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Jerry Cotton 3220 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Mad Mafia Killer

Die italienische und die russische Mafia in New York lieferten sich einen blutigen Konkurrenzkampf. Und mitten im Gemetzel der Mobster trieb ein geisteskranker Profikiller sein grausames Spiel. Wir mussten ihn aufhalten, denn er tötete auf monströse Weise Frauen in den nächtlichen U-Bahn-Schächten des Big Apple und schilderte anschließend den Familienangehörigen der Opfer am Telefon die grausigen Details seiner Taten ...

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Seitenzahl: 144

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Mad Mafia Killer

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »American Psycho«/ddp-images

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7655-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Mad Mafia Killer

Sam Riley war ein Mann mit großen Händen. Deshalb machte es ihm keine Mühe, den üppig dimensionierten Griff der Beretta zu umfassen, die schwarz schimmernd in seinem Schoß lag. Er saß auf einem leicht gekippten Stuhl, wippte entspannt mit seinen kurzen Beinen und blickte Richtung Tür. Sein Gehirn arbeitete im Stand-by-Modus.

Schließlich drehte draußen jemand den Schlüssel im Schloss. Sam entsicherte die Pistole. Seine Muskeln spannten sich, als er die Waffe mit dem aufgeschraubten Schalldämpfer Richtung Eingang streckte.

Die Tür wurde geöffnet. Dämmriges Licht aus dem Hausflur floss ins Innere des abgedunkelten Raums. Davor zeigte sich verschwommen die Silhouette eines Mannes. Sam konnte sein Gesicht nicht erkennen. Ohne jede Regung jagte er dem Mann eine Kugel in den Kopf. Der Kerl gab keinen Laut von sich, kippte bloß nach hinten weg. Wie eine Klappfigur auf dem Jahrmarkt.

Im Flur sprangen Neonlampen an. Sam sah eine junge Frau. Sie war hellblond und trug unter ihrer offen stehenden Jacke einen enganliegenden knallgelben Pullover. Ihr Mund war weit geöffnet, wie zu einem Schrei.

Und plötzlich war es Sam, als fließe glühendes Blei durch seine Adern.

Die Frau schien wie erstarrt.

Sam stand auf und schob die Beretta samt Aufsatz ins Holster am rechten Oberschenkel. Wie in Trance knöpfte er seinen Mantel zu. Er bemerkte, dass er nur mühsam atmete. Seine Zunge klebte am Gaumen, pappig und dünn wie Löschpapier.

Die Frau wirbelte herum. Ihr langes Haar flog dabei hoch, kreiselte durch die Luft wie ein funkelnder Kometenschweif. Sam spürte es in jeder Faser seines Körpers: Das hier war sein Zeichen! Und bei Gott, er hatte keine Wahl!

Kleiner Sam, deine Zeit ist gekommen.

Die Frau rannte. Rannte den Flur hinunter und verschwand. Die Leere, die sie hinterließ, war fürchterlich. Hinter ihr schien sich eine Art Strudel zu bilden. Ein gewaltiger Sog, der nach Sam griff und ihn aus dem Zimmer riss. Für Sekunden sackte Sams Bewusstsein weg. Als es wieder einsetzte, fand sich Sam auf der Treppe zum Erdgeschoss wieder. Er registrierte, wie seine Beine unter ihm zwei Stufen auf einmal nahmen.

Von dem zweistöckigen Haus führte ein schmaler Weg zum gusseisernen Tor, hinter dem die Straße und eine U-Bahn-Station lagen. Darüber hing ein gleißender Mond am wolkenlosen Nachthimmel.

Die Frau, die dort entlanglief, dachte, dass sie es schaffen könnte. Sie riskierte es und blieb kurz stehen, warf den Kopf herum.

Und da sah sie ihn, wie er aus der Tür des Hauses stürzte. Ein schmächtiger Mann in einem zu langen schwarzen Kunstledermantel.

Für einen Moment blieb sie stehen, reckte den Kopf. Aus ihrer Kehle löste sich der Schrei, der zuvor dort festgeklemmt gewesen war, stieg jäh und vibrierend hoch in der eiskalten Winterluft und verhallte im Angesicht der unbarmherzig glitzernden Sterne.

Auch Sam Riley hielt inne und genoss diese wenigen Sekunden, die nur ihnen beiden zu gehören schienen. Ihm und der Frau. Ihrer gemeinsamen Einsamkeit. Noch nie hatte er sich einem Menschen so nah gefühlt.

Natürlich wusste Sam, dass es nicht so bleiben konnte.

Warum nicht?, rief eine verzweifelte Stimme in seinem Inneren.

Aber sie blieb unerhört. Sam hatte niemals eine Antwort erhalten. Auch jetzt nicht, in diesem Augenblick puren Glücks.

Die Frau vor ihm rannte wieder. Er stürzte ihr hinterher, fiebernd vor Verlangen.

Die Frau erreichte das Tor, das einen Spaltbreit geöffnet war. Sie zwängte sich hindurch. Sam war ihr dicht auf den Fersen. Aber draußen, hinter dem Tor, stolperte er über einen Stein, der sich auf dem Gehweg gelockert hatte, und verlor wertvolle Zeit. Er heulte vor Wut und verdoppelte seine Anstrengungen. Die Frau hatte jetzt die Treppe zur Subway erreicht.

Sam blickte sich kurz um. Es gab keine Zeugen. Die stille Vorstadtstraße lag wie ausgestorben. Hinter keinem der Fenster an den Häusern links und rechts brannte Licht.

Wie ein beschissener Friedhof!, dachte Sam und hörte sich leise auflachen.

Das Schicksal meinte es gut mit ihm.

Doch die Frau war weg. Das Loch zur Untergrundbahn hatte sie verschluckt.

Sam übersah das Informationsschild am Eingang. Er hetzte die schlecht beleuchtete Treppe zu den Bahnsteigen hinunter. Schweiß tropfte ihm in die Augen, trübte seinen Blick. Zu spät nahm er die glänzende Pfütze auf einer der Stufen wahr. Er rutschte aus und verlor das Gleichgewicht, stürzte vor und wäre beinahe hingeschlagen. In letzter Sekunde bekam er das klamme Eisengeländer zu fassen. Stechender Schmerz fuhr durch seinen Arm in die Schulter. Er biss die Zähne zusammen und rannte weiter.

Endlich kam er in den Gang an, auf den die Treppe führte. Die grob gemauerten Wände waren übersät von einem Gewirr aus Sprüchen, großflächigen Farbklecksen und überdimensionalen Comicfiguren.

Scheiße!, dachte Sam. Die Frau war nicht zu sehen. Außerdem hasste er Graffiti. Sie widersprachen seinem Ordnungssinn.

Eine Welle drohender Bewusstlosigkeit schwappte durch Sams Hirn. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen. Er schüttelte wild den Kopf und presste fluchend die Handballen gegen die Schläfen. Ein einziges Wort blitzte durch die Dunkelheit.

Kontrollverlust!

Hechelnde, verzweifelte Atemzüge. Dann schrie Sam so heftig, dass seine schrille Stimme als Kakophonie verrutschter Töne von den Mauern zu ihm zurückkehrte. Es klang wie ein lang gezogenes schadenfrohes Kichern.

Was, zum Teufel, ist bloß los mit mir?, schoss es ihm durch den Kopf.

Sam zwang sich, einige Male tief durchzuatmen. Sein Blick klärte sich wieder, forschte den Tunnel aus, der ganz hinten auf eine zweite Treppe führte. Die Frau war ihm entwischt! So viel schien sicher.

Sollte er aufgeben? Sein Verstand sagte ihm, dass mit jeder Sekunde die Gefahr wuchs, dass noch andere Leute hier unten auftauchten. Er musste die Frau nicht länger verfolgen. Er hatte seinen Job erledigt. Okay, sie war eine Zeugin. Aber was hatte sie schon gesehen? Einen Mann, der sein Gesicht hinter einer bräunlichen Strumpfmaske verbarg. Sicher, er sollte schleunigst den Rückzug antreten. Und genau das würde er auch tun.

Denn Sam war ein nüchterner Mann. Alles, was er tat, war wohlüberlegt. Es war seine Stärke. Seine Auftraggeber schätzten ihn. Er galt als hundertprozentig zuverlässig und vertrauenswürdig. Sam genoss als professioneller Killer einen ausgezeichneten Ruf.

Das Dumme war nur, dass er jetzt dennoch losrannte. In die falsche Richtung. Den Gang entlang zur Treppe, die weiter in die Tiefe führte.

Dann die Überraschung. Die Treppe war gesperrt. Jäh bremste Sam seinen Lauf, blieb keuchend stehen. Verwirrt überflog er den Text auf dem Schild über dem hinuntergelassenen Gitter. Bauarbeiten.

Ohne nachzudenken, war er der Frau in eine stillgelegte U-Bahn-Station gefolgt.

Er wollte gerade überlegen, was er tun sollte, als ihn das Gefühl beschlich, beobachtet zu werden. Unwillkürlich hielt er den Atem an und wandte sich um.

Jetzt erst entdeckte er, dass die Wand an der linken Seite des Tunnels unterbrochen war, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Er ging langsam darauf zu, erkannte die bogenförmige Einbuchtung, nicht höher als neun Fuß.

Er spürte, dass darin Leben pulsierte. Sein Herz schlug bis zum Hals.

Er schnellte vor, starrte in die Nische.

Sie war nicht tief, zwei Yards vielleicht.

Am Boden kauerte die Frau, die er verfolgt hatte, auf den Fersen hockend, mit angezogenen Knien, die Arme fest um den Leib geschlungen. Das lange hellblonde Haar floss in weichen Wellen auf ihre zarten Schultern. Und der gelbe Pullover unter ihrer Jacke umhüllte ihren Körper wie eine schimmernde Rüstung.

Das war es, was Sam Riley wahrnahm. Nicht die vor Schreck geweiteten Augen, nicht den flehentlichen Blick. Auch nicht die Lippen, die Worte sprachen, die Sam nicht hörte. Er war erfüllt von diesem Gelb, an dem er sich berauschte, und von dem Wissen, was er nun zu tun hatte.

Eine Melodie schwirrte elektrisierend durch sei Bewusstsein.

When the saints go marching in …

Er beugte sich über die Frau und strich ihr mit der linken Hand lächelnd durch das seidige Haar. Zärtlichkeit durchströmte ihn, und er schloss die Finger zur Faust und riss die Frau hoch. Gleichzeitig fischte er mit der Rechten das Messer aus der Manteltasche.

»Sieh mal«, flüsterte er, »was ich hier habe!«

Und wieder war er wie blind und taub. Vernahm nicht, was sie in höchster Angst schrie. Bemerkte nicht, wie sie sich wand unter seinem eisernen Griff. Und spürte nicht, wie sie mit ihren Fäusten nach ihm schlug.

Er ließ die Klinge aus dem Griff des Messers springen. Dann stieß er es gerade vor, dorthin, wo er das Herz der Frau vermutete.

Für Sekunden setzte Sams Bewusstsein wieder aus. Als es zurückkehrte, sah Sam, wie die Frau über den Gang torkelte, weg von ihm. Er beobachtete, wie sie einknickte, hart aufschlug und reglos liegen blieb.

Ohne sich zu beeilen, ging er hinüber, das blutige Messer in der Hand. Er kniete sich neben den Kopf der Frau nieder, hob mit der linken Hand ihren Kopf hoch und setzte mit der rechten die Schneide des Messers an der Stirn an.

Dann beschrieb seine Messerhand eine rasche kreisförmige Bewegung.

Die Mittagssonne stand an diesem Samstag senkrecht über dem Big Apple. Draußen zeichneten sich die Wohntürme Manhattans mit fast künstlicher Klarheit vor dem gläsernen Blau des Himmels ab. Die Stadt wirkte wie tiefgefroren.

Durch das Fenster im dreiundzwanzigsten Stock des Federal Building fiel blasses Winterlicht in das Büro von Mr. High.

Wir hatten Bericht erstattet. Phil und ich saßen in den ledergepolsterten Sesseln am Besprechungstisch und warteten auf die Reaktion des Chefs. Er war um den Schreibtisch herumgekommen und blickte nachdenklich hinaus auf das melancholische Postkartenpanorama hinter den blank geputzten Scheiben. Die Faktenlage war verwirrend.

Zwei Leichenfunde in einem Außenbezirk der Stadt, keine zwei Meilen voneinander entfernt. Der einen Leiche, männlich, Mitte dreißig, fehlte das linke Auge. Eine Pistolenkugel war an dieser Stelle in den Schädel eingedrungen. Die Putzfrau hatte den Toten entdeckt. Das andere Opfer, weiblich, Mitte zwanzig, hatte man skalpiert. Die Kopfschwarte mit den daran haftenden Haaren war nicht gefunden geworden. Ein betrunkener Obdachloser war auf die Frau gestoßen. Das Erlebnis hatte ihn derart mitgenommen, dass er auf dem Polizeirevier weinend zusammengebrochen war.

Was den Tathergang betraf, unterschieden sich die beiden Fälle deutlich. Nichts sprach auf den ersten Blick dafür, dass sie zusammenhingen. Das männliche Opfer konnte ohne Mühe identifiziert werden. Es handelte sich um Marco Franzese, einen polizeibekannten Unterboss der Cosa Nostra. Er führte für den Paten Gigi Belmonte die Geschäfte in einem Casino am Rockaway Boulevard. Die Aufklärung seiner Ermordung fiel also automatisch in die Zuständigkeit von T.A.C.T.I.C.S. Anders verhielt es sich mit der jungen Frau. Ihr Führerschein wies sie als Olga Kumarow aus. Wer war sie? Gab es für uns einen Anlass, auch die Ermittlungen in diesem Fall zu übernehmen?

Schließlich wandte sich Mr. High um. »Sie beide haben die Toten gesehen. Sie haben mit den zuständigen Gerichtsmedizinern gesprochen. Deren Befund ist eindeutig. Marco Franzese wurde von einem Profikiller liquidiert, in seiner eigenen Wohnung. Die Art aber, wie Olga Kumarow getötet wurde, deutet auf das Werk eines sadistischen Irren hin. Die Leichen wurden zu unterschiedlichen Uhrzeiten gefunden. Allerdings ist der Zeitraum, in dem sie ermordet wurden, nahezu identisch. Irgendwann zwischen null und drei Uhr heute Nacht. Haben wir es nun mit demselben Täter zu tun oder nicht?«

»Sehen wir uns das näher an«, schlug ich vor. »Erste Hypothese: Der Täter ist derselbe. Dann könnte es so gewesen sein: Er erledigt seinen Auftrag und wird von einer Zeugin überrascht. Sie flieht vor ihm, er holt sie ein und bringt sie um.«

»Großartig«, mokierte sich Phil. »Und warum betreibt er so einen Aufwand, statt die Frau einfach zu erschießen?«

»Tja, das ist die Frage«, stimmte ich meinem Freund zu. »Aber vielleicht war genau das sein Job: die Frau zu skalpieren.«

»Und den«, spottete Phil weiter, »hat ihm der Häuptling eines Kiowa-Stamms erteilt?«

»Okay, zweite Hypothese: zwei verschiedene Täter. Es ist purer Zufall, dass in Queens, im Stadtteil Jamaica, zeitgleich zwei Menschen ermordet werden. Die beiden Tatorte sind wenige Gehminuten voneinander entfernt. Wie hoch ist rein rechnerisch die Wahrscheinlichkeit, dass so was geschieht?«

»Ich muss zugeben«, räumte Phil ein, »dass mir diese Annahme ebenso absurd erscheint. Immerhin aber wären die Ermittlungen dann Sache des NYPD.«

»Nicht unbedingt«, schaltete sich Mr. High wieder ein. »Falls der Mörder ein Psychopath ist, könnten wir es auch mit einem Serienkiller zu tun haben. Unser IT-Experte soll überprüfen, ob es in den letzten Jahren ähnliche Fälle gab.«

Helen erschien in der Bürotür. »Steve Dillaggio ist da, Sir.«

»Bitten Sie ihn herein.« Mr. High zog sich wieder hinter seinen Schreibtisch zurück.

Steve trat ein, grüßte den Chef und nahm neben Phil und mir Platz.

»Ich habe interessante Neuigkeiten«, verkündete er. »Es gibt einen Familienangehörigen von Olga Kumarow in New York. Es handelt sich um ihren Onkel, Nikolai Kumarow.« Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein.

»Mach es nicht so spannend«, forderte Phil. »Wer ist er, ein russischer Großfürst?«

»So ungefähr.« Steve grinste. »Ihm gehören mehrere Immobilien. Einige in Brooklyn und zwei in der Bronx.«

»Woher stammt das Geld für den Kauf der Häuser?«, wollte Mr. High wissen.

»Unser Genie Ben hat alle Register gezogen, um das herauszufinden. Die Spur der finanziellen Transaktionen von Kumarow führt zu verschiedenen dubiosen Adressen auf den Cayman Islands. Das Ganze riecht nach Geldwäsche.«

»Und welches Geld wurde da womöglich gewaschen?«

»Das haben Ben und ich uns auch gefragt, Sir. Ben hatte die Idee, mit der Recherche in der Heimat von Kumarow zu beginnen. Der Mann ist erst vor zwei Monaten aus Moskau hierhergezogen. Die Häuser hatte er bereits vor Jahren gekauft. Was bewog ihn plötzlich, im Big Apple Quartier zu beziehen? Ben, dieser ausgekochte Bursche, hat ein paar russische Quellen im Internet angezapft. Und, siehe da, Volltreffer!« Steve lächelte selbstzufrieden in die Runde. Er wartete darauf, dass ihn jemand drängte, die Pointe seiner Geschichte loszuwerden.

Phil tat ihm den Gefallen. »Also schön, Steve, wir sind ganz Ohr. Was ist mit dem Kerl?«

»Er ist«, antwortete unser Kollege, »vermutlich das neue Oberhaupt der russischen Mafia in New York. Und er hat offenbar Rückendeckung durch den russischen Geheimdienst GRU. Er war früher selbst bei dem Verein und ein Jahr an der Front in Tschetschenien.«

Phil pfiff leise durch die Zähne. »Das bedeutet neuen Ärger.«

Mr. High nickte zustimmend. »Wir haben uns also geirrt. Die Sache mit den Russen ist noch nicht ausgestanden.«

Eine schwerwiegende Erkenntnis. Aus verschiedenen Gründen hatten sich die Aktivitäten der russischen Mafia seit etwa einem Jahr deutlich verringert. Erstens, interne Zwistigkeiten schwächten die Organisation. Zweitens, dadurch wurde ihre Konkurrenz, die Cosa Nostra, gestärkt. Und drittens, das FBI hatte ihren Boss, den primitiven und verschlagenen Michail Godunow, aus dem Verkehr gezogen. Jetzt hatte die Moskauer Mafia einen Mann nach New York entsandt, der ein ganz anderes Kaliber als Godunow war – einen Mann mit Verbindungen nach ganz oben.

Mr. High faltete die Hände auf der Schreibtischplatte und lehnte sich im Stuhl zurück. Er blickte uns der Reihe nach an. Seine Miene drückte beides aus, Sorge und Entschiedenheit.

»Wir befinden uns in einer sehr heiklen Lage. Ein Unterführer der Cosa Nostra wurde ermordet. Fast gleichzeitig die Nichte des neuen Russenbosses. Letztere auf eine Art, die eher auf einen krankhaften Sadisten als auf einen Mafiakiller hindeutet. Jeder dieser Umstände ist für sich genommen schon schwerwiegend. Womöglich hängt all das aber auch zusammen. Sicher scheint, dass ein neuer Gangsterkrieg droht. Außerdem sollten wir damit rechnen, dass ein Psychopath Jagd auf Frauen macht.« Mr. High schwieg kurz, ehe er zum entscheidenden Punkt kam. »Wir müssen in alle Richtungen ermitteln und möglichst schnell die Zusammenhänge klären. Falls das nicht gelingt, könnten die Dinge außer Kontrolle geraten. Ich will mir lieber nicht ausmalen, was dann passiert.«

Neben einem messerscharfen Verstand besaß der Chef eine weitere Gabe: Er konnte Ereignisse intuitiv in ihrer Bedeutung erfassen.

Hinter seinen klaren, knappen Worten verbarg sich eine unausgesprochene, dunkle Botschaft. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Und das Schlimmste ist allgemeines Chaos!

»Kümmern Sie sich als Erstes um die Mafiabosse«, sagte Mr. High. »Und sprechen Sie mit unserer Psychologin, Doktor McLane. Mich würde interessieren, wie sie den Mord an Olga Kumarow einordnet.«

Der Mann hinter ihr hatte es heute eilig.

Virginia Gutierrez klammerte sich mit beiden Händen an die Armstützen des ramponierten Rollstuhls. Die Lederverschalung fehlte. Durch den billigen Filz ihrer hellblauen Handschuhe spürte Virginia schmerzlich die unbarmherzige Kälte der Metallrohre. Sie war arm wie eine Kirchenmaus.

Ohne den Mann, der hinter ihrem Rücken das wacklige Gefährt über den spiegelglatten Gehweg kutschierte, wäre sie wohl nie mehr vor die Tür gekommen. Im heillosen Chaos ihrer Messiwohnung hatte sie sich die Zeit vornehmlich mit dem Genuss von billigem Schnaps vertrieben. Der Mann hatte sie dort aufgelesen. Er war eines Tages an ihrer Tür erschienen mit seinem blassen, blatternarbigen Gesicht und den fettigen, dünnen Haaren, die bis auf die Schultern reichten.

»Sie sind behindert, nicht wahr?«

»Ja und, was geht das Sie an?«

»Vielleicht können wir gemeinsam die Zeit totschlagen.«

Er wohnte über ihr, im ersten Stock. Virginia wunderte sich über sich selbst, als sie spontan geantwortet hatte, dass sie einverstanden sei. Seitdem klingelte der Mann jeden Tag, pünktlich um zwei Uhr am Nachmittag, an ihrer Tür, um sie abzuholen.