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#Iknow
Dem reichen Geschäftsmann Al Dovgal gehörten mehrere Großkaufhäuser in New York. Nachdem sein Geldtransporter von drei Maskierten überfallen und ausgeraubt worden war, setzte der Kaufhaus-Mogul darauf, dass viele mehr wissen als einer, und gründete im Internet die Plattform #Iknow. Dort konnten sich Zeugen von Verbrechen, aber auch Straffällige anonym melden und Hinweise geben oder sich ihre dunkelsten Geheimnisse von der Seele reden. Und es dauerte nicht lange, bis auch wir vom FBI es mit diesem Tummelplatz menschlicher Abgründe zu tun bekamen ...
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
#Iknow
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: D-Keine/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7654-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
#Iknow
Wenn nie etwas passiert, begeben sich Argwohn, Vorsicht und Aufmerksamkeit irgendwann ins Wachkoma. Seit fünf Jahren lief der Job der beiden Geldboten gleich ab: reingehen, Moneten holen, rausgehen, in den Panzerwagen steigen, weiterfahren … Immer das Gleiche.
Es war zum langweiligen Ritual geworden. Noch nie hatte es auch nur den kleinsten Zwischenfall gegeben. Der Ablauf war längst in Routine erstarrt. Umso mehr waren die Uniformierten überrascht und geschockt, als sie diesmal von drei pinkfarbenen, freundlich lächelnden Marshmallow-Männern erwartet wurden, die an und für sich lustig anzusehen gewesen wären, wenn sie keine Walther-Maschinenpistolen mit ausklappbarem Schaft in ihren Händen gehalten hätten. Das war dann kein Spaß mehr und überhaupt nicht komisch. Deshalb griff der hitzköpfige George Elmont auch sofort zur Waffe.
»Lass das, verdammt!«, zischte der wesentlich besonnenere Brad Murtaugh neben ihm. »Willst du, dass sie uns kaltmachen?«
Widerwillig ließ Elmont die Waffe stecken. Die Maskierten handelten blitzschnell. Matt Bosfelt, den Fahrer des Panzerwagens, hatten sie bereits in den Transportraum gesperrt. Elmont und Murtaugh mussten ebenfalls hinten einsteigen, nachdem die Gangster sie entwaffnet hatten.
Wenige Sekunden später setzte sich das schwere Fahrzeug in Bewegung. An Bord: drei uniformierte Geldboten, drei Marshmallow-Schurken und ungefähr zweihunderttausend Dollar, auf mehrere Geldsäcke verteilt.
Ich schreckte schweißgebadet aus einem sehr hässlichen Traum hoch. Ein hünenhafter Psychopath war mit seiner knurrenden Kettensäge hinter mir her gewesen. Ich hatte mich verstecken können, wo ich wollte – er hatte mich immer wieder aufgestöbert. Dieses blutrünstige Monster hatte mich zu guter Letzt so sehr in die Enge getrieben, dass es für mich kein Entkommen mehr gegeben hatte.
Ich war sicher gewesen, dass meine letzte Stunde geschlagen hatte. Der wahnsinnige Kettensägen-Killer war näher und näher gekommen.
Und als er mir schließlich grausam lachend den Kopf abschneiden wollte, hatte ich einen heiseren Schrei ausgestoßen und war aufgewacht.
Mensch, das war knapp, dachte ich aufatmend und rieb mir die Augen. Wie wäre der Traum wohl ausgegangen, wenn ich nicht aufgewacht wäre?
Ich wollte es eigentlich nicht wissen, stand auf, ging mit ein, zwei Ausfallschritten, weil ich noch nicht ganz in der Spur war, ins Bad, stellte mich unter die Dusche und schrubbte mir den Angstschweiß aus den Poren.
Kurz darauf schaltete ich das Radio ein und warf die Kaffeemaschine an. Mein Kaffee ist zwar – ich weiß nicht, warum – nicht einmal annähernd so gut wie der von Helen, Mr. Highs Sekretärin, aber da man den Tag mit etwas Warmem im Magen beginnen soll, trank ich das schwarze Gebräu trotzdem – mit verzerrtem Gesicht, weil es so verflixt heiß war. Der Nachrichtensprecher berichtete von einem dreisten Überfall auf einen Geldtransporter. Drei mit Maschinenpistolen bewaffnete Gangster in rosafarbenen Marshmallow-Kostümen hatten rund zweihunderttausend Dollar erbeutet.
Geld, das dem Kaufhaus-Mogul Al Dovgal gehörte. Dass unser Chef uns diese Sache in Kürze aufs Auge drücken würde, ahnte ich noch nicht.
Wir hatten schließlich einen Fall, an dem wir uns zurzeit die Zähne ausbissen, lagen nicht auf der faulen Haut. Der Sprecher kam zur Wettervorhersage.
Sie hörte sich wie ein clever formuliertes Horoskop an. Unterm Strich war alles möglich. Sonne, Wolken, Wind, Regen – das ganze Programm.
Ich ging rechtzeitig aus dem Haus und holte Phil von unserer Ecke ab. Während der Fahrt erzählte ich ihm von meinem abscheulichen Albtraum.
Er grinste breit. »Da ging’s mir besser. Ich habe die Nacht in der Karibik verbracht. Auf einem wunderschönen Eiland. Mit wunderschönen Frauen, die alle ganz verrückt nach mir waren.«
»Warst du der einzige Mann auf der Insel?«
»Ja.«
»Dann kann ich die Frauen verstehen.«
Phil ließ das so stehen. Wir erreichten die Federal Plaza. Zwanzig Minuten später wurden wir in Mr. Highs Büro zitiert und bekamen den Auftrag, ab sofort im Marshmallow-Fall zu ermitteln. Die knifflige Sache, an der wir bis gestern dran gewesen waren, würden Joe Brandenburg und Les Bedell übernehmen. Wenn der Chef das so wollte, sollte uns das recht sein. Er versorgte uns mit allen Geldraub-Fakten, die im Moment vorhanden waren. Viel war das nicht.
Ich seufzte innerlich. Wir würden ordentlich ackern müssen, damit daraus mehr wurde. Wie üblich, erwartete Mr. High von uns einen raschen Erfolg.
Er sprach das nicht so klar und direkt aus, aber wir kannten ihn lange genug, um zu wissen, wie er tickte. Im Grunde genommen war das auch unser Bestreben.
Es klappte nur nicht immer so auf Anhieb. Wir setzten uns nach dem Gespräch in Mr. Highs Büro mit Joe und Les zusammen, gaben ihnen alles, was wir in mühevoller Kleinarbeit – wie Eichhörnchen vor einem strengen Winter – zusammengetragen hatten, und wünschten ihnen für ihren Job alles Gute. Anschließend bemühten wir uns bei Al Dovgal um einen Termin. Er hatte erfreulicherweise sofort Zeit für uns. Also suchten wir ihn umgehend in seinem Büro auf. Seine Großkaufhauskette war bestens in New York positioniert und bescherte ihm seit Jahren gute Umsätze.
Es gab ein Stammhaus in Manhattan Midtown und ungefähr zwei Dutzend »Satelliten«. Zurzeit waren die Dovgal-Häuser wegen ihres außerordentlichen Preis-Leistungs-Verhältnisses beliebter als Macy’s.
Es war bekannt, dass Al Dovgal seine Lieferanten niemals über den Tisch zog, sondern stets faire Preise aushandelte, knapp kalkulierte und seinen Leuten gute Gehälter bezahlte. Sein Büro in der obersten Etage des Firmenstammhauses hatte beinahe die Größe eines Fußballfelds.
Riesige Panoramafenster ermöglichten uns einen atemberaubenden Blick über das »Herz« der Stadt. Unsere Füße versanken in einem weichen weißen Hochflorteppich, der einen gewollt akzentuierten Kontrast zu den dunklen, fast schwarzen Möbeln bildete. Dovgal, ein Mann von Welt und guten Manieren, empfing uns mit ausgesuchter Höflichkeit.
Er hatte ungefähr meine Größe, war überschlank und gekleidet wie ein britischer Gentleman. Sein Kopf war lang und schmal, und seine Frisur hätte nicht perfekter sein können. Er bot uns Platz an. Wir setzten uns auf eine schwarze Designerledercouch mit weißen Zierkissen.
Dovgal fragte, ob er uns etwas zu trinken anbieten könne. Wir verneinten. Er nahm dies nickend zur Kenntnis und meinte seufzend: »Nun hat es also auch uns erwischt.«
»Das klingt fast so, als hätten Sie damit gerechnet«, sagte Phil.
»Wäre es nicht in höchstem Grad naiv, zu glauben, uns könne so etwas nie passieren, Agent Decker?«, gab der elegante Milliardär zurück.
»War der Transport versichert?«, erkundigte ich mich.
»Selbstverständlich.«
»Dann erwächst Ihnen aus dem Überfall also kein Schaden.«
»Kein finanzieller Schaden«, gab Al Dovgal zu. »Das ist richtig. Ich werde aber trotzdem alles in meiner Macht Stehende unternehmen, um diese dreisten Verbrecher ins Gefängnis zu bringen.«
»Sie?«, fragte Phil und zog irritiert die linke Augenbraue hoch. »Wollen Sie uns etwa Konkurrenz machen?«
Der Kaufhaus-Mogul beugte sich vor und sah uns ernst und entschlossen an. »Ich will meine Karten offen auf den Tisch legen, Gentlemen. Ich besitze so viel Geld, dass ich die zweihunderttausend Dollar selbst dann, wenn die Versicherung nicht zahlen würde, leicht verschmerzen könnte. Mir geht es ums Prinzip – und ich empfinde es als persönliche Beleidigung, dass sich diese unverschämten Mistkerle an meinem Geld vergriffen haben. Deshalb werde ich nicht einfach stillsitzen und Sie Ihren Job tun lassen, sondern auch selbst aktiv werden.«
»Darf ich fragen, was Sie vorhaben, Sir?«, fragte mein Partner.
»Ich habe beschlossen, eine Internetplattform zu gründen«, erklärte Dovgal völlig offen. Er hatte dafür auch schon einen Namen: #Iknow. »Dort können Zeugen, die – aus welchen Gründen auch immer – anonym bleiben möchten, schriftlich oder phonetisch melden, was sie gesehen oder gehört haben, was sie vermuten, wen sie verdächtigen … Die Plattform, die noch heute online geht, soll aber auch Straffälligen die Möglichkeit bieten, einfach nur mal ihr Gewissen zu erleichtern. Mithilfe dieser neu geschaffenen Schwarmintelligenz hoffe ich, den Marshmallow-Gangstern auf die Spur zu kommen.« Über Dovgals schmales Gesicht legte sich ein düsterer Schatten. »Wenn Sie so wollen, wird das Ganze ein Wettlauf zwischen dem FBI und mir sein. Mal sehen, wer die Kerle schneller findet. Sie oder ich.«
Das ist neu, ging es mir durch den Sinn. So wurden Geldräuber noch nie gejagt. Per Internet. Unterstützt von einer anonymen Schwarmintelligenz.
Ich machte den Kaufhaus-Mogul darauf aufmerksam, dass er uns nicht in die Quere kommen und unsere Ermittlungsarbeit in keiner Weise behindern dürfe.
»Das habe ich nicht vor«, versicherte uns Dovgal.
Phil zeigte mit dem Finger auf ihn. »Sie dürfen auch keine wichtigen Beweise oder irgendwelche sachdienliche Fakten zurückhalten, Sir. Ich hoffe, das ist Ihnen klar.« Er nahm den Finger runter. »Es wäre uns, ehrlich gesagt, ziemlich unangenehm, Sie deswegen belangen zu müssen. Bitte fassen Sie meine Worte nicht als Drohung auf, Mister Dovgal, sondern nur als wohlgemeinte Warnung.«
Ich erhob mich. »An und für sich ist es uns lieber, wenn niemand versucht, unseren Job zu tun. Aber wenn Sie sich schon nicht davon abhalten lassen, stören Sie wenigstes unsere Kreise nicht, okay?«
Dovgal und Phil standen ebenfalls auf.
»Wir sollten in Verbindung bleiben«, meinte Phil und gab dem Kaufhaus-Mogul die Hand.
»Ich habe nichts dagegen«, erwiderte Al Dovgal.
Wir verließen sein riesiges Büro. Im Fahrstuhl schüttelte Phil den Kopf. »#Iknow … Schwarmintelligenz … Internetplattform … Meine Güte, in was für einen Film sind wir denn da hineingeraten? Das Ganze hört sich stark nach Science-Fiction an.«
Die Plattform »stand« bereits wenige Stunden, nachdem wir Al Dovgal besucht hatten. Der Kaufhaus-Mogul setzte seine Ideen verblüffend schnell um.
Wir baten unseren IT-Experten Dr. Ben Bruckner, das neue Internetportal im Auge zu behalten. »Mit Vergnügen«, sagte der einundzwanzigjährige Supervisory Special Agent.
Er war mittelgroß, hatte ein zartes, blasses Milchgesicht und hellblondes, leicht gewelltes kurzes Haar, das sich nur mit viel Gel bändigen ließ. Wer meinte, ihn wegen seines auffallend jungen Aussehens und seines im Umgang mit Menschen oftmals etwas unsicheren Auftretens nicht ernst nehmen zu müssen, irrte sich gewaltig.
Ben war hochbegabt. Phil und ich reihten ihn – inoffiziell – in die Kategorie »Genie« ein. Man konnte ihm in den Bereichen Informatik, theoretische Physik, Mathematik, Chemie und Sinologie kein X für ein U vormachen.
Er war ein wandelndes Lexikon und verfügte über ein fotografisches Gedächtnis. Mir fiel auf, dass er kaum merklich hinkte.
»Was ist mit deinem Bein, Ben?«, erkundigte ich mich.
Er winkte ab. »Ach, nichts.« Er hatte ein Lakritzenbonbon im Mund und lispelte deshalb ein wenig.
»Du gehst nicht ganz sauber.«
Er errötete leicht. »Ich hatte gehofft, es vor euch verbergen zu können, Jerry.«
»Vor uns?«, fragte Phil erstaunt. »Du solltest wissen, dass das nicht möglich ist.«
Ich nickte. »Wir sehen alles.«
Ben senkte verlegen den Blick. »Ich hätte mich nicht überreden lassen sollen …«
»Wozu?«, hakte ich nach.
Ben seufzte. »Ich bin kürzlich auf dem Broadway einem Kommilitonen begegnet. Wir waren am California Institute of Technology dicke Freunde, haben da auch ein bisschen Tennis gespielt.«
»Du hast dich überreden lassen, mal wieder ein Racket in die Hand zu nehmen?«, mutmaßte mein Partner.
Ben Bruckner nickte lustlos. »Und das ist das Ergebnis.« Er zeigte auf seinen Fuß. »Ich wollte einen eigentlich unerreichbaren Ball erreichen, bin umgeknickt und hab mich verknöchelt.« Er zuckte mit den Schultern. »Man sagt nicht umsonst: Sport ist Mord.«
»Hast du wenigstens gewonnen?«, wollte Phil wissen.
»Nein«, antwortete Ben und schob sein vorspringendes Kinn noch ein Stück weiter vor. »Aber mit Anstand verloren.«
Da es vom Überfall auf die Geldboten weder eine Videoaufzeichnung noch Augenzeugen gab, besuchten wir in Queens einen Mann, der von allen nur »Lord« genannt wurde, viel wusste und – fast – alles hörte. Er war mehr oder weniger in einer alten, schummrigen Eckkneipe zu Hause. Man traf ihn da öfter an als in seiner Wohnung.
Angeblich gab es ein – unbestätigtes – persönliches Nahverhältnis zwischen ihm und der ebenso korpulenten wie resoluten Wirtin.
Als wir das Lokal betraten, stand die schwammige Kunstblondine hinterm Tresen und vertrieb sich die Langeweile mit Gläserpolieren.
Im Hintergrund kam gerade ein zotteliger, spitzbärtiger Typ mit noch offenem Hosenstall von der Toilette zurück. Jetzt zog er den Reißverschluss hoch und wollte zu seinen Freunden an den Snookertisch zurückkehren.
Als er uns erblickte, entgleisten seine Gesichtszüge, und er disponierte ganz schnell um. Er machte auf den Hacken kehrt und floh in die Küche. Sein seltsames Verhalten alarmierte mich. Ich folgte ihm.
Die Wirtin erwachte aus ihrer Lethargie. »He! He! He!«, protestierte sie energisch. »In meiner Küche hat niemand was zu suchen!«
Ich ignorierte sie. Phil stellte die resolute Frau mit seinem Dienstausweis ruhig. Ich stieß die Pendeltür, die in die Küche führte, mit der Schulter auf.
Der Zottelige bewarf mich mit Tomaten, Äpfeln, Radieschen, Töpfen und Pfannen. Ich wehrte seine Geschosse mit hochgehobenen Händen ab.
Er riss einen großen Pott mit heißem Wasser vom Herd. Ich musste zurückspringen, um nicht verbrüht zu werden. Das verschaffte dem Burschen einen kleinen Vorsprung, den er augenblicklich nutzte. Doch so leicht ließ ich ihn nicht entkommen. Ich stürmte hinter dem Spitzbart her.
Um mich endlich zu stoppen, kippte er mir ein Aluminiumregal mit Zucker, Mehl, Salz, Essig, Öl und einigem mehr vor die Füße. Ich sprang über all das Zeug hinweg, griff nach seiner Schulter und riss ihn herum.
Er nutzte den Schwung der Drehung, um mir ein Ding zu verpassen, das mich niedergestreckt hätte, wenn er mich getroffen hätte, doch ich nahm meinen Kopf blitzschnell zurück, und seine Faust fegte haarscharf an meinem Kinn vorbei.
Ich säbelte seine Beine zur Seite und traf ihn, während er fiel, hart an der Schläfe. Mehr brauchte er nicht. Das reichte fürs Erste.
Er grunzte laut und fiel mit dem Gesicht in den farbenfrohen »Brei«, der auf sein Konto ging. Ich drehte ihn um. Er sah aus wie paniert.
Ich brauchte ihn nicht noch einmal zu schlagen. Er war vorübergehend außer Betrieb. Als er zu sich kam, zerrte ich ihn hoch und lehnte ihn an die Wand. »Was war das eben?«, schnauzte ich ihn an.
»Was wollen Sie von mir?«, brabbelte er benommen. »Ich habe nichts getan.«
»Einer, der ein reines Gewissen hat, benimmt sich anders.«
»Ich bin ein ängstlicher Typ, Mann. Ihr habt so furchterregend ausgesehen, dass ich dachte: Das gibt Ärger. Da mache ich mich lieber aus dem Staub.«
»Ich bin FBI Agent.«
»Das wusste ich nicht.«
»Sie haben mich angegriffen.«
»Ich habe mich nur verteidigt.«
Phil kam mit der Wirtin herein.
»Ich glaub’s nicht«, wetterte die Korpulente. »Wie sieht’s denn hier aus? Wer wird diesen Saustall aufräumen?«
Ich zeigte auf den panierten Spitzbart. »Er.«
Der Lord war nur mal kurz weg gewesen. Als er zurückkam, war der Zottelige damit beschäftigt, in der Küche Ordnung zu schaffen. Wir erzählten dem Lord, was vorgefallen war. Er grinste.
»Der rennt immer gleich weg, wenn ihm jemand nicht geheuer ist«, sagte er. »Er ist ein echter Angsthase. Ein Fluchttier.«
Der Lord war mittelgroß und hager, trug einen preiswerten dunkelblauen Anzug und eine Nelke im Knopfloch. Schuppen bedeckten seine Schultern.
Er war uns zu Dank verpflichtet. Da er in seinen Kreisen viel hörte und sah, war er jemandem mit der Zeit so unbequem geworden, dass er ihn beseitigen wollte, und das hatten wir im allerletzten Augenblick verhindert.
Deshalb zahlte er seine Schuld seitdem in kleinen Raten ab – mit guten Tipps, brauchbaren Hinweisen, gelegentlichen Auskünften und fallweisen Gefälligkeiten.
Wir zogen uns mit ihm in eine stille Ecke des Lokals zurück. Der Lord wäre nicht der Lord gewesen, wenn er nichts von dem Marshmallow-Überfall gewusst hätte.
»Das war ein gut geplanter, bestens vorbereiteter, absolut unblutiger Coup«, meinte er. »Schnell, glatt und sauber. Es fiel kein einziger Schuss. Niemand bekam den Überfall mit. Eine Ruck-Zuck-Aktion vom Feinsten.«
»Na, na, na«, ermahnte ihn Phil mit strenger Miene. »Geraten Sie nicht gleich ins Schwärmen.«
»Bei den meisten Überfällen dieser Art gibt es Verletzte, wenn nicht gar Tote, und es fließt eine Menge Blut. Wenn das einmal nicht so abläuft, ist das doch zu begrüßen.«
»Bleibt immer noch der Tatbestand des dreisten Geldraubs bestehen«, bemerkte Phil trocken.
»Wer hat das getan?«, fragte ich den Lord.
Er zuckte mit den kantigen Schultern. »Keine Ahnung.«
»Wer kommt für so etwas infrage?«, wollte Phil wissen.
Der Lord lächelte. »Ganz ehrlich, ich mag euch und wollte, ich könnte euch helfen.«
»Unser Chef erwartet einen raschen Erfolg von uns«, sagte mein Partner.
Der Lord schüttelte den Kopf. »Denkt er, ihr könnt zaubern?«
»Wir könnten einen zuverlässigen Fingerzeig gut gebrauchen«, erwiderte ich.
Der Lord nickte verständnisvoll. »Ich werde sehen, was ich für euch tun kann.«
»Das hört sich gut an«, bemerkte Phil.
Der Lord breitete lächelnd die Arme aus. »Ich verdanke euch immerhin mein Leben.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung Küchentür. »Bekommt der Spitzbart Schwierigkeiten?«
»Ich werde noch mal ein Auge zudrücken«, brummte ich. »Aber beim nächsten Mal kommt er nicht so glimpflich davon. Das können Sie ihm ausrichten.«
»Es wird kein nächstes Mal geben, Agent Cotton. Dafür verbürge ich mich. Ich werde ihm nachher gründlich den Kopf waschen. Sie können sich darauf verlassen.«
Wir erhoben uns.
»Wir hören von Ihnen«, sagte Phil.
Der Lord nickte. »Aber sicher.«
Ich hob die Hand zum Gruß. »Hoffentlich bald.«
Der Lord lachte. »Ihr seid immer im Stress, Leute. Gesund kann das nicht sein.«