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Todesurteil für einen Richter
Der Richter Wallace Ginsburg war ermordet worden, und zwar auf eine äußerst brutale Art und Weise: Man hatte ihn gekreuzigt! Nur wenige Tage später fand man den NYPD-Detective Jack Nolden tot auf - sechs Schüsse in den Hinterkopf. Nachts, im Schlaf. Kurz darauf traf es den Bestsellerautor Horace Tucker, er wurde in der Badewanne mit einer Garotte erdrosselt. Obwohl sich die Mordarten unterschieden, hatten die drei Fälle eine Gemeinsamkeit: Alle Opfer standen in irgendeiner Beziehung zum Mafiapaten Luigi Alfano. Aber war er auch der Mörder?
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Todesurteil für einen Richter
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: emyerson/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8389-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Todesurteil für einen Richter
Der Tag war noch frisch, die Luft erfüllt vom aufmunternden Gesang der Amseln. Nichts trübte das zarte Blau des hochgewölbten Himmels.
Es hätte ein romantischer Moment sein können. Der Garten des alten Herrenhauses gab eine prächtige Kulisse ab, und das ausgedehnte Feld der lilafarbenen Dahlien verströmte intensiven Herbstgeruch.
Aber die Blondine, die ich in meinen Armen hielt, heulte und schluchzte wie ein kleines Kind.
Die Strahlen der Sonne verfingen sich in ihrem seidigen Haar, das in weichen Wellen über den Rücken floss. Sie ließen es ebenso aufleuchten wie das facettenreiche Gelb des riesigen Ahornbaumes im Hintergrund.
Über die Schultern der Frau starrte ich auf das schlecht zurechtgezimmerte Kreuz, das an den Stamm genagelt war.
Und auf den etwas fülligen, bleichen Leib des Mannes, der dort hing.
Jemand hatte an der Unterseite des Halses einen Querschnitt angebracht. Von dort zog sich eine breite Blutspur wie Lava über den gesamten Körper.
Es sah ganz danach aus, als hätte jemand Richter Wallace Ginsburg über Nacht zum Märtyrer gemacht.
Die Männer vom CSI verrichteten stumm ihre Arbeit. In den weißen Overalls wirkten sie mit ihren präzisen, ruhigen Bewegungen wie mechanische Figuren, die rund um den prominenten Toten ein groteskes Ballett aufführten.
Chief Mac Stanton leitete den Einsatz. Er stand an einen der Streifenwagen des NYPD gelehnt und redete erregt auf Phil ein. Ein kräftiger Ire mit kupferfarbenem, wildem Haarschopf, der drei Jahrzehnte Dienst auf dem Buckel hatte und sich von niemandem in die Suppe spucken ließ.
Mac Stanton und ich hatten schon mal zusammengearbeitet. Er war ein erfahrener Cop, aber stur bis zur Halsstarrigkeit. Und sehr von sich eingenommen.
Wir konnten uns also auch diesmal auf einiges gefasst machen.
Mr. High hatte Phil und mich mit den Ermittlungen betraut. Es sah ganz so aus, als sei dieser Mord eine Sache für das FBI, denn Richter Wallace Ginsburgs Name war eng mit der Mafia verknüpft.
Aber Stanton hatte mich schon angeblafft, dass er sich jede Einmischung verbitte. Ich vermutete, sein Motiv dafür war Eitelkeit. Dieser Fall würde Schlagzeilen machen und verhieß dem, der den Täter zur Strecke brachte, Ruhm und Anerkennung.
Als Vorsitzender in einem bedeutenden Prozess gegen die Camorra hatte es Wallace Ginsburg zu einiger Berühmtheit gebracht. Manche feierten ihn sogar als nationalen Helden, weil er alle Morddrohungen aus dem Mobster-Milieu ignoriert und unerschrocken seine Pflicht getan hatte.
Allerdings nahm ihm mancher übel, dass er dabei das Leben seiner Tochter aufs Spiel gesetzt hatte. Immerhin war auch sie ins Fadenkreuz der Gangster geraten. Es gab Gerüchte, dass man versuchte hätte, sie zu entführen, um ihren Vater unter Druck zu setzen. Von Presseleuten darauf angesprochen, hatten beide stets geschwiegen.
Jetzt war der Richter nur noch eine tote Hülle. Ruth Ginsburg aber fühlte sich in meinen Armen höchst lebendig an.
Phil kam mit dem Gerichtsmediziner zu mir herüber. Doc Manning war ein altersloser, kleiner Mann mit stechenden Augen und sorgfältig gestutztem Oberlippenbart.
»Können wir kurz reden?« Seine Stimme klang schneidend und schrill.
»Geben Sie mir zwei Minuten«, bat ich. »Ich bringe Miss Ginsburg ins Haus.«
Er schien mich nicht gehört zu haben.
»Wissen Sie, was man unter Schächten versteht?«, fragte er.
Für einen Moment verschlug es mir die Sprache.
Auch Ruth Ginsburg hatte die Worte gehört. Sie löste sich von mir und starrte Manning fassungslos an.
»Was haben Sie da gesagt?«, flüsterte sie erstickt.
Ich fasste sie an beiden Schultern und sah sie eindringlich an.
»Bitte, gehen Sie ins Haus!«, beschwor ich sie.
»Ich begleite Miss Ginsburg«, erklärte Phil und nahm sie einfach bei der Hand.
Es funktionierte. Wenn man den Medien glauben durfte, war sie eine selbstbewusste und sehr erfolgreiche Frau. Aber jetzt folgte sie Phil, weil sie spürte, dass sie die Antwort von Doc Manning nicht ertragen würde.
Es schien, als hätte die Reaktion der jungen Frau den Mediziner gereizt.
»Verdammt, ich bin doch nicht schuld an dieser Sauerei!«, schimpfte er. »Ich stelle bloß Tatsachen fest. Der Richter wurde offensichtlich auf rituelle Weise getötet.«
»Was bedeutet Schächten?«, wollte ich wissen.
»Einem Tier wird – ohne Betäubung – der Hals mit einem Messer von der Kehle aus durchschnitten«, dozierte der Doc kalt. »Dabei werden Haut, Muskeln, die Halsschlagadern, die Luft- und Speiseröhre sowie die daneben befindlichen Nervenstränge durchtrennt. Die Tiere durchleiden einen minutenlangen Todeskampf, verbunden mit großen Schmerzen, Atemnot und Angst. Dabei bluten sie aus.«
»Und Sie sind überzeugt, dass Ginsburg auf diese Weise starb?«
Er zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Gewissheit gibt es erst bei der Autopsie.«
»Wann wurde Ginsburg getötet?«
»Ich schätze, vor etwa drei bis vier Stunden. Aber warten Sie, bis man ihn abgehängt hat. Dann kann man sich die Leiche aus der Nähe betrachten.«
Er warf einen hastigen Blick auf seine Armbanduhr.
»Mist, ich muss dringend los«, knurrte er genervt. »Halten Sie sich an meinen Assistenten.« Er zeigte zu einem blassen jungen Mann hinüber, der neben dem Fotografen stand. »John wird mich hier vertreten.«
»Sie bleiben nicht hier?«, fragte ich verblüfft.
»Sie werden es nicht glauben, aber es gibt noch einen Toten, um den ich mich kümmern muss«, versetzte er sarkastisch. »Ein kleiner Junge. Jemand hat ihn erdrosselt. Der Richter ist nicht der Einzige, der Anspruch auf meine Dienste hat.«
Er wandte sich abrupt ab und tippelte mit kurzen, harten Schritten davon.
Ich ging über den schmalen Kiesweg, der zwischen Streifen von Pampasgras und Disteln rund um den ganzen Garten führte, zur Veranda hinüber. Durch die hohe, geöffnete Glastür betrat ich den riesigen, weiß getünchten Wohnraum. Gedämpfte Helligkeit aus unsichtbaren Quellen versetzte ihn in eine Art Schwebezustand. Vor den Fenstern waren Jalousien heruntergelassen.
An den Wänden hingen Dutzende grellfarbiger, abstrakter Bilder, in strenger Anordnung gereiht. Es sah aus, als hätte jemand versucht, ihre Explosivkraft zu zähmen.
Ein einziges Gemälde sprengte diesen Rahmen. Es handelte sich um eine Kreuzigungsszene im Stil der Nazarener. Mit seinen weichen, gefälligen Farben wirkte es unpassend. Vor allem, wenn man an den gekreuzigten Richter draußen im Garten dachte …
Mehrere flache, cremefarbene Sitzlandschaften wirkten wie Lichtinseln auf dem schwarzen Marmorboden. Im Hintergrund führte eine Treppe mit gläsernen Stufen zum ersten Stock.
Der Raum bot genug Fläche, um eine Bowlingbahn darin unterzubringen.
In dieser Weite war Ruth Ginsburgs zusammengekauerte Gestalt auf der Kante einer langgestreckten Ledercouch wenig mehr als eine Randnotiz. Ein Eindruck, der auch durch das schlichte, graue Kleid verstärkt wurde, das bis zu den Fesseln reichte. Es wirkte wie eine zweite Haut, die ihren Körper wie eine Schutzfolie umspannte.
Die junge Frau hatte die Hände auf der Sitzfläche abgestützt. Zwischen den hochgebockten Schultern hing der Kopf wie abgetrennt auf die Brust hinunter. Der weiche Vorhang der langen Haare verbarg das Gesicht.
»Wir sollten Miss Ginsburg noch etwas Zeit lassen«, meinte Phil. Er hatte sich seitlich der Couch positioniert, stehend und mit verschränkten Armen. »Wir dürfen ihr nicht zu viel zumuten.«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber ich denke, dass ich mit jemandem reden muss.«
Ihre Stimme war leise und schwach. Dennoch drückte sie eine seltsame Entschiedenheit aus.
Ich ging hinüber und setzte mich neben Miss Ginsburg. Mit etwas Abstand, damit sie sich nicht bedrängt fühlte. Dann wartete ich einfach.
Schließlich richtete sie langsam ihren Oberkörper auf und strich sich mit einer gedankenverlorenen Geste die Haare aus dem Gesicht.
»Es ist so absurd«, sagte sie. »Mein Vater war ein gläubiger Mensch. Das Wort Gottes ging ihm über alles. Und nun ist er diesen schrecklichen Tod gestorben. Es kommt mir vor wie Hohn. Warum hat der Herr ihm das angetan?«
Sie atmete tief durch und sah mich an. Ihre mandelförmigen, grünen Augen schwammen in Tränen. Das Weiß der Iris war durchzogen vom roten Geflecht geplatzter Äderchen.
»Sagen Sie etwas!«, bat sie mich. »Um Himmels willen, fragen Sie, was Sie wollen. Nehmen Sie keine Rücksicht. Vielleicht ist es das einzige Mittel, um mich davon abzuhalten, verrückt zu werden.«
Ich verstand, was sie meinte. Sie befand sich mitten in einem Alptraum, der nie enden würde. Weil er real war.
»Wann haben Sie Ihren Vater so vorgefunden?«
Es war eine einfache Frag, aber sie beschwor den entsetzlichen Moment herauf, in dem das pure Entsetzen in Ruth Ginsburgs Leben eingetreten war. Den Sekundenbruchteil, der ihr ganzes Leben in die Dunkelheit gestoßen hatte.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie mit verhangener Stimme. »Ich denke, es muss so gegen sechs Uhr gewesen sein.«
»Also vor einer Stunde?«
»Ja, vielleicht.«
»Was hat Sie am Montagmorgen so früh hergeführt?«
»Ein Anruf. Jemand meinte, ich solle schnell kommen. Mein Vater brauche mich.«
»Jemand?«, hakte ich nach.
Sie runzelte die Stirn. »Ja, merkwürdig, nicht wahr? Ich habe die Stimme nicht erkannt. Die Verbindung war ziemlich schlecht, und der Mann am anderen Ende hat auch gleich wieder aufgelegt.«
»Das hat sie nicht stutzig gemacht?«
Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie von ihrem eigenen Verhalten irritiert.
»Es ist schwierig zu erklären … Aber mein Vater hatte die Angewohnheit, mich zu den unterschiedlichsten Zeiten zu kontaktieren. Er arbeitete oft nachts.«
»Und was wollte er dann von Ihnen?«
»Dass ich ihm bei der Lösung eines juristischen Problems half.«
»Sie sind auch Juristin?«, fragte ich erstaunt.
Aus den Zeitungen wusste ich nur, dass sie Juniorpartnerin bei einer großen Marketingagentur war.
»Na ja, ich habe vor einem Jahr mein zweites Staatsexamen abgelegt«, erwiderte Ruth Ginsburg verlegen.
Ich verzichtete darauf, zu fragen, was sie als Juristen dazu brachte, ins Marketinggeschäft einzusteigen. Es war nicht der Augenblick für unverbindliche Plauderei.
»Fanden Sie es nicht befremdlich, dass Ihr Vater nicht persönlich angerufen hat?«, fragte ich stattdessen.
»Oh nein, er hat meistens jemanden vorgeschickt.«
»Aber um diese Zeit?«, fragte Phil ungläubig.
Ruth Ginsburgs Blick wanderte zu ihm hinüber, blieb stumm an ihm haften.
»Hat es Sie nicht alarmiert, dass Sie vor fünf Uhr morgens ein Fremder gebeten hat, zu Ihrem Vater zu kommen?«, hakte Phil nach.
»Es ist schrecklich, jetzt darüber reden zu müssen«, sagte sie leise und löste ihren Blick von Phil. Fahrig wischte sie sich übers Gesicht, als wollte sie unliebsame Geister vertreiben. Ihre Lippen zuckten unmerklich. »Mein Vater hat häufig unter Angstzuständen gelitten. Er hat dann oft einen Arzt angerufen, der direkt zu ihm kommen sollte. Und der Arzt hat dann meistens mich informiert.«
Sie schwieg und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Dann griff sie nach meiner Hand.
»Sie werden es doch niemandem erzählen, nicht wahr?«, fragte sie ängstlich.
»Nein«, versicherte ich. »Dafür gibt es keinen Grund.«
Sie musterte mich eindringlich. »Ich denke, ich sollte so was nicht fragen. Vielleicht muss ich Ihnen ganz einfach vertrauen.«
»Versuchen Sie es«, bat ich sie.
»Wie haben sie das Haus vorgefunden, als Sie kamen?«, fragte Phil die junge Frau.
»Es war alles dunkel«, antwortete sie. »Auch im Inneren. Aber dann sah ich das Feuer, draußen im Garten …«
Ihr Blick tastete die gegenüberliegende Wand ab, als hätte jemand die Bilder ihrer Erinnerung darauf projiziert.
Ihre schlanken, langen Finger lösten sich von meiner Hand.
»Bitte, lassen Sie mich für einen Moment allein.« Ihr ganzer Körper wurde von einem Weinkrampf geschüttelt.
»Miss Ginsburg …«
Phil hielt inne, als sie jäh zu ihm aufsah.
»Haben Sie nicht verstanden?«, fauchte sie ihn an, sprang auf und rannte zur Treppe. Ihre Absätze klapperten über die Stufen, dann wurde es unvermittelt still.
Von der Tür her hörte ich jemanden fluchen.
Ich sah hin.
Mac Stanton stand da mit finsterer Miene.
»Herzlichen Glückwunsch, das haben Sie prima hingekriegt!«, höhnte er. »Ich wollte gerade mit ihr reden, aber Sie haben sie vertrieben!«
»Klar«, bestätigte Phil mit einem schmalen Lächeln. »Wir sind eben nicht so feinfühlig wie Sie, Chief.«
»Gefällt mir nicht«, murrte Luigi Alfano.
Patsy Brown, von allen nur Sugar genannt, weil sie darauf bestand, zu jedermann lieb zu sein, krauste ihr hübsches Näschen.
»Hast recht, Schatz«, zwitscherte sie. »Ist ’ne verfluchte Scheiße, oder?«
»Kotzt mich echt an, dass du immer dazwischen plapperst. Ich meine, du kapierst doch eh nichts. Also, halt dein Maul, Sugar Baby, okay?«
»Okay, Schatz«, erwiderte sie leichthin. Schließlich hatten sie eben noch guten Sex gehabt. Es gab also keinen Grund, Luigi die Laune zu versauen.
Außerdem war er doppelt so alt wie sie. Er hätte ihr Vater sein können und verdiente jede Menge Respekt. Weshalb sie schließlich auch für ihn in einem noblen Bordell ihren Dienst versah.
Sie lagen nackt und noch schwitzend auf den zerknüllten Laken des verschnörkelten Louis-Seize-Betts, erworben zum Preis von vierzigtausend Dollar bei einer Auktion in Chicago. Es war das einzige altmodische Möbel in Alfanos Heimstatt.
Patsy hatte sich am Fußende wohlig zusammengerollt, weil sie das genauso mal in einem Film gesehen hatte. Außerdem fühlte sie sich in dieser Position wohl. Am liebsten hätte sie noch geschnurrt und an ihrem Daumen genuckelt.
Aber darauf verzichtete sie lieber. Einmal hatte sie es probiert. Daraufhin hatte Luigi sie echt übel behandelt, sich erst lustig über sie gemacht und anschließend ordentlich durchgeprügelt. Und man sollte nie denselben Fehler zweimal machen.
Alfano selbst hatte seinen künstlich gebräunten, massigen Körper nach allen Seiten hin ausgebreitet, sodass er fast zwei Drittel der Liegefläche einnahm. Sein im Verhältnis viel zu kleiner Kopf ruhte auf einem roten Brokatkissen.
»Gefällt mir ganz und gar nicht«, wiederholte er seine Worte. »Du bist dir sicher, Eddy, dass wir die beiden Feds jetzt auf dem Hals haben?«
Die Frage war an den Mann gerichtet, der Luigis Liebesakt gestört hatte und jetzt in seiner verdreckten, schwarzen Motorradkluft auf einem Stuhl neben dem Bett hockte.
Er war mit fünfundvierzig Jahren genauso alt wie Luigi. Körperlich bloß die Hälfte von ihm, aber ausgestattet mit langgezogenen, zähen Muskeln. Der dunkle Dreitagebart verlieh ihm etwas Asketisches.
»Is so, j-ja. Wegen diesem l-lausigen Richter. W-weiß ich von unserem M-Maulwurf.«
Eddy Crenn litt unter einer Sprachstörung. Er stammelte, stotterte und druckste rum, also redete er nur das Nötigste. Außerdem hatte er abscheuliche Manieren und nicht das geringste Taktgefühl.
Dennoch war er Alfanos wichtigster Mann. Niemand verstand sich auf den Akt des Tötens so gut wie er. Es war ein Genuss, ihn dabei zu beobachten. Sein knochiges Gesicht mit den eingefallenen Wangen schien bei dieser Tätigkeit förmlich aufzuleuchten.
So jedenfalls hatte es Luigi Patsy einmal erklärt. Sie selbst hatte noch keine Gelegenheit gehabt, Eddy dabei zuzusehen, wie er jemanden abmurkste. Aber interessiert hätte es sie schon!
Jedenfalls war Eddy Luigi hörig. Er bete ihn an förmlich an. Patsy hatte sich auch schon mal gefragt, ob Eddy irgendwie in Luigi verliebt war oder so was. Eine Vorstellung, die sie dann ganz schnellt wieder abtat. Zu eklig!
Vermutlich, dachte Patsy, hielt Eddy seinen Boss einfach für den wiederauferstandenen Jesus. Immerhin entstammte Eddys Mutter einer streng katholischen, italienischen Familie aus Kalabrien. Diese Leute glaubten alles Mögliche.
Patsy fand, dass es nichts brachte, an irgendwas zu glauben, was man sich ausgedacht hatte. Das Leben war ohnehin schwierig genug. Sie hielt sich also ans Nächstliegende. Und das waren Männer, die ihr halfen, es im Leben zu was zu bringen.
So wie Luigi. Der stellte echt was dar, und zum Glück war er scharf auf sie. So wie die Typen, an die er ihren Körper verkaufte.
Eigentlich so weit alles bestens. Doch andererseits … Luigi konnte auch übel nervig werden. Vor allem, wenn es Probleme gab. So wie jetzt offenbar.
»Verdammt!«, fluchte der Gangsterboss, richtete sich auf und schwang die Beine über den Bettrand. Mit einer unwilligen Geste glättete er das Gewusel seiner pomadisierten, schwarzen Haare. »Ausgerechnet Cotton und Decker ermitteln wegen Ginsburg. Die tauchen garantiert bei mir auf. Sie sind verdammt gefährlich. Der Teufel soll die beiden holen!«
Eddy Crenn runzelte die Stirn. Das machte er immer, wenn er intensiv nachdachte.
»Ich k-kann das er-erledigen, okay?« Es klang, als würde er beim Sprechen auf den Worten herumkauen.
»Was, zur Hölle, soll das heißen?«, fauchte ihn Luigi an. »Drück dich gefälligst vernünftig aus!«
Luigis Zurückweisung machte Eddy nervös. Seine kleinen, kieselgrauen Pupillen flogen hektisch hin und her.
»Du w-weißt schon.« Er fuhr sich mit den Fingern an der Kehle entlang.
»Machst du Witze?« Luigi kräuselte übellaunig seine fleischigen Lippen.
Eddy schüttelte den Kopf. »N-nein, keine Witze.«
»Manchmal denke ich, du hast sie nicht alle«, sagte Luigi.
Patsy quietschte vergnügt vor sich hin. Wie eine Dreizehnjährige, die zum ersten Mal einen schmutzigen Witz hörte.
»Wow, du bist ein schräger Typ, Eddy! Hast richtig Bock drauf, oder? Wie willst du’s denn machen? Mit ’nem Messer vielleicht? Ich meine, so, dass es wehtut?«
»Ich kann’s nicht leiden, Sugar, wenn du ordinär wirst«, erklärte Luigi.
Er lehnte sich zu ihr rüber und schlug ihr mit der geballten Faust kurz und hart auf den Mund.
Ein Schwall Blut quoll aus der aufgeplatzten Oberlippe.
Patsy brachte keinen Ton heraus. Es gelang ihr nicht einmal, irgendwas zu denken oder zu fühlen. Sie starrte Alfano einfach an.
»Ich hoffe, du bist bald fertig damit«, sagte der Gangsterboss.
Patsy hörte es wie aus großer Ferne.
Ihr Bewusstsein drohte wegzusacken.
Sie biss sich auf die Lippen. Dabei durchzuckte sie ein heftiger Schmerz, und sie schmeckte das Blut in ihrem Mund.