Jerry Cotton 3197 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3197 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vor vier Jahren hatte das FBI in Tennessee Alan Tucker, einen Buchhalter der Dixie-Mafia, fast dazu bewegen können, gegen seinen Arbeitgeber auszusagen. Dadurch hätten Buford Parks und weitere hochrangige Köpfe der Organisation hinter Gitter gebracht werden können. Tucker war jedoch kurz vor dem Gerichtstermin verschwunden - und tauchte nun wieder in einem Amateurvideo auf, das jemand vor einem brennenden Haus in Boston, Massachusetts gedreht hatte. Uns blieb nicht viel Zeit, den Mann, der sich heldenhaft in die Flammen gestürzt hatte, aufzuspüren, denn auch Parks hatte ein Interesse daran, Tucker in die Finger zu bekommen, um den verhassten Verräter ein für alle Mal loszuwerden!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2018

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Flieh, wenn du kannst

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Projekt Peacemaker«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6502-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Flieh, wenn du kannst

Außer Atem stürmte Richard Larkin in das Foyer des kleinen Hotels. Aufmerksam sah er sich um.

Hotel? Billige Absteige traf es besser. Also genau das, was er suchte.

Larkin spürte die Blicke des Portiers, der sich in seiner engen Loge aufrichtete. Merkte, wie sie seine rußverschmierte Kleidung abtasteten, während der Mann registrierte, dass er kein Gepäck bei sich hatte.

Larkin setzte sein umwerfendstes Lächeln auf. Keine zehn Minuten später befand er sich in einem Zimmer, dessen Ausstattung so karg war, dass sie jeden Spartaner deprimiert hätte. Er zog sein Handy aus der Manteltasche und wählte.

»Ich muss weg. Raus aus der Stadt«, sagte er, als sich die Stimme am anderen Ende meldete. Für einen Moment hüpfte sein Herz bei ihrem Klang, obwohl sie genau die Frage stellte, die er befürchtet hatte:

»Warum das denn?«

Larkin lachte freudlos auf und verfluchte im Stillen zum tausendsten Mal sein Pech. »Mach deinen Fernseher an.«

Phil und ich saßen in meinem Jaguar. Wie üblich hatte ich meinen Partner auf dem Weg zur Arbeit in der Nähe seines Apartments aufgelesen, und nun steckten wir, ebenfalls wie üblich, im trägen morgendlichen Berufsverkehr von Washington fest. Zu Fuß hätten wir die letzten Blocks zum J. Edgar Hoover Building auf der Pennsylvania Avenue wahrscheinlich schneller hinter uns bringen können, aber ich konnte meinen Wagen ja schlecht am Straßenrand stehen lassen. Die Versuchung war trotzdem groß.

Phil gähnte und starrte wortlos aus dem Seitenfenster.

»Bist du gestern zu spät ins Bett gekommen?«, erkundigte ich mich.

Phil sah mich kommentarlos an.

»Oder zu früh?«, hakte ich nach.

Phil verdrehte die Augen. »Zu spät«, gab er zu. »Ich habe dir doch vor ein paar Wochen von Eleanor erzählt, der Pilotin aus L. A. Sie hatte gestern mal wieder einen Flug nach Washington und rief mich an. Fragte, ob ich ihr ein wenig vom Washingtoner Nachtleben zeigen könnte.«

»Und das hast du getan«, mutmaßte ich. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, brauchte man kein Raketenwissenschaftler zu sein.

Phil nickte. Dabei knurrte er etwas, das sich wie »Ich werde zu alt für so einen Mist« anhörte. Ich lachte.

Wir erreichten die Pennsylvania Avenue, und ich bog ab. Für die letzten paar Minuten ließ ich meinen Freund in Ruhe, der auch noch durch Schweigen glänzte, als uns der Aufzug im FBI-Hauptquartier bereits in unser Stockwerk hinauftransportierte.

Als wir auf den Gang traten, liefen wir in Dorothy Taylor hinein, die Sekretärin unseres Chefs.

»Mister High erwartet Sie in fünf Minuten«, erklärte sie. Dabei ließ sie ihre Blicke über Phil wandern, sah mich an und zog eine Augenbraue hoch. Ich zuckte mit den Schultern. »Fünf Minuten«, wiederholte sie und verschwand den Gang hinunter.

Vier Minuten später betraten wir das Vorzimmer zu Mr Highs Büro. Auf einer Anrichte standen zwei Tassen mit dampfendem Kaffee für uns, daneben ein hohes Glas Wasser, in dem sich sprudelnd der winzige Rest einer Tablette auflöste.

»Für Sie, Phil«, sagte Dorothy.

Mein Partner verzog verlegen das Gesicht, trank das Glas aber gehorsam in einem Zug leer. Dankbar nickte er Dorothy zu.

Die lächelte breit, als sie sagte: »Na, dann kann der neue Tag ja kommen.«

Und wie er das tat.

Nachdem uns Mr High kurz begrüßt und aufgefordert hatte, Platz zu nehmen, kam er auch gleich zur Sache. Mithilfe eines Beamers warf er die Oberfläche seines Computerbildschirms auf die weiße Wand.

»Ich möchte, dass Sie sich einen Film anschauen«, erklärte er. Mit einem schnellen Doppelklick öffnete er eine Seite im Internet.

MyChannel.Eine Website, über die man Kurzfilme und Amateurvideos, aber auch komplette Spielfilme und Ähnliches schauen konnte.

Eigenartig.

Phil, der sich dank der Schmerztablette, die er von Dorothy erhalten hatte, schon wieder wohler zu fühlen schien, warf mir einen knappen Blick zu. Ich machte eine Handbewegung, die in etwas sagen sollte: »Warten wir es ab.«

Lange warten mussten wir nicht.

Mit einem weiteren Klick startete der Assistant Director den Film, auf den es ihm ankam. Das Bild war okay, wirkte aber, als wäre es nicht mit einer professionellen, sondern vielmehr mit einer Handykamera aufgenommen worden. Die Kameraführung war ebenfalls nicht oscarverdächtig, brachte es aber zustande, alles Wesentliche einzufangen.

Das Erste, was wir zu sehen bekamen, war ein Stadthaus aus dunklem Sandstein. Es hätte sich dabei um ein typisches New Yorker Brownstone handeln können, hätte aber auch problemlos in jeder anderen beliebigen amerikanischen Großstadt stehen können.

»Wie man den Erläuterungen des MyChannel-Nutzers, der das Video hochgeladen hat, entnehmen kann, entstanden die Aufnahmen gestern Morgen in Boston«, erläuterte Mr High.

Phil und ich nickten stumm und beobachteten gebannt, wie aus einem der oberen Fenster zuerst etwas Rauch quoll, dem bald Flammen folgten. Dies wurde auch von einigen Passanten auf der Straße entdeckt, denn fast zeitgleich waren die ersten erschreckten Ausrufe zu vernehmen.

Wir wurden Zeugen, wie immer mehr Leute stehen blieben, während sich die Flammen weiter ausbreiteten. Einige Bewohner stürzten aus dem Haus. Schließlich taumelte ein letzter Nachzügler aus der Tür, wandte sich um und warf einen Blick zurück auf das Feuer, das nun aus fast allen Fenstern schlug. Scheiben zerplatzten und ließen Scherben auf den Bordstein regnen.

Und dann geschah es. Ein Kind begann, zu schreien. Dem Klang nach zu urteilen, ein Kleinkind. Einige der Leute auf der Straße fielen in die hohen Schreie ein, andere erstarrten förmlich.

»Ein Kind!«, rief jemand.

»Wo bleibt denn die Feuerwehr?«, machte sich eine Stimme bemerkbar, in der so viel Panik mitschwang, dass man nicht hätte sagen können, ob sie von einer Frau oder einem Mann stammte. Andere nahmen den Ruf auf.

Aber niemand unternahm etwas.

Bis sich ein Mann aus der Gruppe der Schaulustigen löste. Er befand sich mit dem Rücken zur Handykamera, und man konnte nicht mehr erkennen, als dass er dunkles Haar hatte und einen hellen Sommermantel trug. Er eilte über die Straße, blieb kurz vor der Tür des brennenden Hauses stehen, als sammele er all seinen Willen und all seine Kraft. Dann verschwand er im Inneren.

Eine ganze Weile geschah nichts. Nur ab und zu waren die Schreie des verängstigten Kleinkinds zu hören.

Der Van eines Fernsehsenders erschien auf der Bildfläche. Ein Kameramann und eine Reporterin sprangen heraus. Die Reporterin baute sich mit einem Mikrofon vor dem brennenden Haus auf und fing zu berichten an.

Natürlich. Keine Katastrophe ohne die freie Presse.

Abrupt brachen die Schreie des Kleinkinds ab. Wie als Antwort darauf machte sich noch größeres Entsetzen auf der Straße breit. Ein paar Leute weinten. Andere standen einfach nur wort- und reaktionslos vor dem Drama, das sich vor ihrer aller Augen abspielte. Die Bewegungen der Reporterin wurden immer animierter, anscheinend legte sie in ihrem Bericht noch einen weiteren Zahn zu.

Und dann flog die Tür zum Gebäude auf.

Dichter Rauch quoll auf die Straße und hüllte den ganzen Bereich vor dem Haus ein. Bis sich, wie eine Erscheinung, eine menschliche Gestalt durch die Schwaden kämpfte und die Treppenstufen zum Gehweg hinunterlief. Der Mann, der sich dort endlich aus dem Rauch schälte, war der heldenhafte Retter. Und in seinen Armen lag tatsächlich ein kleines Bündel.

Doch irgendetwas stimmte nicht. Auf den Zügen des Mannes lag eine Art Fassungslosigkeit, die allerdings, völlig unpassend zur Situation, eine komische Note hatte. Nicht so, als läge in seinen Armen ein Kind, das er gerade noch vor dem Tod hatte retten können. Er schaute einfach nur völlig belämmert aus der Wäsche, als könnte er es nicht fassen.

Was das war, wurde allerdings erst klar, nachdem der Mann die Reporterin und ihren Kameramann entdeckt hatte. Erschreckt weiteten sich seine Augen, dann verdunkelte sich sein Gesichtsausdruck, und er ließ das Bündel in seinen Armen ohne großes Aufheben fallen.

Ich hielt die Luft an, entspannte mich allerdings sofort wieder, als ich sah, worum es sich bei dem Bündel in Wirklichkeit handelte.

Um eine Katze, die sich nun in der Luft drehte und geschmeidig auf allen vieren landete.

Mit einem letzten gehetzten Blick zur Fernsehkamera stieß der Mann einen äußerst nachdrücklichen Fluch aus. Dann drehte er sich aus dem Absatz um und stürmte davon, begleitet vom Lachen der umstehenden Passanten.

***

Auch Phil und ich amüsierten uns. In dieser Reaktion lag, wie fraglos bei den Passanten, ein gewisses Maß an Erleichterung, die daher rührte, dass dort eben kein Kleinkind in Gefahr geschwebt hatte, sondern eine Katze, deren panische Schreie denen eines Kindes unter gewissen Umständen sehr gleichen konnten.

Mr High stoppte das Video und schob den Marker auf der Zeitleiste unter dem Stream zurück, bis das Bild an der Stelle stehen blieb, an der der Mann aus dem Rauch auf den Gehsteig hinausgetreten war.

»Darf ich vorstellen?«, meinte Mr High. »Alan Tucker.«

»Ein echter Held«, sagte Phil.

»Nun ja«, gab ich zu bedenken, »wenn er tatsächlich ein Kind gerettet hätte, wäre er jetzt in jeder Nachrichtensendung des Landes zu sehen, und alle Welt würde ihn feiern.«

Mr High lächelte dünn. »Das ist auch jetzt schon so. Der Film mit seinem denkwürdigen Auftritt, den das Fernsehteam geschossen hat, wird auf allen Kanälen ausgestrahlt und dieses Video hier«, er deutete auf das gestoppte Bild des MyChannel-Beitrags an seiner Bürowand, »ist in den letzten vierzehn Stunden zum, wie man so schön sagt, meistgelikten Video avanciert.« Er sah uns durchdringend an. »Was Mister Tucker überhaupt nicht gefallen dürfte.«

Den Eindruck hatte man allerdings auch durchaus schon anhand der Reaktion des Mannes auf die Fernsehkamera gewinnen können.

»Und warum dürfte ihm das nicht gefallen?«, wollte Phil wissen.

Mr High lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und sagte ruhig: »Alan Tucker arbeitete bis vor vier Jahren bei einem Zweig der Dixie-Mafia, der von Tennessee aus operierte – bevor er untertauchte.«

Das war in der Tat ein guter Grund für Tucker, wenig begeistert aus der Wäsche zu schauen, als er erkannte, dass man ihn gefilmt hatte.

Ich sah mir Tucker, der weiter eingefroren an der Bürowand prangte, noch einmal genauer an.

Er war ungefähr Anfang vierzig. Das Gesicht unter dem dunkelbraunen Haar wirkte offen und jungenhaft und so gar nicht wie das eines Schwerkriminellen. Hätte ich es zusammenfassen sollen, hätte ich eher gesagt, er wirke wie der sprichwörtliche nette Kerl von nebenan, aber in meiner langjährigen Dienstzeit hatte ich lernen müssen, dass das äußere Erscheinungsbild täuschen konnte. So wie es das auch wohl in diesem Fall tat.

Oder doch nicht so ganz. Denn obwohl er offensichtlich dem Organisierten Verbrechen angehörte oder angehört hatte, war er ohne zu zögern in ein brennendes Haus gestürzt, als niemand sonst auf die Schreie eines offensichtlich in Not geratenen Kindes reagiert hatte.

»Was hat er denn für die Dixie-Mafia getan?«, fragte ich. Wenn uns Mr High nun eröffnete, dass Alan Tucker als gnadenloser Vollstrecker für seine Bosse tätig gewesen war, würde ich zumindest in Erwägung ziehen, meinen Dienstausweis zurückgeben.

»Er war Buchhalter«, erklärte mein Chef.

Okay, damit durfte ich meinen Ausweis zumindest einstweilen behalten.

»Wirklich?«, warf Phil ein. Er deutete auf den rußgeschwärzten Mann, der auf dem eingefrorenen Bild immer noch die gerettete Katze im Arm hielt. »Nicht schlecht für einen Buchhalter. Jedenfalls, wenn man nach den stereotypen Vorstellungen über Leute seines Berufsstands geht.«

Mr High lächelte leicht. »Andererseits bringt man diese Tätigkeit aber auch nicht zwangsläufig sofort mit dem Organisierten Verbrechen in Verbindung.«

Phil nickte. »Auch wieder wahr.«

»Was hat es denn nun genau mit dem Untertauchen Tuckers, das Sie erwähnten, auf sich? Und wie kommen wir ins Spiel?«, fragte ich, auch wenn ich eine Ahnung hatte, wie Mr Highs Antwort aussehen würde.

»Die Sache ist so: Bis vor vier Jahren half Alan Tucker dabei, Gelder für den Arm der Dixie-Mafia zu waschen, der von einem gewissen Buford Parks in Memphis, Tennessee geleitet wurde und immer noch geleitet wird. Dann jedoch schien er Gewissensbisse zu bekommen und kontaktierte das Field Office vor Ort. Die dortigen Kollegen hatten ihn auch fast so weit, ihn zu einer Aussage gegen Parks zu bewegen.«

»Unter Anwendung der Kronzeugenregelung und gegen eine Unterbringung im Zeugenschutzprogramm«, vermutete Phil.

»So ist es. Tuckers Aussage und die Beweise, die er dem FBI in Aussicht stellte, hätten Buford Parks und weitere hochrangige Köpfe der Organisation aus dem Verkehr gezogen und ins Gefängnis gebracht, doch bevor er die Beweise vorlegte und seine Aussage vor Gericht machte, verschwand Tucker von der Bildfläche. Zuerst wurde angenommen, Parks habe ihn umbringen lassen. Er und seine Leute sind nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, ihre Interessen zu schützen. Das ist diese Organisation generell nicht.« Er erhob sich und trat neben das Bild an der Wand.

Wir warteten, dass der Assistant Director weitersprach.

»Selbstverständlich leiteten die Kollegen aus Tennessee gleich nach Tuckers Verschwinden Untersuchungen ein. Dabei stellte sich heraus, dass sich Parks’ Leute ebenfalls auf der Suche nach Tucker befanden. Damit war klar, dass der Mann freiwillig und auf eigene Faust untergetaucht war. Vermutlich traute er unseren Schutzvorkehrungen weniger als seinen eigenen.«

Tuckers Furcht um sein Leben war nicht verwunderlich, wenn man die Organisation kannte.

Die Dixie-Mafia operierte vornehmlich im Südosten der USA, weshalb sie auch gelegentlich als »Südstaatenmafia« bezeichnet wurde. Sie war nicht so streng organisiert wie die wesentlich bekanntere italienische Mafia, sondern eher ein lockerer Verbund, tat sich dafür aber durch ein besonders rücksichtsloses und brutales Vorgehen hervor. Neben den klassischen Betätigungsfeldern Drogenhandel und -schmuggel sowie Prostitution waren ihre Haupteinnahmequellen bewaffnete Raubüberfälle und Auftragsmorde. Gerade wenn man letzteren Punkt bedachte, war es ein kleines Wunder, dass Alan Tucker nach seinem Ausstieg und dem damit verbundenen Beinaheverrat noch immer am Leben war. Zu seinem Glück schien er ein Überlebenskünstler zu sein.

Mr High kehrte zu seinem Sessel zurück. »Wie Sie wissen, gibt es in der Dixie-Mafia keine Bosse im engeren Sinne, so wie man es von ihrem italienischen Gegenpart kennt. Keine Dons oder etwas in der Art. Führungspositionen werden dadurch erreicht und gehalten, dass man das meiste Geld hat oder finanziell gesehen am sichersten dasteht.«

»Und das war und ist bei Tuckers ehemaligem Boss Buford Parks der Fall«, mutmaßte ich.

Mr High nickte ernst. »Und das schon viel länger, als uns lieb ist. Alan Tuckers Aussage könnte nicht nur Beweise für von Parks begangene und organisierte Verbrechen erbringen, sondern auch seine finanzielle Position extrem gefährden.«

»Wodurch wir in mehr als einer Hinsicht die Chance hätten, ihn aus dem Verkehr zu ziehen«, stellte Phil fest. »Falls wir Alan Tucker finden können.«

»Falls«, sagte ich. Ich wandte mich an Mr High. »Wissen wir, ob sich Tucker noch in Boston befindet?«

»Die Chancen stehen zumindest recht gut«, antwortete unser Chef. »Ich habe das Bostoner Field Office angewiesen, die Aufzeichnungen von Flughafen- und Bahnhofsüberwachungskameras auszuwerten, ebenso die von Verkehrskameras. Sogar auf den Boston Harbor haben wir ein Auge. Bisher ist Tucker nicht aufgetaucht. Gehen wir also zunächst einmal davon aus, dass er sich immer noch im Großraum Boston aufhält. Was nicht unwahrscheinlich ist, schließlich bietet eine Millionenstadt hervorragende Möglichkeiten, unterzutauchen. Das hat sie in Tuckers Fall ja auch bisher getan.«

»Fragt sich nur, wie lange er noch bleibt«, meinte Phil. »Wenn ich er wäre und mir die Dixie-Mafia im Nacken säße, würde ich es zumindest in Erwägung ziehen, doch eine Luftveränderung vorzunehmen.«

Ich erhob mich.

»Wo wollen Sie hin, Jerry?«, fragte Mr High.

Ich sah ihn an. »Dorothy hat doch sicher schon ein paar Flugtickets nach Boston für uns besorgt, oder?«

Statt einer Antwort lächelte der Assistant Director nur.

***

Phil und ich hatten Glück. Der Flieger nach Boston war nicht ausgebucht, sodass der dritte Platz in unserem Abschnitt der Sitzreihe leer blieb. Darum konnten wir uns gedämpft weiter über den Fall unterhalten, während wir uns gleichzeitig mit Alan Tuckers Akte auf unseren Laptops vertraut machten.

»Interessanter Fall«, meinte Phil und hob die Augen vom Bildschirm. »Irgendwie scheint der gute Tucker eher zufällig in die ganze Sache hineingerutscht zu sein.«

»Wenn du damit meinst, dass er nicht von Kindesbeinen an kriminell aktiv war, gebe ich dir recht«, erwiderte ich. »Für ihn scheint die kriminelle Karriere tatsächlich erst damit begonnen zu haben, dass er das Pech hatte, nach seiner Ausbildung in einer von Parks’ legalen Firmen einen Job zu finden.«

»Und den hat er offensichtlich auch erst ein paar Jahre ganz normal erledigt, Jerry.«

»Bis es zum Wechsel in Parks’ andere Geschäftszweige kam. Und dann den erneuten Wechsel zurück.« Ich schaute aus dem Fenster auf die unter uns dahingleitenden Wolken. »Ich frage mich, was diese beiden doch sehr einschneidenden Karriereentscheidungen hervorgerufen hat.«

Phil zuckte mit den Schultern. »Wenn wir ihn finden, kann er uns das ja beantworten.«

»Dann sollten wir zusehen, dass wir ihn zu fassen kriegen, bevor es seinen ehemaligen Kollegen von der Dixie-Mafia gelingt«, sagte ich. »Denn davon, dass die auf eine Wiederholung des Nachrichtenbeitrags oder auf das MyChannel-Video aufmerksam geworden sind oder bald aufmerksam werden, können wir ausgehen. Und in dem Fall ist Alan Tuckers Leben keinen Cent mehr wert.«

Phil schaute auf seine Uhr. »Dann ist es ja umso besser, dass wir bereits in etwa einer halben Stunde in Boston landen werden.«

Am Logan Airport erwartete uns Special Agent Zack Terranova, den der Leiter des Boston Field Office geschickt hatte, um uns in Empfang zu nehmen. Er war Anfang dreißig, trug einen schwarzen Anzug und hätte, wenn er eine Sonnenbrille getragen hätte, auch für die Mafia arbeiten können. Als wolle er das beweisen, setzte er prompt eine auf und grinste dabei, als habe er meinen Gedanken erraten.