Jerry Cotton 3231 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3231 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Der russischstämmige Chemiestudent Peter Saizew kam zu uns, weil er in der Subway zufällig die Nachricht eines anderen Fahrgastes gelesen hatte. Der Inhalt: Angeblich hatte der Absender im Darknet vierzigprozentiges Wasserstoffperoxid und Aceton sowie einen Exsikkator besorgt - klassische Zutaten für den Bau einer Bombe! Bald schon stellte sich heraus: Ziel war der diesjährige New-York-Marathon ...

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Marathon in den Tod

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Azizi Embong; ShotPrime Studio/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8046-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Marathon in den Tod

Upper West Side, Manhattan

Peter Saizew betrat die Subway an der West 96th Street. Um kurz nach siebzehn Uhr war die Rushhour bereits in vollem Gang. Tausende Menschen drängten sich auf den Bahnsteigen und bildeten regelrechte Mauern vor den Zügen.

Saizew quetschte sich als einer der Letzten in den mittleren Wagen des Q-Zuges. Die Fahrgäste standen dicht an dicht, er fühlte sich wie die berühmte Sardine in der Büchse.

Saizew hasste diese Enge, all die schwitzenden und schnaufenden Menschen um ihn herum, aber die sechs Stationen bis zum Times Square würde er schon durchhalten.

Der Typ auf der Bank neben ihm tippte auf seinem Smartphone herum. Die kyrillische Schrift weckte Saizews Interesse. So las er grinsend die WhatsApp-Nachricht mit, die der Mann öffnete.

Jähes Entsetzen ließ sein Grinsen gefrieren. Saizew konnte nicht glauben, was er da las! Trotz der drückenden Hitze fror er plötzlich.

Javits Federal Office Building, 26 Federal Plaza

»An was denkst du so intensiv?«, fragte ich Phil, als wir auf der 9th Avenue auf Höhe von Hell’s Kitchen im Morgenverkehr feststeckten.

Phil schreckte hoch. »Was meinst du?«

»An was du so intensiv denkst. Du warst ja gerade völlig weggetreten.«

Phil grinste. »Soll vorkommen. Weißt du, Jerry, das war wirklich der Hammer gestern Nacht. Ich konnte nicht schlafen und hab mich noch durchs Fernsehprogramm gezappt. Da bin ich an einer Talkshow hängengeblieben, in der ein Zukunftsforscher aus dem Nähkästchen geplaudert hat. DuPree oder so ähnlich heißt der Typ. Und was der so von sich gegeben hat, war ganz schön beängstigend.«

Mein Grinsen fiel noch breiter aus als seins. »Ich wusste gar nicht, dass man dir so leicht Angst machen kann.«

»Ich hab dich auch lieb, Jerry. Kannst du dir beispielsweise vorstellen, dass es demnächst Gehirnchips geben wird, die die Antworten auf deine Fragen direkt aus dem Internet holen und dann in dein Gehirn übertragen? Die Dinger sind anscheinend schon erfolgreich getestet worden.«

»Was du nicht sagst …«

»DuPree sagt das. Und dann sagte er weiter, dass man schon in einigen Jahren menschliche Gehirne in eine Cloud hochladen kann. Und wenn man diese digitale Version deiner selbst in einen Roboter pflanzt, ist sogar ewiges Leben möglich.« Phil schüttelte kurz den Kopf. »Wahnsinn, oder? Irgendwie klingt das für mich nach Science Fiction des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts. Dabei klopft die Unsterblichkeit bereits an unsere Haustür.«

»Das klingt ja alles wahnsinnig interessant. Allerdings werden wir beide sicher nicht mehr unsterblich werden, da hat dieser DuPree gnadenlos übertrieben. Mir reicht’s schon, wenn wir in unserem Job überleben und irgendwann einigermaßen unbeschadet in den Ruhestand gehen können.«

»Das alles kommt schneller, als du glaubst, Jerry. Ich jedenfalls bin sicher, dass wir beide unsterblich werden und noch in hundert Jahren Verbrecher jagen.«

Mit dieser in der Tat beängstigenden Aussicht lenkte ich meinen Jaguar eine halbe Stunde später in die Tiefgarage des Jacob K. Javits Federal Buildings. Wir schafften es nicht mehr pünktlich zur täglichen T.A.C.T.I.C.S.-Konferenz, die Steve Dillaggio leitete.

Als wir in den Besprechungsraum traten, sahen wir in grinsende Gesichter.

»So, können wir’s heute auch schon machen«, sagte Joe Brandenburg.

»Setzt euch«, sagte Steve nur. »Wir gehen gerade den Ponce-Fall durch, an dem Joe und Les dran sind …«

Nachdem wir uns über sieben aktuelle Ermittlungen ausgetauscht hatten, an denen unsere Taskforce dran war, entließ uns Steve ins Tagesgeschäft. Da Phil und ich noch nicht gefrühstückt hatten, ging ich nach unten, um uns ein paar Sandwiches zu besorgen. Bei Wichcraft, nur wenige Yards den Broadway hoch, gab es die besten im Big Apple.

Als ich vor das Gebäude trat, sah ich hinter den Autosperren einen jungen Mann mit zwei Cops sprechen, die dort Wache hielten. Einer der Cops begleitete den Mann schließlich zum Haupteingang. Sie kamen direkt auf mich zu. Der Cop kannte mich vom Sehen.

»Sir, darf ich Ihnen Mister Saizew anvertrauen?«, fragte er. »Er will unbedingt eine Aussage machen. Ich denke, Sie sollten ihn anhören.«

»Natürlich.« Ich nickte freundlich, auch wenn der Gedanke an unsere Sandwiches gleichzeitig zerbröselte.

Ich schätzte Saizew auf knapp über zwanzig. Er war groß und sportlich, hatte ein glattrasiertes Durchschnittsgesicht und halblange braune Haare, die an der Stirn bereits licht zu werden begannen. Saizew trug Jeans und eine abgewetzte schwarze Lederjacke mit Nieten. Er wirkte ziemlich aufgeregt.

»Mein Name ist Jerry Cotton. Ich bin Special Agent beim FBI.« Ich streckte ihm die Hand hin.

Sein Händedruck war feucht, aber fest.

»Peter Saizew.«

»Was kann ich also für Sie tun, Mister Saizew?«

Er schluckte hektisch. »Ich will eine Meldung machen, Special Agent Cotton. Möglicherweise … äh, ist ein Terroranschlag geplant.«

Ich kniff die Augen zusammen. »Dann kommen Sie mal mit.«

Ein Scanner durchleuchtete ihn auf Waffen. Nichts. Er bekam einen Besucherausweis.

Kurze Zeit später saß Saizew in unserem Büro. Phil holte Kaffee, und ich informierte ihn in knappen Worten.

»Dann legen Sie mal los, Mister Saizew«, sagte ich dann und drückte die Taste des Aufnahmegeräts.

Er nickte und setzte sich in Pose. Aufrecht, die Beine breit, die Arme auf die Knie gestemmt.

»Ja, also, es war gestern am frühen Abend«, erzählte er mit fester Stimme. »An der sechsundneunzigsten Straße bin ich in die Subway gestiegen, weil ich zum Times Square wollte, um dort eine neue Jogginghose zu kaufen. Der Zug war voll, und ich stand im Eingangsbereich direkt neben der Sitzbank. Da saß direkt vor mir ein Typ, vielleicht so um die dreißig, keine Ahnung. Der hat eine WhatsApp-Nachricht bekommen und daraufhin sein Smartphone aus der Tasche gezogen. Und wie er so darauf rumtippt, sehe ich, dass es sich um kyrillische Buchstaben handelt. Da war ich natürlich gleich Fuchs und Hase, denn meine Eltern sind russischer Abstammung, ich kann Russisch ebenfalls …«

Er legte eine dramaturgische Pause ein. Phil nickte ihm aufmunternd zu.

»Der Typ hat die neue WhatsApp-Nachricht gelesen. Und ich ebenfalls, obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte. Ich war nur wegen des Russischen neugierig …«

»Schon klar.« Phil lächelte. »Der Kerl war unvorsichtig. Er hat nicht damit gerechnet, dass jemand in seiner Umgebung Russisch kann.«

»Ja, so sehe ich das auch. Da stand auf jeden Fall, dass … dass der Absender jetzt sogar vierzigprozentiges Wasserstoffperoxyd und Aceton aus Russland sowie den Exsikkator besorgt habe …«

Phil und ich wechselten einen kurzen Blick.

»Und das sind alles klassische Zutaten für den Bau einer Bombe«, fuhr Saizew fort.

»Sie kennen sich damit aus?«, fragte ich.

»Ich bin Chemiestudent im siebten Semester an der New York University. Aber, na ja, auskennen ist zu viel gesagt, wenn Sie damit meinen, ob ich eine Bombe bauen könnte. Ich weiß aber schon, was man dafür braucht.«

Ich musterte ihn. Er hielt meinem Blick stand. »Gut. Stand noch mehr in dieser Nachricht drin?«

»Ja, ich glaube schon. Aber der Typ hat sie nur überflogen und den Chat dann gleich wieder geschlossen. Mehr konnte ich nicht lesen. Aber das konnte ich immerhin klar und deutlich erkennen.«

»Kein Irrtum möglich?«, hakte Phil nach.

»Nein«, antwortete Saizew bestimmt. »Genau das stand da drin.«

Erneut musterte ich ihn. »Was haben Sie anschließend getan?«

»Nun, ich … war wie vor den Kopf gestoßen. Ich dachte, das gibt’s doch nicht. Bin ich hier im falschen Film gelandet? Ich bin bis zum Times Square gefahren und dort ausgestiegen.«

»Und der Mann ist weitergefahren? Oder ist er vorher schon ausgestiegen?«

»Nein, weitergefahren.«

»In welcher Linie war das?«

»Die Q.«

»Warum kommen Sie mit der Geschichte erst heute zu uns?«, wollte Phil wissen.

Die Fragen kamen Schlag auf Schlag, Saizew sollte keine Zeit zum Überlegen haben. Wenn er log, würde er sich in Widersprüche verstricken.

»Warum erst heute? Gute Frage. Mir kam das Ganze gestern so … wie soll ich sagen … surreal vor. Irgendwann dachte ich dann, das ist möglicherweise bloß ein dummer Scherz. Und deswegen das FBI aufscheuchen, das geht ja gar nicht. Äh, ich hab dann die Nacht drüber geschlafen. Na ja, stimmt nicht ganz, ich hab die halbe Nacht wach gelegen. Und heute Morgen war mir klar, dass ich es auf jeden Fall melden muss. Selbst auf die Gefahr hin, dass es ein Scherz ist.«

Ich nickte. »Das war völlig richtig. Sagen Sie, können Sie den Mann beschreiben? Wir würden gerne eine Phantomzeichnung von ihm anfertigen lassen.«

»Ja, klar, kann ich. Ich konnte ihn ja sechs Stationen anschauen.«

»Hat der Mann irgendwie nervös auf Sie gewirkt?«, fragte Phil.

»Nein, eigentlich nicht. Er saß ganz ruhig da und hat noch eine Weile auf seinem Smartphone rumgetippt. Dann hat er sogar ein Nickerchen gemacht.«

Ich ging mit Saizew zu Special Agent Diana Diaz-Juarez, unserer Spezialistin im Erstellen von Phantomzeichnungen. Auf Grundlage von Saizews ziemlich präzisen Beschreibungen setzte sie mit vorgefertigten Gesichtsteil-Modulen das Bild eines schwarzhaarigen jungen Mannes mit dichten, akkurat nach hinten gekämmten Haaren, leichtem Undercut, Vollbart, breitem Gesicht, auffällig hervorstechenden Wangenknochen und eng zusammenstehenden Augen zusammen. Unter dem rechten Auge saß eine kleine, kreuzförmige Narbe. Er hatte eine braune Lederjacke mit weißem Fellbesatz am Kragen, ein schwarzes Jeanshemd, Designerjeans und blaue Lederhalbschuhe mit hoher brauner Sohle und abgesetzten weißen Nähten getragen.

Nach einigen Korrekturen nickte Saizew zufrieden. »Ja, die Zeichnung ist gut. Exakt so hat der Typ ausgesehen.«

Seine Daten hatte Saizew ja schon bei der Ausstellung des Besucherausweises abgegeben. Ich begleitete ihn mit knurrendem Magen nach unten und bedankte mich noch einmal.

Phil erwartete mich in unserem Büro. Zusammen mit drei frischen Wichcraft-Sandwiches, die Helen besorgt hatte. Eines hatte Phil bereits in der Hand, er biss gerade kräftig hinein.

»Glaubst du ihm, Jerry?«, fragte er, genüsslich kauend.

Ich nahm mir ebenfalls ein Sandwich. »Ja, ich denke schon. Wie einer der üblichen Wichtigtuer hat Saizew nicht auf mich gewirkt. Er hat sich auch in keinerlei Widersprüche verstrickt. Wie siehst du das?«

»So, wie er dasaß, steht er zumindest gerne im Mittelpunkt. Er scheint es zu genießen, wenn sich alles um ihn dreht.« Phil zuckte mit den Schultern. »Die Überprüfung hat auf jeden Fall nichts ergeben. Saizew ist noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Nicht mal falsch geparkt hat er.«

Ich jagte die Phantomzeichnung durch alle Bildprogramme, die wir besaßen. Meine Hoffnung auf einen Treffer wurde allerdings enttäuscht.

»Dabei hat Saizew behauptet, die Phantomzeichnung sei extrem gut«, murmelte ich.

»Wahrscheinlich ist er sogar fest davon überzeugt«, erwiderte Phil. »Aber du weißt ja selbst, dass es nichts Unzuverlässigeres gibt als das Gedächtnis von Zeugen. Das haben wir schon so viele Male erlebt.«

»Schon klar. Aber Saizew hat den Mann über längere Zeit gezielt beobachtet. Und seither ist erst ein Tag vergangen. Da verwischen Erinnerungen normalerweise noch nicht. Er hat Diana zudem sehr präzise Angaben gemacht.«

»Also gut, Jerry. Dann gehen wir einfach mal davon aus, dass der Unbekannte tatsächlich so aussieht …« Er schnappte sich ein zweites Sandwich. »Wirklich gut, die Dinger. Was wollte ich sagen? Ach so, ja, dass das Gesichtserkennungsprogramm trotzdem versagt, wundert mich nicht. Das ist auch bei präzisen Phantomzeichnungen fast die Regel. Aber zumindest in der Führerscheindatenbank hätte ich dann schon einen Treffer erwartet.«

»Ja, ich auch. Das könnte bedeuten, dass der Unbekannte keinen Führerschein besitzt«, spekulierte ich.

»Oder er hat noch einen ohne Foto. Möglicherweise in Vermont ausgestellt. Die verlangen ja erst seit einigen Jahren Führerscheine mit Passfotos. Und die alten ohne Foto, die kurz vor dem Umstellungstermin ausgestellt wurden, sind noch nicht abgelaufen und werden immer noch geduldet.«

Ich nickte. »Auch New Jersey verlangt erst seit kurzer Zeit Fotos auf den Führerscheinen. Dort ist die Umtauschaktion zwar offiziell abgeschlossen, der Unbekannte könnte aber trotzdem noch ein Dokument ohne Foto haben.«

»Ja. Unter die Tennessee-Regelung wird er ja wohl noch nicht fallen.«

»Tennessee? Ich bin gerade etwas überfragt. Was verlangen die?«

»Personen über sechzig sind von der Fotopflicht auf den Führerscheinen befreit.«

»Ah, sei’s drum. Auch die Homeland Security scheint kein Foto von dem Mann zu haben. Das heißt dann, dass er das Land noch nie per Flugzeug verlassen oder betreten hat. Offiziell zumindest. Natürlich kann er per Kleinflugzeug über die mexikanische oder kanadische Grenze geflogen sein.«

»Oder Saizew liegt mit seiner Zeichnung eben doch gewaltig daneben.« Phil schielte auf das dritte Sandwich. »Solltest du keinen Hunger mehr haben, Jerry, würde ich es glatt noch nehmen. Aber nur, damit es hier nicht verdirbt.«

»Du kannst es gerne haben.« Ich schob ihm den Teller hin. »Die ganzen Spekulationen bringen uns im Moment nicht weiter. Was machen wir?«

»Hm.«

»Saizew sagte doch, dass der Kerl im Q-Zug saß. Die Linie Q fährt bis nach Brighton Beach …«

»… wo die meisten Russen wohnen«, ergänzte Phil kauend. »Ich weiß, was du sagen willst. Sehr gute Idee. Wenn der Kerl tatsächlich in Little Odessa wohnt, dann benutzt er den Q möglicherweise regelmäßig, um in die City zu kommen.«

»Eben. Wir sollten Phantombild und Beschreibung an das NYPD geben. Und an die Schwarzen Sheriffs in den Bahnen.«

»Vergiss das Personal an den Aus- und Eingängen nicht.«

»Auch das. Möglicherweise haben wir ja Glück. Ich rede gleich mal mit Steve.«

Sheepshead Bay, Brooklyn

Die Q-Linie gehörte zu den gefährlichsten Strecken der New Yorker Subway. Deswegen wurden die Waggons, vor allem zu den Stoßzeiten morgens und abends, von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht.

Alina Butscher gehörte seit drei Jahren zu den Schwarzen Sheriffs, wie sie im Volksmund genannt wurden. Der Job war nicht gut bezahlt. Die siebenundzwanzigjährige alleinerziehende Mutter liebte ihn trotzdem, weil sie gerne Subway fuhr und dabei ausgiebig Gelegenheit fand, die Leute zu beobachten. Stress hatte es erst zweimal gegeben. Einmal mit einem Junkie und einmal mit einem Betrunkenen, der Frauen angegrapscht hatte.

Alina war am Startpunkt des Zuges in Coney Island eingestiegen. Nun stand sie mit ihrem Kollegen Miguel DeLeon im Eingangsbereich des mittleren Waggons.

Es war später Nachmittag, die Rushhour begann erst in einer halben Stunde so richtig. Deswegen waren die Waggons noch weitgehend leer. Der Zug fuhr gerade auf der Hochtrasse über Sheepshead Bay und würde sich noch eine ganze Weile oberirdisch bewegen.

Alina betrachtete sinnend die vielen schmucken, bunten Einfamilienhäuser aus Holz, die akkurat entlang der Straßen aufgereiht waren. Aufgeräumt und spießig wirkten sie. Sie passten so gar nicht in das Bild, das man sich gemeinhin von New York machte, und waren doch nur eine der vielen Facetten dieser fast schon monströsen Stadt. Es war ihr Traum, irgendwann einmal in einem dieser Häuschen zu leben.

»Was ich dich schon länger mal fragen wollte, Alina …«, unterbrach Miguel ihre Gedanken.

Sie schaute ihn an. Er war ein großer, schlanker, durchtrainierter, schwarzhaariger Typ Anfang vierzig, und in ihren Augen durchaus gut aussehend.

»Äh, ich würde gerne mal zusammen mit dir ausgehen und dich zum Essen einladen«, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort.

»Ach ja?« Sie lächelte Miguel kalt an. »Was sagt denn deine Frau dazu?«

»Was?« Er grinste schräg. »Ach, die muss ja nichts erfahren. Und es wäre ja auch nicht schlimm. Es geht ja nur um ein Essen.«

»Soso.« Ihr Lächeln erstarb. »Ich mag dich, Miguel, du bist ein netter Kollege. Aber vergiss das gleich wieder. Du bist verheiratet, und ich mische mich nicht in Beziehungen ein.«

»Ich möchte wirklich nur mit dir essen gehen, Alina. Ganz ohne Hintergedanken.«

»Klar, logisch.« Sie nickte. »Weißt du, genau aus diesem Grund hat Doug mich verlassen. Ich glaube, es hat damit angefangen, dass er eine andere Frau zum Essen eingeladen hat. Wusstest du das?«

»Nein, ich …«

Die Waggontür öffnete sich. Ein junger Mann mit Vollbart und roter Yankees-Cap trat ein und sorgte dafür, dass Miguel seinen Satz unterbrach. Der Mann trug Jeans und Lederjacke. Alina musterte ihn nur flüchtig. Ohne sich umzusehen, durchquerte er den Waggon und verschwand im nächsten.

Schlagartig spürte Alina ein Ziehen im Magen. Mit einem Mal hatte sie Gänsehaut am ganzen Körper.

»Das ist er«, murmelte sie.

»Wer ist was?«

»Der Kerl, den das FBI sucht.«

Miguel sah sie zweifelnd an. »Jetzt dreh bloß nicht durch, Alina. Du hast den Typ doch kaum gesehen.«

»Seine Schuhe«, erwiderte sie aufgeregt. »In der Beschreibung steht, dass der Mann blaue Schuhe mit blauen Schuhbändeln, weiß abgesetzten Nähten und braunen Sohlen trug. Der Typ hat genau solche Schuhe. Und die sind nicht gerade häufig.« Sie holte ihr Smartphone heraus und betrachtete das Phantombild. »Hm. Ich gehe dem Kerl mal nach, den müssen wir uns genauer anschauen.«

»Ich komme mit.«

Sie betraten den nächsten Wagen. Dort saß der Mann und tippte auf seinem Smartphone herum. Er schaute nur kurz auf, nahm aber sonst keinerlei Notiz von ihnen. Sie gingen weiter in den nächsten Wagen.

»Viel Ähnlichkeit mit dem Phantombild hat der nicht«, sagte Miguel. »Du verrennst dich da sicher in etwas, Alina.«

»Er trägt andere Klamotten und eine Cap«, sagte Alina. »Das kann einen Menschen völlig verändern. Aber ich schwöre dir, dass keine drei Leute in New York solche Schuhe haben …«

Der Bahnhof von Sheepshead Bay nahte. Die Bremsen kreischten, als der Zug auf der Plattform hielt. Mit einem Zischen öffnete sich die Tür. Fünf Leute stiegen ein. Der Mann blieb sitzen und zerstreute damit Alinas Befürchtungen vorerst.