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Sex, Drugs and Politics
Stephen Matheson, ein junger, dynamischer Stadtabgeordneter, der für das Amt des Bürgermeisters kandidiert, wurde bei einem Wahlkampfauftritt erschossen! Phil und ich übernahmen den Fall. Dem Attentäter war die Flucht gelungen, und ganz New York suchte nach ihm. Fehlanzeige! Doch bald schon erhielten wir Einblick in die dunklen Machenschaften (nicht nur) dieses Politikers ...
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Sex, Drugs and Politics
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Kalcutta/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8299-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Sex, Drugs and Politics
01.28 …
Stephen Matheson hatte noch zwei Minuten zu leben. Aber das wusste der charismatische, gut aussehende Stadtabgeordnete nicht. Völlig ahnungslos stand er mit einem Mikrofon in der Hand mitten auf dem sonnenüberfluteten Times Square, umringt von einem Publikum, das ihm frenetisch zujubelte. Fast so, als sei er ein Popstar.
1.05 …
Noch einmal bekräftigte Matheson sein Statement bezüglich eines Verschreibungsverbots von Antidepressiva für Jugendliche. Und wieder brandete ihm tosender Applaus entgegen.
0.16 …
Hoch oben auf einem der umliegenden Dächer, schräg gegenüber von ihm, lag ein schwarz gekleideter Mann. Er blickte durch das Zielfernrohr eines Scharfschützengewehrs mit einem aufgeschraubten Schalldämpfer auf der Laufmündung. Das McMillan TAC-50, dessen Schaft aus glasfaserverstärktem Kunststoff bestand, ruhte auf einem anklappbaren Zweibein.
0.03 …
Der Sniper, dessen rechter Zeigefinger um den Abzug des Gewehrs lag, hatte den Stadtabgeordneten fest im Visier.
0.00 …
Der Scharfschütze zog durch. Das dumpfe Plopp konnte nur er vernehmen. Der schwere Lauf war mit einer äußerst effektiven Mündungsbremse ausgestattet, sodass der Schütze den starken Rückschlag an der Schulter kaum spürte.
Weit unter ihm zuckte Stephen Matheson zusammen, fasste sich ungläubig an den blutenden Hals. Das Projektil hatte ihm die rechte Halsseite zerfetzt. Wie ein gefällter Baum stürzte er zu Boden, rang einen Moment verzweifelt nach Luft.
Plopp.
Die nächste Kugel riss eine klaffende Wunde in seine rechte Kopfseite, zertrümmerte die komplette Schädeldecke. Blut, Knochen und Hirnmasse spritzten umher.
Auf dem Times Square brach Panik aus. Entsetzte Schreie gellten auf. Passanten rannten wild durcheinander oder warfen sich in Todesangst zu Boden, um aus der Schusslinie des Heckenschützen zu kommen.
Über ihnen montierte der Sniper hastig und mit geübten Griffen sein Präzisionsgewehr auseinander und verstaute es in einer länglichen, schwarzen Tasche. Dann verließ er eilig das geteerte Mansardendach über die hintere Feuerleiter, die in einen einsamen Hof mündete.
Der Sensenmann hatte seine Arbeit getan.
Fast senkrecht stand die Sonne am azurblauen Himmel, als Phil und ich den Times Square mit seinen riesigen Plakatwänden für Broadwayshows erreichten. Die Temperaturen lagen bei neunzig Grad Fahrenheit, wie ich von der Armaturenanzeige meines Jaguars ablesen konnte. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren.
Die Kreuzung um den Times Square am Broadway und der 7th Avenue war von den Cops komplett abgesperrt. Ebenso alle Zufahrten. Der wohl bekannteste Platz des Big Apple erstreckte sich von der West 42nd Street bis zur West 47th Street und bildete das Zentrum des Broadways, des Theaterviertels von Manhattan.
Ich parkte in zweiter Reihe neben den Patrol Cars, deren blaues und rotes Licht über die Gebäudefassaden zuckte. Als wir ausstiegen, schlug uns die Hitze wie ein Dampfhammer entgegen, trieb uns sofort den Schweiß aus sämtlichen Poren. Dennoch verzichteten wir nicht auf unsere Anzugsjacketts.
Schon von Weitem sahen wir die Absperrbänder und die Cops, die Zeugenbefragungen durchführten. Aber auch einen in Zivil gekleideten, großen, breiten Mann, dessen Hautfarbe an glänzendes Ebenholz erinnerte.
Detective Lieutenant Ethan Armstrong von der Mordkommission des Reviers Midtown-North leitete den Einsatz von Seiten des NYPD. Er winkte uns heran. Wir kannten uns, nickten ihm zur Begrüßung wortlos zu. Der Bürgermeister höchst persönlich hatte Mr. High instruiert, dass die Task Force T.A.C.T.I.C.S. des FBI in diesem hochbrisanten Fall die Ermittlungen leitete. Armstrong war bereits darüber informiert.
Wir gingen mit ihm hinüber zu den mobilen Sichtschutzwänden, die rings um die Leiche des fünfunddreißigjährigen Stadtabgeordneten aufgestellt worden waren. Ein Officer schob sie für uns zur Seite.
Armstrong bedeutete den Spezialisten von der Crime Scene Unit, ihre Arbeit kurz einzustellen. So hatten wir freie Sicht auf Stephen Mathesons Leiche. Es war kein schöner Anblick.
»Was wissen Sie bisher, Detective?«, fragte ich den Mann, der wie ein Football-Spieler aussah.
»Der Attentäter schoss zweimal kurz hintereinander von einem der umliegenden Dächer. Die erste Kugel traf Mister Matheson seitlich am Hals, die zweite in die rechte Kopfseite. Genaueres werden wir nach der Obduktion erfahren. Aufgrund des Verlaufs der Schussbahn scheint jedoch sicher zu sein, dass die Schüsse von dort oben kamen.«
Armstrong zeigte auf ein Multiplex-Kino.
»Mehrere SWAT-Teams durchkämmen die Umgebung«, fügte er dann hinzu. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass wenig Hoffnung besteht, den Täter zu finden. Schließlich hatte er bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte genügend Zeit, sich abzusetzen.«
Am Times Square befanden sich nicht nur Dutzende Theater, Einkaufszentren und historische Gebäude, sondern auch Cafés, Fast-Food-Ketten, Souvenir-Shops, Nobelrestaurants, Kinos und verschiedene Studios. Es war ein Leichtes, sich dort irgendwo zu verstecken oder einfach in der Menschenmenge zu verschwinden.
»Hat irgendjemand etwas gesehen?« Ich sah den bulligen NYPD-Kollegen gespannt an.
»Dazu kann ich noch nichts sagen. Die Zeugenvernehmungen dauern an.«
Ich nickte nachdenklich. »Wie sah es mit Polizeischutz bei Mathesons öffentlichen Auftritten aus?«
»So etwas hat der Abgeordnete kategorisch abgelehnt. Außerdem hat er nicht als gefährdete Person gegolten.«
»Gibt es irgendwelche Spuren?«, wollte Phil wissen.
Der Detective sah erneut zum Kino hinüber. »Das Dach wird noch untersucht.«
»Der Schütze muss ein Profi gewesen sein«, sinnierte ich.
»Sie haben recht, Cotton. Ein Sniper, der vielleicht bei einer Spezialeinheit der Army war.«
Phil und ich blieben noch eine ganze Weile am Tatort, um uns ein eigenes Bild zu machen und uns den Tatort einzuprägen. Nachdem die Spurensicherung das Dach des Multiplex-Kinos freigegeben hatte, von dem vermeintlich die Schüsse abgegeben worden waren, gingen wir hinauf.
Der Schütze hatte sich die beste Position ausgesucht, entsprechend vermuteten wir, dass er ortskundig war. Um vorher sämtliche Stellen auszuspähen, hätte er etliche Zeit gebraucht. Und die hatte er nicht gehabt, weil vorab nicht bekannt gewesen war, wo genau sich Matheson für seine öffentliche Rede am Times Square positionieren würde.
Mit diesen Erkenntnissen kehrten wir zur Team-Besprechung in Mr. Highs Büro an der Federal Plaza zurück. Neben dem Assistant Director in Charge und uns nahmen noch Ben Bruckner, Iris McLane und Zeerookah daran teil. Zeery, dessen Dienstpartner Steve Dillaggio sich zurzeit im Urlaub in Übersee befand, hatte genauso viel Erfahrung mit Attentaten wie wir selbst. Iris war eine ausgesprochen toughe Profilerin und Ben ein ausgewiesener IT-Experte, der alle Tricks und Kniffe im World Wide Web kannte.
»Was haben Sie über Stephen Matheson herausgefunden, Ben?« Mr. High sah unseren blutjungen Kollegen an.
Der Supervisory Special Agent räusperte sich. »Der Abgeordnete hat den Stadtbezirk Manhattan vertreten und für die bevorstehende Bürgermeisterwahl kandidiert. Er gehörte dem linken Flügel der Demokraten an und forderte ein Verbot der Vergabe von Antidepressiva an Jugendliche.«
»Was hat es damit genau auf sich, Ben?«, hakte ich nach. Schließlich konnte diese Forderung ein Motiv für den Attentäter sein, den Stadtabgeordneten zu ermorden.
»Wie sich jeder erinnern kann, gab es vor fünf Monaten an der Streetchurch School in Brooklyn einen Amoklauf.«
Ich nickte. Nur allzu gut stand mir diese schreckliche Bluttat noch vor Augen, bei der dreiunddreißig Schüler und Schülerinnen sowie vier Lehrer getötet worden waren. Der zwanzigjährige Schütze Chavez Caruso war ein ehemaliger Schüler, der dort jahrelang gemobbt worden war. Die Schikane war offenbar so schlimm gewesen, dass er die Streetchurch School verlassen und sich aufgrund einer schweren Depression einer Therapie unterzogen hatte.
»Später stellte sich heraus, dass Caruso unter Medikamenteneinfluss stand, als er das Massaker beging«, fuhr Ben fort. »Matheson war von diesem Amoklauf zutiefst schockiert … nicht zuletzt, weil sich auch zwei seiner Nichten unter den Opfern befanden. Er begann selbst zu recherchieren und fand heraus, dass bei neunzig Prozent aller Amokläufe an Schulen in den USA die jugendlichen Täter vorab mit Psychopharmaka behandelt worden sind. Dabei unterschiedet man Trizyklische, Tetrazyklische und Atypische Antidepressiva sowie Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, sogenannte SSRI, oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, sogenannte SNRI …«
Mr. High winkte ab.
Ben kam zum Wesentlichen. »Die Nebenwirkungen dieser Medikamente reichen von Konzentrationsstörungen, Albträumen, Gedächtnisstörungen, Desorientiertheit, Halluzinationen und Hyperaktivität bis hin zu Realitätsverlust, Aggressivität, Feindseligkeit und Suizidgefahr. Die Verbindung zwischen Gewaltverbrechen und antidepressiven Medikamenten gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Pharmaindustrie.«
»Herr im Himmel, jetzt ist mir klar, warum Matheson sich gegen eine Vergabe von Psychopharmaka an Jugendliche aussprach!«, warf Zeery ein.
Er nestelte an einer neuen Seidenkrawatte aus einem exquisiten Designerladen, die ich noch nie an ihm gesehen hatte. Nicht umsonst galt er als der bestgekleidete G-man im ganzen Staat New York.
Ich konnte ihm nur zustimmen.
»Antidepressiva können aufgrund ihrer Nebenwirkungen nicht nur gefährlich sein, sondern greifen auch ganz entscheidend in die Psyche eines Menschen und sogar in die körperliche Motorik ein. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen«, bestätigte Iris.
Die schlanke, großgewachsene Psychologin fuhr sich mit einer Hand durch die blonde Kurzhaarfrisur. Ihre blauen Augen musterten jeden von uns.
»Menschen können mit der Steuerung von derartigen Medikamenten in einen Zustand versetzt werden, in dem sie gar nichts mehr fühlen«, warnte sie eindringlich. »Sie empfinden kein Mitleid mehr, ihnen ist einfach alles egal. Sie sind von der Realität entfremdet.«
»Wie Roboter«, entfuhr es mir unwillkürlich. »In diesem Zustand sehen sie Mitmenschen nur noch als Objekte, gegen die sie im Extremfall ohne Skrupel die Waffe benutzen können. Oder auch gegen sich selbst.«
Nun waren es Iris und Ben, die mir mit einem stummen Nicken beipflichteten.
»Mit seinem Kreuzzug gegen diese Medikamente hat sich Matheson bei der Pharmaindustrie gewiss keine Freunde gemacht«, brachte es Mr. High auf den Punkt. »Gibt es ein bestimmtes Unternehmen, auf das sich der Stadtabgeordnete konzentriert hat, Ben?«
»Daran arbeite ich noch, Sir.«
Mr. High wandte sich an mich. »Was wissen wir außer dem bisher bekannten Tatablauf, Jerry?«
»Nicht viel, Sir«, antwortete ich. »Detective Armstrong hat mich kurz vor der Team-Besprechung noch einmal kontaktiert. Bislang verläuft die Suche der SWAT-Teams nach dem Attentäter erfolglos. Außerdem haben die ersten Zeugenbefragungen ergeben, dass niemand einen Mündungsblitz gesehen oder die Schüsse gehört hat. Vermutlich hat der Schütze einen Schalldämpfer benutzt.«
»Wie sieht es mit den Verletzungen aus?« Zeery stützte seine Ellbogen auf den Konferenztisch.
»Nach der vorläufigen Inaugenscheinnahme der Forensiker hat die erste Kugel Mathesons rechte Halsseite getroffen und zerfetzt. Schon diese Verletzung wäre tödlich gewesen. Das zweite Projektil zertrümmerte ihm die komplette Schädeldecke, sprengte Schädelknochen und Haut geradezu weg, sodass es zu schwersten Gewebezertrümmerungen kam. Beides waren Durchschüsse, also gibt es eine Einschuss- und Ausschusswunde. Genaueres wissen wir nach der Obduktion des OCME.«
Das Office of Chief Medical Examiner New York war das Büro des Obersten Gerichtsmediziners. Mathesons Leiche lag im NYU Langone Medical Center Campus in der First Avenue, einem der drei Zentren.
»Bei der Tatwaffe handelt es sich vermutlich um ein McMillan TAC-50-Scharfschützengewehr«, führte Phil unsere neuesten Erkenntnisse dazu weiter aus. »Das konnte die ballistische Spurensicherung aufgrund der sichergestellten Projektile Kaliber 12,7 x 99 mm NATO bestimmen.«
Ben, der die ganze Zeit über etwas in sein Tablet eingetippt hatte, schaute auf. »Ein solcher Munitionstyp mit einer so hohen Zerstörungskraft, sogar bei extremer Reichweite, wird überwiegend von Snipern benutzt. Im Irak hat ein kanadischer Scharfschütze mit einem McMillan TAC-50 einen Treffer aus dreitausendneunhundert Yards erzielt.«
Auch unsere Kollegen glaubten, dass wir es bei dem Attentäter mit einem Scharfschützen zu tun hatten, der höchstwahrscheinlich bei einer militärischen Spezialeinheit ausgebildet worden war.
Mr. High faltete die Hände wie zum Gebet zusammen. »Ben, Sie nehmen die Delta Force, die Army Rangers, die Navy SEALs, die Marines und andere Einheiten unter die Lupe. Wo gab es in letzter Zeit unehrenhafte Entlassungen? Wo sind ehemalige Elitekämpfer durch kriminelles Verhalten aufgefallen?«
»Er könnte auch ein Söldner oder bei einer ausländischen Elitetruppe gewesen sein«, gab Ben zu bedenken.
»Sicher.« Mr. High nickte. »Aber irgendwo müssen wir schließlich anfangen. Hier gilt es, die berühmte Stecknadel im Heuhaufen zu finden.«
Unser Chef machte eine kurze Pause, dann sah er Iris McLane an.
»Sie kümmern sich um die Pharmakonzerne, denen Matheson mit seiner Kampagne auf die Zehen getreten sein könnte«, ordnete er an.
Dann wandte er sich an mich.
»Sie übernehmen die Leitung der Ermittlungen, Jerry. Phil und Zeery werden Sie im taktischen Bereich unterstützen. Ich hoffe, dass wir schnell vorankommen.«
Kurz nach Mitternacht verließ Colin Parish das Lokal an der Park Avenue. In dem ursprünglichen Irish Pub war er für eineinhalb Stunden die Hauptperson gewesen. Das lag daran, dass er dort vor einer geschlossenen Gesellschaft, die überwiegend aus Studenten und Studentinnen bestand, einen Vortrag über School Shootings gehalten hatte.
Vor Jahren war er selbst Opfer eines Amoklaufs an einer High School geworden, den er schwer verletzt überlebt hatte. Seit diesem einschneidenden Erlebnis tingelte er durch New York und ließ andere Menschen an seiner schrecklichen Erfahrung teilhaben.
Vor allem aber sprach er sich gegen die Vergabe von Psychopharmaka an Jugendliche aus. Denn auch der Amokläufer, der ihn angeschossen, fünfzehn Schüler und Schülerinnen getötet sowie siebzehn andere schwer verletzt hatte, hatte unter dem Einfluss von Antidepressiva gestanden. Umso mehr bedauerte er das niederträchtige Attentat, dem Stephen Matheson am heutigen Tag zum Opfer gefallen war.
Colin Parish war Mitte zwanzig, groß, schlank und gut aussehend. Mit den schulterlangen blonden Haaren und dem betörenden Lächeln sah er aus wie ein kalifornischer Surfer.
Gemächlich ging er auf der um diese Zeit nur schwach frequentierte 63rd Street zur nächsten Subway Station. Die runde Glaslaterne am Eingang der Station leuchtete grün, was bedeutete, dass sie auch nachts geöffnet war.
Trotz der fortgeschrittenen Stunde lag die Hitze noch immer wie eine Glocke über der Stadt. Als Parish die Rolltreppe zu den Gleisen nahm, schlug ihm eine dampfende Hitzewelle entgegen, die sich hier über den Tag angestaut hatte. Viele U-Bahnhöfe in der Stadt waren bis heute nicht klimatisiert.
Parish stellte sich an das richtige Gleis und sah sich in den Gewölbegängen um. Auf seiner Seite war, von einem alten Säufer abgesehen, niemand anwesend. Der Alte, der es nicht mal mehr bis auf die Wartebank geschafft hatte, lehnte mit einer Flasche Whisky an der Betonwand der Röhre. Gegenüber alberten ein paar Jugendliche laut miteinander herum. Ein warmer Windstoß blies ein paar Fetzen Papierabfall die glänzenden Schienen entlang.
Hinter sich vernahm Parish schwere Schritte, die von den Tunnelwänden widerhallten.
Er drehte sich nicht um. Weshalb auch? Nur ein weiterer nächtlicher Fahrgast …
Als ein Zug auf dem Gleis einfuhr, an dem Parish stand, und kreischend vor ihm hielt, glaubte er, in einem Heißluftgebläse zu stehen. Die U-Bahn drückte die heiße Luft wie einen Kolben in den Bahnhof. Nachdem ein paar Leute ausgestiegen waren, fuhr sie weiter.
Parish sah auf die Armbanduhr. In drei Minuten würde seine Bahn kommen.
Die Schritte hinter ihm waren verstummt. Die Off-Hours-Waiting-Area, ein extra hell beleuchteter, kameraüberwachter Bereich für die Wartezeit bei Nacht, war verwaist. Dort gab es auch ein Telefon, um im Notfall die Polizei zu alarmieren.
Colin Parish hatte diesen Wartebereich noch nie benutzt. Dass er bei den Short-Trains, die nachts fuhren, immer im Zugführer-Wagen einstieg, war seine einzige Sicherheitsmaßnahme.
Dröhnend fuhr Parishs Bahn ein. Er blickte in die flackernden Lichter etwa zwanzig Yards von ihm entfernt. In diesem Moment traf ihn ein wuchtiger Stoß von hinten, und er verlor das Gleichgewicht.
Mit schreckgeweiteten Augen taumelte der junge Mann auf den Abgrund des Gleisbetts zu. Plötzlich war nirgends mehr Halt. Zuerst schwebte sein rechter Fuß in der Luft, gleich darauf auch noch der andere. Alles spielte sich in Sekundenbruchteilen ab.
Colin Parish fiel direkt vor den einlaufenden Zug!
Sein gellender Todesschrei ging im infernalischen Kreischen der Bremsen unter.
Aber es war zu spät. Die Bahn konnte nicht mehr rechtzeitig stoppen und überrollte den Körper des jungen Mannes, der vollends unter den ratternden Rädern verschwand.
»Von GPC habe ich noch nie etwas gehört!«
Phil sah mich von der Seite her an, während ich den Jaguar durch die Häuserschluchten und Wolkenkratzer Manhattans steuerte. Dazwischen herrschte eine mörderische Hitze. Die Sonne brannte schon jetzt unbarmherzig von einem azurblauen Himmel auf das Autodach.
Mein Partner vermeinte, an einigen Stellen auf dem Straßenbelag sogar Risse zu entdecken, die mir jedoch nicht auffielen. Ich zog ihn damit auf und hoffte gleichzeitig, dass bald ein Gewitter kam, damit die Temperaturen schlagartig um zehn Grad oder mehr in den Keller fielen. Aber das würde wohl nur ein frommer Wunsch bleiben.