Jerry Cotton 3214 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3214 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Der Whistleblower Stan Kramer wurde mit einer Überdosis Insulin ermordet. Er hatte der New York Times Geheiminformationen aus dem Weißen Haus zugespielt und dafür gesorgt, dass einige hochrangige Politiker ihren Hut nehmen mussten. Da dadurch ein dollarschwerer Deal mit einem lateinamerikanischen Staat geplatzt war, hatte Kramer von der Waffenlobby dafür die Rechnung präsentiert bekommen. Als Phil und ich die Ermittlungen aufnahmen, gerieten wir in das Visier eines eiskalten Profikillers, ehe wir bis drei zählen konnten!

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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Omega-Bruderschaft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Triple 9«/ddp-images

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7601-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Omega-Bruderschaft

»Wie sieht’s aus?«, fragte die kratzige Stimme am anderen Ende nervös.

»Gut«, antwortete der Killer stoisch.

»Ist Kramer tot?«

»So gut wie.«

»Verdammt, er lebt noch?«, brauste der Anrufer wütend auf. »Mann, was soll das? Sie sacken eine Menge Geld für diesen Mord ein …«

»Und ich werde ihn auch ausführen«, erwiderte der Killer gelassen. »Aber so, wie ich das für richtig halte.« Er legte auf und schaltete boshaft grinsend sein Smartphone ab, damit ihm der lästige Typ nicht weiter auf die Nerven gehen konnte.

Stan Kramer hatte für diesen Abend eine interessante Blondine klargemacht. Sie war zwar nicht die Allerschönste, eher passabler Durchschnitt, aber an ihr war alles dran, was Männer begehren, und sie hatte ihm sehr kokett und mit unmissverständlich sinnlichen Signalen zu verstehen gegeben, dass sie nicht abgeneigt wäre, sich auf ein knisterndes Spiel mit dem Feuer – und somit auch mit ihm – einzulassen.

Also hatte er sie zu sich nach Hause eingeladen. Er würde kochen, hatte er gesagt. Er konnte zwar nur ein einziges Gericht, das aber wirklich gut. Es würde sie mit Sicherheit umhauen – und genau das war schließlich auch sein Plan. Kramer war zuversichtlich, dass sich die Angelegenheit mit ausreichend Rotwein rasch in die richtige Richtung lenken lassen würde, und er rechnete ganz fest damit, dass zu guter Letzt beide Seiten sehr zufrieden sein würden.

Das moderne Einfamilienhaus, in dem er wohnte, gehörte ihm nicht. Er hatte es gemietet. Auf dem Dach glänzte eine Photovoltaikanlage der neuesten Generation. Solange es hell war, versorgte sie den gesamten Haushalt mit Strom. Nicht verbrauchte Energie wurde in Batterien gespeichert.

Kramer lenkte den Wagen, einen roten Mustang, den er zusammen mit der Immobilie übernommen hatte, in die Einfahrt und sorgte mit einem kurzen Funksignal dafür, dass sich das Garagentor automatisch öffnete.

Langsam rollte der Mustang in die Garage, und das Tor begann, sich beinahe lautlos wieder zu schließen. Kramer stellte den Motor ab und stieg aus.

Er trug eine hellbraune Lederjacke, schwarze Jeans und weiße Sneaker, war vollschlank und bestimmt nicht der Traum aller Frauen.

Aber hin und wieder – wie zum Beispiel heute – war das Schicksal geneigt, auch ihm gnädig ein paar erfüllende Stunden in trauter Zweisamkeit zu bescheren. Er holte zwei prall gefüllte Einkaufstüten aus dem Kofferraum, verließ damit die Garage und trug sie ins Haus.

Als er sah, dass er von einem Mann, den er nicht kannte, im Wohnzimmer erwartet wurde, ließ er entsetzt die braunen Papiertüten fallen und alles, was sich an Zerbrechlichem darin befand, ging zu Bruch – drei Rotweinflaschen, ein Olivenglas, eine Flasche mit kubanischem Rum …

»Ups!«, machte der Killer zynisch, während alles, was flüssig war, aus den Tüten sickerte und auf dem Parkettboden eine große, intensiv riechende Lache bildete.

»Wer … wer sind Sie?«, stammelte Stan Kramer.

Der sportlich gekleidete, schmalgesichtige Killer saß in einem gemütlichen Ledersessel. Jetzt stand er ohne Eile auf. »Nächste Frage.«

»Wer schickt Sie?«

Der Killer grinste kalt. »Ich wette, du weißt das.« Sein Blick wurde hart. Er senkte den Kopf. »Du hast einen großen Fehler gemacht, Kramer.«

Stan Kramer schoss eine heiße Welle in den Kopf. Sein Gesicht wurde so rot wie der Mustang in der Garage. »Ich habe getan, was ich tun musste«, rechtfertigte er sich.

»Du hättest damit rechnen müssen, dass man dir das nicht so einfach durchgehen lassen würde.«

Dicke Schweißperlen bildeten sich auf Kramers Stirn. »Es war meine Pflicht …«

»Du hast erheblichen Schaden angerichtet«, fiel der Killer seinem Opfer scharf ins Wort.

»Ich würde es jederzeit wieder tun.«

»Ich bin beauftragt und ermächtigt, dafür zu sorgen, dass du dazu nie mehr in der Lage sein wirst.« Der Killer zog die Augenbrauen zusammen. »Ich bin sicher, du bist intelligent genug, um zu wissen, was das für dich bedeutet.«

Furcht und Entsetzen lähmten Stan Kramer so sehr, dass er sich nicht von der Stelle rühren konnte. Er wollte fliehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Er stand wie angewurzelt vor dem Fremden, der gekommen war, um ihn für eine Tat zu bestrafen, die viele gutgeheißen hatten.

»Du wirst morgen wieder in der Zeitung stehen«, sagte der Killer emotionslos. »Zum letzten Mal. Dann wird man dich vergessen.«

Jetzt erst fiel Kramer auf, dass sein Gegenüber Latexhandschuhe trug. Der Mann holte etwas aus der Hosentasche und kam langsam näher.

Kramer starrte fassungslos darauf und war nicht in der Lage, auch nur einen halben Schritt zurückzuweichen. Von einer unvorstellbaren Angst in Geiselhaft genommen, empfing er aus der Hand des Unbekannten den Tod.

Obwohl ich meinen roten Jaguar nur kurz an unserer gewohnten Ecke anhielt, um Phil einsteigen zu lassen, plärrte hinter mir gleich eine Hupe los. Da hatte es einer besonders eilig.

»Jaja, schon gut!«, brummte ich.

Phil schwang sich auf den Beifahrersitz, und ich fuhr weiter.

»Hat nicht einmal eine halbe Minute gedauert«, motzte ich in den Rückspiegel.

»Schlechte Laune, Partner?«, fragte Phil.

»Nur wenn mir einer so kommt.«

Phil grinste. »Das ist New York, Jerry. Und in der Rushhour gelten außerdem andere Gesetze. Das weißt du doch.«

Ich atmete einmal tief durch. Dann war der Groll vergessen. Während ich mich im trägen Verkehrsstrom in Richtung Federal Plaza treiben ließ, streifte ich Phil mit einem flüchtigen Blick.

»Soll ich dir sagen, wie du heute aussiehst?«, fragte ich meinen Partner.

»Ich weiß es.«

»Schlecht geschlafen?«

»Wenig.«

»Wie heißt die Lady?«, bohrte ich weiter.

»Die Lady heißt Charles. Aber denk jetzt bloß nichts Falsches. Charles ist ein neuer Nachbar. Franzose. Er hat mich zu seiner Einweihungsparty eingeladen. Da waren ein paar recht interessante Gäste, mit denen ich mich angeregt unterhalten habe.«

»Auch weibliche?«

»Selbstverständlich auch weibliche«, sagte Phil.

»Hast du einer von ihnen deine Briefmarkensammlung gezeigt?«

»Ich besitze keine …«

»Oder etwas anderes?«, fiel ich ihm schmunzelnd ins Wort.

»Kein Kommentar«, brummte Phil, drehte den Kopf zur Seite und schaute so lange aus dem Fenster, bis wir am Ziel waren.

In unserem Büro läutete das Telefon. Ich meldete mich. Am anderen Ende war Helen, die Sekretärin unseres Chefs. »Guten Morgen, Jerry. Mister High möchte euch sehen.«

»Wir sind schon unterwegs«, erwiderte ich und legte auf.

Als wir Helens Vorzimmer betraten, fragte sie: »Schlecht geschlafen, Phil?«

»Ja«, antwortete ich an seiner Stelle, »aber er möchte nicht darüber reden.«

Sie zog lächelnd eine Augenbraue hoch. »Ich verstehe.«

Phil schwieg. Auch dann, als ihn auch noch Mr. High fragte, ob er eine schlechte Nacht hinter sich habe. Unser Chef bat uns, Platz zu nehmen. Sobald wir saßen, sagte er: »Stan Kramer ist tot.«

Ich horchte auf. »Der Whistleblower?«

Mr. High nickte ernst. »Jemand hat ihm eine Überdosis Insulin gespritzt.«

Der Mann, dem Stan Kramer sein vorzeitiges Ableben zu »verdanken« hatte, duschte zuerst warm und dann eiskalt. Anschließend nahm er ein bescheidenes Frühstück zu sich, das aus schwarzem Kaffee und einem Stück Brot von vorgestern, mit wenig Margarine darauf, bestand. Es gab Leute, die nannten ihn geizig. Er bezeichnete sich als sparsam und war gegen jede Art von Verschwendung, deshalb kam es für ihn auch nie infrage, Nahrungsmittel, die noch genießbar waren, wegzuwerfen. Diese überall aufgedruckten Haltbarkeitsfristen interessierten ihn nicht.

Nach dem Frühstück schaltete er sein altes, zerkratztes Smartphone ein. Es vibrierte mehrmals. Der Killer checkte gespannt die SMS-Liste.

Bei einer bestimmten Nachricht hellten sich seine Züge auf, und er nickte erfreut. Der achtstellige Code, den man ihm geschickt hatte, bestand aus fünf willkürlich gereihten Kleinbuchstaben und drei Ziffern.

Er setzte sich an den fleckigen Schreibtisch, klappte das abgegriffene Secondhand-15-Zoll-Notebook auf, fuhr das Programm hoch und verschaffte sich mit dem übermittelten Schlüssel Zugang zu einem Bankkonto, das bis zu diesem Moment gesperrt gewesen war. Als er den fünfstelligen Betrag sah, über den er ab sofort frei verfügen konnte, rieb er sich zufrieden grinsend die Hände.

»Besten Dank, Leute. Wenn ich wieder einmal was für euch tun kann … Jederzeit gerne. Ihr habt meine Nummer. Anruf genügt.«

Er schaufelte den Killerlohn auf sein eigenes Konto hinüber, stieg aus dem Programm aus, griff nach seinem Mobiltelefon und wählte die Nummer einer alten Freundin.

»Ja?«, meldete sie sich krächzend. Ihr Name war Sonya. Sie hatte bestimmt noch geschlafen, und er hatte sie geweckt.

»Ich wünsche dir einen wunderschönen guten Morgen, Baby«, sagte er aufgekratzt und ohne schlechtes Gewissen.

Sie quälte sich die Frage ab: »Wer ist da?«

Er nannte seinen Namen.

»Ach, du bist es.«

»Ein bisschen mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf«, ermahnte er sie.

»Bist du bescheuert? Weißt du, wie spät es ist? Du kannst von mir doch nicht mitten in der Nacht verlangen …«

»Wir gehen heute fein aus«, unterbrach er sie. »Ich lade dich ein. Du ziehst ’nen schicken Fummel an, und wir schlagen der Welt ein Loch.«

»Ich glaube, ich träume. Habe ich richtig gehört? Du lädst mich ein? Seit wann bist du Geizkragen denn so spendabel? Was ist los mit dir? Hast du dir irgendwo zu heftig den Kopf gestoßen?«

»Ich möchte von einem finanziellen Überschuss, der unverhofft aufgetreten ist, ein klein wenig in einen netten Abend investieren.«

Sonya kicherte, nun bereits putzmunter. »Wenn das so ist, bin ich natürlich mit Vergnügen dabei. Du bist schließlich nicht jeden Tag so großzügig. Wie sagt man? Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.«

»Und man muss die Gäste feuern, wenn sie lallen«, scherzte er. Dann legte er auf und freute sich auf den Abend, der mit einem erotischen Feuerwerk der Extraklasse im Schlafzimmer der immerscharfen Sonya seinen grandiosen Abschluss finden würde.

Plötzlich kam Leben in Phil. Das Wort Whistleblower war für ihn wie ein Nadelstich gewesen. Adrenalin kreiste mit einem Mal vermehrt in unseren Adern.

Wir riefen ab, was wir über Stan Kramer wussten – was jeder wusste, der Zeitung las und sich für Fernsehnachrichten interessierte.

Man hatte ihn in Washington so lange gemobbt, bis ihm der Kragen geplatzt war und er sich entschlossen hatte, es jenen, die ihm das Leben zur Hölle gemacht hatten, gehörig heimzuzahlen – und gleich einigen anderen hochrangigen Geheimnisträgern dazu. Kramer hatte zornig alles hingeschmissen, war nach New York gegangen, hatte der New York Times Geheiminformationen aus dem Weißen Haus zugespielt und dafür gesorgt, dass einige mit reichlich Lametta behaftete Politiker wegen seiner brisanten Enthüllungen den Hut nehmen mussten.

Die Öffentlichkeit hatte ihn wie einen Helden gefeiert, weil durch ihn ein dollarschwerer, nicht ganz sauberer Deal mit einem lateinamerikanischen Staat geplatzt war. Aber der Waffenlobby hatte das natürlich nicht geschmeckt.

In ihren Augen war Kramer kein Hero, sondern ein fieser Verräter, und man hatte – so nahmen wir an – nicht lange gewartet, um ihm für seine »Heldentat« die tödliche Rechnung zu präsentieren.

»Mit einer Überdosis Insulin.« Phil schüttelte den Kopf. »Es scheint immer mehr in Mode zu kommen, Menschen mit diesem anabolen Hormon zu töten.«

Mr. High legte uns ein paar Tatortfotos vor. Wir sahen den Toten zwischen zwei Einkaufstüten auf dem Boden liegen. In einer großen roten Pfütze, die aber kein Blut war, wie uns unser Chef erklärte, sondern ein Gemisch aus Rotwein, Essig und Olivenöl.

»Wer hat Kramer gefunden?«, wollte Phil wissen.

»Eine gewisse Maggie Durante«, antwortete Mr. High. »Sie verkauft Popcorn in einem Kinocenter auf Long Island. Kramer hatte sie zu sich eingeladen, wollte für sie kochen. Als er mit den Einkaufstüten heimkam, scheint der Killer bereits auf ihn gewartet zu haben.«

»Wie ist er ins Haus gekommen?«, fragte mein Partner.

»Er hat die Terrassentür aufgebrochen.«

»Spuren?«

Mr. High schüttelte den Kopf. »Keine verwertbaren Spuren, Phil. Jede Menge Prints von Kramer, aber kein einziger Fingerabdruck des Mörders im Haus. Der Bursche war sehr vorsichtig.« Er sah uns durchdringend an und verlangte: »Finden Sie den Mann, der den Whistleblower auf dem Gewissen hat.«

Nichts leichter als das, dachte ich ironisch. In einem Dorf wie New York ist so etwas in null Komma nichts erledigt.

Wir stürzten uns kopfüber in den Fall, suchten den Gerichtsmediziner Dr. Wilbur Rampling auf und ließen uns von ihm erklären, wie wichtig das Proteohormon Insulin für alle Wirbeltiere und damit auch für den Menschen war und was so eine Überdosis genau bewirkte.

Der große, schlaksige, dunkelhaarige Mann war in seinem Element. Endlich konnte er mal wieder mit seinem umfassenden Wissen glänzen.

Diese Gelegenheit ließ er sich nicht entgehen. Er jonglierte so lange mit Fachausdrücken wie Beta-Zellen, Rezeptoren, Permeabilität und dergleichen herum, bis wir ihn höflich, aber bestimmt, stoppten.

Er lächelte verlegen. »Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht überfordern.«

Ich winkte ab. »Schon gut. Das war alles sehr interessant.«

»Und wir haben wieder was dazugelernt«, ergänzte Phil.

Rampling zeigte auf den leeren Seziertisch. »Der Whistleblower war übrigens meine letzte Leiche.«

»Soll heißen?«, fragte ich überrascht.

»Dass ich in den wohlverdienten Ruhestand trete.«

»Ist nicht wahr«, meinte Phil ungläubig.

»Doch. Heute ist mein letzter Arbeitstag.«

Mein Freund schien es nicht fassen zu können. Okay, der Forensiker hatte ein paar winzige Fältchen um die Augen, aber noch kein einziges graues Haar. »Aber Sie sind doch erst …«

Wilbur Rampling lächelte. »Ich weiß, ich sehe jünger aus. Das höre ich immer wieder. Aber glauben Sie mir, Agent Decker, ich bin reif für die Rente. Und ich habe die Absicht, sie in vollen Zügen zu genießen.«

»Wird Ihnen das hier nicht fehlen?« Phil machte eine Handbewegung, die den gesamten Arbeitsplatz des Gerichtsmediziners einschloss.

Rampling lachte. Es klang nicht nur heiter, sondern auch erleichtert. Endlich kein Druck mehr, keine Termine, kein Stress, keine Verantwortung. »Mit Sicherheit nicht«, sagte er überzeugt.

»Was werden Sie mit Ihrer vielen Freizeit anfangen?«, wollte ich wissen.

In den Augen des Forensikers leuchtete ungehemmte Vorfreude. »O, machen Sie sich um mich keine Sorgen, Agent Cotton. Es gibt so vieles, das ich immer schon gerne getan hätte, wofür mir aber stets die Zeit fehlte. Jetzt habe ich sie. Und ich werde sie ausgiebig nutzen.«

Irgendwie konnte ich ihn verstehen. Es konnte ja wirklich nicht die ganz große Erfüllung sein, immer wieder Tote aufzuschneiden und für Cops, G-men und Staatsanwälte nach biologischen Spuren oder mysteriösen Todesursachen zu suchen beziehungsweise durch Fäulnis visuell unkenntlich gewordene Leichen zu identifizieren. Da war es doch wesentlich erbauender, mit einem Wohnmobil durchs Land zu fahren und sich die unzähligen Sehenswürdigkeiten unserer an Attraktionen so reich gesegneten Heimat anzusehen. Endlich spielten Tote keine Rolle mehr in Ramplings Leben. Wir wünschten ihm alles Gute für einen langen, von Freude, Gesundheit und Glück durchdrungenen Lebensabend und fuhren zum Tatort weiter.

Ein Clean-Team hatte inzwischen sauber gemacht. Nichts wies mehr darauf hin, dass in diesem Haus ein Gewaltverbrechen verübt worden war.

Nachdem wir uns in sämtlichen Räumen umgesehen hatten, klapperten wir die Nachbarschaft ab und stießen dabei auf einen talentierten Märchenerzähler, der seiner Fantasie sofort freien Lauf ließ.

Sein Name war Tim Butterfield. Es gab nach seinen eigenen Angaben so gut wie keinen Beruf, den er noch nicht ausgeübt hatte. Sanitäter, Zirkusartist, Tennislehrer, Hubschrauberpilot, Fremdenführer, Gartenplaner … Zurzeit war er arbeitslos, weil die Firma, in der er als Sicherheitsmann beschäftigt gewesen war, dichtgemacht hatte.

Aber er war zuversichtlich, bei seiner außergewöhnlichen Qualifikation bald wieder Arbeit gefunden zu haben. Irgendeine Führungsposition im oberen Managementbereich – oder so. Er war mir nicht besonders sympathisch, weil er sich gar so viel und gerne lobte.

Er war immer, überall und in allem der Beste – behauptete er. Ich. Ich. Ich. Keine Person war ihm wichtiger als die eigene. Für mich fiel er in die Kategorie der Schaumschläger. Viel Luft und nichts dahinter.

Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Seine Tränensäcke sahen aus wie prall gefüllte Teebeutel. Um jugendlich zu wirken, trug er einen ziemlich verrückten modernen Haarschnitt – an der Seite so gut wie gar nichts, oben dottergelb gefärbt –, und er kam beim Reden vom Hundertsten ins Tausendste, war sehr anstrengend und sprunghaft.

Als er uns von einer missglückten paramilitärischen Mission in Afghanistan erzählen wollte, an der er angeblich teilgenommen hatte, unterbrachen wir ziemlich abrupt seinen ausschweifenden Redefluss und holten ihn nach New York, in die Wirklichkeit und in sein Haus zurück. Er war immerhin Stan Kramers Nachbar gewesen, und wir wollten von ihm wissen, wo er sich zur Tatzeit aufgehalten hatte.

»Ich war hier, zu Hause«, antwortete Butterfield.

»Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?«, fragte Phil.

»Nicht dass ich wüsste, Agent Decker. Ich bin zwar einer, dem aufgrund seiner großen Erfahrung und seiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe nicht so bald etwas entgeht, doch in diesem Fall muss ich leider passen.«

»Wie war Ihr Verhältnis zu Mister Kramer?«, erkundigte ich mich.

»Wir pflegten die allerbeste gutnachbarliche Beziehung.«

»Hat er Sie mal in sein Haus eingeladen?«

Tim Butterfield schüttelte den Kopf. »Das nicht, Agent Decker.«

»War er mal zu Gast bei Ihnen?«, fragte ich.

»Nein.«

»Warum nicht?«, fragte mein Partner schnell.