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Der Transfer
Phil und ich erhielten den Auftrag, den mexikanischen Kartellchef Raul Ortega, genannt "El Clandestino", vom Metropolitan Correctional Center in Manhattan zum Gericht nach Brooklyn zu überführen. Ortega wollte in Anwesenheit des Staatsanwalts gegen das Kartell auspacken, im Austausch gegen eine neue Identität und Straffreiheit. Was wir nicht ahnten: Der Leiter der New York Division der DEA,Richard Harris, plante, Raul während des Transfers töten zu lassen - standen er und seine Handlanger doch auf El Clandestinos Gehaltsliste ...
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Der Transfer
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Alcatraz – season 1«/ddp-images
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8386-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Transfer
Raul Ortega, genannt »El Clandestino«, ehemaliger Chef des mexikanischen Jalisco-Kartells, betrat splitterfasernackt die Gemeinschaftsduschen im Zellenblock C des Metropolitan Correctional Center. Dampfschwaden hingen im Raum wie der Herbstnebel über dem Hudson.
Hinter Raul fiel die Tür zu. Der Ausgang wurde plötzlich von einem hünenhaften Mithäftling versperrt.
Raul hängte seelenruhig sein Handtuch auf und stellte sich unter die Dusche. Aus dem Nebel lösten sich zwei weitere Gestalten und nahmen rechts und links von ihm Aufstellung. Ohne Ankündigung umschlossen ihre kräftigen Hände seine Oberarme wie Schraubstöcke.
Der Hüne von der Tür kam zu ihnen. Mühelos brach er einen Klumpen Seife, der so groß wie ein Backstein war, auf und förderte ein Messer zutage …
Raul spuckte dem Kerl verächtlich vor die Füße. Der Riese sah zu, wie der Rotz im Abfluss verschwand.
»Du bist nicht der Erste, der das versucht, und du wirst auch nicht der Letzte sein«, machte Raul sich über ihn lustig.
Eine raue Hand legte sich über seinen Mund. Der Hüne legte prüfend seinen Zeigefinger auf Rauls Brustkorb, hielt den Kopf schief und ertastete das Brustbein. Er nickte zufrieden, dann stach er blitzartig zu.
Raul brüllte seinen Schmerz in die Hand hinein, seine Knie knickten ein. Unter sich sah er einen Wirbel aus Blut im Abfluss verschwinden.
Noch einmal stach der Riese zu.
»Das reicht«, wies er seine Helfer an.
Sie ließen Raul los und machten sich davon. Er sank kraftlos zu Boden, lag da in seinem eigenen Blut.
Andere Länder, andere Sitten, dachte er. Zu meiner Zeit hätte man dem Delinquenten eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und dabei zugesehen, wie er qualvoll erstickt.
Langsam schwand sein Bewusstsein.
Als Phil und ich an diesem Morgen das Büro des Chefs betraten und ich die Titelseite der New York Post auf dem Konferenztisch liegen sah, muss ich wohl schon geahnt haben, was die Woche für uns bereithielt.
»Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, forderte uns Mr. High auf, »ich bin in einer Sekunde bei Ihnen.«
Wir ließen uns in die Ledersitze sinken, Phil schenkte uns Kaffee ein. Ich zog die Postille heran und überflog interessiert den Artikel. Zwischen dem rein Erfundenen und dem falsch Wiedergegebenen leuchtete gelegentlich ein Fünkchen Wahrheit.
Mr. High erhob sich hinter seinem Schreibtisch und gesellte sich zu uns. Er deutete auf die Zeitung.
»Genau darum geht es, Jerry«, begann er. »Auf Raul Ortega, genannt ›El Clandestino‹, ehemaliges Oberhaupt des Jalisco-Kartells, wurde vorgestern im Metropolitan Correctional Center ein Mordanschlag verübt.«
»Der wievielte war das?«, fragte ich.
»Der fünfte seit seiner Festnahme«, antwortete der Chef.
»Er hat auch diesen überlebt«, stellte ich respektvoll fest.
»Der Kerl hat neun Leben, wie eine Katze«, meinte Phil.
»Jedenfalls hat Ortega beschlossen, sein Glück und seine verbleibenden vier Leben nicht zu strapazieren«, fuhr Mr. High fort. »Noch in der Notaufnahme hat er Staatsanwalt Ed Stamper seine volle Kooperation angeboten.«
»Ein solches Angebot macht einer wie Ortega nicht zum Nulltarif«, mutmaßte Phil.
»Im Gegenzug für seine Aussage erhält er das volle Programm beim U.S. Marshals Service«, erklärte Mr. High.
Der U.S. Marshals Service war unter anderem für Zeugenschutzprogramme zuständig. Der amerikanische Steuerzahler würde Ortega aus Dankbarkeit für seine Mithilfe bei der Zerschlagung des Kartells eine weiße Weste, eine neue Identität und ein paar kosmetische Veränderungen verschaffen. Und wenn »El Clandestino« gut verhandeln konnte, wovon ich ausging, bekam er vielleicht sogar eine kostenlose Maniküre dazu.
»Was haben Phil und ich damit zu tun? Der Kerl sitzt doch schon«, wunderte ich mich.
»Ich habe einen Spezialauftrag für Sie beide. Ortega muss innerhalb der nächsten sieben Tage an das Gerichtsgebäude in Brooklyn überstellt werden, wo er vor Staatsanwalt Stamper, dem Richter und einer kleinen Jury auspacken wird. Ich möchte, dass Sie und Phil diesen Transfer quer durch den Big Apple durchführen.«
Das war ungewöhnlich. Für solche Überführungen war normalerweise nicht das FBI zuständig, sondern das NYPD. Genau das gab ich zu bedenken.
»Sie haben natürlich recht, Jerry. Aber ›El Clandestino‹ ist kein normaler Verbrecher. Wie wir inzwischen alle wissen, trachten ihm gleich mehrere Gruppen nach dem Leben, denn die Attentäter im Gefängnis hatten alle ganz unterschiedliche Hintermänner: konkurrierende Organisationen, die eigenen Leute aus dem Kartell, sogar einer von unseren V-Leuten war darunter, der ein doppeltes Spiel spielte. Dazu kommt, dass die großen Kartelle das NYPD mit ihren eigenen Leuten infiltriert haben. Wir befürchten, dass eine offizielle Überführung für ein weiteres Attentat genutzt wird. Darum werde ich mit diesem Job nur jemanden beauftragen, dem ich zu einhundertfünfzig Prozent vertraue.«
Ich bedankte mich für das Vertrauen, gab aber auch scherzhaft zu bedenken, dass nur einer von uns beiden gern hinter dem Steuer saß.
»Ich denke, es wird Zeit, unseren Analysten dazu zu holen«, sagte der Chef und bat Helen, Dr. Ben Bruckner zum Meeting zu bitten.
Einen Mr. High ließ man nicht warten, daher nahm Ben nur wenige Augenblicke später mit uns am Konferenztisch Platz. Auf seiner ungelenk gebundenen Krawatte prangte ein Zahnpastaklecks. Schüchtern lächelnd legte er ein ferngesteuertes Spielzeug auf den Tisch und drehte und wendete es, bis es seiner Ansicht nach perfekt ausgerichtet war. Dann schob er sich ein Lakritz in den Mund.
Der Chef räusperte sich. »Um diese Angelegenheit so sicher wie möglich zu machen, wissen von dem Transfer nur eine Handvoll Menschen: Dazu gehören Sie beide und Ben Bruckner, der Sie während des Transfers technisch unterstützen wird.«
»Etwa damit?«, fragte Phil verwundert und zeigte auf die Mini-Drohne auf dem Tisch.
Ben lachte. »Das ist nur ein maßstabsgetreues Modell. Die echte Drohne ist deutlich größer.«
»Und diese Drohne«, fragte ich, »macht – was?«
»Sie folgt euch und beobachtet die Umgebung. Außerdem hat sie noch ein paar Tricks auf Lager, zum Beispiel kann sie …«
»Ich denke, wir müssen das nicht im Detail erörtern«, unterbrach ihn Mr. High. »Das Was, Wie und Wo entscheiden Sie drei völlig autonom. Je weniger Leute involviert sind, desto besser. Ben ist von heute ab Tag und Nacht in Bereitschaft. Sobald es losgeht, setzen Sie sich einfach mit ihm über abhörsicheren Funk in Verbindung. Er wird dann Stamper informieren, der wiederum kurzfristig die Befragung im Gerichtsgebäude organisiert. Alles ohne großen Vorlauf. Falls unvorhergesehene Schwierigkeiten auftauchen, steht hier die übliche schlagkräftige Truppe zur Unterstützung bereit, also Steve, Zeerookah, Les und Joe. Aber es ist allein Ihre Entscheidung, Gentlemen, wann Sie den Transfer durchführen, mit welchen Mitteln und auf welchem Weg Sie ›El Clandestino‹ nach Brooklyn bringen. Solange er nur spätestens in einer Woche beim Gerichtsgebäude auftaucht, um seine Aussage zu machen.«
»In sieben Tagen erschuf der Herr die Welt«, sinnierte Phil.
»In sechs. Am siebten Tage ruhte er«, korrigierte ich ihn.
Es klopfte an Richard Garris’ Bürotür. Der stellvertretende Leiter der New York City Division der DEA, Drug Enforcement Agency, sah von seinem Laptop auf und bat den Aspiranten herein.
Es war Tom Bannister. Bannisters Anblick, der eines gedrungenen Mannes mit Halbglatze, behaarten Unterarmen und platter Boxernase, ließ Garris immer an eine schlecht gelaunte Bulldogge denken. Und tatsächlich stellte er sich Tom manchmal spaßeshalber mit Maulkorb vor.
»Du wolltest mich sprechen, Boss?«, hob Bannister mit seiner kehligen Stimme an.
Garris wies auf den Stuhl und wartete, bis Bannister die Tür geschlossen und Platz genommen hatte. Sogar seine Art, sich respektlos hinzufläzen, stellte eine Provokation dar. Fehlte nur noch, dass Bannister seine Füße auf Garris’ Schreibtisch legte!
Der Chef warf ihm die heutige Ausgabe der Post hin. »El Clandestinos« lachendes Gesicht blickte ihnen aus dem Leitartikel entgegen. Tom überflog kaum mehr als den Teaser und nickte wissend.
»Hab mir schon gedacht, dass da ein Problem auf uns zukommt«, sagte er.
»Raul wird auspacken, so viel ist sicher. Dann werden ein paar Namen fallen, unter anderem auch deiner und meiner«, prophezeite Garris düster.
»Tja, das ist das Hässliche daran, wenn du als Bulle die Hand aufhältst. Sobald du auffliegst, sitzt du richtig tief in der Scheiße«, kommentierte Bannister mit einem frechen Grinsen.
»Wir beide sitzen richtig tief in der Scheiße, mein Freund. Jeder von uns hat von Ortega mindestens dreihundert Riesen kassiert. Raul wird uns verraten, um seinen Arsch zu retten, davon kannst du ausgehen. Eine Stunde, nachdem er bei Staatsanwalt Stamper seine Aussage unterschrieben hat, steht das FBI in meinem Büro und legt uns Handschellen an«, spekulierte Garris.
Als Drogenfahnder mit über dreißig Dienstjahren brachte ihn nur wenig aus der Ruhe. Aber bei dem Gedanken daran, demnächst auf Rikers Island eine Zelle mit denselben Junkies und Dealern, die er selbst dorthin verfrachtet hatte, zu teilen, bekam er doch weiche Knie.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Bannister, den die Sache weit weniger zu beunruhigen schien. Das mochte daran liegen, dass er – im Gegensatz zu Garris – nicht seine Altersversorgung und die Zukunft einer Ehefrau und zweier fast erwachsener Kinder aufs Spiel setzte.
»Ganz einfach: Wir beseitigen ihn.«
Toms selbstgefälliges Grinsen verschwand in der nächsten Sekunde.
»Das ist ein Witz, oder?«, vergewisserte er sich.
Garris’ Blick war unzweideutig.
»Kein Witz also«, stellte Tom fest.
Richard Garris und Tom Bannister kannten sich seit vielen Jahren. Garris war Bannisters Verbindungsmann gewesen, als dieser in ihren Anfangsjahren bei der DEA als verdeckter Ermittler in diverse Organisationen eingeschleust gewesen war.
Sie hatten sehr früh damit begonnen, die Hand aufzuhalten. Das hatten zu jener Zeit viele Verdeckte und ihre Führungsleute in New York getan. Es war ein Geschäftsmodell gewesen, bei dem niemand verlor und alle gewannen. Außer den armen Teufeln natürlich, die die Drogen zum Überleben brauchten und derlei Abmachungen mit ihren in Prostitution und Kleinkriminalität verdienten Brötchen mitfinanzierten.
Bannister und Garris waren wie ein altes Ehepaar: illusionslos, aber aufeinander angewiesen. Und Tom wusste, wann Garris ernstmachte.
»Wie stellst du dir das überhaupt vor?«, hakte Bannister nach. »Daran sind schon ein halbes Dutzend andere gescheitert.«
»Es gibt eine neue Entwicklung: Raul muss innerhalb einer Woche vor Stamper und ein paar Zeugen aussagen. Dazu muss er von Manhattan nach Brooklyn gebracht werden. Das ist unsere Chance«, war sich Garris sicher. »So ein Transport ist angreifbar.«
»Weißt du denn, wann und wie der Transfer stattfinden wird?«, fragte Bannister.
»Nein. Aber wie man hört, wird das FBI die Aktion durchführen. Ich habe Connections ins Field Office. Mit ein bisschen Glück lässt sich herauskitzeln, wer den Auftrag übernimmt. Diese Leute können wir rund um die Uhr observieren. Mit dem richtigen Timing schaltest du Raul aus.«
Tom strich sich übers Kinn.
»Und dann ist da noch dein guter alter Bekannter«, deutete Garris an.
Bannister sah auf.
»Der Mexikaner«, meinte Garris vielsagend.
Auf Bannisters Gesicht breitete sich wieder das altbekannte Grinsen aus.
»Blut ist eben doch nicht immer dicker als Wasser«, sinnierte er.
»Ganz deiner Meinung«, bestätigte Garris.
Das Zapatas an der 49th Street war kein gewöhnliches mexikanisches Restaurant. Das lag nicht nur an der Guacamole für neunundvierzig Dollar, zu der man die Nachos noch extra dazu bestellen musste, sondern vor allem an den Separees, die sich im rückwärtigen Bereich des Restaurants befanden und die nur an sehr gute Stammkunden vergeben wurden.
Natürlich war auch der weiße Lincoln Continental, der soeben vor dem Laden gehalten hatte, keine gewöhnliche Luxuslimousine.
Die Beifahrertür öffnete sich, und eine dunkelhäutige Frau mit schulterlangem, glattem Haar stieg aus. Ihr breiter Rücken und ihre kräftigen Schenkel ließen den Arglosen glauben, sie sei vielleicht Tänzerin oder Akrobatin. Wer schon einmal den Griff ihrer muskulösen Finger an seinem Hals gespürt hatte, wusste es jedoch besser. Nur lebte derjenige üblicherweise nicht lange genug, um seine Erkenntnis mit jemandem zu teilen.
Ximena Jerez sah sich wie beiläufig um. Ihr geschultes Auge scannte in Sekundenbruchteilen die Umgebung: keine versteckten Heckenschützen, keine gedungenen Killer auf vorbeirasenden Motorrädern. Sie öffnete zufrieden die Vordertür.
Valentina Suarez, gebürtige Venezolanerin, ehemalige Miss Universum und amtierende Ehefrau von Raul Ortega, schob zuerst ihre High Heels, dann ihre schlanken Fesseln und zuletzt ihren Viertelmillion-Dollar-Körper vom Rücksitz.
Ximena schlug die Autotür zu und folgte ihr wie ein Schatten zum Eingang des Zapatas, wo Pepe, der Geschäftsführer, sie erwartete.
»Guten Tag, Señora«, gurrte er devot. Sein Schnauzbart zitterte vor Erregung. »Ihr Sohn ist bereits eingetroffen.«
Valentina beachtete ihn kaum. Er hielt ihr mit einer tiefen Verbeugung die Tür auf. Sie trat in die Kühle ein, ihre Leibwächterin hinter ihr, die Hand einsatzbereit am Griff der Ruger LC9s Pro unter ihrem Jackett.
Es war kurz vor halb Zwölf, das Zapatas noch halbleer. Erst in etwa einer halben Stunde würden die ersten Mittagsgäste aus den umliegenden Bürogebäuden eintrudeln.
Die Ankömmlinge durchquerten den Gastraum, passierten die Raucherbar, in der man eine handgerollte Havanna für zweihundertfünfzig Dollar erstehen konnte, nahmen die Treppe ins Obergeschoß und traten schließlich auf eine Galerie, von der mehrere Türen abgingen.
Ohne anzuklopfen, riss Valentina gleich die allererste auf.
Tito sah erschrocken von seinem Handy auf. Im nächsten Augenblick ließ er das Gerät hinter dem Rücken verschwinden.
»Mutter!«, stieß er hervor.
Valentina trat vor ihn und hielt ihm die Wange hin. Er stand auf und küsste sie, dann griff sie nach seinem Arm und zwang ihn, das Mobiltelefon vorzuzeigen.
Sie schüttelte enttäuscht den Kopf.
»Verplemperst du wieder deine Zeit mit diesen dummen Computerspielen?«, tadelte sie ihn.
Er sah betreten zu Boden. Auf dem Bildschirm des Handys fiel im selben Moment ein kunstvoll gebauter Turm aus bunten, quadratischen Blöcken in sich zusammen.
»Es ist sehr entspannend«, versuchte er eine Rechtfertigung.
Valentina quittierte sie nur mit einem verächtlichen Blick.
Mutter und Sohn Ortega nahmen Platz, während Ximena neben der Tür Wache hielt. Einen Augenblick später brachte Pepe ein San Pellegrino und eine Zigarre für Valentina sowie eine Coca-Cola für Tito und verschwand diskret wieder. Ximena entzündete Valentinas Havanna.
Eine ganze Weile passierte nichts, nur der Deckenventilator über ihnen drehte seine Runden und verteilte den würzigen Qualm, den Valentina der Zigarre mit einem Schmatzen entrang, im Raum.
»Also, warum hast du mich herbestellt?«, fragte sie ungeduldig.
Tito sah verunsichert zu Ximena.
»Du kannst offen reden«, zerstreute seine Mutter seine Bedenken.
Tito hustete. »Papa«, krächzte er schließlich, »ich werde ihn befreien.«
Das Mineralwasser, an dem Valentina genippt hatte, verharrte auf halbem Weg, als hätte jemand das Bild eingefroren. Sie betrachtete die Spur von Lippenstift, die ihr Mund am Glasrand hinterlassen hatte, während sie darüber nachdachte, was Tito gerade gesagt hatte.
Dann begann sie zu lachen – so heftig, dass die Zigarrenasche auf dem Teppich landete. Und Tito, dieser Idiot, der nicht mal ansatzweise verstand, was sie so amüsierte, stimmte in ihr Gelächter ein.
»Tito, du bist ein Vollidiot«, kommentierte sie atemlos am Ende der Lachsalve.
Sein Lachen erstarb. »Ich meine es ernst, Mama!«
»Natürlich meinst du das«, antwortete sie mit triefendem Sarkasmus. »Das ist ja das Problem.«
Tito holte tief Luft. »Ich organisiere mir ein paar Leute und befreie ihn. Die Gelegenheit ist günstig. Die fahren ihn die nächsten Tage in die Bronx zum Gericht.«
»Bist du dir sicher, dass dein Vater überhaupt von dir befreit werden will?«, fragte sie amüsiert.
Tito sah verwirrt drein. »Es will doch niemand im Gefängnis sitzen.«
Valentina sah verzweifelt zu Ximena, aber von der Seite hatte sie keine Unterstützung zu erwarten.
»Mama, ich weiß, dass du froh bist, ihn los zu sein. Bei allem, was er dir angetan hat«, meinte Tito mitfühlend.
Sie spürte, wie sein Blick ihre vollen Brüste streifte. Ohne lüsterne Hintergedanken, denn auch wenn Tito es nicht wie sie am eigenen Leib erfahren hatte, so wusste er doch von den Zigarettenkippen, die ihr betrunkener Ehemann einst auf der empfindlichen Haut ihrer nackten Brüste ausgedrückt hatte.
Schon beim Gedanken daran kehrte der Schmerz zurück und trieb ihr die Tränen in die Augen. Valentina hatte nicht das geringste Interesse daran, Raul in Freiheit zu sehen.
»Aber er ist doch das Oberhaupt der Familie«, gab Tito naiv zu bedenken.
Valentina kippte das restliche Wasser in einem Zug hinunter. »Und wie sieht dein Plan aus, mein Sohn?«
»Ich …«, setzte er an und verstummte wieder.
Es gab keinen Plan, das erkannte Valentina. Und es würde vermutlich auch so bald nichts geben, was den Namen verdiente. Nur ein paar Kerle, genauso hirnlos wie ihr Sohn und willens, sich mit ihm in ein Himmelfahrtskommando zu stürzen.
Seufzend winkte sie Tito fort. »Geh raus und schnappe frische Luft, ich muss nachdenken«, befahl sie.
Er stand schulterzuckend auf und ließ sie und ihren Bodyguard zurück.
Valentina bat Ximena, ebenfalls draußen zu warten.