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Ein Cop auf Abwegen
Phil und mich erreichte ein merkwürdiger Hilferuf: Der Ex-Cop Nick Reiner hatte Geschäfte mit dem Unterweltcapo Tom Smulders gemacht und musste nun um sein Leben fürchten! Der Fall kam uns gerade recht, waren wir doch ohnehin hinter Smulders und seinen Killern her. Doch dann beging Reiner einen folgenschweren Fehler: Er entführte Smulders Ehefrau, die sehr schöne, aber auch extrem gefährliche Cynthia ...
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Ein Cop auf Abwegen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: kali9/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8168-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Ein Cop auf Abwegen
Mein Handy klingelte in der 46th Street West. Ich war zu Fuß unterwegs, blieb stehen und holte das Smartphone heraus. »Cotton.«
»Können Sie einen guten Tipp gebrauchen, Special Agent Cotton?«
»Immer.«
»Schon mal von den Hock Brüdern gehört?«, fragte mich eine männliche Stimme, die ich nicht kannte.
»Richard und Justin Hock?«
»Die Skandalanwälte aus Hoboken. Genau.«
»Was ist mit denen?«, wollte ich wissen.
»Die werden in weniger als achtundvierzig Stunden tot sein«, sagte der Anrufer und legte auf.
Zwanzig Minuten nach diesem Anruf stand Phil links neben einer offenen Kanzleitür, ich rechts. Wir hielten unsere Dienstwaffen schussbereit in unseren Händen. Unsere Nerven waren angespannt.
An der Mahagonitür klebten silberne Buchstaben: Hock & Hock. Und darunter stand – nur unwesentlich kleiner –, dass die beiden Rechtsanwälte waren.
Sie hatten sich eine raffinierte Strategie zurechtgelegt, hatten Massenmörder, Großbetrüger, Terror-Paten, kriminelle Broker und dergleichen Ekelpakete mehr für lau verteidigt und sich damit einen Namen gemacht. Sie waren öfter in den Medien präsent als der Außenminister, zogen dadurch betuchte Klienten an wie das Licht die Motten – und denen stellten sie dann fette Honorare in Rechnung.
So waren sie zu Staranwälten geworden und hatten auch für den skrupellosen Unterweltcapo Tom Smulders, der schon seit Längerem ganz oben auf unserer Wunschliste stand, so manche Kartoffel aus dem Feuer geholt.
Aber Smulders war kein dankbarer Mensch. Man munkelte, sie hätten sich aus irgendeinem Grund seinen Unmut zugezogen, und das bedeutete, dass sie ihres Lebens nicht mehr sicher waren.
Sich mit Tom Smulders zu überwerfen, war der größte Fehler, den man machen konnte. Der Mann war der personifizierte Tod, das sichere Ende jeder menschlichen Existenz, und er hatte ein paar widerliche Sensenmänner an der Hand, die mit großer Freude die mieseste Drecksarbeit für ihn übernahmen, wenn er sie nicht selbst erledigen wollte.
Ich sah zu meinem Partner hinüber. »Okay?«
Phil nickte.
Ich schraubte mich durch die offene Tür in ein verwüstetes Vorzimmer. Meine Glock schwang mit.
»FBI!«, rief ich in die Stille.
Es kümmerte keinen.
Phil folgte mir. Auf dem teuren, schmutzabweisenden Teppichboden lag alles, was sich einmal auf einem massiven Eichenholzschreibtisch befunden hatte, und auch der Schreibtisch selbst war umgeworfen worden. In allen anderen Büroräumen sah es genauso aus.
»Hier hat einer sinnlos seine Kraft verschwendet«, murmelte mein Partner.
Ich stieg über eine Digitaluhr, die mir mit blauen Ziffern anzeigte, dass es 19 Uhr 22 war. Sie erinnerte mich an eine Schildkröte, die hilflos auf dem Rücken lag. Allerdings ohne zu strampeln.
Jene, die hier tagsüber beschäftigt waren, waren schon längst nach Hause gegangen. Nur einer nicht: Richard Hock war noch da. Tipptopp gekleidet, wie man ihn aus dem Fernsehen kannte, und tot.
So richtig zufrieden war Nick Reiner nie gewesen. Weder mit seiner Ehe noch mit seinem Beruf, in den ihn sein dominanter Vater gedrängt hatte.
Er hatte eigentlich etwas ganz anderes werden wollen, zum Beispiel Pilot oder Astronaut, auch Schauspieler wäre nicht schlecht gewesen. Doch sein Dad war dagegen gewesen.
»Nichts da!«, hatte er gesagt. »Diese Flausen kannst du dir aus dem Kopf schlagen. Du wirst Cop wie ich, basta. Es macht was her, wenn man eine Uniform trägt. Du bist jemand, vertrittst das Gesetz, man achtet und respektiert dich. Gesichertes Einkommen, Pensionsanspruch … so etwas schätzen die Frauen. Da kannst du gleich ein paar Etagen höher anklopfen.«
Also hatten die Dinge den Lauf genommen, den Reiner Senior für seinen Junior ins Auge gefasst hatte. Sobald Nick Uniformträger gewesen war, hatte er Sophia, die bildhübsche Tochter eines Bankers, geheiratet, der ihn bei jeder Gelegenheit spüren ließ, wie sehr er ihn, den lächerlichen Kleinverdiener, für den sein geliebtes Kind viel zu schade war, verachtete.
Die Ehe hatte auch nicht lange gehalten. Geplant war gewesen: bis dass der Tod uns scheidet. Doch das von Liebe und Begehren geprägte Bündnis war schon nach zwei Jahren ziemlich arg zerrüttet gewesen und nach weiteren sechs Monaten völlig zerbrochen, weil sich herausgestellt hatte, dass Sophia leidenschaftlich gerne fremdging.
Angeblich konnte sie nichts dafür. Ihre Großmutter war in jungen Jahren genauso veranlagt gewesen, und Sophia hatte dieses »Fremdgeh-Gen« von ihr geerbt.
Negativ geprägt von einem despotischen Vater und gezeichnet von einer schmutzigen Scheidung, hatte Nick Reiner Zuflucht in einer stacheligen Introvertiertheit gesucht und auch gefunden. Er ließ niemanden mehr an sich heran, schloss keine Freundschaften, erledigte seinen Job, und damit musste es gut sein.
Dass seinen Kollegen das nicht passte, konnte er zwar verstehen, aber er war nicht gewillt, auch nur das Geringste daran zu ändern. Deshalb mobbten sie ihn auch fortwährend, machten sich über ihn lustig, verbreiteten Gerüchte über ihn, grenzten ihn aus, zeigten ihm die kalte Schulter – und vor allem wollte ihn niemand zum Partner haben.
Im Moment ging es im Revier zu wie in einem Taubenschlag. Ein dreister Dieb beteuerte dem Beamten, der ihn auf frischer Tat ertappt hatte, er sei unschuldig. Zwei grell geschminkte Mädchen in superkurzen Miniröcken, schenkelhohen schwarzen Lackstiefeln und jugendgefährdend tiefen Dekolletés protestierten zuerst schrill gegen ihre Festnahme und boten den Cops dann absolut unmissverständlich gewisse erotische Dienstleistungen an, wenn sie sie dafür laufen ließen.
Es war das reinste Tollhaus, und mitten in diesem lauten Trubel saß Nick Reiner mit »zugeklappten« Ohren und arbeitete an einem Protokoll, das schon längst hätte fertig sein sollen. Der Dreißigjährige war ein bulliger Typ mit sehr kurz geschnittenen Haaren, die er nie zu kämmen brauchte, hatte ein rundes Gesicht und einen leichten Doppelkinnansatz, der ihn bei jedem Blick in den Spiegel daran erinnerte, dass er von Süßigkeiten lieber die Finger lassen sollte.
Einer seiner Kollegen stieß ihn an.
Er hob den Kopf. »Was gibt’s?«
»Du sollst zum Captain kommen.«
»Ich?«
»Mit wem rede ich gerade?«
»Okay. Ich bin gleich fertig.«
»Der Captain will dich sofort sehen.«
»Zuerst schreibe ich das Protokoll zu Ende.«
Der Kollege zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Wie du meinst.«
Reiner tippte die restlichen Sätze in den Computer, speicherte das Schriftstück in einem bereits vorhandenen Ordner ab und erhob sich. Das Ganze nahm nicht mehr als fünf Minuten in Anspruch.
Auf dem Weg zum Büro des Captain schob eines der beiden leichten Mädchen, schlüpfrig lächelnd, sein Becken vor und machte ihm ein pikantes Angebot.
»Hey, Hübscher, wo hast du dich denn bis jetzt versteckt? Bei einem wie dir könnte ich glatt schwach werden. Hast noch ein bisschen Babyspeck, das finde ich süß. Ich bin in der Horizontalen ’ne Queen. Willst du meine Telefonnummer? Du kannst mich je-der-zeit anrufen – Tag und … Nacht.«
Die Nutte befeuchtete ihre knallroten Lippen ganz langsam mit der Zunge. Ihr Mund blieb halb geöffnet. Doch Nick Reiner ignorierte sie.
»Hör mal, du arrogantes …« Sie verkniff sich das beleidigende Wort. »Bin ich dir nicht gut genug?«, rief sie ihm ärgerlich nach. »Wofür hältst du dich, eh? Für Bradley Cooper?«
Er erreichte den Glaskäfig, in dem Captain Lee Brice residierte, und klopfte an die offene Tür.
»Captain?«
»Kommen Sie herein, und schließen Sie die Tür, Sergeant«, sagte der dicke, schwarze Vorgesetzte, der seinen massigen Schädel kahl geschoren hatte. Sein Bauch sah aus wie ein prall gefüllter Getreidesack, und er wirkte immer so, als würde ihn alles anwidern: der Job, die Kollegen, das Leben.
»Sie wollten mich sprechen?«
»Ja, aber schon vor fünf Minuten. Wieso kommen Sie erst jetzt?«
»Ich hatte noch ein Protokoll abzuschließen.«
»Wenn ich mit jemandem reden will, hat der nicht erst übermorgen anzutanzen, sondern sofort«, sagte Brice unwirsch. »Setzen Sie sich.«
Nick Reiner nahm auf einem der beiden Stühle, die vor dem Schreibtisch standen, Platz.
Sein schwerer Vorgesetzter lehnte sich zurück und musterte ihn verdrossen.
»Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich mit Ihnen meine liebe Not habe, Sergeant Reiner«, eröffnete er das unangenehme Gespräch. »Sie sind ein echtes Problemkind in diesem Revier, ein schwarzes Schaf. Ich habe Ihren Vater gekannt. Horace Reiner war ganz anders. Es ist sehr schade, dass er nicht mehr lebt. Er war fleißig, loyal, zuverlässig, beliebt … Ein Mann wie ein Felsen. Ein Cop von echtem Schrot und Korn. Sie hingegen …«
Er wischte mit der Hand über seine glänzende Glatze, als wäre er ratlos.
»Es tut mir leid, wenn Sie mit mir nicht zufrieden sind, Captain.«
»Da bin ich leider nicht der Einzige, Sergeant. Jeder in diesem Revier ist unzufrieden mit Ihnen.«
»Ich gebe mein Bestes, Sir.«
»Sind Sie sicher?«
»Dass mir die Schuhe meines Vaters nicht passen, ist mir bewusst, aber ich bin zuversichtlich, dass ich in sie hineinwachsen werde. Ich brauche nur etwas Zeit dafür.«
»Sie sind nicht teamfähig, kümmern sich immer nur um Ihre eigenen Angelegenheiten«, zählte der Captain Reiners negative Eigenschaften auf. »Keiner kann Sie leiden. Sie schließen sich von allem aus, halten sich von jeder gemeinsamen Aktivität, die den allgemeinen Zusammenhalt festigen soll, fern …«
Er unterbrach sich, hatte aber offenbar noch sehr viel mehr im Köcher.
»Das liegt nicht nur an mir, Captain«, verteidigte sich Nick Reiner.
»An wem denn sonst? An mir vielleicht?«
»Ich versuche mit allen Kollegen gut auszukommen, aber sie machen es mir nicht leicht, zeigen mir sehr oft die kalte Schulter.«
»Warum wohl?«, fragte Lee Brice polternd. »Weil Ihnen niemand vertraut. In unserem Job muss man sich hundertprozentig aufeinander verlassen können. Was meinen Sie, mit was für einem miserablen Gefühl man in eine brenzlige Situation hineingeht, wenn man sich fragen muss: Setzt sich mein Partner auch wirklich voll für mich ein, wenn ich in Schwierigkeiten gerate, oder lässt er mich im entscheidenden Augenblick hängen?«
»Ich habe noch nie einen Partner im Stich gelassen, Captain«, sagte Nick Reiner mit unterdrücktem Ärger. »Noch nie. Wenn jemand etwas anderes behauptet, ist er nicht ehrlich.«
Lee Brices Blick verriet ihm, dass ihm Gegenteiliges zu Ohren gekommen war. Hinter Reiners Rücken kursierten viele hässliche Halbwahrheiten und etliche handfeste Lügen. Das war ihm zwar bekannt, aber es war ihm nicht möglich, auch nur einen Bruchteil davon zu entkräften, weil ihm diese haltlosen Anschuldigungen ja nie ins Gesicht gesagt wurden.
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Sergeant Reiner?«
»Klar.«
»Was haben Sie gegen mich?«, schoss ihn sein Vorgesetzter unvermittelt und sehr direkt an.
»Nichts, Sir.«
Lee Brice kniff die Augen zusammen. »Kommen Sie mit meiner Hautfarbe nicht klar? Haben Sie ein Problem damit, dass ich schwarz bin?«
In Nick Reiner begann es zu kochen. »Ich bin kein Rassist, Captain Brice.«
»Gefällt Ihnen mein Führungsstil nicht?«
»Habe ich mich schon mal beschwert, Sir?«
»Nicht direkt bei mir, aber …«
»Langsam habe ich die Spielchen meiner hinterhältigen Kollegen satt«, brauste Nick Reiner auf. Zorn funkelte in seinen Augen. »Man sollte diesen Kotzbrocken da draußen ein Mobbing-Doktorat verleihen. Sie würden es verdienen – mit Auszeichnung sogar.«
»Beruhigen Sie sich, Sergeant.«
Nick Reiner dachte nicht daran. Er kam jetzt erst so richtig in Fahrt.
»Wenn Sie vorbehaltlos glauben, was Ihnen diese feigen Widerlinge Tag für Tag über mich zutragen, sollten Sie sich vielleicht mal Gedanken über Ihre Menschenkenntnis machen, und sich bei der Gelegenheit auch gleich fragen, ob Sie hier nicht eventuell fehl am Platz sind, Sir.«
Der Captain schlug mit der Faust auf den Tisch. »Also stimmt es, Sie zweifeln an meiner Qualifikation. Ich bin Ihrer Ansicht nach nicht für diesen Posten geeignet.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber Sie denken es«, behauptete Lee Brice feindselig. »Warum sprechen Sie es nicht offen aus? Fehlt Ihnen der Mut dazu? Ich eigne mich nicht für die Leitung dieses Reviers. Das ist doch Ihre Meinung, oder etwa nicht? Dieser glatzköpfige Schwarze sollte den Straßenverkehr regeln und nicht hier drinnen auf seinem fetten Arsch sitzen und uns Weiße herumkommandieren.«
Reiner beugte sich vor und starrte seinem Vorgesetzten furchtlos in die Augen.
»Wissen Sie, was ich glaube, Captain Brice?«, sagte er sehr beherrscht. »Sie haben ein massives Problem mit Ihrer Hautfarbe – nicht ich.«
»Raus!«, schrie sein Boss. »Verschwinden Sie!«
Draußen steckten die Kollegen die Köpfe zusammen, tuschelten und grinsten.
Nick Reiner stand gelassen auf. »Langsam glaube ich wirklich, dass der Job Sie überfordert, Captain.«
»Gehen Sie mir aus den Augen, Sergeant!«, brüllte Lee Brice unbeherrscht und mit einer daumendicken Zornesader auf der Stirn. »Das wird ein Nachspiel haben, darauf können Sie sich verlassen.«
Nick Reiner verließ hocherhobenen Hauptes und aufreizend langsam das Büro des Captain. Er hatte soeben einen bedeutsamen Entschluss gefasst und eine für sein zukünftiges Leben wichtige Entscheidung getroffen.
Ehe es zu dem Nachspiel kommen konnte, das Captain Brice ihm angedroht hatte, quittierte er seinen Dienst und fühlte sich danach zum ersten Mal in seinem Leben unbeschreiblich erleichtert. Beinahe schwerelos. Endlich war er frei und die permanent mobbenden Kollegen für immer los.
Er hatte zwar im Moment keine Ahnung, womit er nun seinen Lebensunterhalt bestreiten sollte, doch er war zuversichtlich, schon bald etwas Passendes zu finden. Schließlich war er nicht faul und bereit, jede Arbeit anzunehmen.
Warum die noble Hock-&-Hock-Kanzlei so sehr verwüstet worden war, wussten wir nicht. Der Staranwalt lag, bestens gekleidet – weißes Hemd, Anzug, Krawatte, Weste –, mit weit aufgerissenen Augen auf dem Rücken und schien nicht begreifen zu können, dass er nicht mehr lebte.
Ich hatte gleich nach jenem anonymen Anruf mit Hock telefoniert und ihn gebeten zu bleiben, wo er war, und auf meinen Partner und mich zu warten.
Man hatte Richard Hock eine Kugel in den Kopf geschossen. In wessen Auftrag? Im Moment fiel Phil und mir nur ein Name ein: Tom Smulders.
Das war zwar nach unserem derzeitigen Wissensstand sehr wahrscheinlich, musste aber nicht unbedingt stimmen. Richard Hock konnte auch von jemand anderem zum Abschuss freigegeben worden sein.
Er und sein Bruder hatten beruflich ja mit vielen Figuren zu tun, denen man besser nicht über den Weg traute. Hier gab sich so mancher Abschaum die Klinke in die Hand: betrügerische Lobbyisten, Geldwäscher, Vergewaltiger, Profikiller …
Während Phil mit seinem Smartphone die in solchen Situationen erforderlichen Telefonate erledigte, beugte ich mich über den toten Staranwalt.
Es war kaum Blut zu sehen. Richard Hock hatte lediglich ein kleines Loch in der Stirn. Das Ende schien ihn sehr schnell und unvorbereitet ereilt zu haben. Ein Trost? Wenn ja, für wen? Höchstens für seinen Bruder, denn Frau und Kinder hatte der Tote nicht.
»Sieht so aus, als hätte Hock seinen Mörder gekannt«, sagte mein Partner, nachdem er alle Pflichttelefonate absolviert hatte. »Der kommt, fackelt nicht lange, zieht seine Waffe und – peng!«
Ich zeigte auf die Leiche. »Das kann auch eine Frau getan haben.«
Phil nickte. »Wäre möglich.«
»Ich tippe aber eher auf zwei Männer.«
»Wegen der Verwüstung in allen Räumen?«, fragte mein Partner.
»Genau«, bestätigte ich.
Da mir der anonyme Anrufer mitgeteilt hatte, beide Staranwälte würden in weniger als achtundvierzig Stunden tot sein, waren wir gezwungen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um herauszufinden, wo sich Justin Hock zurzeit aufhielt.
Wir mussten schnell sein, um den Wettlauf mit dem Täter – oder den Tätern – zu gewinnen, sonst würde Justin Hock vermutlich ebenfalls mit einem Kopfschuss enden.
»Diesmal machen wir es anders«, sagte Jake Torres zu seinem Komplizen. »Das mit Richard Hock ging mir viel zu schnell, hat mich überhaupt nicht befriedigt. Ich meine, wo bleibt der Spaßfaktor, wenn man hingeht und jemanden einfach bloß umnietet?«
Danny Huston grinste. »Du durftest die Büros verwüsten.«
Torres rümpfte die Nase. »Das hat mir nicht gereicht.«
»Okay. Dann sag mir, wie du dir die Sache mit Justin Hock vorstellst?«
»Da muss ein bisschen mehr Pepp und mehr Nervenkitzel rein«, gab der große, schlanke Torres zur Antwort. »Hock hatte ja nicht einmal richtig Gelegenheit, sich ausreichend zu fürchten.«
Jake Torres war in der Unterwelt als extrem gefährlicher, unberechenbarer Psychopath bekannt. Selbst der untersetzte, muskulöse Danny Huston, ein eher furchtloser, ausgebrannter Ex-Boxer, wandte ihm nur ganz selten den Rücken zu.
»Lass hören«, verlangte Huston, der noch vor zwei Jahren im Ring gestanden hatte.
Als Boxer war er von seinem geldgierigen Manager skrupellos verheizt worden. Er hatte zu viele schwere, kräfteraubende Fights in zu kurzer Zeit bestreiten müssen. Dass das nicht lange gut gehen konnte, war eigentlich jedem klar gewesen.
Dennoch hatte es eine Weile ganz gut funktioniert. Danny Huston hatte mit seinem Killerinstinkt und seinen Mörderfäusten reichlich Geld verdient.
Doch irgendwann hatten sich die ersten Verschleißerscheinungen eingeschlichen, die Rückschläge und Niederlagen gehäuft. Immer öfter war er gezwungen gewesen, die Siegerstraße zu verlassen.
Sein Manager hatte ihn eiskalt fallenlassen und durch einen unverbrauchten Mann ersetzt. Aber für die Jobs an Jake Torres’ Seite war Danny Huston noch immer sehr gut zu gebrauchen …
»Wir krallen uns den Vogel und bringen ihn an einen Ort, wo wir uns ungestört mit ihm beschäftigen können«, sagte Jake Torres mit dämonisch funkelnden Augen. »Wir brechen ihm langsam die Flügel und lassen ihn so richtig schön leiden.«
»Einverstanden.«
»Dann brauchen wir jetzt ein Fahrzeug, in dem wir Mister Hock von A nach B befördern können.«
Sie stahlen einen Kleintransporter – einen roten NV300 von Nissan. Damit fuhren sie zu Justin Hocks Squash-Klub und überwältigten den Anwalt auf der Toilette. Bevor sie ihn in den Transporter warfen, fesselten sie ihn mit Kabelbindern und klebten ihm den Mund zu. Dann brachten sie ihn in ein schäbiges Lagerhaus am Hudson River.