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Zugzwang
Ich staunte nicht schlecht, als sich Tom Hustler nach Jahren wieder bei uns meldet. Natürlich erinnere ich mich gleich an ihn: Er wurde damals erpresst - und wird es heute wieder, obwohl der Erpresser von einst längst hinter Gittern sitzt! Als Phil und ich uns der Sache annehmen, wird uns schnell klar, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, denn Reynolds Ambrose hat seine Haftstrafe nicht überlebt, sondern ist einem Herzleiden erlegen. Wer also hat sein Werk wieder aufgenommen? Offensichtlich steckt etwas Größeres hinter den Ereignissen, denn schon bald pflastern Leichen unseren Weg ...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Zugzwang
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Art-Of-Photo/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7736-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Es war ein schöner Wintermorgen mit strahlend blauem Himmel. Eine sanfte Brise trug frische Meeresluft in die Stadt.
Tom Hustler verließ sein New Yorker Haus, um die Post zu holen. Eine Nachbarin grüßte ihn, als er den Briefkasten öffnete. Er erwiderte den Gruß und ging die verschiedenen Schriftstücke durch. Ein Brief fiel ihm gleich auf, die Farbe des Umschlags rief Erinnerungen wach. In dem Bemühen, sich nichts anmerken zu lassen, ging er zurück ins Haus. Als er die Tür geschlossen hatte, öffnete er das Kuvert. Schon als er den ersten Satz las, wurde er kreidebleich.
»Nein, das kann nicht sein!«, stieß er erschüttert aus und musste sich festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Die Vergangenheit hatte ihn wieder eingeholt.
Zugzwang
Phil und ich hatten uns im chinesischen Restaurant Wo Hop etwas zu essen geholt und suchten nun im Columbus Park ein nettes Plätzchen zum Hinsetzen. Die Luft war kühl, aber die Sonne erwärmte alles, was sie erreichte, mit ihren Strahlen.
»Warum heißen Glasnudeln eigentlich Glasnudeln?«, fragte Phil. »Die sind doch nicht aus Glas.«
»Und Bleistifte enthalten kein Blei, zumindest heutzutage nicht mehr«, erwiderte ich. »Wahrscheinlich kommt der Name daher, dass sie glasig aussehen. Ist ja auch egal, solange sie schmecken.«
»Stimmt.« Phil nickte. »Guten Appetit.«
Ich hatte gerade meine letzte Frühlingsrolle vertilgt, als mein Handy klingelte. Der Anruf kam vom FBI.
»Ja, bitte?«, meldete ich mich.
»Agent Cotton, wir haben einen Anruf für Sie, von einem gewissen Tom Hustler. Soll ich ihn durchstellen?«, meldete sich eine Frau mit freundlicher Stimme.
»Tom Hustler? Den Namen habe ich schon eine kleine Ewigkeit lang nicht mehr gehört. Aber ja, stellen Sie ihn bitte durch.«
Einen kurzen Augenblick dudelte Warteschleifenmusik, dann hörte ich jemanden am anderen Ende der Leitung.
»Jerry Cotton«, meldete ich mich.
»Agent Cotton, gut, Ihre Stimme zu hören. Tom Hustler am Apparat. Ich habe … muss mit Ihnen reden, es ist dringend.«
»Warum nicht. Worum geht es denn?«, wollte ich wissen.
»Die Angelegenheit von damals, Sie wissen schon«, sagte Hustler. »Es ist wieder passiert, gerade vor einer halben Stunde. Ich hatte einen Brief in meinem Briefkasten. Mit Fotos, einer Forderung und … es ist genau wie damals.«
Seine Stimme, die Art, wie er sich ausdrückte, alles deutete darauf hin, dass ihm etwas schrecklich zusetzte.
Natürlich hatte ich mich inzwischen an den Fall erinnert. Es war rund zehn Jahre her, da war Hustler erpresst worden. Damals hatte es sich ergeben, dass das FBI die Angelegenheit untersucht hatte, um genau zu sein: Phil und ich. Wir hatten den Erpresser gefunden und dingfest gemacht – zumindest hatten wir das angenommen.
»Reynolds Ambrose befindet sich, soweit mir bekannt ist, noch in Haft«, erwiderte ich. »Von ihm haben Sie nichts zu befürchten, wirklich nicht.«
»Keine Ahnung, wer mir den Brief geschrieben hat, aber es ist der gleiche Text.« Er klang beinahe panisch. »Kann es sein, dass Ambrose vom Gefängnis aus dazu in der Lage ist? Keine Ahnung, aber wir sollten uns auf jeden Fall treffen. Ich möchte nicht zur Polizei gehen und weiß nicht, wem ich mich sonst anvertrauen kann. Sie waren damals so nett gewesen, die Angelegenheit diskret zu behandeln.«
»Wenn Sie wollen, können wir uns gerne unterhalten«, sagte ich beruhigend.
»In Ihrem Büro?«, fragte er und hörte sich so erleichtert an, dass ich beinahe lächeln musste. »Ich könnte in gut einer Stunde da sein. Nein, um diese Uhrzeit vielleicht eher in anderthalb Stunden. Ich mache mich sofort auf den Weg. Bis gleich!«
»Okay«, sagte ich noch, doch er hatte die Verbindung bereits unterbrochen.
Phil schaute mich fragend an. »Was ist?«
»Erinnerst du dich an Hustler?«
Phil konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Das Magazin? Recht anrüchig, nicht wahr? Mehr noch als der Playboy. Gibt es das noch?«
Ich stieß ihn heftig vor die Schulter. »Nein, nicht das Magazin. Der Typ, Tom Hustler. Ein Fall von uns. Muss vor etwa zehn Jahren gewesen sein.«
»Kann mich schwach daran erinnern«, meinte Phil und tunkte sein gebratenes Entenfleisch in süßsaure Sauce. »Ein Blick in die Akte könnte nicht schaden, um die Erinnerung aufzufrischen.«
Ich nickte. »Ja, die sollten wir uns anschauen. Er ist auf dem Weg und wird nachher vorbeikommen. Er hatte es ziemlich eilig. Vielleicht hätte ich lieber jemanden schicken sollen, um ihn abzuholen.«
»Warum so viel Aufwand betreiben? Was ist denn überhaupt los?«, wollte er wissen.
Ich erzählte Phil, was Hustler gesagt hatte.
Mit einem Mal wurde er ernst. »Der gleiche Text wie damals? Das kann doch nicht sein. Der Typ müsste doch noch in Haft sein. Oder ist er vorzeitig entlassen worden?«
»Das können wir leicht herausfinden.«
Wir beendeten unser Mittagessen und gingen zurück zum Field Office, das sich nur ein paar hundert Yards entfernt befand. Wir passierten die Sicherheitsschleuse und wollten gerade zum Fahrstuhl gehen, als ich meinen Namen hörte.
»Hallo, Jerry«, sagte eine bekannte Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um und sah Sarah Hunter.
»Hallo, Sarah«, erwiderte ich lächelnd. »Du hier?«
Sie sah gut aus, wie immer. Braun gebrannt, mit strahlendem Lächeln.
»Ich bin nur kurz in der Gegend. Arbeitest du gerade an einem Fall?«, wollte sie wissen.
»Nicht wirklich. Brauchst du bei irgendetwas Unterstützung?«, antwortete ich.
»Wäre möglich. Ich verfolge gerade eine Spur, die mich von L.A. hierher geführt hat. Ich bin auf dem Weg zu Mister High, um das zu koordinieren.«
»Wir sind auch gerade auf dem Weg nach oben«, sagte Phil, und die beiden begrüßten sich.
»Dann können wir ja zusammen fahren«, schlug Sarah vor.
Wir nahmen den nächsten Aufzug und stiegen ein. Auf dem Weg nach oben sagte keiner ein Wort.
Dabei hatten wir uns eigentlich viel zu erzählen! Sie war bereits einige Zeit in Los Angeles, und wir waren nach unserem Intermezzo in Washington zurück in New York. Da hatte sich einiges zugetragen.
»Wie ist das Wetter in Kalifornien?«, durchbrach Phil das Schweigen.
»Warm und trocken, wie fast immer«, antwortete Sarah. »Manchmal vermisse ich die verregneten Tage im Big Apple. Und Mister High. Unser Chef in L.A. ist cool, aber halt anders.«
»Hast du dich gut eingelebt?«, wollte ich wissen.
Bevor sie antworten konnte, hatten wir unser Ziel erreicht und stiegen aus dem Fahrstuhl. Den Weg zu Mr. Highs Büro kannte sie.
»Inzwischen schon«, antwortete sie und fügte mit leichtem Zögern hinzu: »Ich habe jemanden kennengelernt.«
Mit einem Mal verspürte ich ein merkwürdiges Gefühl. Wir waren Partner gewesen, Kollegen, nie ein Paar. Trotzdem machte mir ihre Antwort mehr aus, als ich zugeben wollte.
»Das ist schön«, sagte ich und lächelte, um meine Gefühle zu kaschieren.
Sie hatte es, vielleicht mehr als jeder andere, verdient, glücklich zu sein. Und ich wollte dem sicher nicht im Weg stehen.
»Da wären wir«, sagte sie, als wir Mr. Highs Büro erreicht hatten.
»Schau doch später mal bei uns rein«, schlug Phil vor, bevor Sarah von Helen begrüßt wurde.
Phil und ich gingen in unser Büro.
»Sie sieht gut aus«, stellte er fest.
»Glücklich«, fügte ich hinzu.
Er musterte mich. Wahrscheinlich überlegte er, ob er das Thema »Sarah« ansprechen sollte.
Glücklicherweise entschied er sich dagegen. Stattdessen setzte er sich an den Schreibtisch und suchte am PC die Akte zum Fall Hustler heraus.
»Da ist er ja, Tom Hustler, inzwischen dreiundfünfzig, ledig, gemeldet in Queens, New York. Immer noch dieselbe Adresse wie damals«, informierte er mich. »Jetzt erinnere ich mich wieder. Damals ging es um Erpressung. Er hatte sich an einen Freund gewandt, der dich als Ansprechpartner empfohlen hatte. Wir sind der Sache nachgegangen und haben den Erpresser schließlich erwischt. Der hatte sich, wie sich zeigte, auf hochrangige Geschäftsleute und Politiker aus verschiedenen Bundesstaaten konzentriert und einige davon richtig heftig zur Kasse gebeten.«
»Stimmt.« Ich nickte. »Hustler hatte damals häufig ein anrüchiges Etablissement aufgesucht. Seine sexuellen Neigungen waren … nun, sagen wir einfach ungewöhnlich. Und da er in einem recht konservativen Unternehmen gearbeitet hat, wollte er nicht, dass das herauskommt.«
»Verständlich«, meinte Phil. »Hier steht nicht, wo er derzeit beschäftigt ist. Falls es sich um den gleichen Arbeitgeber handelt, könnten die Materialien von damals weiterhin kompromittierend sein. Wobei wir den damaligen Erpresser gefasst hatten. Oder zumindest davon ausgingen. Sein Name war …«
Sein Blick glitt suchend über die Seite.
»Reynolds Ambrose«, half ich aus.
»Stimmt.« Er tippte ihn in das entsprechende Programm. »Einen Augenblick, ich schaue mal, ob er inzwischen entlassen wurde, ohne dass man uns davon unterrichtet hat … Da haben wir ihn ja. Er ist tatsächlich nicht mehr im Gefängnis. Ist vor gut zwei Monaten verstorben, an Herzversagen. Sollte eigentlich nächstes Jahr entlassen werden.«
»Er ist tot?«, wunderte ich mich. »Ist das sicher? Nicht, dass er das nur vorgetäuscht hat.«
»Das könnten wir prüfen«, meinte Phil. »Aber hier steht, dass er gestorben ist und begraben wurde.«
Ich warf einen Blick auf den Monitor, las mir durch, was dort stand.
»Wie es aussieht, haben wir damals eine Menge Material, das für die Erpressungen verwendet wurde, sichergestellt«, bemerkte ich. »Bin gespannt, was für einen Brief Hustler erhalten hat.«
Phil nickte. »Geht mir genauso. Bevor wir irgendetwas unternehmen, sollten wir abwarten, was er uns zeigt. Immerhin sind mittlerweile zehn Jahre vergangen. Wer weiß, wie er inzwischen drauf ist.«
Ich schaute ihn an. »Du meinst, er bildet sich das nur ein?«
»Wäre möglich.« Phil zuckte mit den Schultern. »Auf jeden Fall will ich Mister High nicht aufsuchen, bevor wir nicht mehr wissen.«
»Nichts dagegen einzuwenden«, sagte ich, nahm Platz, lehnte mich im Stuhl zurück und schaute auf meine Armbanduhr. »Wobei uns noch etwas Zeit bleibt. Die können wir nutzen. Wie sieht es mit Hustler aus? Irgendwelche Auffälligkeiten?«
Phil überprüfte das.
»Nein, nicht wirklich.« Er schüttelte den Kopf. »Zwei kleinere Strafen wegen zu schnellen Fahrens. Keine Verhaftung, nichts, was auf seine damalige und vielleicht noch aktuelle Neigung hinweist.«
»Immerhin«, sagte ich. »Wobei ihn das mit dem Brief heute ziemlich mitgenommen hat. Vielleicht ist er immer noch nicht ganz sauber und fürchtet wieder, dass das herauskommt.«
»Was soll’s.« Phil winkte ab. »Seine Marotten können uns egal sein, solange er sich nicht auf irgendwelche illegalen Machenschaften einlässt. Was den Faktor Moral angeht, das ist nicht unser Metier. Erpressung allerdings schon. Lass uns ein wenig im Internet googeln. Mal sehen, was wir über Hustler oder den verstorbenen Ambrose finden. Ich nehme Hustler.«
Hustler hatte, wie fast jeder, einen Facebook-Account und tauchte auch sonst im Netz auf. Allerdings gab es dort nichts wirklich Ungewöhnliches. Er war Mitglied in verschiedenen Vereinen, unterstützte Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, fiel aber, davon abgesehen, nicht auf.
Über Reynolds Ambrose hingegen war absolut nichts zu finden. Nicht einmal etwas über seine Verurteilung oder seinen Tod. Er war, was den Cyberspace anging, ein Niemand.
Wenig später wurden wir darüber informiert, dass Tom Hustler angekommen war. Jemand brachte ihn zu Phils Büro, wo wir ihn begrüßten. Er sah noch ziemlich genau so aus wie bei unserem letzten Treffen, wenn ich mich richtig erinnerte, hatte denselben Haarschnitt, dasselbe Brillengestell, dieselbe blasse Haut. Sogar die Kleidung entsprach demselben langweiligen Stil. Ein paar feine Falten im Gesicht waren dazugekommen.
»Guten Tag, Agent Cotton, Agent Decker«, begrüßte er uns. Obwohl er versuchte, freundlich zu lächeln, konnte er seine Nervosität nicht verbergen. »Es tut mir leid, dass ich Sie damit belästigen muss, aber ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte.«
»Guten Tag«, erwiderte ich. »Das ist kein Problem, Mister Hustler. Da wir damals in der Sache tätig waren, ist es absolut folgerichtig, dass Sie angerufen haben und jetzt hier sind. Nehmen Sie bitte Platz. Möchten Sie etwas trinken? Kaffee?«
Er winkte ab. »Nein, danke, ich brauche nichts. Hier, das habe ich Ihnen mitgebracht.«
Er holte eine Kunststofftüte hervor, in der sich ein Brief samt Fotos befand, und legte sie auf den Tisch.
»Nachdem ich ihn gelesen und den ersten Schock überwunden hatte, habe ich gleich alles eingetütet. Um eventuelle Spuren nicht zu verwischen.«
Ich nickte. »Das war richtig.«
Phil griff in die Schublade seines Schreibtisches, holte ein Paar Kunststoffhandschuhe hervor, zog sie an und öffnete die Tüte. Er schaute sich den Brief genau an, ebenso dessen Inhalt, und legte ihn dann auf den Tisch. Am Computer ließ er die Fotos der alten Erpresserschreiben anzeigen.
»Verblüffend, wirklich verblüffend«, sagte er. »Die sind nahezu identisch.«
Auf das, was er auf den Fotos sah, ging er nicht ein. Sie zeigten Hustler bei wirklich nicht jugendfreien sexuellen Ausschweifungen.
Hustler nickte und stand auf. »Nicht wahr? Das war auch mein erster Gedanke. Deshalb war ich auch so schockiert. Es ist Ambrose, er ist wieder da. Sie müssen ihn finden und festnehmen, sofort!«
Ich schaute ihn an. »Das würden wir sicher machen. Es gibt da nur ein kleines Problem: Ambrose ist tot. Im Gefängnis gestorben.«
»Tot?« Überrascht ließ sich Hustler auf seinen Stuhl fallen. »Aber wie ist das möglich?«
Phil rieb sich das Kinn. »Es gibt keine Briefmarke, also muss der Brief persönlich oder durch einen Kurier abgegeben worden sein. Sie haben nicht zufällig eine Kamera installiert, die den Briefkasten erfasst?«
Hustler schüttelte den Kopf. »Nein, sorry, da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Ich war auch ein paar Tage unterwegs, daher weiß ich nicht mal, wann der Brief eingeworfen worden ist.«
»Interessant, wirklich interessant«, dachte ich laut. »Wir werden den Brief ins Labor geben, vielleicht sind irgendwelche Fingerabdrücke nachzuweisen. Oder DNA-Spuren. Davon abgesehen: Ist in der letzten Zeit etwas Ungewöhnliches geschehen? Gab es irgendwelche Vorfälle, die mit dieser Sache in Verbindung stehen könnten?«
»Nein, eigentlich verliefen die letzten Tage völlig normal«, antwortete Hustler, nachdem er kurz überlegt hatte. »Daher hat es mich ja auch so schockiert. Es kam ohne Hinweis, aus heiterem Himmel.«
Er seufzte.
»Und was soll ich jetzt machen?«, fragte er dann. »Zahlen? Ich habe einiges gespart und könnte das hinkriegen.«
»Und wie sieht es mit Ihren Kollegen und Bekannten aus?«, hakte ich nach, ohne auf seine Frage einzugehen. »Ich weiß, es ist unwahrscheinlich, dass einer von denen etwas damit zu tun hat, aber existieren da vielleicht irgendwelche Rivalitäten oder Streitigkeiten?«
»Nein, da ist mir nichts bekannt«, antwortete Hustler. »Davon abgesehen hatte ich auch niemandem außer Ihnen von der Sache damals erzählt.«
»Die Zahlung soll in Bitcoins erfolgen, das ist neu«, murmelte Phil. »Kryptowährungen waren vor zehn Jahren noch nicht verbreitet. Ein weiterer Hinweis darauf, dass diesmal nicht Ambrose dahintersteckt. Bis zum Ende der Frist sind es noch rund dreißig Stunden. Wir überlassen es Ihnen, ob Sie der Forderung nachkommen. Ich würde Ihnen raten, erst einmal abzuwarten. Vielleicht finden wir bis zur Deadline etwas heraus.«
»Darüber hinaus gibt es keine Garantie, dass die Sache mit der Zahlung des Lösegelds vom Tisch ist. Auch wenn es schwerfällt, sollten Sie vielleicht die Konsequenzen der Nichtzahlung in Kauf nehmen. Ich weiß, Sie waren damals bei einem extrem konservativen Unternehmen angestellt und …«
»… ich bin es noch«, vollendete er meinen Satz. »Und was meine besondere … Neigung angeht, nun, ich bin nicht stolz darauf, aber eben auch nur ein Mensch. Manche Dinge kann man nicht einfach so abschalten.«
»Sie rechnen also mit Ihrer Entlassung, wenn das belastende Material publik gemacht wird?«, hakte Phil nach.
Hustler nickte. »Ich würde ganz sicher entlassen. Einem Kollegen ist etwas Ähnliches passiert. Nicht, dass er erpresst wurde. Es kam aber heraus, dass er in gewisser Weise ein wenig über die Stränge geschlagen hat. Das war das Aus für seine Karriere. Ich möchte, ehrlich gesagt, verhindern, dass mich das gleiche Schicksal ereilt.«
»Fällt das nicht unter Anti-Diskriminierungsgesetze?«, warf Phil ein.
»Nicht wirklich«, antwortete Hustler. »Und wenn doch, finden die sicher einen anderen Kündigungsgrund. Ich würde es ungern riskieren, meinen Job zu verlieren. Dazu bin ich viel zu lange bei dem Unternehmen und habe zu viel Arbeit in meine Karriere investiert.«
»Dann wollen wir versuchen, die Ermittlungen schnell zu einem Ergebnis zu bringen«, sagte ich. »Sobald wir etwas wissen, kontaktieren wir Sie.«
»Ich kann mich doch auf Ihre Diskretion verlassen, nicht wahr?«, fragte Hustler. »Zum einen natürlich wegen meines Arbeitgebers. Zum anderen aber auch, weil mich der Erpresser in seinem Schreiben, wie damals, davor gewarnt hat, zur Polizei zu gehen.«
»Im Moment sehen wir keinen Grund, Ihren Arbeitgeber in die Ermittlungen einzuschließen«, antwortete ich. »Und natürlich werden wir, wie gehabt, möglichst diskret vorgehen, damit der Erpresser nicht erfährt, dass Sie sich an uns gewandt haben. Das dient Ihrem Schutz, ist aber auch für die Ermittlungsarbeit sinnvoll.«
»Vielen Dank«, erwiderte Hustler und verabschiedete sich.
Zurück blieben Phil und ich.