Nur wusste das bis heute niemand. Sie hatten eine geheime Beziehung, die jedoch vor wenigen Monaten endete.«
»Weil einer von ihnen verheiratet war?«, fragte ich.
»Über die Gründe für das Ende der Beziehung weiß ich nichts. Aber verheiratet war keiner von beiden. Carter ist geschieden, und Chelsea Lynwood war bis zu ihrem Tod unverheiratet. Allerdings ist der Altersunterschied groß: Sie war fünfundzwanzig, er ist zweiundvierzig.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Und wie ist die Affäre herausgekommen?«
»Als der Mord heute Morgen bekannt wurde, hat Ross Carter sofort SAC Hayes darüber informiert, dass er und das Opfer früher ein Paar gewesen sind«, erklärte unser Chef. »Er hat aber betont, dass die Beziehung seit längerer Zeit beendet ist. Ich muss Ihnen sicher nicht erklären, was das heißt.«
Phil und ich nickten. Bei ungeklärten Todesfällen, vor allem bei Frauen, galten die Partner und Ex-Partner immer als potenzielle Verdächtige. Und in diesem Fall war der mögliche Verdächtige ein Kollege. Eine unangenehme Situation. Ich vermutete, dass ASAC Carter kein Alibi hatte, denn sonst wäre das FBI-Hauptquartier in Washington gar nicht erst eingeschaltet worden. Mr High bestätigte auf meine Nachfrage meinen Verdacht.
»SAC Hayes hat das einzig Richtige getan und ASAC Carter für die Zeit der Ermittlungen vom Dienst suspendiert«, sagte der Assistant Director. »Natürlich ist unter diesen Umständen ausgeschlossen, dass das Field Office Newark die Ermittlungen selbst leitet.«
»Und da kommen wir ins Spiel«, folgerte Phil.
Mr High sah uns ernst an. »Bei diesem Fall ist viel Fingerspitzengefühl erforderlich. Bislang ist es uns gelungen, den Mord an Chelsea Lynwood aus den Medien zu halten. Auch wenn es nicht leicht war, den Chefredakteur des New Jersey Chronicle, Walter Hendricks, davon zu überzeugen, nicht gleich in der morgigen Ausgabe über den Mord zu berichten.«
»Hoffen wir, dass es sich Mister Hendricks nicht anders überlegt«, meinte Phil.
Mr High nickte. »Er war nicht glücklich darüber, den Mord an seiner Angestellten ›unter den Teppich zu kehren‹, wie er es formulierte.«
»Das ist verständlich«, räumte ich ein. »Er ist schließlich Journalist, natürlich will er den Mord an seiner eigenen Angestellten nicht verschweigen. Allerdings will er sicher auch nicht unsere Ermittlungen behindern und riskieren, dass der Mörder ungestraft davonkommt.«
Unser Chef nickte. »Mit genau diesem Argument hat sich Walter Hendricks schließlich überzeugen lassen, ebenso wie Chelsea Lynwoods Angehörige. Unsere Priorität muss es nun sein, ASAC Carter zu schützen und seinen Namen so lange aus den Medien zu halten, bis wir wissen, ob er etwas mit dem Mord zu tun hat oder nicht. Eine Hexenjagd der Medien auf ihn wäre verheerend.«
Wir nickten. Nicht nur Carters eigener Ruf, sondern der Ruf des gesamten FBI würde leiden, wenn bekannt wurde, dass er Verdächtiger in einem Mordfall war. Schon Berichte über eine Affäre zwischen einem FBI-Agent und einer fast zwanzig Jahre jüngeren Journalistin konnten der Glaubwürdigkeit des FBI erheblichen Schaden zufügen.
»Ich möchte, dass Sie beide noch heute nach Newark fliegen«, sagte Mr High. »Dorothy hat sich bereits um Tickets für einen Flug gekümmert, der heute Abend von Washington aus startet. Die Kollegen vor Ort sind bereits informiert und werden Sie am Airport abholen.«
Natürlich erklärten Phil und ich uns bereit, den Fall zu übernehmen. Doch als wir das Büro unseres Chefs verließen, bemerkte ich, dass mein Partner nicht besonders glücklich aussah.
»Was ist los?«, fragte ich.
Er legte sich vielsagend eine Hand auf den Bauch, und ich erinnerte mich an sein lautes Magenknurren vorhin.
Ich lächelte nachsichtig. »Keine Sorge, Phil. Sicher gibt es auch in Newark gute Restaurants.
***
Der weiße Bulli setzte zurück. Carlo Moretti sah mit verschränkten Armen zu, wie sich der Kleintransporter Zoll für Zoll in den Hinterhof tastete. Er kam den Mülltonnen gefährlich nahe, die an der Wand aufgereiht waren, bevor Leo den Kurs korrigierte und schließlich zum Stehen kam.
Leo hatte viele Talente, aber rückwärts einparken gehörte nicht dazu. Zu dumm, dass er offiziell Morettis Fleischlieferant war. Alle anderen Tätigkeiten verrichtete er nur inoffiziell.
»Was hast du mir mitgebracht?«, fragte Moretti, als Leo ausgestiegen war.
»Nur das beste Fleisch aus der heutigen Schlachtung«, antwortete der Metzger und machte sich daran, den Kleintransporter zu entladen.
»Lass das!«, unterbrach ihn Moretti. »Jeremy kann ausladen.« Er winkte einen schlaksigen jungen Mann heran, der sich an der Tür zum Hinterhof herumgedrückt hatte. »Wir beide haben etwas zu besprechen«, sagte er dann zu Leo.
Carlo Moretti führte Leo durch den Hintereingang des Restaurants L’Osteria in sein Büro. Er bedeutete ihm, an seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.
»Ich habe die Nachrichten gesehen«, versetzte Moretti. »Du hast deinen Auftrag ausgeführt.«
»Richtig.« Ein Lächeln huschte über das feiste Gesicht des Lieferanten.
Moretti unterdrückte ein Schaudern. Wenn Leo noch fetter wurde, würde er nicht mehr hinter das Lenkrad seines Bullis passen. Aber seine Körperfülle hielt ihn nicht davon ab, jede Aufgabe zu erfüllen, die ihm Moretti bislang übertragen hatte. Er wusste, dass es Leo bei der Erledigung nie zum Kampf oder zu einer Verfolgung kommen ließ, sondern das Überraschungsmoment ausnutzte und dann erbarmungslos zuschlug.
»Mir ist natürlich auch nicht entgangen, dass du den Auftrag nicht so ausgeführt hast wie abgesprochen. Wir hatten von einem Opfer gesprochen. Jetzt gibt es zwei.«
Leo wurde blass. »Die Gelegenheit ergab sich. Ich dachte …«
Moretti unterbrach ihn mit einer knappen Handbewegung. »Du zeigst Eigeninitiative. Das finde ich gut.« Dann verhärtete sich seine Miene. »Trotzdem: Beim nächsten Mal tust du wieder genau das, was ich dir auftrage. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
»Natürlich«, murmelte Leo.
Moretti schob ein Bündel Geldscheine über den Tisch. »Die Aktion sollte unserem Geschäftspartner deutlich gezeigt haben, dass er uns besser nicht noch einmal hintergeht. Hier hast du den Rest des vereinbarten Betrags. Und natürlich das Geld für das Fleisch.«
Beim Anblick der Scheine erhellte sich Leos Gesicht. Er zählte sie und ließ das Bündel in einer Innentasche seines weißen Kittels verschwinden.
»Und wenn die Botschaft nicht angekommen ist, schicken wir noch eine hinterher«, erwiderte er grinsend und erhob sich. »Melden Sie sich einfach. Und ich hoffe, dass Fleisch ist zu Ihrer Zufriedenheit.«
***
Ich war alles andere als ausgeschlafen. Zwar hatte der Flug von Washington zum Newark Liberty Airport nur gute anderthalb Stunden gedauert. Aber es war spät am Abend gewesen, bis uns ein Agent aus dem Field Office Newark am Flughafen abgeholt hatte. Er hatte uns in ein Mittelklassehotel gebracht, in dem wir für die Zeit der Ermittlungen wohnten. Und natürlich waren Phil und ich nicht sofort ins Bett gegangen. Bis spät in die Nacht hatten wir uns über den Fall und unsere Vermutungen unterhalten, was hinter dem Tod der jungen Journalistin stecken konnte.
Früh am nächsten Morgen waren wir mit dem Leiter des Field Office Newark, SAC Hayes, verabredet. Wir saßen ihm mit dunklen Ringen unter den Augen und dampfenden Kaffee auf dem Tisch gegenüber.
Hayes hatte uns freundlich begrüßt, aber es war deutlich, dass er sich über unseren Besuch nicht sonderlich freute. Das fand ich verständlich. Schließlich ermittelten wir gegen einen seiner engsten Mitarbeiter. Vermutlich fühlt er sich so, wie mir zumute wäre, wenn gegen Phil ermittelt werden würde, dachte ich.
»Assistant Director High hat uns bereits in groben Zügen in den Fall eingeweiht«, sagte ich. »Aber natürlich sind wir auf Ihre Expertise und die Unterstützung Ihrer Agents angewiesen, SAC.«
Hayes nickte grimmig. »Selbstverständlich unterstützten wir Sie, so gut wir können. Wir wollen schließlich den Verdacht gegen ASAC Carter schnellstmöglich aus der Welt schaffen.« Als er meinen skeptischen Blick sah, fügte er schnell hinzu: »Natürlich verstehe ich, dass Sie ASAC Carter als potenziellen Verdächtigen behandeln müssen. Aber ich bin mir sicher, dass er nichts mit dem Mord an der Journalistin zu tun hat. Ich arbeite seit Jahren mit Ross zusammen und kenne meinen Stellvertreter: Er ist ein äußerst besonnener Agent und durch und durch ehrlich. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen.«
»Wenn er so eine ehrliche Haut ist, warum hat er dann die Beziehung zu Chelsea Lynwood so lange geheim gehalten?«, wandte Phil ein.
»Das fragen Sie ihn am besten selbst. Ich kann nur sagen: Agent Carter hat uns nicht angelogen, er hat nur nicht alles erzählt. Ich wusste, dass er geschieden ist, aber nicht, ob er eine neue Partnerin hat. Sein Privatleben war auf der Arbeit schlichtweg nie ein Thema. Carter behielt solche Dinge für sich.«
»Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen«, gab ich zu. Schließlich hielt ich es selbst genauso.
SAC Hayes nickte. »Außerdem ist Agent Carter sofort zu mir gekommen, als der Mord an Miss Lynwood bekannt wurde. Das ist doch fast schon Beweis genug, dass er nicht der Täter ist.«
Ich ließ Hayes’ Worte unkommentiert. Allerdings dachte ich, dass es durchaus andere Erklärungen dafür geben konnte, dass ASAC Carter seinem Chef nach dem Mord von der Beziehung erzählt hatte. Ihm musste klar gewesen sein, dass sein Verhältnis zu Chelsea Lynwood im Laufe der Ermittlungen herauskommen würde. Möglicherweise wollte er die Enthüllung vorwegnehmen, um nicht noch verdächtiger zu wirken. Ich schaute zu Phil hinüber und sah, dass auch mein Partner von Hayes’ Beteuerungen nicht überzeugt war.
»Agent Carter hat kein Alibi«, gab Phil zu bedenken.
»Zumindest keines, das wir momentan belegen könnten«, gab Hayes zu.
Das war mir neu. »Was für ein Alibi hat er denn genannt?«
»Agent Carter sagt, dass er Montagabend zu Hause war«, erklärte SAC Hayes. »Er war allein, aber gegen acht Uhr hat es nach seiner Schilderung geklingelt. Vor der Tür stand eine Frau, die Spenden gesammelt hat. Allerdings wimmelte Ross sie sofort ab und weiß deshalb nicht, von welcher Organisation sie kam.«
Phil verzog das Gesicht. »Das ist ärgerlich. Sonst wäre es ein Leichtes, das Alibi zu verifizieren.«
Hayes nickte. »Ich bin optimistisch, dass uns eine Überprüfung trotzdem gelingen wird. Zwei Agents sind dazu abgestellt, alle Wohltätigkeitsorganisationen anzurufen, die im Moment in dem Viertel Spenden sammeln, in dem Carter wohnt. Es ist mühsam, aber ich bin sicher, dass sie mit der Zeit fündig werden.«
»Hoffen wir es«, sagte ich. »Aber könnte die Frau Ihren Stellvertreter wirklich entlasten?«
»Agent Carter sagt, dass die Spendensammlerin am Montagabend um kurz nach acht an seiner Tür klingelte«, berichtete Hayes. »Er wimmelte sie sofort ab, weil im Fernsehen gerade ein Film angefangen hatte und er nicht gestört werden wollte. Chelsea Lynwood wurde zwischen zehn vor und Viertel nach acht getötet. Mit dem Auto braucht man aber von Carters Wohnung fast fünfzehn Minuten zur Redaktion des New Jersey Chronicle. Also ist es unmöglich, dass Agent Carter den Mord begangen hat, wenn er um kurz nach acht noch in seinem Apartment war.«
»Woher kennen Sie denn Miss Lynwoods Todeszeitpunkt so genau?«, wollte ich wissen. »Ist die Obduktion schon abgeschlossen?«
»Nein, die läuft noch«, erwiderte Hayes. »Aber der Todeszeitpunkt lässt sich aus den Umständen ziemlich genau rekonstruieren. Von sieben bis acht Uhr abends macht in dem Gebäude, in dem der Chronicle untergebracht ist, eine Putzfrau ihre Runde. Sie war um zehn vor acht auf der Redaktionsetage, um sauber zu machen, und traf dort Chelsea Lynwood an ihrem Computer an.«
»So spät?«, fragte Phil erstaunt.
»Die Putzfrau hat zu Protokoll gegeben, dass sie mit Miss Lynwood darüber scherzte, dass sie beide um diese späte Uhrzeit noch arbeiten mussten. Chelsea Lynwood sagte, wenn sie mitten in einer guten Story stecke, vergesse sie manchmal die Zeit. Allerdings müsse sie gleich gehen, denn sie sei um Viertel nach acht verabredet.«
»Und zu dieser Verabredung ist sie nicht mehr erschienen?«, folgerte ich.
Hayes nickte. »Sie wollte mit ihrer Mitbewohnerin, Jessica Holder, ins Kino gehen, doch Jessica Holder wartete vergeblich auf sie. Als sie Chelsea Lynwood anrief, ging sie nicht an ihr Handy.«
»Und wann wurde die Leiche gefunden?«, wollte ich wissen.
»Das Gebäude hat keinen Nachtportier und auch keine Videoüberwachung im Foyer. Der Portier hat Chelsea Lynwoods Leiche um halb sechs am nächsten Morgen im Foyer gefunden, als er seinen Dienst antrat.«
»Warum hat eigentlich das FBI den Fall sofort übernommen, obwohl anfangs noch gar nicht klar war, dass es eine Verbindung zu ASAC Carter gibt?«, fragte Phil. »Wäre ein simpler Mord nicht zunächst ein Fall für das Newark Police Department gewesen?«
»Da haben Sie recht, Inspektor Decker«, gab Hayes zu. »Die Kollegen haben uns jedoch sofort informiert, weil die Mordmethode ihre Aufmerksamkeit erregte. Chelsea Lynwood ist mit drei Schüssen in die Brust getötet worden. Nur zwei Tage vorher waren im Port Newark zwei Hafenarbeiter auf exakt die gleiche Weise umgebracht worden. Und bei diesen Morden vermuten wir eine Verbindung zur Cosa Nostra.«
Ich setzte mich aufrechter hin. Diese Information rückte den Mord in ein ganz neues Licht.
»Was für eine Verbindung meinen Sie?«, hakte ich nach.
»Sagt Ihnen die Moretti-Familie etwas?«, fragte Hayes. Als Phil und ich den Kopf schüttelten, fuhr er fort: »Die Morettis betreiben in Newark mehrere italienische Restaurants und Bars. Man könnte sagen, dass sie führend in der Gastronomieszene unserer Stadt sind. Aber wir vermuten, dass sie darüber hinaus auch den Drogenhandel unter ihrer Kontrolle haben.«
»Und die Morde im Port Newark könnten etwas mit diesen Drogengeschäften zu tun haben«, mutmaßte Phil.
SAC Hayes nickte. »Wir vermuten, dass der Hafen als Umschlagplatz für Drogen dient, auch wenn wir noch keine konkreten Beweise haben. Stichprobenartige Kontrollen brachten bislang keine Ergebnisse.« Er räusperte sich. »Agent Carter war mit den Ermittlungen betraut. Seine Suspendierung wirft uns in diesem Fall um Meilen zurück.«
Der Vorwurf in Hayes Stimme war deutlich zu hören. Dennoch gab es für mich keinen Zweifel, dass Carters vorübergehende Suspendierung richtig war.
Phil durchbrach das Schweigen als Erster. »Sie meinen also, es könnte sein, dass auch Chelsea Lynwood von der Cosa Nostra ermordet wurde.«