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Die Tochter eines texanischen Rinderbarons wurde in Manhattan auf einer Bank im Central Park tot aufgefunden. Goldener Schuss. Sie war nicht die erste junge Frau, die von der Bildfläche verschwand und ein paar Tage später als Leiche wiederauftauchte, immer mit einer Überdosis Heroin in den Adern. Phil und ich ermittelten schnell, dass sich eine New Yorker Bande auf Menschenhandel und Sexversklavung spezialisiert hatte. Dennoch mussten wir unsere Anstrengungen verdoppeln, denn gut aussehende junge Frauen waren nirgendwo mehr in der Stadt vor diesen skrupellosen Verbrechern sicher!
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Sex kills
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Naked Weapon«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6512-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Sex kills
Trübgraue Nebelschwaden krochen wie zerlumpte Gespenster, lautlos und sich fortwährend verändernd, durch den frühmorgendlichen Central Park.
Die Stadt, von der behauptet wird, dass sie niemals schläft, schlief noch. Ein einsamer Jogger, der sich selbst scherzhaft als Früh-Frühaufsteher bezeichnete, spulte wie in Trance sein alltägliches Fitnessprogramm ab – nicht ahnend, dass ihn gleich ein fürchterlicher Schock mit der Wucht eines Keulenschlags treffen würde.
Sein Name war Tye Cooke. Er lief mit federnden Schritten, hatte schon etliche Marathonmeilen in den Beinen und bereitete sich zurzeit auf die Teilnahme an einem Ironman-Event in Kanada vor. Alle Bänke, an denen er vorbeikam, waren, wie gewohnt, leer. Nur eine nicht.
Auf der saß jemand. Eine junge Frau. Allein. Halb nackt. Um diese Zeit. Der musste doch kalt sein. Cooke wurde langsamer und blieb schließlich stehen.
»Miss. Ist alles in Ordnung, Miss?«
Sie reagierte nicht, schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen. Ihr Kopf hing weit nach vorne. Ihr langes blondes Haar ließ nichts von ihrem Gesicht erkennen.
Cooke näherte sich ihr. »Ist Ihnen nicht gut, Miss?«
Schweigen.
»Brauchen Sie Hilfe? Kann ich etwas für Sie tun?«
Da sie noch immer nicht antwortete, begann sich Cookes Sonnengeflecht allmählich unangenehm zusammenzuziehen. Hoffentlich ist sie nicht …
Er dachte seine beklemmende Befürchtung nicht zu Ende. Vielleicht schläft sie nur, ging es ihm durch den Sinn. Oder sie ist schwerhörig und hat nicht mitbekommen, dass ich sie angesprochen habe.
Als Nächstes nahm er an, dass sie auf einer wilden Party zu viel getrunken, geraucht oder geschnupft – oder alles zusammen – und auf dem Heimweg hier Rast gemacht hatte.
Er berührte ihre kalte Schulter. Sie kippte langsam zur Seite, und in Cookes Kopf explodierte der Gedanke: Meine Güte, sie ist tot!
Panik erfasste ihn. Das Mädchen war seine erste Leiche. Er hatte noch nie einen toten Menschen gesehen. Zwischen seinen Schläfen herrschte ein heilloses Durcheinander.
Er brachte nichts mehr richtig auf die Reihe, war völlig konfus. Ihm war zwar klar, dass er jetzt etwas tun musste, aber er konnte sich zu nichts entschließen, und als in den nahen Büschen plötzlich Zweige knackten, war er kurz davor, komplett durchzudrehen.
Er zuckte heftig zusammen. »He! Hallo! Wer ist da?« Blätter bewegten sich. War das der Wind? Ohne zu begreifen, was er tat und dass er sich möglicherweise in Gefahr begab, näherte er sich angespannt den Büschen. »Ist da jemand?« Er vibrierte innerlich und ballte die Hände zu Fäusten. »Komm heraus, Mann. Deine Freundin ist tot. Komm her, verdammt noch mal. Du hast eine Verantwortung, vor der du dich nicht drücken darfst.«
Niemand erschien. Tye Cooke trug sein Smartphone in einer atmungsaktiven knallgelben Nike-Handytasche am Oberarm. Er hatte es noch nie gebraucht, wenn er so früh am Morgen unterwegs gewesen war.
Jetzt war er froh, dass er es trotzdem noch nie zu Hause gelassen hatte. Er wählte den Polizeinotruf und stammelte wirres Zeug ins Handy.
Kein Wunder, dass sich der Beamte am anderen Ende überhaupt nicht auskannte und ihn eindringlich bat, sich zu beruhigen.
»Beruhigen?«, schrillte Cooke hysterisch. »Ich soll mich beruhigen? Mann, sind Sie noch zu …?« Er unterbrach sich, schloss kurz die Augen, schluckte und fuhr heiser fort: »Entschuldigen Sie, Officer … Ich stehe hier vor einer weiblichen Leiche und …«
»Wo sind Sie?«
»Das habe ich doch schon gesagt.«
»Ich habe Sie akustisch nicht verstanden.«
»Im Central Park. Ich befinde mich im Central Park.«
»Wo genau?«
Cooke blickte sich hektisch um und nannte dem Mann am anderen Ende seine momentane Position.
»Wie ist Ihr Name, Sir?«
»Tye Cooke«, antwortete der Läufer genervt. Er hatte seinen Namen doch schon genannt. Oder etwa nicht?
»Ihre Adresse?«
Er nannte auch sie.
»Und wie heißt die Tote?«
»Woher soll ich das denn wissen?«, gab Cooke aufgewühlt zurück.
»Sie kennen sie nicht?«
»Nein. Woher denn? Hören Sie, ich bin Hobbysportler. Ich laufe hier, wie jeden Morgen, meine Runde, sehe plötzlich eine halb nackte junge Frau auf einer Bank sitzen, denke mir, da kann etwas nicht stimmen – und als ich sie anfasse, kippt sie um …«
»Sie haben die Tote berührt?«
»Warum nicht? Klar habe ich sie berührt. Ich dachte, sie würde Hilfe brauchen.«
»Wieso wissen Sie, dass sie tot ist, Mister Cooke? Sind Sie Arzt?«
»Nein, bin ich nicht. Aber die Frau ist eiskalt und regt sich nicht mehr. Die ist nicht bloß ohnmächtig, Officer. Wenn die nicht tot ist, fresse ich meine Laufschuhe.«
Der Beamte forderte Tye Cooke auf, zu bleiben, wo er war, und auf den NYPD-Streifenwagen zu warten, der in Kürze bei ihm eintreffen würde.
»Frage«, sagte ich zu meinem Partner, während wir auf dem Weg zu Mr. High waren.
Zwei Kollegen kamen uns auf dem Flur der FBI Headquarters entgegen. Sie grüßten uns. Wir grüßten zurück. Phil zog die linke Augenbraue hoch und sah mich abwartend an. Er wirkte müde, hatte letzte Nacht wohl nicht viel Schlaf bekommen.
»Wieso konnte ich dich gestern Abend nicht erreichen?«, wollte ich wissen. »Ich hab’s dreimal versucht.«
»Wann?«
»So gegen acht Uhr.«
»Ich war zu Hause.«
»Und warum bist du nicht rangegangen?«
»War’s was Wichtiges?«
»Zeerookah wollte mit uns einen neuen Franzosen in der Sechsundvierzigsten testen, Phil.«
»Und? Wie war er?«
Ich küsste meine Fingerspitzen. »Magnifique.«
»Ich hatte Besuch.«
»Kenne ich sie?«
Phil schmunzelte kryptisch. »Wer sagt, dass es eine Sie war?«
Ich ging nicht näher darauf ein, hatte aber einen ganz bestimmten Verdacht. Da war kürzlich am Pier 17 eine höchst attraktive Brünette gewesen, die für eine Pizzeria bunte Flyer verteilt und meinem Partner schöne Augen gemacht hatte. Wenn man von so jemandem daheim besucht wird, haben Anrufer verständlicherweise keine Chance.
Wir betraten Helens Reich. Die gut aussehende, dunkelhaarige, stets tipptopp gekleidete Sekretärin unseres Chefs empfing uns mit einem strahlenden Lächeln.
Ich zeigte auf sie und sagte zu Phil: »Na? Ist das ein Anblick?«
Er nickte grinsend. »Und schon ist unser Tag gerettet.«
Helen lachte. »Schmeichler.« Sie wies auf die Tür, die in John D. Highs Allerheiligstes führte. »Ihr werdet erwartet. Kaffee?«
»Von dir – immer«, gab ich zurück.
Mr. High erwartete uns nicht allein. Zwei Männer waren bei ihm. Dem einen sah man den texanischen Rinderbaron schon von Weitem an. Auch ohne Sporen an den gespitzten und kunstvoll verzierten Lederstiefeln, dafür aber mit einer klobigen Silberschnalle am extrabreiten Gürtel.
Der andere sah aus, als wäre er gerade einem Hochglanz-Männermagazin entstiegen. Mit den scharfen Bügelfalten seines mitternachtsblauen Anzugs hätte man einen Brotlaib in Scheiben schneiden können.
Er machte auf mich einen steifen, arroganten, selbstgefälligen Eindruck – ein Narziss, der niemanden so sehr liebte wie sich selbst.
Es fiel den Menschen, mit denen er zu tun hatte, bestimmt nicht leicht, ihn zu mögen. Wahrscheinlich legte er auch gar keinen gesteigerten Wert darauf, mit irgendjemandem gut auszukommen.
Mr. High machte uns mit den beiden Gentlemen bekannt. Der »Cowboy« hieß Hugh Harrison und der Geschniegelte war Murray Coulter, Harrisons New Yorker Anwalt. John D. High forderte uns auf, Platz zu nehmen. Ich sah Leid, Kummer und Trauer in Hugh Harrisons grauen Augen. Sein Anwalt schien ihn mit tröstenden Blicken aufbauen zu wollen, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm das auch gelang. Irgendetwas Schlimmes schien vorgefallen zu sein. Helen brachte uns ihren 1-a-Kaffee und zog sich gleich wieder zurück.
»Mister Harrisons Tochter wurde vor zwei Tagen auf einer Bank im Central Park tot aufgefunden«, begann unser Chef.
Jetzt war mir klar, warum der Rinderbaron so fertig aussah. »Das tut uns aufrichtig leid, Sir«, sagte ich in seine Richtung.
Harrisons Miene ließ erkennen, wie sehr er litt. Er seufzte, als würde eine immens schwere Last auf seine Schultern drücken. »Ella war mein Ein und Alles. Ich habe sie sehr geliebt.«
»Ein Jogger hat sie frühmorgens entdeckt«, informierte uns Mr. High. »Sie war spärlich bekleidet. Inzwischen wissen wir, dass sie an einer Überdosis Heroin gestorben ist.«
»Sie hat sich angeblich den goldenen Schuss gesetzt, aber das glauben wir nicht«, warf Murray Coulter entschieden ein. Er hatte eine unangenehm kratzige Stimme.
»Sie hatte noch die Nadel im Arm«, berichtete der Assistant Director in Charge.
Hugh Harrison schüttelte grimmig den Kopf. »Meine Tochter war kein verdammter Junkie«, stieß er unbeherrscht und mit roten Flecken an den Wangen hervor. An seiner Schläfe zuckte eine dünne Ader. »Sie hat Drogen jeder Art stets verabscheut. So habe ich sie erzogen. Nicht einmal für Alkopops konnte sie sich erwärmen. Sie hat immer nur Fruchtsäfte getrunken. Und stilles Wasser. Ella war ihr Leben lang clean – und plötzlich sagt man mir, sie hätte sich den goldenen Schuss gegeben. Niemals! Das glaube ich nicht. Das ist rundweg absurd und völlig ausgeschlossen. Das kann nie und nimmer wahr sein.«
Wenn er recht hatte und über seine einundzwanzigjährige Tochter wirklich so gut Bescheid wusste – was ich, bei allem Respekt, ein wenig bezweifelte –, musste sie ermordet worden sein. Wir erfuhren, dass Harrison in Dallas lebte. Warum war seine Tochter nach New York gegangen? Um von der Liebe ihres offenbar sehr dominanten Vaters nicht erdrückt zu werden? Hatte sie frei sein wollen?
Wäre das in Dallas, zu nah bei Daddy, nicht möglich gewesen? Ich trank einen Schluck Kaffee und stellte diesbezüglich sehr vorsichtig und mit dem nötigen Feingefühl ein paar unverfängliche Fragen.
»Ella wollte Schauspielerin werden«, erklärte der texanische Viehzüchter. »Sie hatte Talent, spielte als Teenager bereits in einigen viel beachteten Highschool-Aufführungen mit, war wirklich begabt. Deshalb legte ich ihr auch nichts in den Weg, als sie mir eröffnete, sie würde gerne hier in New York Schauspielunterricht nehmen. Damit sie finanziell problemlos über die Runden kam, habe ich ihr jeden Monat Geld geschickt, und wir haben oft miteinander telefoniert. Sie machte auf mich stets einen äußerst glücklichen Eindruck. Sie können sich nicht vorstellen, wie mir zumute war, als ich aus völlig heiterem Himmel diesen entsetzlichen Anruf bekam und man mir mitteilte, dass mein Baby nicht mehr lebt.«
Harrison, dieser große, starke Mann, den in seinem bisherigen Leben bestimmt noch nie etwas umgehauen hatte, hatte mit einem Mal Tränen in den Augen.
Murray Coulter legte mit finsterer Miene die Hand flach auf den Tisch. »Wir erwarten eine rasche, lückenlose Aufklärung dieses abscheulichen Verbrechens!«, sagte er in einem Tonfall, der mir nicht behagte.
Es klang nämlich wie ein harscher Befehl, ja beinahe wie eine versteckte Drohung, und eine dermaßen impertinente Anmaßung stand diesem arroganten Schnösel meiner Ansicht nach absolut nicht zu. Mein Gefühl sagte mir, dass er ein Mann ohne moralischen Kompass war.
Ich wechselte mit Phil einen kurzen Blick. Mein Partner sah aus, als hätte er liebend gern Murray Coulters sorgfältig gebügelten Anzug zerknittert und ihm den wie mit einem Lineal gezogenen Scheitel verbogen.
Wir mochten es nicht, wenn man so mit uns redete. Mr. High wusste das. Er versicherte dem grobknochigen Texaner und dessen aufgeblasenem New Yorker Rechtsbeistand, dass der Fall bei uns in besten Händen sei.
Andrew Abernathy war ein sogenannter Fänger. Er sah fantastisch aus, war eloquent und hatte erstklassige Manieren. Dass es ihm die Frauen nicht allzu schwer machten, bei ihnen zu landen, wunderte niemanden.
Er wartete, sportlich-salopp gekleidet, in der überfüllten Ankunftshalle des LaGuardia Airport auf eine gut gebaute Schönheit namens Zoe Morosco aus Delaware, die er kürzlich in einem Datingportal kennengelernt hatte – beste Ware für die Organisation, für die er seit zwei Jahren recht erfolgreich tätig war.
Jung, hübsch, unternehmungslustig, vertrauensselig und dumm. Nach diesen Kriterien suchte er sich seine Opfer aus. Es folgten ein paar nette »Gespräche« in privaten Chatrooms, gewürzt mit vertrauenerweckenden Floskeln, wie junge Frauen sie gerne lasen, individuell auf die Zielperson abgestimmte, zu Herzen gehende Beichten, erste zaghafte Sympathiebekundungen, Austausch von intimen Selfies – und schon war die Sache geritzt. Das war Andrew Abernathys Masche, mit der er der Organisation bereits elf Mädchen verschafft hatte.
Sein Handy klingelte. »Ja?«, meldete er sich.
»Wo bist du?«, fragte der Anrufer.
»LaGuardia Airport.«
»Ist sie schon da?«
»Ihre Maschine ist gerade gelandet.«
»Ich bin gespannt, ob sie wirklich so heiß aussieht, wie du gesagt hast.«
Andrew Abernathy lachte. »Wenn sie mir nicht Fotos von ihrer besten Freundin geschickt hat, wird die Organisation mit ihr viel Kohle machen.«
»Lass die Kleine bloß nicht mehr vom Haken!«
»Habe ich das schon mal?«, gab Abernathy mürrisch zurück. »Sei unbesorgt. Ich weiß, was ich zu tun habe. Ist ja nicht mein erster Job.«
»Wann können wir die Puppe abholen?«
»Ich rufe dich in einer Stunde an … Da kommt sie.«
»Viel Glück.«
»Brauche ich nicht«, antwortete Andrew Abernathy selbstbewusst und legte auf.
Wir verließen Mr. Highs Büro. Als Helen Phils saure Miene sah, fragte sie: »War der Kaffee nicht in Ordnung?«
»Der war wie immer ein Erlebnis«, gab er grummelnd zurück. »Aber dieser Anwalt … Wofür hält der sich? Kommt hierher und spielt den wilden Mann. Wo sind wir denn? Ich musste mich sehr zurückhalten, um ihm nicht tüchtig meine Meinung zu geigen.«
Ich legte meinem Partner beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Komm runter, Phil.«
Aber er wollte sich nicht so schnell beruhigen. »Der durchgestylte Lackaffe hat keine Manieren«, tönte er mit funkelnden Augen. »Der weiß nicht, wie man sich hier zu benehmen hat. Wir sind nicht seine Lakaien.«
»Jaja, schon gut. Lass Dampf ab und vergiss ihn!«
»Ich sage dir, der wird uns noch einigen Ärger machen, Jerry.«
»Dann werden wir ihm zeigen, wo sein Platz ist. Ab und zu laufen einem so unleidliche Individuen über den Weg. Da kann man nichts machen.«
Wir verließen Helens Vorzimmer.
»Ich wünsche euch trotzdem einen schönen Tag!«, rief sie uns nach.
»Wir werden, wie immer, das Beste daraus machen«, gab ich zurück und schloss die Tür.
Wenig später forderten wir sämtliche Unterlagen an, die wir für unsere Ermittlungsarbeit benötigten. Polizeiprotokoll, Zeugenaussage, Tatortfotos, Obduktionsbefund, Presseberichte, Zeitungsartikel und dergleichen mehr.
Ich heftete einiges, das mir wichtig erschien, davon an die Pinnwand und hoffte, dass uns bald wesentlich mehr Material zur Verfügung stehen würde.
Andrew Abernathy hatte Zoe Morosco zu sich eingeladen. Sie solle für ein paar Tage nach New York kommen, hatte er ihr geschrieben. Es gebe in seinem Haus drei gemütliche Gästezimmer, von denen sie sich eines aussuchen dürfe, und es würde garantiert nichts passieren, was sie nicht wolle – großes Ehrenwort. Naiv, wie sie war, hatte sie ihm das geglaubt. Er hatte ihr den Flug bezahlt, eine Investition, die sich für die Organisation schon bald tausendfach rechnen würde.
Zoe erkannte Abernathy sofort und kam, einen mittelgroßen flamingofarbenen Trolley hinter sich herziehend, lächelnd auf ihn zu.
Er stellte zufrieden fest, dass sie in Wirklichkeit noch besser aussah als auf den Fotos, die sie ihm von sich geschickt hatte. Anfangs waren die Bilder recht »brav« gewesen. Doch mit der Zeit hatte Zoe ihm schon ein bisschen mehr von sich zu zeigen gewagt.
Und vorgestern hatte sie ihm im E-Mail-Anhang zum ersten Mal – sehr mutig – Aufnahmen in richtig heißen Dessous übermittelt. Ein wenig rote Spitze hier, noch weniger rote Spitze da. Nichts, oder so gut wie nichts, wurde auf den selbst geknipsten Fotos mehr der Fantasie überlassen. Für das Auge des interessierten Betrachters eine wahre Wohltat.
Fleisch gewordenes Gold, mit einem Marktwert, den nicht einmal ein Routinier wie Andrew Abernathy richtig einzuschätzen vermochte.
»Hi«, sagte sie leicht befangen.
Er setzte sein charmantestes Lächeln auf. »Hi.«
Sie warf ihr langes schwarzes Haar in den Nacken und zuckte verlegen mit den Schultern. »Da bin ich also.« Es klang fast so, als wollte sie sich entschuldigen. Ihre Schneidezähne gruben sich in die Unterlippe.
Er nahm ihren Trolley. »Freut mich, dass du meine Einladung angenommen hast.«
»Ich habe so etwas noch nie gemacht«, gestand sie ihm und schaute unsicher auf den Boden, als gäbe es da etwas immens Interessantes, gravierend Wichtiges zu sehen. »Aber deine Mails waren so … so … Ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll. Du bist ein herzensguter Mensch. Ich hatte sofort, also von Anfang an, Vertrauen zu dir.«
»Das ist eine gute Basis für eine dauerhafte Freundschaft«, sagte Andrew Abernathy schmuseweich.
So ehrlich, wie es ihm über die Lippen kam, konnte es unmöglich gelogen sein. Zoe hängte sich erwartungsvoll und vertrauensselig bei ihm ein.
Er hatte versprochen, ihr seine Stadt zu zeigen, und darauf freute sie sich schon riesig. Wie hätte sie auch ahnen sollen, dass auf sie die Hölle wartete?
Wir begannen mit Tye Cooke, dem Hobbysportler, der möglicherweise an Schlafstörungen litt, weil er sonst wohl kaum schon die Laufschuhe angezogen hätte, wenn andere noch intensiv an der Matratze horchten.
Oder gehörte er zu der geringen Zahl von Menschen, denen einige wenige Stunden Schlaf bereits genügten? Er war für einen internationalen Paketdienst unterwegs, musste viel arbeiten und bekam, zum Ausgleich dafür, wenig bezahlt.
Wir setzten uns mit der Firmenzentrale in Verbindung, ließen uns seine Route nennen und fingen ihn in Queens, unweit der Jamaica Hills, ab.
Die grüne Witwe, der er gerade ein mittelgroßes Paket brachte, das den unübersehbaren Rundum-Aufdruck einer bekannten Elektronikfirma trug, empfing ihn in einem Morgenmantel aus roter Seide.
Obgleich sie ihre besten Jahre bereits hinter sich hatte, war sie noch einigermaßen attraktiv und nach wie vor nicht abgeneigt, sich auf ein kurzes erotisches Abenteuer, von dem der Ehemann nicht unbedingt zu erfahren brauchte, einzulassen. Deshalb zeigte sie beim Unterschreiben verführerisch lächelnd, was dem Boten – bei allfälligem Interesse – zur Verfügung stehen würde, doch er nahm ihr gönnerhaft erotisches Angebot nicht an. Während er zu seinem Kastenwagen zurückkehrte, schloss sie enttäuscht die Haustür.