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Jerry Cotton 3221 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Ungleiche Brüder

Nach einem mörderischen Komplott gegen ihren Vater übernahmen die ungleichen Zwillinge Robert und Jack Balotelli die Familiengeschäfte. Während Robert als Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Princeton Universität lehrte, führte Jack die illegalen Geschäftszweige des Unternehmens fort. Phil und ich interessierten uns für den kriminellen Bruder und erfuhren bald am eigenen Leib, dass wir die Balotellis vollkommen unterschätzt hatten!

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Seitenzahl: 139

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Ungleiche Brüder

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Die Krays«/ddp-images

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7734-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ungleiche Brüder

Die vor die Fenster gezogenen Vorhänge sperrten alles Tageslicht aus. Das Schlafzimmer roch nach herannahendem Tod und dem Inhalt der Windeln, die Don Graziano, Oberhaupt der Balotelli-Familie, in seinen letzten Lebenstagen tragen musste. Seine Wangen waren eingefallen, aus der Nase führte ein Kunststoffschlauch in ein Beatmungsgerät. Nur das schalkhafte Blitzen seiner Augen erinnerte an den kraftstrotzenden jungen Sizilianer, der vor einem halben Jahrhundert seinen Fuß auf Ellis Island gesetzt hatte.

Am Bett standen seine Söhne Robert und Jack. Sie mussten sich herunterbeugen, um hören zu können, was ihr Vater ihnen mitzuteilen hatte.

»Ich habe beschlossen, das Familienvermögen in eine wohltätige Stiftung einzubringen. Sie wird von Matteo und Simona geleitet. Alle nötigen Papiere wurden heute Morgen in Anwesenheit von Spinazzola unterschrieben«, flüsterte er heiser.

Jack sah seinen Bruder verunsichert an. Was zum Teufel hatte dieser Sinneswandel zu bedeuten?

»Ich weiß, ihr werdet das verstehen«, sagte der Pate lächelnd.

Robert nahm seine Brille ab und legte sie auf den Nachttisch. Dann nahm er ein Kissen vom Sofa und drückte es Don Graziano aufs Gesicht. Er warf seinem Bruder einen harten Blick zu. Jack rann eine Träne über die Wange. Dann legte auch er seine Hand auf das Kissen.

Don Graziano mochte im Sterben liegen, aber sein Lebenswille war ungebrochen. Seine Beine vollführten einen Veitstanz auf der Matratze, bis der Blick endlich brach und sein Brustkorb sich ein letztes Mal senkte.

Schweißperlen standen auf Roberts Stirn. Als er sich sicher war, dass es vollbracht war, nahm er das Kissen weg, schloss die aufgerissenen Augen seines Vaters, zog die Vorhänge zurück und riss die Fenster auf. Er öffnete den hinter dem Bild eines sizilianischen Fischerdorfs versteckten Safe.

Unter der Makarow, die sein Vater hier aufzubewahren pflegte, lag ein Dokument, auf dem der Pate seinen letzten Willen verfügt und unterschrieben hatte – zumindest die Version, die der Anwalt und Notar der Familie, Spinazzola, am Morgen zu beglaubigen hierher bestellt war. Doch dieses Blatt Papier war wertlos.

Robert zog unter dem Pflegebett eine Metallschüssel hervor, in der eine Pfütze aus Blut und Wundsekret schwamm. Er stellte sie auf dem Leichnam seines Vaters ab und ließ das Testament mit einem Feuerzeug, das ihm vor vierzig Jahren geschenkt worden war, in Flammen aufgehen.

Die Brüder sahen zu, wie sich Ascheflocken und Körperflüssigkeiten zu einem schmierigen Brei vermengten. Die letzte schwelende Ecke fiel mit einem Zischen in die Schüssel.

Jack stand an der gegenüberliegenden Bettseite und schluchzte.

»Das ist nicht Recht, Bob«, stieß er hervor, »seinen eigenen Vater zu töten.«

»Wir haben ihm eine Gnade erwiesen, Jack. Er wollte unsere Pläne durchkreuzen. Es ist alles in Ordnung so, glaube mir.«

Robert ging um das Bett herum und nahm seinen Bruder in den Arm. Jack Balotelli, eigentlich der harte Hund der Balotelli-Familie, sackte weinend an der Brust seines Zwillingsbruders zusammen.

Als Jack und Robert zwanzig Minuten später gemeinsam die Treppe zur Eingangshalle der Villa in der Wupper East Side hinabstiegen, saßen Simona Balotelli, Don Grazianos zweite Ehefrau, nunmehr seine frischgebackene Witwe, und der Consigliere der Familie, Matteo Ruggiani, auf der Couch im Wohnzimmer, tranken Cappuccino und unterhielten sich respektvoll leise.

Ihr Gespräch erstarb, als sie Roberts Gesichtsausdruck gewahr wurden. Ruggiani wollte seine Tasse auf dem Unterteller abstellen, verfehlte das Ziel jedoch. Das Porzellan entglitt seinen Fingern und zersprang auf dem Marmorfußboden.

»Vater ist tot«, brachte Jack hervor und konnte ein Schluchzen nur mühsam unterdrücken.

Simona wiederum konnte ihr triumphierendes Lächeln kaum beherrschen. Sie war nicht Roberts und Jacks leibliche Mutter, die hatte in jungen Jahren der Krebs dahingerafft. Robert hatte Simona von dem Tag an, da sein Vater sie von einem Schönheitswettbewerb in Austin mitgebracht hatte, nicht leiden können.

Anfangs hatte er sie für hübsch, aber dumm gehalten. Doch bald schon hatte er erkennen müssen, dass sie die Schläue eines texanischen Rinderfarmers besaß. Don Graziano dazu zu bringen, sie zu heiraten, war nur ihr Eröffnungszug gewesen. Ihn nun in seiner geistigen Umnachtung dazu zu bringen, ihr und dem Consigliere das Familienvermögen anzuvertrauen, sollte das Endspiel ihrer Infamität sein.

Aber der Plan war gescheitert. Robert hatte eine Rochade angewandt.

Er zog einen Packen Papier aus seiner Aktentasche und klatschte ihn auf den Couchtisch.

Matteo Ruggiani nahm die Unterlagen zur Hand und überflog sie. Alles Blut wich aus seinem Gesicht.

»Du hast deinen Vater entmündigen lassen?«, fragte er mit zitternder Stimme.

»Vor zwei Monaten schon«, antwortete Robert. »Mit dem Testament könntet ihr euch den Arsch abwischen – wenn ich es nicht gerade vernichtet hätte.«

Er platzierte die Makarow auf dem Tisch. Sie war geladen und bereit.

Matteo und Simona starrten die Waffe mit offenen Mündern an. Sie wussten, was von ihnen erwartet wurde. Ihr Plan war durchkreuzt, ihre Aufgaben in der Familie Balotelli erfüllt, niemand hatte nun noch Verwendung für sie. Don Grazianos Söhne konnten es sich nicht erlauben, sie am Leben zu lassen.

Die Zeit im Raum schien stillzustehen, keiner rührte sich vom Fleck.

»Ihr könnt es selbst tun, ehrenvoll, so, wie es sich geziemt … oder ich erledige es«, sagte Jack. »Aber auf der Flucht von hinten erschossen zu werden, ist unehrenhaft. Es bringt für Generationen Schande über deine Familie, Ruggiani. So etwas spricht sich bis Palermo herum.«

Der Blick des Consigliere wanderte flehend von Robert zu Jack und zur Tür, hinter der er die Soldaten wusste, die Jack loyal ergeben waren. Er streckte die Hand nach der Waffe aus.

Einen irren Moment lang stellte Robert sich vor, dass Ruggiani sich vergaß. Dass er die Waffe auf sie richtete, versuchte, sich den Weg freizuschießen.

Aber der Consigliere war kein Killer, außerdem war er Realist. Er würde es nicht einmal bis zur Türschwelle schaffen, bevor Jacks Männer ihn erledigten. Und wenn er jemanden tötete, würde die Rache sich auf seine gesamte Familie ausweiten.

Ruggiani schloss die Augen und zog die Hand zurück.

»Bitte …«, flüsterte er leise und mit weinerlicher Stimme.

Robert seufzte. Vermutlich musste Jack die Sache doch selbst in die Hand nehmen.

Simona sprang vom Sofa auf. Sie schnappte sich die Makarow.

»Verdammt noch mal, dann erledige ich das eben!«

Sie riss Ruggiani am Arm hoch und marschierte, den taumelnden Mann im Schlepptau, in den parkähnlichen Garten hinaus. Seine Stiefmutter hatte offensichtlich ein besseres Gespür dafür, wann sie verloren hatte.

Robert studierte das Ölbild des Patriarchen, das die Wand über dem Kamin schmückte, während sein Bruder nervös die Fingergelenke knacken ließ. Grazianos kantiges Kinn, seine dunklen Augen und das krause schwarze Haar. Im Hintergrund die Umrisse des kleinen sizilianischen Dorfes, in dem er geboren worden war.

Simonas Absätze klapperten auf den Stufen, die von der Terrasse hinunter in den Garten führten.

Kurz darauf ertönte von draußen ein ersticktes »Nein!« von Ruggiani, dann ein Schuss, kurz darauf ein zweiter.

Robert atmete durch. Er ging zur Verandatür, sah hinaus. Unter der Kastanie lagen zwei Tote.

Die Reorganisation und das Wiedererstarken des New Yorker Mobs waren im FBI in aller Munde und der Grund dafür, dass Phil und ich in unsere alte Heimat zurückgekehrt waren. Daher wunderte es keinen von uns, als Helen uns in das Büro des Chefs bestellte, wo uns von dem großen Flachbildschirm an der Wand ein altbekanntes Gesicht entgegenblickte.

»Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, forderte Mr. High uns auf, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. Routiniert setzte er seine Unterschrift unter einige Dokumente, bevor er sich zu uns gesellte.

Einen Augenblick später betrat unser Analyst Dr. Ben Bruckner das Büro. Er nickte uns zu. Dann händigte er jedem eine Kladde mit der Aufschrift »Classified« aus.

»Das Gesicht auf dem Bildschirm kommt Ihnen bekannt vor, nehme ich an?«, eröffnete der Chef das Treffen und warf mir einen aufmunternden Blick zu.

»Don Graziano Balotelli, Pate einer der kleineren New Yorker Familien. Verstorben vor etwa sechs Monaten. Die Beerdigung war ein gesellschaftliches Ereignis in New York.«

»Ausnahmsweise mal eines ohne versuchtes Sprengstoffattentat«, spielte der Chef auf die Ereignisse rund um die Cosentino-Familie vor einigen Monaten an. Er forderte Ben auf, seine Ergebnisse zu präsentieren.

»Balotelli starb vor sechs Monaten an Speiseröhrenkrebs«, berichtete der. »Seine zweite Ehefrau und sein Consigliere wurden am Tag seines Todes im Garten des Anwesens gefunden, beide mit einer Kugel im Kopf.«

»Aufräumaktion?«, mutmaßte Phil.

Ben schüttelte den Kopf. »Die Gerichtsmediziner schließen Fremdverschulden aus. Das Motiv wurde allerdings nie geklärt.«

»Die Trauer wird sie wohl übermannt haben«, kommentierte ich sarkastisch.

Der Chef forderte Ben auf, fortzufahren.

»Balotelli war ein Pate vom alten Schlag. Seine Geschäftsfelder waren illegales Glücksspiel, Sportwetten und Schutzgelderpressung. Die Familie hat im großen New Yorker Poker kaum eine Rolle gespielt, weil sich Graziano geweigert hat, ins Drogengeschäft einzusteigen. Der Alte hatte wohl vor, sein Vermögen in eine Stiftung für wohltätige Zwecke einzubringen.«

»Don Balotelli, der geläuterte Philanthrop?«, wunderte ich mich.

»Es kam nicht dazu«, erklärte Ben. »Das Testament wurde erfolgreich angefochten, und das gesamte Vermögen ging an seine Söhne Jack und Robert.«

Ben drückte eine Taste auf seinem Laptop, der mit dem Flatscreen an der Wand gekoppelt war. Fotos von Jack und Robert Balotelli erschienen. Sie waren Zwillingsbrüder, genauer gesagt: eineiige Zwillinge. Robert trug einen etwas altmodischen Schnauzbart, eine randlose Brille und hatte längeres Haar. Jack wiederum war glatt rasiert und trug die Haare militärisch kurz geschnitten.

Ben präsentierte eine ganze Reihe offenbar von verdeckten Ermittlern angefertigte Aufnahmen. Anhand der Bilder konnte man bereits Mutmaßungen über die charakterlichen Unterschiede der beiden Männer anstellen. Jack lachte auf fast jedem Bild, und im Kreise seiner Männern schien er zupackend und leutselig. Seine Leidenschaft waren offenbar schnelle und teure Autos, die im Hintergrund deutlich zu sehen waren.

Sein Bruder Robert wiederum lachte nie. Sein Blick wirkte arrogant, unnahbar und kalt. Er wirkte ein bisschen wie ein Einzelgänger. Ich konnte mir vorstellen, dass es sich wenig angenehm anfühlte, von ihm beobachtet zu werden. Eines der Bilder zeigte ihn in einem Hörsaal mit Studenten.

»Dass zwei Menschen sich so ähnlich sehen und gleichzeitig so unterschiedliche Charaktere haben können, ist doch erstaunlich«, wunderte ich mich.

»Jack wandelt in den Fußspuren seines Vaters. Man munkelt, er habe seinen Vater erfolglos zur Produktion und zum Vertrieb von Crystal Meth überreden wollen. Er hat mittlerweile die Geschäfte übernommen und befehligt die Soldaten des Clans«, sagte Ben.

Er tippte noch einmal auf der Tastatur. Es erschien ein Foto, dass zwei Männer in einer Pizzeria in Little Italy zeigte. Einer war klein, stämmig, mit eckigem Gesicht und hatte die wenigen verbliebenen schwarzen Haare quer über die Glatze gelegt wie mit Oktopus-Tinte gefärbte Spaghetti. Der andere war schmächtig, hohlwangig und hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

»Ugo Vanoni und Ciro Bonucci, Jacks Handlanger. Vanoni wurde wegen Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, Bonucci konnten wir bislang nicht ans Leder.«

»Hat Jack einen neuen Consigliere?«, fragte Phil.

»Nein. Und das ist ein bisschen verwunderlich«, schaltete sich Mr. High ein.

»Berät ihn möglicherweise sein Bruder?«, fragte ich.

Ben schüttelte den Kopf. »Nein, Doktor Robert Balotelli hat sich vor Jahren von der Familie losgesagt. Er ist mittlerweile Dozent am Institute of Financial Economics an der Universität Princeton. Eine Koryphäe im Bereich derivativer Finanzinstrumente.«

»Und das bedeutet?«, fragte Phil stirnrunzelnd, der ebenso wenig verstand wie ich.

»Optionen, Futures, Swaps, Spreads. Hochspekulative Anlageformen«, versuchte Ben eine Erklärung.

»Ich stehe immer noch auf dem Schlauch. Wie wär’s mit einer Version für Leute ohne mindestens zwei akademische Titel?«, bat ich ihn.

Ben sah verunsichert zum Chef, der unsere Bitte mit einer Geste bekräftigte.

»Es ist eine Art Wette auf den Kurs von Aktien, Währungen, Rohstoffen oder Staatsanleihen. Man kann auf fallende oder steigende Kurse wetten. Es gibt eine Hebelwirkung, das bedeutet, die Risiken sind deutlich größer, als wenn man zum Beispiel die zugrundeliegende Aktie direkt kauft. Aber auch die Gewinnchancen sind unendlich viel höher.«

»Und das ist legal?«, fragte Phil kopfschüttelnd.

»Es ist nicht nur legal, sondern ein Geschäftsmodell vieler Investmentbanken«, antwortete unser Analyst. »Eines, das vor ein paar Jahren fast unser Finanzsystem zum Einsturz gebracht hätte.«

»Hat nicht mal jemand gesagt: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«, kommentierte ich.

»Sehr passend«, meinte mein Partner.

»Jedenfalls forscht und lehrt Professor Robert Balotelli in Princeton über eben diese Finanzinstrumente«, kam Ben auf den Ausgangspunkt unserer Diskussion zurück.

Hier schaltete sich Mr. High ein: »Seit dem Tod des alten Don tut sich einiges im Balotelli-Clan. Es scheint, als ob Jack das Familiensilber abstößt. Immobilien, Beteiligungen, Edelmetalle, alles muss raus. Wir haben keine Ahnung, wofür er all die flüssigen Mittel benötigt, aber wir müssen es herausfinden. Irgendetwas ist da im Busch.«

»Wir sollen also die Gebrüder Balotelli unter die Lupe nehmen?«, fragte ich.

»Konzentrieren Sie sich vor allem auf Jack«, bat Mr. High. »Robert Balotellis Leben haben wir durchleuchtet und nichts Verdächtiges gefunden. Er war zwar auf der Beerdigung seines Vaters, hat aber mit der Familie und ihren Geschäften ansonsten nichts zu tun. Ich erwarte regelmäßige Berichte.«

Elisabeth Thornton schloss die Augen und sog die Luft ein. Der warme Wind entlang der Amalfiküste trug den Duft von Oleander und Salz mit sich. Auf dem Balkon ihrer Suite im Hotel Salerno stehend, schwenkte sie den schweren Piedirosso im Glas und nahm einen Schluck.

Sie lauschte in die Suite. Die Kinder schliefen trotz der Hitze endlich, Gott sei Dank.

Elisabeth wünschte sich ihren Mann Richard her, stellte sich vor, wie sie beide hier standen und auf den Hafen hinuntersahen, wo ein paar Fischerboote im Schatten einiger großer Luxusyachten auf dem Wasser schaukelten. Von Ferne wehte der Klang eines Akkordeons und die zarten Glockenschläge der Kirche Santa Maria Assunta herüber.

Sie vermisste ihren Mann noch ein wenig mehr. Richard war mittlerweile so gut im Geschäft, dass sie schon seit Jahren keinen Familienurlaub mehr machten. Man gewöhnte sich an alles, auch daran, mit den Kindern alleine die Welt zu bereisen.

Jemand klopfte leise an die Tür. Elisabeth sah auf ihre Armbanduhr. 23.15 Uhr. Wer wollte so spät noch etwas von ihr?

Sie stellte das Glas ab, ging zur Tür und warf einen Blick durch den Spion. Nicht dass sie etwas Schlimmes erwartet hätte, es war einfach eine Angewohnheit.

Draußen stand ein Angestellter des Hotels in der typisch weißen Uniform mit Goldtroddeln.

»Ja, bitte?«, fragte sie leise durch die verschlossene Tür, um die Kinder nicht zu wecken.

»Mrs. Thornton?«, fragte der Mann auf der anderen Seite der Tür zurück.

»Ja, das bin ich?«

»Ich habe hier eine Nachricht von Ihrem Mann.«

Elisabeth wunderte sich keine Sekunde darüber, dass ihr Mann ihr eine Nachricht durch einen Hotelpagen überbringen ließ, statt sie einfach anzurufen oder ihr eine Textnachricht zu schicken. Arglos öffnete sie die Tür.

Sobald das Schloss aufgeschnappt war, drückte der Mann von außen die Tür auf. Völlig überrumpelt stolperte Elisabeth rückwärts und wäre fast gestürzt. Sie wollte protestieren, doch als hinter dem Hotelpagen noch drei weitere Männer in das Apartment drangen, versagte ihr vor Panik die Stimme.

Der letzte Eindringling schloss die Tür hinter sich. Das bisschen Licht, das vom Gang hereingedrungen war, erlosch. Im Halbdunkel erkannte Elisabeth Thornton, dass der Mann in Uniform eine Waffe in der Hand trug, an deren Mündung ein Schalldämpfer befestigt war. Die Mündung deutete genau auf sie. Von Panik durchflutet hallte nur ein einziger Gedanke in ihrem Kopf wider: Die Kinder, die Kinder schlafen nebenan!

»Packen Sie ein paar Sachen für sich und Ihre Töchter, leichtes Gepäck. Sie haben fünf Minuten«, sagte der Hotelpage.

Endlich fand sie ihre Sprache wieder. »Wer sind Sie? Und was wollen Sie von mir?«

Der Hotelpage trat zur Seite und nickte einem der anderen Männer zu, der sich flink und geschmeidig auf sie zubewegte wie ein Frettchen. Bevor sie reagieren konnte, holte der Mann aus und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.

Elisabeth Thornton konnte den Impuls, aufzuschreien, gerade noch unterdrücken. Sie durfte keinesfalls die Kinder wecken oder ängstigen! Ihre Wange brannte wie Feuer, und in ihrem Mund breitete sich der metallische Geschmack von Blut aus.

»Fragen Sie nicht, bleiben Sie ruhig, und beeilen Sie sich. Vier Minuten und dreißig Sekunden«, erklärte der Uniformierte ungerührt.

Elisabeth Thornton rannte in ihr Schlafzimmer, warf überhastet Kleidung, Toilettenartikel und ein paar Bücher für die Kinder in eine Reisetasche. Währenddessen überlegte sie, ob sie um Hilfe rufen sollte. Ob sie versuchen sollte, die Polizei zu rufen oder ihrem Mann eine Nachricht zukommen lassen. Aber wie erreichte sie die Polizei in Positano?

Abgesehen davon hatte sie gegen vier bewaffnete Mafiosi, denn dass es sich in Italien nur um solche handeln konnte, stand für sie außer Frage, keine Chance. Bevor sie den Mund aufmachen würde, hätte sie eine Kugel im Kopf – und ihre Töchter Jenna und Christine vermutlich ebenfalls. Ihr blieb nichts übrig, als sich zu fügen.