Jerry Cotton 3232 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3232 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein gut gekleideter, kultiviert wirkender Mittdreißiger bat am Eingang des Federal Building um Einlass. Der Grund: Er wollte zu den Büros des FBI im 23. Stock, um dort mit Phil und mir zu sprechen. Der Mann machte Andeutungen, dass es gefährlich sei, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten, sprach von ernsten Konsequenzen, von gewaltigen Erschütterungen, von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Er redete sich in Rage, behauptete, dass etwas Furchtbares stattfinden werde - und dass er jede Wette einginge, dass Phil und ich es nicht verhindern könnten. Nun, wir wetteten dagegen ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2019

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Schwarze Sonne über New York

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Conrado/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8048-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Schwarze Sonne über New York

Es war noch früh am Morgen. Jack O’Hara blinzelte müde in die Sonne.

»Wo wollen Sie denn hin?«

Der Mann vor ihm hatte ein bleiches, scharf geschnittenes Gesicht und trug einen grauen Anzug.

»Dreiundzwanzigste Etage, FBI.«

Der Mann sprach leise. So, als sei es ihm lästig, sich rechtfertigen zu müssen.

Jack O’Hara gähnte behaglich, ehe er antwortete. Seit zehn Jahren versah er seinen Dienst als Sicherheitsbeamter vor dem Federal Building. Er ließ sich von niemandem unter Druck setzen.

»Sie können hier nicht einfach reinspazieren. Sie brauchen eine Genehmigung.«

Es war ein milder, freundlicher Frühlingsmorgen. Der Tag versprach, schön zu werden. O’Hara verspürte nicht die geringste Lust, sich die gute Laune verderben zu lassen. Schon gar nicht von einem Typen, der sich für etwas Besseres zu halten schien.

»Melden Sie mich den Agents Cotton und Decker!«, verlangte der Mann im grauen Anzug. Offensichtlich war er es gewohnt, Befehle zu erteilen.

»Die beiden kennen Sie?«

Der Mann zuckte geringschätzig mit den Schultern.

»Und warum, zum Teufel, sollte ich Sie dann reinlassen?«, fragte O’Hara.

»Eine Menge Leute werden sterben«, sagte der Mann. »Cotton und Decker werden es nicht verhindern können. Aber ich finde, sie sollten es wissen.«

Er schob O’Hara beiseite und ging auf den Eingang zu. Jack O’Hara brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was sich da abgespielt hatte. So viel Frechheit war ihm noch nicht untergekommen!

Dann spannte er seine Muskeln an und war mit drei schnellen Schritten bei dem Kerl. Mit eisernem Griff umfasste er seinen Oberarm.

Der Mann blieb abrupt stehen, wandte sich langsam um.

Ihre Blicke trafen sich. Der Blick des Mannes war hart und leer.

»Lassen Sie mich los.« Wieder die leise Stimme, mit einem warnenden Unterton.

»Ich habe es Ihnen gesagt. Sie gehen da nicht rein.«

Der Mann nickte unmerklich.

O’Hara ließ ihn los und atmete tief durch.

»Schön, dass Sie’s einsehen.«

Er fühlte sich erleichtert. Vielleicht lag es daran, dass er gerade sechzig geworden war und die Nase voll hatte von Scherereien. Früher hatte er sich mit einer Menge Leute angelegt. Sehr viel früher, in der Zeit bei den Marines. Später war er ruhiger geworden, gelassener.

Doch in den letzten Jahren hatte sich ein Gefühl bei ihm eingeschlichen, das er sich zunächst nicht hatte eingestehen wollen: Angst. Diese Angst zehrte ihn von innen auf, während er nach außen hin, aufgrund seiner Größe und athletischen Gestalt, noch Eindruck zu schinden vermochte.

Natürlich wusste niemand davon. Niemand außer ihm und der Therapeutin, die er ein paarmal in Anspruch genommen hatte.

Plötzlich wurde O’Hara bewusst, dass er und der Mann im grauen Anzug immer noch vor dem Eingang des Federal Building standen und einander anstarrten. Er kam sich vor wie der Darsteller in einem Film, der nicht mehr weitergespult wurde. Festgefroren.

Aber um sie beide herum spielte sich das ganz normale Leben ab. Menschen betraten das Gebäude, andere verließen es. Und die Luft war gesättigt vom Lärm, den New York unablässig produzierte.

»Sie sind gar nicht so«, sagte der Mann.

»Wie meinen Sie das?«, murmelte O’Hara verwirrt.

»Nicht so begriffsstutzig. Ich meine, Sie haben kapiert, dass ich kein Idiot bin, stimmt’s?«

»Na ja, ich glaube schon. Also, ich halte Sie nicht für einen Idioten. Falls es das ist, was Sie wissen wollten.«

Der Mann verzog seine schmalen Lippen zu etwas, das entfernt einem Lächeln ähnelte.

»Wie heißen Sie?«

»Jack.« O’Hara verfluchte sich dafür, dass er sich auf das Geschwätz des Kerls einließ. Aber er konnte nicht anders.

»Und Sie?«

»Nennen Sie mich Smith.«

»Okay, Mr. Smith. Aber ich finde, Sie sollten jetzt wirklich weitergehen.«

»Ich respektiere Sie, Jack, ehrlich. Und deshalb werde ich Ihnen den Gefallen auch tun. Aber vorher müssen Sie mir etwas versprechen.«

Smith trat ganz nah heran. Er roch nach Eau de Cologne und kalter Asche.

O’Hara erwischte sich dabei, wie er nervös von einem Fuß auf den anderen tappte.

»Meinetwegen«, sagte er dennoch.

»Ich komme morgen zurück, Jack. Bis dahin haben Sie dafür gesorgt, dass Cotton und Decker informiert sind. Ist das klar?«

»Ja«, hörte O’Hara sich antworten.

»Sie werden sie so ansehen, wie ich Sie jetzt ansehe, Jack. Und ihnen sagen, dass sie mich empfangen müssen.«

»Okay.«

»Eine Menge Leute werden sterben. Sagen Sie es den beiden.«

Smith wandte sich abrupt ab und tauchte im Strom der Passanten vor dem Federal Building unter.

»Hey, Jack!«

»Was gibt’s?« O’Hara drehte sich schwerfällig in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

»Du siehst irgendwie komisch aus.« Owen Purcell, einer seiner Kollegen, musterte ihn besorgt.

»Alles bestens«, erwiderte O’Hara.

Aber er wusste, dass das nicht stimmte.

Freitagmittag, zwölf Uhr

Ich fragte mich, warum wir uns auf diese Sache eingelassen hatten.

Ein Beamter des Sicherheitsdienstes hatte uns inständig gebeten, mit einem Mann namens Smith zu reden. Smith wüsste womöglich von einem geplanten Terroranschlag.

Jetzt saß der Kerl in einem Besprechungszimmer vor Phil und mir und rührte sich nicht. Meine Frage, was er uns mitzuteilen habe, blieb unbeantwortet.

»Warum wollten Sie uns sprechen?«, probierte ich es nochmal.

Smith hielt sich kerzengerade auf seinem Stuhl. Alles an ihm drückte Kontrolle aus. Die Linie der steilen Furche zwischen den Augenbrauen setzte sich über die scharfen Kerben unterhalb der Nasenflügel bis zu den straff nach unten gezogenen Mundwinkeln fort. Das gereckte Kinn wirkte hochmütig. Und der unverblümte, direkte Blick aus den blassblauen Augen erweckte den Eindruck, als hätte Smith gerade ein ungünstiges Urteil über sein Gegenüber gefällt.

Die großporige Gesichtshaut wirkte seltsam überspannt. Das über der Stirn deutlich gelichtete, dunkle Haar wies bereits weiße Strähnen auf. Ich schätzte Smith auf Mitte vierzig.

Er trug einen tadellos gebügelten, mattgrauen Anzug aus feinstem Mohair. Alle Knöpfe des anthrazitfarbenen Hemdes waren geschlossen.

Auch mein zweiter Versuch blieb erfolglos. Smith schwieg.

Phil und ich sahen uns kurz an.

»Okay, Mister Smith«, sagte Phil freundlich. »Nett, dass Sie vorbeigeschaut haben. Ich denke, Sie sollten jetzt wieder gehen.«

»Es war nur ein Test«, sagte Smith ruhig. Dabei verzog er keine Miene.

»Wie bitte?«, fragte Phil belustigt. Er hatte sich offenbar entschlossen, Smith für einen harmlosen Spinner zu halten.

»Ich sehe, dass Sie Humor haben, Agent Decker. Das gefällt mir.« Er schlug sorgfältig die Beine übereinander und faltete seine sehnigen Hände über den Oberschenkeln. »Ich vermute, ich bin Ihnen beiden eine Erklärung schuldig. Ich wollte herausfinden, wie Sie auf eine ungewöhnliche Situation reagieren.«

»Wie bitte?«, fragte Phil erneut. Diesmal klang es verblüfft.

»Was Sie beide tun, wenn ich Ihre Fragen ignoriere. Jetzt weiß ich es.«

Phil lachte. »Sie sind ein lustiger Vogel, Smith! Haben Sie noch mehr so schräge Sachen auf Lager?«

»Könnte schon sein«, erwiderte Smith.

»Ich würde gern mal Ihren Führerschein sehen«, unterbrach ich das Geplänkel.

»So was besitze ich nicht«, versetzte Smith lapidar.

»Vielleicht sollten wir Sie einfach rausschmeißen«, erwiderte ich. »Ich bin sicher, dass Sie dafür Verständnis hätten.«

Smith zog die Stirn kraus. »Im Gegenteil, ich würde Ihnen das ziemlich übelnehmen. Aber es wird nicht dazu kommen, glauben Sie mir!«

Anders als Phil fand ich Smith nicht lustig. Er war ein verdrehter Typ. Es war schwierig, ihn richtig einzuschätzen. Seine ganze Erscheinung löste ein seltsames Unbehagen in mir aus. Aber etwas hielt mich davon ab, ihn gleich vor die Tür zu setzen.

»Hören Sie, Smith«, sagte ich, »es wäre in Ihrem eigenen Interesse, zur Sache zu kommen. Es gibt viele Irre, die uns Lügengeschichten auftischen, um sich wichtigzumachen. Gehören Sie zu dieser Sorte oder nicht?«

Er zog die bleichen, schmalen Lippen zwischen die Zähne und produzierte ein zischendes Geräusch. Dann lächelte er verächtlich.

»Sie glauben, Sie sitzen am längeren Hebel, oder? Aber täuschen Sie sich nicht, Agent Cotton. Ich bin der Bote einer Gruppe von jungen Männern, die bald handeln werden. Diese Leute sind sehr entschieden. Es wird ein Blutbad geben, das Ihre schlimmsten Albträume übertrifft. Sie beide, und das ist der Witz dabei, werden es nicht verhindern können.«

Er sprach hart und kehlig. Und er hatte die Eigenart, besonders deutlich zu artikulieren. Das verlieh seiner düsteren Prophezeiung eine verbissene, fanatische Note.

»Sie sind hier, um uns das zu sagen?«, fragte Phil ungläubig.

»Ich bin hier, Agent, um Ihnen eine Wette anzubieten.«

Phil und ich schwiegen. Offensichtlich wollte Smith jetzt reden. Die Genugtuung war ihm deutlich anzumerken.

»Sie sind würdige Gegner«, sagte er. »Die besten Männer des FBI. Jedermann kennt Sie. Aber ich werde Ihnen Ihre Grenzen aufzeigen. Und damit beweisen, dass Ihr Verein nichts taugt. So wie dieser ganze verrottete und korrupte Staat.«

»Tragen Sie nicht ein bisschen dick auf?«, erkundigte sich Phil sarkastisch.

»Ich kündige Ihnen eine Katastrophe an. Versuchen Sie herauszufinden, worum es sich handelt. Und töten Sie die Leute, die sonst andere töten. Wenn Sie es schaffen, habe ich die Wette verloren. Das ist alles.«

»Und was ist der Hauptgewinn?«

»Dass Sie die Helden bleiben dürfen, für die Sie jeder hält.«

Für einen Moment herrschte Schweigen. Ich hatte selten in meinem Leben so viel ungereimtes Zeug gehört. Wie sollte man darauf reagieren?

Smith schien mein Zögern bemerkt zu haben. Sein Blick hatte sich auf mich fokussiert.

»Ach, da wäre noch etwas«, sagte er beiläufig. »Sie haben nur noch sechzehn Stunden.«

Ich erwiderte stumm seinen Blick und ließ ihn ein bisschen zappeln. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

»Meine Geduld ist begrenzt«, erwiderte ich ruhig. »Wenn das alles nicht Blödsinn ist, brauchen mein Partner und ich konkrete Hinweise.«

Smith nickte verständnisvoll. »Es läuft so, Agent. Sie stellen Fragen, und ich gebe Ihnen Antworten, die Sie vielleicht weiterbringen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Man könnte es auch eine Art Verhör nennen, je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet. Es kommt drauf an, wie gut Sie sich anstellen.«

»Was springt für Sie bei diesem Spiel heraus?«, wollte Phil wissen.

»Es geht nicht um mich.« Smith zuckte geringschätzig mit den Schultern. »Egal, wie die Sache ausgeht, ich bin am Arsch. Aber das ist nicht wichtig.«

»Prima«, sagte Phil. »Dann hätten Sie wohl nichts dagegen, wenn wir Sie erst mal hierbehielten?«

»Ich kann es Ihnen nur empfehlen, Agent.«

Ich stand auf und blickte Phil an.

»Ich kläre das mit Mr. High.«

»Und ich leiste Mr. Smith so lange Gesellschaft.« Phil wandte sich an unseren Besucher. »Ist das eigentlich Ihr richtiger Name, Smith?«

»Ich werde Ihnen keinen anderen nennen.«

»Was machen wir mit ihr? Ich meine, wenn wir sie uns geschnappt haben?«

Der Mann, der das fragte, war noch jung. Eigentlich hätte er ein bisschen wie James Dean ausgesehen, aber der Genuss von Chrystal Meth und Heroin hatte sein Gesicht verwildern lassen.

Eigentlich schade, dachte Hank, aber rein optisch war sein Kumpel für immer erledigt.

Sie standen unter den Zweigen eines abgeblühten Kirschbaums. Am Boden lagen noch einige zertretene und verwesende Blüten herum. Es roch nach Hundekot.

Hank ekelte sich vor Hunts Point. Dieses verelendete Viertel in der Bronx war ein Schandfleck für die Stadt. Er sehnte sich nach dem Moment, an dem sie hier wieder wegkamen.

Doch zuvor hatten sie einen Auftrag zu erledigen. Sie beide. Er und sein unerfahrener Kumpel, der nur eines richtig gut konnte: Auto fahren. Seine Karriere als Rennfahrer war allerdings schnell gescheitert, weil Birdy zu undiszipliniert war.

Hank war fünf Jahre älter und hatte nie an seiner eigenen Bestimmung gezweifelt. Das hatte ihn davor bewahrt, sein Leben frühzeitig zu ruinieren. Nachdem er als Jugendlicher einige Dummheiten begangen hatte, war er auf dem Pfad der Tugend gewandelt, ohne ihn jemals zu verlassen – was nichts anderes hieß, als dass er im Verborgenen gegen das Gesetz verstieß.

Er war nicht sonderlich groß, verfügte als Käfigkämpfer aber über einen wohlgeformten, durchtrainierten Körper. Zudem erfreute er sich blendender Gesundheit und, was das Wichtigste war, er hatte eine Mission. Letzteres verdankte er einem Mann namens Fred Butcher. Zu ihm schaute Hank auf wie zu einem Heiligen.

Seinen Kumpel Birdy, der eigentlich David hieß, hatte Hank vor einem Jahr aus dem Sumpf völliger Verwahrlosung gezogen. Er hatte ihn Butcher vorgestellt, der ihn gnädig in seine Kampftruppe aufgenommen hatte, zu der auch Hank gehörte.

Birdy duschte jetzt jeden Morgen und putzte sich die Zähne. Die langen, struppigen Haare waren einem Bürstenschnitt gewichen. Er trug ein sauberes, weißes Hemd und arbeitete gelegentlich als Monteur in einer Autowerkstatt.

Darüber hinaus hatte ihn Hank moralisch aufgerüstet. Birdy glaubte mittlerweile daran, dass ein Mann nicht ohne einige verbindliche Prinzipien auskam, wenn er seinem Leben einen Sinn geben wollte. Welche das waren, hatten ihm Fred und Hank eingebläut.

»Sie ist ein Mischling, jung, und sie wird allein sein. Ich meine, wenn sie endlich da rauskommt.«

»Ist schon klar, Hank.«

»Also schön. Was werden wir wohl mit ihr anstellen? Sag es mir!«

Birdy lachte dreckig. »Wir werden es ihr besorgen, richtig?«

»Du hast keine Ahnung, Kleiner. So leicht wird es nicht werden für sie, glaube mir!«

»Verdammt, das hoffe ich, Hank!«

Ein unsichtbares Feuer flackerte über Birdys ausgemergelte Züge. Dann deutete er zum gegenüberliegenden Haus hinüber. Es war ein vierstöckiges Gebäude mit heruntergelassenen, schiefen Rollos an den Fenstern und zerbeulter Eingangstür.

»Was macht sie da, Hank?«

»Sei kein Idiot! Das ist ein Puff. Was denkst du denn, was sie da macht?«

»Sie hat ’ne verdammt lange Arbeitszeit.«

»Hm.«

»Warum macht sie das?«, fragte Birdy erneut. »Ich meine, sie ist doch die Braut von dem Nigger.«

»Eben deshalb. Sie hält den Laden da drüben für Tommie zusammen. Sie ist seine Nummer eins und kann sich was drauf einbilden.«

»Ich fasse es nicht«, sagte Birdy und zog geräuschvoll die Nase hoch. Dann spuckte er in hohem Bogen auf die Straße.

»Scheiße!«, entfuhr es Hank.

»Was gibt’s?« fragte Birdy, der kurz zusammengezuckt war.

»Das ist seine Kutsche, verdammt.«

»Wessen Kutsche?«

»Tommie Duprees, Kleiner.«

»Scheiße!« Es klang fast ehrfürchtig.

Im Schneckentempo rollte ein dunkelblauer Bentley mit getönten Scheiben heran. Er hielt vor dem Haus mit den schadhaften Rollos. Als sich die Beifahrertür öffnete, drang blubbernder Beat aus dem Inneren der Edelkarosse. Ein kahlköpfiger, schwarzer Hüne in grauen Cargo Bermuda-Hosen und kanariengelbem Hawaiihemd federte auf die Straße. Eine goldene Rapperbrille verdeckte den Großteil seines Gesichts.

Er schlug lässig die Wagentür zu, ehe er zum Eingang des Bordells schlenderte. Bevor er im Haus verschwand, wandte er sich wie zufällig um und blickte zu Hank und Birdy hinüber.

»Wir verziehen uns«, knurrte Hank gereizt.

»Hast nicht mit ihm gerechnet, was?«

»Nein, wieso auch? Normalerweise taucht der hier nie auf. Wir haben einfach Pech.«

Birdy starrte wie gebannt auf die Eingangstür. »Meinst du, der Wichser hat uns bemerkt?«

»Da kannst du Gift drauf nehmen.«

»Warum gehen wir nicht da rein und pusten ihm seinen Niggerschädel weg?«

»Bist du bescheuert? Wir wären tot, ehe wir auch nur seinen Arsch zu sehen bekämen!« Er packte Birdy und schubste ihn vor sich her, die Straße hinunter.

Hank wusste, dass sie keine Gegner für Tommie Dupree waren. Sie würden einen günstigeren Moment finden müssen, um seine Frau abzuschlachten.

Erinnerungen.

Es war dunkel in dem Schrank. Er war von außen verschlossen, und der Junge wusste, dass es auch in dem Zimmer, in dem der Schrank stand, dunkel war.

Das alles lag eine Ewigkeit zurück. Die Stunden, die nie vergingen. Die völlige Stille, als wäre man eingemauert.

Bis auf das Knarren des Holzes, sobald sich der Junge bewegte. Ein hässliches Geräusch, das möglicherweise Aufmerksamkeit erregen würde. Was dazu führen konnte, dass der Schrank unvermittelt geöffnet wurde und das Unheil über den Jungen hereinbrach.

Also bewegte sich der Junge nur, wenn es gar nicht mehr anders ging.

Er war ein kleiner Junge, nicht mal sechs Jahre alt. Er verstand nicht, was mit ihm geschah. Und er fragte sich, was um Himmels willen er falsch gemacht hatte.

Und er beschloss, sich zu bessern, wenn der Vater ihn wieder rausließ.

Dann aber fiel ihm wieder ein, was ihn draußen erwartete.

Es gab keine Hoffnung.

Und deshalb überlegte der Junge, ob er nicht besser sterben sollte.

An diesem Punkt setzte die Erinnerung aus.

Was war danach geschehen?

Kein Gedanke, nichts als Schwärze.

Dann ein feierlicher, hohler Gesang:

»Morgenrot, Morgenrot,

leuchtest mir zum frühen Tod?

Bald wird die Trompete blasen:

Dazu muss ich mein Leben lassen,

ich und mancher Kamerad.«

Die getragene Melodie des alten Volks- und Soldatenliedes von Wilhelm Hauff hallte dumpf im Kopf nach.

Es wurde Zeit, in die Gegenwart zurückzukehren.

13.15 Uhr

Mr. High hatte der vorläufigen Verhaftung von Smith zugestimmt. Zum einen, weil Smith sich weigerte, seine Identität preiszugeben. Zum anderen, weil er eine Art terroristischen Anschlag angekündigt hatte.

Zwar war ein hinreichender Tatverdacht in diesem Fall nicht unbedingt gegeben. Doch der Chef ging davon aus, dass der Richter, dem Smith nach vierundzwanzig Stunden vorgeführt werden würde, ohnehin einen Haftbefehl erlassen würde. Im Zweifelsfall überwog das Gebot, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

Auf einen Anwalt hatte Smith ausdrücklich verzichtet.

Fingerabdrücke wurden zunächst nicht genommen.

Nach einer kurzen Unterbrechung saßen wir uns wieder gegenüber – Phil, ich und der Mann, der sich Smith nannte –, diesmal in einem fensterlosen Verhörraum mit Einwegspiegel.