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Kein Guru stirbt allein
Phil und ich wurden zusammen mit unseren Kollegen Steve Dillaggio und Zeerookah als Babysitter für einen Sektenführer abgestellt. Der Job schmeckte uns überhaupt nicht, aber der Bürgermeister bestand darauf. Uns blieb also keine andere Wahl, als dem Guru auf Schritt und Tritt zu folgen - und zu verhindern, dass jemand einen Anschlag auf den Mann verübte. Doch das war unsere geringste Sorge, denn schon bald gerieten wir mitten in einen Machtkampf der Cosa Nostra!
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Kein Guru stirbt allein
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Das Ritual«/ddp-images
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7653-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Kein Guru stirbt allein
»Er kommt«, rief die Menge vor Myria Feder alias Prem Sunshine. Sie reckte den Hals, um endlich auch einmal ihren Guru, Chogyem Pra Sam, zu sehen, den Erleuchteten von Die Überlebenden des letzten Tages. Vor ihr standen einige Hundert Sannyasins, hinter sich spürte sie die Ellenbogen der Andrängenden. Und da entdeckte sie seine Haare, schneeweiß und glänzend in der Sonne, sowie einen Teil seines geliebten Gesichtes: die edle Stirn und seine dunklen, sanften Augen.
Gerade fasste sie ihren Vordermann an den Schultern, um sich hochzuziehen, als neben ihr ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Sie spürte eine Druckwelle und einen stechenden Schmerz an der Wange, dann bemerkte sie neben sich eine Bewegung, die Konturen eines Gesichtes.
Das war eine Hand – und in der Hand eine Waffe. Sie hörte die Schreie der Umstehenden. Jemand hatte geschossen, wurde es ihr bewusst, bevor sie ohnmächtig zusammensank.
Wir waren gerade dabei, Jimmy The Pimp Morrison festzusetzen – einen kleinen Zuhälter aus Minnesota, der es gewagt hatte, in fremdem Gebiet zu wildern und dabei in einem Anfall von Größenwahn alles zu verprügeln, was ihm in den Weg kam –, als ich spürte, wie mein Handy in der Jackentasche vibrierte. Ich übergab Jimmy an Phil, während ich mit der linken Hand das Handy aus meinem Anzug zog und meinem Partner zu verstehen gab, dass ich telefonieren musste.
Phil nickte und übernahm Jimmy, der uns, seit wir ihn in einer Seitenstraße in der Bronx geschnappt hatten, ununterbrochen übel beschimpfte. Das hysterische Gekreische des Zuhälters verklang langsam, während ich um die Ecke ging, um mir einen ruhigen Platz zu suchen.
Ich fand ein Haus mit einer eingetretenen Tür, ignorierte den Geruch von Müll und Urin, der mir aus dem Eingang entgegenschlug, und stellte mich in den Hausflur. Ein Blick ins Treppenhaus hinauf überzeugte mich davon, dass ich allein war und reden konnte.
Es war Mr. High.
»Es hat ein Attentat auf eine mehr oder weniger hochrangige Persönlichkeit gegeben«, erklärte mir der Chef nach einer knappen Begrüßung. »Sie und Phil sollen sich, so wünscht es der Bürgermeister, in den nächsten Tagen gemeinsam mit Steve und Zeerookah in seiner Nähe aufhalten. Die Mitarbeiter des Mannes wissen Bescheid. Es handelt sich um Mister Aditya Radav, einen amerikanischen Staatsbürger mit indischen Wurzeln. Er residiert mit seinem Stab im Hotel Beekman in Manhattan. Lassen Sie alles stehen und liegen, und fahren Sie sofort hin.«
An Mr. Highs Tonfall und seiner knappen Anweisung erkannte ich, dass er über diesen Auftrag ebenso wenig begeistert war wie ich. Wir waren Agents, keine Bodyguards für Prominente. Sich bei Empfängen oder auf Dinnerpartys die Beine in den Bauch zu stehen, das konnten andere übernehmen. Unser Revier hingegen waren die Straßen von New York.
»Wissen wir schon Genaueres über den Hintergrund des Attentats, Sir?«, wollte ich wissen.
»Noch nicht. Aber es könnte damit zu tun haben, dass der Mann der Anführer einer Sekte ist, die sich Die Überlebenden des letzten Tages nennt. Wenn Sie und Phil Ihre erste Nachtwache hinter sich haben, sollten Sie zu mir kommen. Ich werde Doktor McLane informieren. Dann können wir das Notwendige besprechen.«
Ich seufzte. Einen Guru zu beschützen, gehörte nicht gerade zu den Aktivitäten, die ich mir für den Beginn eines Wochenendes vorgestellt hatte. Der Frühling hielt langsam Einzug in der Stadt, was mit milderen Temperaturen und besser gelaunten New Yorkern einherging. Die letzten Winterwochen hatten das normale Level von Unfreundlichkeit, das die Menschen zum Überleben im Big Apple sowieso schon brauchten, noch einmal in die Höhe schnellen lassen. Da sorgten das erste Vogelgezwitscher und ein lauer Wind, der schlechte Laune und den letzten Schnee gleichermaßen zum Schmelzen brachte, schon für ein wenig Entspannung.
Und genau das war auch mein Plan gewesen: ein wenig Entspannung bei ein, zwei Drinks am Abend in irgendeiner Bar mit anschließendem Spaziergang durch die Häuserschluchten New Yorks – mehr hatte ich mir nicht gewünscht.
Ein Geräusch ließ mich hochschrecken. Eine Etage über mir tauchte ein kleiner Junge im Treppenhaus auf. Er hatte nur ein Hemd an, keine Hose, schaute zu mir hinunter und begann, vor sich auf die Treppe zu pinkeln. Eine Frau erschien, schimpfte etwas auf Russisch und zog den kleinen Übeltäter in das Apartment zurück.
»Ich liebe diese Stadt«, murmelte ich und seufzte bei dem Gedanken an mein verlorenes Wochenende.
»Was?«, fragte Mr. High. »Was lieben Sie?«
»Ach nichts. Gar nichts. Wir sind dann morgen früh bei Ihnen«, erwiderte ich und legte auf.
Das Gejammer von Jimmy The Pimp drang wieder an mein Ohr. Ich musste an Mr. Highs Formulierung denken, dass wir stehen und liegen lassen sollten, was wir gerade in der Hand hatten. Das würde Jimmy freuen. Bis jetzt hatte er niemanden groß verletzt. Wir würden ihn mit einer scharfen Verwarnung laufen lassen und später einsammeln. Wenn Mr. High sagte, dass es eilig war, dann war es besser, keine Zeit zu verlieren.
Eine Dreiviertelstunde später hatten wir uns durch den Freitagabend-Verkehr über den Bruckner Expressway und den FDR Drive nach Manhattan bis zum Beekman durchgekämpft. Vor den Stufen zum Eingang des Hotels hatten die Kollegen vom NYPD die Straße weiträumig abgesperrt. Ich winkte mit meiner FBI-Marke einen jungen Officer herbei und ließ mir berichten.
Es war nur ein einziger Schuss gefallen, und das Ganze war nicht mehr als eine knappe Stunde her. Der Kollege zeigte uns die Stelle, wo der Guru aus seiner himmelblauen Stretchlimousine gestiegen war, um seine Anhänger zu begrüßen. Auf dem Boden lag, in einem mit Kreide gezeichneten Kreis, eine Patrone. Colt M1911, wie ich vermutete. Eine amerikanische Waffe, die bis in die frühen 1980er-Jahre auch bei der US-Army im Einsatz gewesen war.
Die Kugel hatte ihr Ziel verfehlt, eine Straßenlaterne getroffen und war zu Boden gefallen. Wo der Schütze gestanden hatte, konnte man nur vermuten. Spuren würden sich sowieso keine mehr finden. Es waren etwa zweihundert seiner Jünger anwesend gewesen, um den Guru zu empfangen, da war jede Hoffnung auf eine verwertbare Spur vertane Zeit. Trotzdem liefen immer noch einige Experten von der Spurensicherung mit gesenkten Köpfen über den Platz, um den Boden abzusuchen.
Einige Dutzend der Sektenangehörigen wurden noch von den Kollegen auf der großen Freitreppe des Hotels verhört. Sie standen auf den Stufen und gestikulierten mit den Armen. Andere hatten sich hingesetzt, weinten und umarmten sich gegenseitig. Der Schock über den Mordanschlag auf ihren Anführer saß tief.
Alle hatten hellblaue Kleidung an, Hosenanzüge oder Tücher, die an indische Tuniken erinnerten. Um den Hals trugen sie Ketten mit hellblauen Holzperlen, jeweils mit einem kleinen, runden Bild ihres Idols versehen.
»Die heulen die ganze Zeit«, bemerkte der junge Cop. »Aber wissen tun sie gar nichts. Und wenn sie etwas wissen, geben sie uns deutlich zu verstehen, dass sie es uns nicht verraten werden. Diese dämlichen Freaks sollte man alle rausschmeißen.« Der Mann spuckte auf den Boden, zog sich die Mütze vom Kopf und kratzte sich den Schädel.
Ich sah ihn scharf an. »Vorsicht, junger Mann. Wir sind immer noch in Amerika. Hier kann jeder glauben, woran er will, ob an den Weihnachtsmann oder an Kartoffeln, die in UFOs fliegen. Das ist die Grundlage unserer Freiheit, die Sie mit Ihrem Job verteidigen sollten.«
Der Polizist sah mich unsicher an und zog die Schultern ein, dann wollte er zu einer Entschuldigung anheben.
»Schon gut«, brummte ich. »Es ist ein heißer Tag, da kann man schon mal ungemütlich werden. Verraten Sie mir lieber, wo der Guru steckt.«
Er sagte uns, wo der Sektenanführer mit seinem Stab residierte, und wir gingen die Freitreppe hinauf. Nachdem wir das Foyer mit dem berühmten, an Jugendstil erinnernden Lichthof durchquert hatten, schwenkten wir kurz unsere Marken in Richtung des Empfangs und drängten uns dann durch eine Gruppe Kollegen vom NYPD zu den Fahrstühlen.
»Das hättest du ihm nicht durchgehen lassen dürfen«, meinte Phil, als sich die Fahrstuhltüren lautlos hinter uns schlossen. »So eine Bemerkung im Dienst kann der Anfang einer bösen Entwicklung sein.«
»Ich weiß«, gab ich ihm recht. »Aber er ist noch jung. Und du weißt, wie der Ton unter den Kollegen ist. Sicher wollte er sich nur bei uns beliebt machen und hat gar nicht über das nachgedacht, was er gesagt hat.«
Phil wiegte zweifelnd den Kopf, schwieg jedoch.
Der Fahrstuhl war so sanft angefahren, dass wir nichts von einer Bewegung bemerkten, bis sich die Türen wieder öffneten.
Der Guru hatte mit seinem Stab das komplette Dachgeschoss des Beekman angemietet. Als wir den Fahrstuhl verließen, waren wir sofort von vier muskelbepackten Männern in dunklen, maßgeschneiderten Anzügen umringt. Sie trugen verspiegelte Sonnenbrillen und kleine hellblaue Anstecker am Revers, die sie als Angehörige der Sekte kenntlich machten.
»Wir wollen zu Mister Radav«, erklärte ich knapp und hielt ihnen meine Marke unter die Nase.
Der größte von den vieren, ein dunkelhaariger Muskelprotz mit stahlharten Augen und einem schmalen Oberlippenbart, musterte mich skeptisch. Ich sah in seinem Blick, dass er abzuschätzen versuchte, wer von uns beiden bei einem Kampf als Erster zu Boden gehen würde.
»Sie meinen Chogyem Pra Sam«, knurrte er.
»Von mir aus auch den.« Phil blickte an dem Mann vorbei und sah sich auf dem Flur um.
Es herrschte rege Geschäftigkeit. Mindestens ein halbes Dutzend Klone unseres Gegenübers, alle in den gleichen teuren Anzügen und mit den gleichen Ansteckern am Revers, huschte von Zimmer zu Zimmer, Handys am Ohr, iPads in den Händen, bellte Befehle oder Fragen in die Hörer oder notierte hektisch Informationen in die Tablets.
Aus der Suite am Ende des Flurs, direkt den Fahrstühlen gegenüber, drang eine befehlsgewohnte Stimme.
»Dann werden wir diesen Hurensohn von Minister eben nicht in den Genuss einer Mitgliedschaft kommen lassen, wenn er sich wegen so einer Kleinigkeit in die Hosen macht!«, war sie laut und deutlich zu vernehmen, dann schlug die Tür zu.
Phil nickte in Richtung der geschlossenen Tür.
Der Bodyguard hob unwillig den Arm und deutete ebenfalls in die Richtung.
»Hier entlang«, sagte er und ging voraus.
Er öffnete die Tür vor uns und ließ uns den Vortritt.
Die Suite war ungefähr so groß wie ein halbes Footballfeld und bot einen atemberaubenden Blick auf Manhattan und den Hudson River im Licht der untergehenden Sonne. Auf den Jugendstilsesseln und –sofas saßen etwa zehn Männer und Frauen, einige in normaler Straßenkleidung, einige in die typischen hellblauen Tücher gewickelt, alle mit ernster Miene, jede Bewegung des Mannes beobachtend, zu dem die herrische Stimme gehörte.
Aditya Radav alias Guru Chogyem Pra Sam war ein hochgewachsener, schlanker Mann in den Fünfzigern, mit langen weißen Haaren und einem Bart, der ihm bis auf die Brust reichte. Er trug ein weißes, an den Ärmeln und am Kragen mit Diamanten besetztes Gewand und gestikulierte mit den Händen, denen man ansah, dass sie täglich eine Maniküre genossen.
»Der Mann hat einfach noch nicht begriffen, was für eine Ehre es ist, sich uns anschließen zu dürfen«, führte er gerade aus. »Ich werde ihm beibringen, dass wir …«
Er unterbrach sich. Die Blicke seiner Anhänger hatten ihm signalisiert, dass jemand Fremdes den Raum betreten hatte.
Er drehte sich um und schaute uns an, streifte mit einem kurzen verärgerten Blick den Bodyguard, der uns hereingelassen hatte, und winkte ihn mit einer Handbewegung aus dem Zimmer. Dann trat er auf uns zu.
»Ah. Die Agents, die uns der Bürgermeister angekündigt hat!«
Seine Stimme hatte sich plötzlich verändert. Von dem scharfen Unterton, den sie eben noch gehabt hatte, war nichts mehr zu hören. Jetzt hatte sie einen sanften, aber deshalb nicht weniger eindringlichen Klang. Etwas Beschwörendes schwang in dieser Stimme mit.
Der Guru hatte meine rechte Hand genommen und hielt sie, mit kaum spürbarem Druck, zwischen seinen Händen.
»Das ist außerordentlich großzügig von Ihrem Bürgermeister und ebenso großzügig von Ihren Vorgesetzten. Aber wir bedürfen Ihrer Hilfe nicht.« Er löste eine Hand und machte eine alles umfassende Geste. »Wie Sie sicher sehen konnten, stehen mir ausreichend Freunde und Helfer zur Verfügung, die Acht auf mich geben. Ich kann Sie also ruhigen Herzens bitten, wieder zu gehen und dem Bürgermeister und Ihren Vorgesetzten meine allerbesten Grüße zu übermitteln. Die Mächte, die mich beschützen, sind höherer Natur!«
Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Phil eine Augenbraue hochzog. Das war wohl genau der Tonfall, den der Guru gegenüber seinen Jüngern anschlug: eine Mischung aus Sanftheit und Unnachgiebigkeit, gepaart mit diesem Blick aus klaren blauen Augen, die, aus der Nähe betrachtet, kalt glänzten.
Dazu hatte er ganz offensichtlich die Fähigkeit, sofort einen persönlichen Kontakt zu seinem Gegenüber herzustellen. Das mochte einen schwachen oder unsicheren, suchenden Charakter überzeugen, bei mir löste es lediglich Abwehr und das Bedürfnis nach Distanz aus.
Radav hatte seine Hände wieder fest um meine geschlossen und sah mir tief in die Augen, als wäre ich eine Schlange, die er mit der Musik seiner Stimme aus dem Korb gezaubert hatte.
Ich entschloss mich, sein Spiel mitzuspielen und ihm gleichzeitig ein für alle Mal deutlich zu machen, wo seine Grenzen in dieser Stadt lagen.
Ich legte meinerseits meine freie Hand um seine Hände, drückte zu und sah nun ihm tief in die Augen.
»Das freut mich wirklich sehr, dass Sie sich im Kreise Ihrer Anhänger so sicher fühlen, Mister Radav. Aber wenn es so wäre, wie Sie sagen, dann stünden in diesem Moment nicht zwei Dutzend Mitarbeiter des NYPD unten vor dem Hotel und würden den Platz nach einer leeren Patronenhülse absuchen, oder? Es wurde auf Sie geschossen, und der Täter ist flüchtig. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholt.«
Der Guru schwieg.
»Und was die Mächte angeht, die Sie beschützen, so setzen wir eher auf die Macht des Gesetzes. Wir werden also in den nächsten Tagen nicht von Ihrer Seite weichen. Ich schlage deshalb vor, dass ich und mein Partner uns fürs Erste neben dem Fahrstuhl platzieren – das scheint der einzige Zugang zum Stockwerk zu sein. Dafür wäre es außerordentlich hilfreich, wenn Sie uns zwei Stühle zur Verfügung stellen könnten. Wir werden dann im Wechsel mit zwei weiteren Kollegen, die wir Ihnen noch vorstellen werden, unsere Arbeit tun.«
Ich hörte nervöses Räuspern und unruhiges Hin- und Herrücken im Raum. So eine Reaktion hatten die Anhänger des Gurus wohl nicht erwartet.
Radavs Gesicht hatte eine leicht violette Färbung angenommen, und seine Hand löste sich aus meinem Griff. Sein Blick flackerte, und Wut leuchtete dahinter auf.
»Nun gut«, flüsterte er. »Nun gut. Wenn man es durchaus nicht anders will, dann muss ich mich wohl fügen. Vorerst.«
Er drehte sich um und deutete mit dem Finger auf eine der Frauen in einem hellblauen Tuch.
»Stühle«, sagte er nur.
Dann ließ er mich stehen, als hätte es unser kurzes Gespräch nie gegeben, wanderte zu einem der Tische und nahm einen Stapel Papiere.
»Wir müssen meine Rede noch einmal durchgehen«, wandte er sich wieder an seine Jünger. »Es gibt da einige Stellen, mit denen ich ganz und gar nicht zufrieden bin. Das ist alles noch viel zu oberflächlich.«
Die junge Frau, die er für uns abkommandiert hatte, trat zu uns, blass und verängstigt, und schob uns vorsichtig zur Tür.
Wir hatten uns mit unseren Stühlen rechts und links des Fahrstuhls postiert. Von dort aus hatten wir alle Türen der Etage, einschließlich der Tür zur Feuertreppe direkt gegenüber, im Blick.
Es herrschte reges Treiben bis spät in die Nacht hinein. Im Viertelstundentakt öffneten und schlossen sich die Fahrstuhltüren neben uns, Gäste fuhren nach unten, oder neue Gäste kamen. Sie wurden von den Bodyguards in Empfang genommen, sodass wir nichts weiter zu tun hatten, als darauf zu achten, dass niemand ohne Einladung erschien.
Unter den Besuchern war einiges an lokaler Prominenz. Phil und ich erkannten drei Vertreter des Stadtrats, zwei Schauspieler, die gerade in aktuellen Blockbustern mitspielten, und eine Sängerin, die Phil vor Bewunderung erröten ließ, als sie an ihm vorbei in Richtung der Suite des Sektenführers rauschte.
»Weißt du, wer das ist?«, stammelte mein Freund und zupfte sich nervös am Kragen.
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Weiß ich. Hast du etwa etwas von ihr in deinem Plattenschrank stehen?«
»Plattenschrank?« Phil tippte sich vielsagend an die Stirn. »Aus welchem Jahrhundert stammst du denn? Ich streame die Lady online. Sie begleitet mich sozusagen in meine Nachtruhe, wenn du verstehst, was ich meine …«
Ich wollte gerade etwas Entsprechendes entgegnen, als sich die Fahrstuhltür erneut öffnete. Heraus trat ein Mann, der meine Alarmglocken sofort schrillen ließ. Nicht dass ich ihn gekannt hätte, aber etwas an seiner Kleidung, seinem Gang und der Art und Weise, wie er sich schnell umsah, bevor er ganz aus der Tür trat, warnte mich.
Er war nur mittelgroß, allerdings breit wie ein Kleiderschrank, hatte Hände wie Schaufeln, ölige Haare und misstrauisch zusammengezogene, dichte Augenbrauen. Unter seinem Anzug, der aussah, als wäre er zwei Nummern zu klein, zeichnete sich deutlich das Holster einer Waffe ab.
Meine Hand fuhr automatisch zu meiner Glock, und ich sah zu den Bodyguards, die in der Nähe standen.
Es war offensichtlich, dass die Leibwächter des Gurus diesen Mann erwartet hatten. Der Bodyguard, mit dem wir vorhin gesprochen hatten, nahm ihn beim Arm, verbeugte sich kurz und führte ihn dann zur Tür der Suite.
»Hast du gesehen, Phil?«
Mein Partner nickte. »Kennst du ihn?«
Ich schüttelte den Kopf. »Du?«
Phil schüttelte ebenfalls den Kopf. »Aber man riecht es meilenweit gegen den Wind.«