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Eine Bombe explodierte in einem Wolkenkratzer in Midtown Manhattan und versetzte ganz New York in Panik. Ziel des Anschlags schien Rigby Pharmaceuticals gewesen zu sein. Phil und ich übernahmen den Fall und ermittelten mit Hochdruck - bevor der nächste Sprengsatz hochging. Während Polizei, Medien und die Bevölkerung an einen Terroranschlag glaubten, stellten wir schnell fest, dass es gleich mehrere mögliche Täter gab. Denn das zwielichtige Pharmaunternehmen hatte nicht nur eine Leiche im Keller ...
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Tödliche Experimente
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »The Crazies«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6516-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Tödliche Experimente
Melinda Rivers lief eilig auf ihr Büro zu. Die Absätze ihrer Pumps klackerten auf dem Parkett, und ihre manikürten Hände waren zu Fäusten geballt. Um alles musste man sich selbst kümmern! Nicht nur, dass sie gleich ein wichtiges Meeting hatte und ihre Sekretärin mal wieder zu unfähig gewesen war, es frühzeitig vorzubereiten.
Nein, jetzt hatte sie auch noch festgestellt, dass die Damentoilette verstopft war, und musste einen Klempner rufen. Als hätte sie als Geschäftsführerin nichts Besseres zu tun. Melinda Rivers griff nach der Klinke ihrer Bürotür.
In diesem Moment hörte sie den Knall. Sie wurde durch die Luft geschleudert. Und vor ihren Augen verwandelte sich ihr Büro in eine Flammenhölle.
»Mach das lauter«, bat Phil. »Das Lied gefällt mir.«
Ich rollte mit den Augen. Auch wenn ich mit meinem Partner sowohl dienstlich als auch privat absolut auf einer Wellenlänge war: Phils Musikgeschmack war mir manchmal ein Rätsel. Doch ich wollte kein Spielverderber sein und drehte den Lautstärkeregler des Autoradios hoch.
Phil lehnte sich grinsend im Beifahrersitz zurück. »So fängt der Arbeitstag gut an.«
»Wenn man einen persönlichen Chauffeur hat, fängt jeder Tag gut an«, stichelte ich. In Wirklichkeit machte es mir nichts aus, meinen Partner zur Arbeit mitzunehmen. Im Gegensatz zu ihm war ich ein leidenschaftlicher Autofahrer und freute mich über jede Gelegenheit, meinen Jaguar zu bewegen.
Phil ignorierte meinen Kommentar und summte sein neues Lieblingslied mit, als die Stimme des Radiomoderators die Musik unterbrach.
»Wie wir gerade erfahren haben, hat es eine Explosion in einem Bürogebäude auf der Third Avenue in Midtown Manhattan gegeben. Feuerwehr und Polizei sind bereits vor Ort. Über die Hintergründe ist noch nichts bekannt, aber das NYPD schließt einen Terroranschlag nicht aus.«
Sofort saß Phil aufrecht im Sitz. »Ein Anschlag in Midtown? Um diese Uhrzeit müssen dort Tausende Menschen unterwegs sein!«
Ich überlegte nicht lange. Wir waren auf der 12th Avenue auf Höhe des DeWitt Clinton Park unterwegs. Wenn ich die nächste Abfahrt nahm, würden wir über die West 48th Street geradewegs nach Midtown gelangen.
»Ich fahre hin«, sagte ich. »Vielleicht kann das NYPD Unterstützung gebrauchen.«
»Gute Idee«, erwiderte Phil. »Dazu brauchen wir nur die genaue Adresse.«
Über die Freisprechanlage rief Phil Helen im FBI Field Office an. Die Sekretärin unseres Chefs, Assistant Director in Charge High, nannte uns die Hausnummer des Gebäudes, in dem sich die Explosion ereignet hatte.
»Ich fürchte allerdings, dass Sie nicht bis dorthin durchfahren können«, meinte Helen. »Die Verkehrssituation soll chaotisch sein. Passen Sie auf sich auf!«
Helen behielt recht: Kaum dass wir die 12th Avenue verlassen hatten, wurde der Verkehr immer dichter. Als wir auf Höhe der 6th Avenue angelangt waren, kamen wir nur noch im Schneckentempo voran.
»Das hätten wir uns denken können«, knurrte Phil. »Sicher sind die Straßen rund um das Gebäude gesperrt. Und zusätzlich stecken wir mitten im Berufsverkehr.«
Ich stöhnte. »Wenn es so langsam weitergeht, dauert es noch mindestens eine halbe Stunde, bis wir da sind.«
»Da vorne!«, rief Phil plötzlich und deutete aus seinem Fenster. »Ein Parkplatz! Stell den Wagen ab, von hier aus können wir zu Fuß weiterlaufen.«
Ich folgte Phils Rat, und wir stiegen aus. Erst jetzt, da ich nicht mehr auf den zähen Verkehr achten musste, bemerkte ich, dass das Bild um uns herum nichts mit dem typischen geschäftigen Treiben auf einer New Yorker Straße an einem Montagmorgen zu tun hatte. Die Menschen, die aus Richtung der 3rd Avenue kamen, liefen nicht nur schnellen Schrittes, sondern sie rannten. Und das hatte nichts mit dem kalten Wind und dem Nieselregen zu tun. Fast allen Passanten stand die Panik ins Gesicht geschrieben.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte ich zu Phil, der gerade einen Satz zur Seite machte, um nicht mit einer jungen Blondine zusammenzustoßen, die sich immer wieder umschaute und nicht auf den Weg vor sich achtete.
Ein Mann neben ihr schrie in sein Handy: »Es ist mir egal, dass die Konferenz nicht ohne mich stattfinden kann! Wenn ihr gleich alle tot seid, gibt es gar keine Konferenz mehr!« Dann warf er sein Handy auf den Boden und fing zu rennen an.
Phil und ich beschleunigten unsere Schritte. Aber fast niemand wollte in die gleiche Richtung wie wir. Wir liefen gegen den Strom und kamen kaum voran. Die Menschen wollten offensichtlich so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Ort der Explosion bringen.
Mittlerweile konnten wir Sirenen hören. Ein Anzugträger, der uns entgegenkam, drückte sein Handy ans Ohr. »Ich komme, so schnell ich kann«, rief er. »Sag der Kleinen, dass ich sie liebe.«
Eine junge Frau neben ihm versuchte, auf ihren Highheels zu rennen. Als sie umknickte und auf den Gehweg stürzte, schubste ein Mann sie unsanft zur Seite und drängelte sich an ihr vorbei.
Phil eilte zu der Frau, die am Boden kniete und sich mit Tränen in den Augen ihren Knöchel rieb.
»Alles in Ordnung?«, fragte mein Partner, doch die Frau rappelte sich schon wieder auf und humpelte weiter.
»Solche Situationen bringen doch immer wieder das Schlimmste in den Menschen hervor«, sagte Phil kopfschüttelnd.
Die 3rd Avenue war komplett abgesperrt. Fahrzeuge des New York Police Department standen so dicht nebeneinander, dass kein Durchkommen war. Hinter ihnen sah ich einige Rettungswagen und beobachtete, wie ein Sanitäter eine Frau mit rußverschmiertem Gesicht und heftigem Husten behandelte. Ein anderer versorgte eine Schürfwunde im Gesicht eines älteren Mannes. Auf den ersten Blick sah es nicht so aus, als gäbe es Schwerverletzte.
Das Gebäude, in dem sich der Anschlag ereignet hatte, war ein mindestens vierzigstöckiger Wolkenkratzer mit spiegelnder Glasfassade. Aus dem Eingang strömten Menschen. Einige wirkten relativ gefasst, andere hatten weiße Gesichter und weit aufgerissene Augen, wieder andere weinten hysterisch. Cops standen an beiden Seiten der Eingangstür und achteten darauf, dass kein Gedränge entstand.
Eine Beamtin stellte sich Phil und mir in den Weg, als wir zwischen zwei Streifenwagen hindurch auf das Gebäude zugingen.
Ich zeigte der jungen Frau meine FBI-Dienstmarke. »Ich bin Special Agent Cotton, und das ist mein Partner Special Agent Decker. Wir waren zufällig in der Nähe und wollten unsere Unterstützung anbieten.«
Die Beamtin deutete auf einen Officer ein paar Yards entfernt, der sich gerade mit einem Feuerwehrmann unterhielt. »Da vorne steht unser Einsatzleiter, Sergeant Stephen DiAngelo. Am besten, Sie wenden sich an ihn.«
Als Sergeant DiAngelo sein Gespräch beendet hatte, stellten Phil und ich uns vor und erklärten, warum wir hier waren.
»Es ist sehr freundlich, dass Sie helfen wollen, Agents«, sagte DiAngelo, ein kräftiger Mann mit widerspenstigen schwarzen Locken und freundlichem Lächeln. »Aber wir haben die Situation mittlerweile unter Kontrolle.« Er deutete auf den Eingang des Gebäudes. »Die Evakuierung ist fast abgeschlossen. Die Feuerwehr ist dabei, den Brand zu löschen, der durch die Explosion entstanden ist. Zum Glück hat er sich nicht besonders weit ausgebreitet. Zurzeit sind außerdem Bombenspürhunde im Gebäude im Einsatz. Bislang sieht es aber nicht danach aus, als seien darin noch Sprengkörper versteckt.«
»Das ist gut zu wissen«, gab Phil zurück. »Wo genau ist die Bombe hochgegangen?«
»Auf der zehnten Etage, in den Büroräumen eines Pharmaunternehmens namens Rigby Pharmaceuticals. Was genau passiert ist, kann ich Ihnen aber nicht sagen. Wir werden mehr wissen, wenn die Emergency Service Unit eintrifft.«
Ich nickte. Diese Spezialeinheit des NYPD verfügte über Sprengstoffexperten. Sie würden den Tatort untersuchen, sobald der Brand gelöscht und das Gebäude von der Feuerwehr freigegeben war.
»Könnte es ein Selbstmordattentat gewesen sein?«, fragte Phil.
Sergeant DiAngelo fuhr sich durch die Haare. »Ausschließen will ich nichts. Aber zumindest hat bislang kein Augenzeugen gesagt, dass er jemanden im zehnten Stock gesehen hat, der nicht dorthin gehörte. Wir wissen auch noch nicht, ob …«
Ein Tumult am Eingang des Hochhauses ließ Sergeant DiAngelo mitten im Satz abbrechen. Die Schlange der Menschen, die das Hochhaus verließen, war noch immer nicht abgerissen. Nun aber machten sie Platz, um zwei Sanitäter durchzulassen, die eine Bare trugen. Von Weitem konnte ich nur erkennen, dass eine relativ kleine blonde Frau darauf lag, die offenbar nicht bei Bewusstsein war. Die Sanitäter liefen schnellen Schrittes zu einem der wartenden Krankenwagen. Kaum hatten sie die Türen hinter sich geschlossen, schaltete der Wagen Warnlicht und Sirene ein und fuhr los.
»Wie viele Verletzte und Todesopfer gibt es?«, erkundigte ich mich.
»Bislang wurde ein Todesopfer geborgen«, berichtete DiAngelo. »Eine Frau, zu deren Identität ich leider noch nichts sagen kann. Viele Mitarbeiter von Rigby Pharmaceuticals haben Rauchvergiftungen oder einen Schock erlitten, aber Gott sei Dank habe ich bislang noch keine schweren Verletzungen gesehen. Das eben war das erste Mal, dass die Sanitäter das Martinshorn eingeschaltet haben.«
Ich schaute in die Richtung, in die der Rettungswagen verschwunden war. Seine Sirenen waren nur noch leise zu hören. Ich betete, dass die Sanitäter die Frau rechtzeitig ins Krankenhaus bringen würden.
Mr. High gab sich sichtlich Mühe, ruhig zu wirken. Doch ich arbeitete lange genug mit ihm zusammen, um seine Besorgnis in seinem Blick und in seinen unruhigen Händen zu erkennen. Eine Explosion mitten in Manhattan weckte bei uns allen ungute Erinnerungen. Auch wenn die Zahl der Opfer mit einer Toten und einer Schwerverletzten zum Glück vergleichsweise gering war.
Es war einige Stunden her, dass wir den Tatort verlassen und ins Field Office gefahren waren. Nun saßen wir mit Mr. High am Besprechungstisch in seinem Büro.
»Ich habe mich gerade vom NYPD auf den neuesten Stand bringen lassen«, begann unser Chef. »Die Kollegen der Emergency Service Unit haben mittlerweile den Explosionsherd lokalisiert. Die Bombe ist im Büro der Geschäftsführerin von Rigby Pharmaceuticals, Melinda Rivers, explodiert. Der Sprengsatz war in einem Aktenschrank deponiert. Um was für eine Art es sich genau handelt, müssen die Experten noch untersuchen.«
»Also ist die Geschäftsführerin das Todesopfer?«, fragte ich.
»Nein«, gab Mr. High zurück. »Anscheinend war Mrs. Rivers nicht im Zimmer, als die Bombe explodierte. Aber sie kann nicht weit entfernt gewesen sein, denn sie wurde schwer verletzt. Sie wird zurzeit mit diversen Prellungen, Quetschungen und inneren Blutungen im Mount Sinai Hospital behandelt.«
»Also ist das Todesopfer womöglich der Attentäter?«, meinte Phil.
»Unwahrscheinlich«, gab unser Chef zurück. »Die Tote wurde mittlerweile identifiziert. Es handelt sich um die Sekretärin von Mrs. Rivers, Ivy Barnes. Sie hat sich im Büro ihrer Chefin aufgehalten, als der Sprengsatz detonierte.«
»Und was ist mit den Mitarbeitern in den angrenzenden Büros?«, erkundigte ich mich.
»Auf der einen Seite liegt das Büro von Ivy Barnes«, berichtete Mr. High. »Das Zimmer auf der anderen Seite wurde nicht genutzt. Der Mitarbeiter, der dort saß, ist vor Kurzem entlassen worden, sein Nachfolger sollte erst kommende Woche anfangen. Die Räume rechts und links wurden durch die Detonation ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Die Mitarbeiter, die zwei Zimmer weiter gearbeitet haben, haben zwar Knalltraumata und Rauchvergiftungen erlitten, aber keine schlimmeren Verletzungen.«
»Was für ein Glück, dass nicht noch mehr passiert ist«, sagte ich.
Mr. High nickte. »Es sieht nicht danach aus, als hätten es die Täter auf eine möglichst große Zahl von Opfern abgesehen.«
»Das spricht gegen islamistischen Terror«, folgerte Phil.
Mr. High nickte erneut. »Ich habe vorhin sowohl mit Kollegen von der CIA als auch der NSA gesprochen. Beiden Behörden liegen keinerlei Hinweise vor, die in die islamistische Szene führen. Oft gibt es ein gewisses Grundrauschen in islamistischen Netzwerken im Internet, wenn ein großer Anschlag bevorsteht. Oder Informanten bekommen etwas mit. Diesmal deutete aber nichts auf einen bevorstehenden Anschlag hin.«
Phil räusperte sich. »Ich finde auch das Ziel des Anschlags untypisch für Dschihadisten. Warum sollten sie ein Pharmaunternehmen angreifen?«
»Das erschließt sich mir auch nicht«, stimmte ihm Mr. High zu. »In der Regel wählen islamistische Extremisten Ziele aus, die einen gewissen Symbolcharakter haben. Ich weiß nicht, wie ein Pharmaunternehmen ins Konzept passen würde.«
»Ich nehme an, es gibt kein Bekennerschreiben oder –video.«
»Nein, Jerry«, bestätigte Mr. High. »Auch das spricht gegen Dschihadisten als Täter. Solche Gruppen wollen den vermeintlichen Ruhm für ihre Taten öffentlich für sich reklamieren. Aber natürlich ist es möglich, dass das Bekennerschreiben noch auftaucht. Ich habe Supervisory Agent Doktor Bruckner beauftragt, alle einschlägigen Netzwerke und Internetplattformen im Auge zu behalten.«
»Das ist gut«, sagte ich. Wenn online ein Brief oder Video auftauchte, in dem sich jemand zu dem Anschlag bekannte, dann würde das unserem jungen IT-Experten Ben sicher nicht entgehen.
»Auch wenn ein islamistischer Hintergrund nicht auszuschließen ist, sollten Sie Ihre Ermittlungen doch zunächst auf das direkte Umfeld von Rigby Pharmaceuticals und Melinda Rivers konzentrieren«, fuhr unser Chef fort. »Wir müssen herausfinden, ob es Menschen gibt, die den Geschäften der Firma oder der Geschäftsführerin persönlich schaden wollen.«
»Es dürfte schwierig werden, das herauszufinden, solange wir nicht mit Mrs. Rivers sprechen können«, warf Phil ein.
Unser Chef lächelte. »Ich habe vorhin mit dem Mount Sinai Hospital telefoniert. Mrs. Rivers’ Zustand ist stabil. Sie wollte sich sogar schon wieder ihren Laptop bringen lassen, um weiterzuarbeiten. Davon konnten die Ärzte sie zwar abhalten. Doch sie hat darauf bestanden, so schnell wie möglich mit dem FBI zu sprechen, um die Ermittlungen voranzutreiben.«
Ich stand auf. »Dann sollten wir keine Zeit verlieren.«
Vor dem Krankenhauszimmer von Melinda Rivers stand ein uniformierter Officer des NYPD. Da die Rigby-Geschäftsführerin nur knapp einen Bombenanschlag überlebt hatte, war sie unter Polizeischutz gestellt worden. Der junge Kollege warf uns einen gequälten Blick zu, als wir auf die Zimmertür zugingen.
»Viel Spaß mit der Lady«, murmelte er.
Als wir den Raum betraten, verstand ich schnell, was er meinte. Zwar wirkte Melinda Rivers mit ihren langen hellblonden Haaren, den feinen Gesichtszügen und der randlosen Brille trotz ihrer fünfundvierzig Jahre fast mädchenhaft. Die unzähligen kleinen Schnittwunden in ihrem Gesicht und die Verbände an ihren Armen komplettierten das Bild einer zarten und hilflosen Frau. Doch ihre tiefe, gebieterische Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass dieser Eindruck täuschte. Melinda Rivers war es gewohnt, auf sich selbst aufpassen.
»Da sind Sie ja endlich!«, herrschte sie Phil und mich an. Sie saß aufrecht im Bett und war an einen Berg Kissen gelehnt. Auf ihrem Schoß lag ein Notizbuch. »Ich wollte gerade der Schwester sagen, dass sie noch mal bei Ihnen anrufen soll.«
Ich lächelte sie beruhigend an und zog zwei Stühle zu ihrem Bett heran. »Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten und es uns Ihre Ärzte erlaubt haben.«
»Die Ärzte!« Melinda Rivers schnaubte. »Die haben doch keine Ahnung. Mir geht es gut!«
Phil zog skeptisch die Augenbrauen hoch und deutete auf die Verbände an ihren Armen.
Melinda Rivers machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die paar Kratzer und Prellungen. Und angeblich leichte innere Blutungen, aber die Ärzte haben selbst gesagt, dass es nicht lebensbedrohlich ist. Mit den Schmerzmitteln geht es mir wunderbar. Aber nein, ich darf noch nicht mal meine Mails checken. Sie können allerdings froh sein, dass mich die Quacksalber an der kurzen Leine halten, Agents.« Sie tippte auf das Notizbuch in ihrem Schoß. »Ich habe die Zeit genutzt, um ein Gedankenprotokoll darüber zu schreiben, was vor der Explosion passiert ist.«
»So?« Ich war nicht überrascht.
Mit einer schwungvollen Bewegung riss sie eine Seite aus dem Notizbuch und reichte sie mir. »Da steht alles drin, was Sie wissen müssen. Und jetzt finden Sie das Schwein, das mein Büro in die Luft gesprengt hat!«
Offensichtlich hatte Melinda Rivers genaue Vorstellungen davon, wie unsere Ermittlungen abzulaufen hatten. Doch ich würde mir von ihr keine Vorschriften machen lassen. Ich faltete den Zettel zusammen und steckte ihn in meine Hemdtasche.
»Das wird sicher hilfreich sein, Mrs. Rivers«, sagte ich freundlich. »Trotzdem würden wir Sie lieber direkt befragen. Erfahrungsgemäß ergeben sich im Gespräch oft andere Erkenntnisse als bei einem geschriebenen Bericht.«
Melinda Rivers verdrehte die Augen. »Wenn Sie meinen, dass Sie sich nicht lieber der Jagd nach dem Täter widmen sollten …«
Phil ließ die Geschäftsführerin von Rigby Pharmaceuticals nicht ausreden. »Mich erstaunt, wie gefasst Sie über den Anschlag sprechen, Mrs. Rivers. Sie sind nur knapp mit dem Leben davongekommen. Ihre Sekretärin ist gestorben. Nimmt Sie das gar nicht mit?«
»Das ist mal wieder typisch!« Melinda Rivers’ Augen funkelten vor Wut. »Weil ich eine Frau bin, erwarten Sie, dass ich hier wie ein Häufchen Elend sitze und mir die Seele aus dem Leib weine. Aber heilen dadurch meine Wunden schneller? Würde Ivy Barnes davon wieder lebendig? Sicher nicht! Also tue ich lieber alles dafür, dass der Täter gefasst wird. Wäre ich ein Mann, würde Sie das nicht wundern.«
»Das hat nichts mit Ihrem Geschlecht zu tun«, widersprach ich. »Aber Sie haben recht, natürlich geht jeder Mensch anders mit traumatischen Erlebnissen um. Erzählen Sie uns doch, was Sie gemacht haben, als Sie heute Morgen ins Büro gekommen sind.«