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Mörder aus der Vergangenheit?
In einem heruntergekommenen Apartment in Brooklyn starb ein Mafioso aus einem unbedeutenden Clan. Er war einst untergetaucht und hatte, schwer erkrankt, die letzten zwanzig Jahre dort gelebt. Was keiner ahnte: In einem Geheimversteck des Hauses hatte der Verstorbene, ein Waffennarr, gut hundert alte, aber voll funktionstüchtige Mafia-Maschinenpistolen aus den Dreißigerjahren gehortet. Kurze Zeit später begann eine rätselhafte Mordserie in New York ...
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Mörder aus der Vergangenheit?
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: mazur serhiy/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8705-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Mörder aus der Vergangenheit?
Er mochte den Keller nicht. Die Luft war abgestanden, sie roch nach modriger Erde. An den Wänden blühte Salpeter, die niedrige Decke erinnerte an eine Gruft.
Er beschleunigte seinen Schritt und fluchte leise, als er über ein Hindernis auf dem Boden stolperte. Verdammt, was war das?
Ein leises Quietschen erklang, und neben dem Eisenholm, der aus der Erde ragte, bewegte sich ein großer Steinblock. In der Wand wurde ein Loch sichtbar.
Er unterdrückte einen überraschten Ausruf. Der Holm am Boden musste einen Mechanismus ausgelöst haben!
Unschlüssig starrte er in die Dunkelheit. Ein geheimer Raum? War das möglich?
Er verspürte recht wenig Lust, in die Kammer hineinzusteigen, doch schließlich siegte die Neugier. Mit der Taschenlampe des Smartphones leuchtete er in das Loch – und traute seinen Augen nicht. Was er sah, war ungeheuerlich:
Waffen! Die ganze Kammer war voller Maschinenpistolen!
Graham McCastle legte großen Wert auf Ordnung. Sie bedeutete ihm mehr als nur das halbe Leben. Auf seinem Schreibtisch lagen die Stifte symmetrisch angeordnet, der Laptop bildete eine gerade Linie zur Tischkante. Der Abstand betrug exakt 2,25 Inches. Das entsprach der optimalen Spanne, die er für seine Körpergröße und Armlänge errechnet hatte. Rücken und Schultern wurden beim Tippen aus dieser Entfernung perfekt entlastet.
In seinem häuslichen Arbeitszimmer duldete McCastle außerdem keine unnützen Gegenstände. Clean, alles musste clean sein. Es gab neben seinem Schreibtisch und dem zugehörigen Sessel nur zwei Regale, einen zweiten Tisch zum Durchsehen der Akten, einen Aktenbock und einen Kleiderständer.
Letzterer war ein ständiger Zankapfel zwischen ihm und seiner Frau Mary.
»Im Flur steht er nur im Weg herum«, beschwerte sie sich. »Und bei dir im Arbeitszimmer ist so viel unnötiger Platz.«
»Wofür brauchen wir überhaupt einen zweiten Kleiderständer, Darling? Unsere Jacken hängen ordentlich am Haken neben der Tür.« Dafür hatte er eigenhändig gesorgt.
»Für Besucher natürlich. Wie du weißt, sind die Haken neben der Tür genau abgezählt. Darauf hast du ja bestanden.«
»Wir haben doch kaum Besucher. Wenn es irgendwie geht, empfange ich meine Klienten im Büro. Und Elliot bringt zum Glück nur selten lärmende Freunde mit nach Hause.«
»Deshalb steht der Ständer ja auch die meiste Zeit sinnlos im Weg herum, Graham.«
Er hatte geseufzt und sich gefügt. Gegen die Logik seiner Frau war nur schwer anzukommen.
Aus dem Kampf gegen die Gardinen war er allerdings als Sieger hervorgegangen.
»Staubfänger!«, hatte er sich empört. »Zu nichts nütze!«
Seine beiden Zimmerfenster gingen zum Garten hinaus, in dem sich nur dreimal pro Woche für zwei Stunden der Gärtner aufhielt. Clean. Graham McCastle wollte sein Fenster clean haben.
Natürlich wusste er, dass sich die Kollegen in der Anwaltskanzlei gelegentlich über ihn lustig machten. Aber sie alle hatten ihre eigenen Spleens, das brachte ein aufreibender Job wie dieser einfach mit sich.
Die Kanzlei war auf Geldgeschäfte im In- und Ausland spezialisiert, Arbeitszeiten von fünfundsiebzig Stunden pro Woche waren eher die Regel als die Ausnahme. Das funktionierte eben nur, wenn man gut organisiert war. Und da McCastle einer der erfolgreichsten Männer in der Kanzlei war, einer, der die heikelsten Fälle bearbeitete und die zahlungskräftigsten Klienten betreute, wurde er trotz seines Ordnungsfimmels respektiert.
Es kam selten genug vor, dass er zu Hause arbeitete. Nur manchmal war es die bessere Alternative, wenn er viel Ruhe brauchte und jedes Telefonklingeln ihn aus der Konzentration gerissen hätte.
Graham McCastle hob den Blick, ließ ihn zum rechten Fenster streifen … und erstarrte. Eine Dreckspur überzog die Scheibe. Fast sah es aus, als hätte jemand einen Eimer voll schmutzigen Wassers darüber ausgegossen.
»Mary!«, brüllte er wutentbrannt. »Verdammt, was soll das? Du weißt genau, dass ich so nicht arbeiten kann! Woher kommt diese Sauerei?«
Dann erst fiel ihm ein, dass sein Frau beim Tennisspielen war, wie jeden Dienstag. Elliot konnte auch noch nicht aus der Schule zurück sein, und der Gärtner kam erst wieder am Mittwoch. Wer, zum Henker, war für diese Schweinerei verantwortlich?
McCastle trat ans Fenster und blickte durch die schmutzige Scheibe. Hinter den Johannisbeersträuchern bewegte sich etwas, eine Gestalt wurde sichtbar.
Die Augen des Anwalts weiteten sich.
»Was …?«, formten seine Lippen, doch in diesem Augenblick riss der Eindringling seine Waffe hoch und durchsiebte, ohne zu zögern, sowohl die schmutzige Scheibe, als auch den Körper von Graham McCastle, der augenblicklich zu Boden sackte. Eine unsaubere Blutlache breitete sich im cleanen Arbeitszimmer des Anwalts aus.
»Glaubst du, bei uns kommen auch mal so viele?«, fragte Phil und deutete auf die riesige Trauergemeinde, die sich in der Einsegnungshalle der Friedhofskapelle versammelt hatte. Die Sitzplätze reichten nicht ansatzweise aus, und wir standen ganz hinten, an die Außenmauer gelehnt.
»Bei dir schon«, erwiderte ich und zwinkerte meinem Partner zu. »Denk nur an deine vielen Verflossenen.«
Phil lächelte amüsiert. »Oh, da wäre ich gerne dabei«, bekannte er. »Das könnte interessant werden.«
»Keine Sorge«, tröstete ich. »Du wirst dabei sein.«
Dann wurde ich wieder ernst, schließlich befanden wir uns auf einer Beerdigung.
Der Calvary Cemetery in Queens erstrahlte in der goldenen Herbstsonne und wollte so gar nicht trübsinnig wirken. Der Blick über die Skyline von Manhattan war geradezu atemberaubend! Auch die Trauerfeier selbst vermittelte einen eher heiteren Eindruck.
Am Rednerpult hatte sich ein etwa sechzigjähriger Mann eingefunden. Er trug einen schneeweißen Anzug und einen dazu passenden klassischen Stetson Westernhut.
Neben ihm stand aufgebahrt der verschlossene Sarg aus Mahagoni, kaum sichtbar unter dem Meer aus Blumen, das sich darüber ergoss. Trotzdem ließen sich die kostbaren Schnitzereien erahnen.
»Gut und gern ein Monatsgehalt eines FBI-Agents«, mutmaßte Phil. Ich tippte eher auf zwei.
»Luke hasste die Farbe Schwarz«, erklärte der Mann vorne am Altar gerade. »Er hätte nicht gewollt, dass sein bester Freund ihn ausgerechnet in Schwarz auf dem letzten Weg begleitet.«
Er legte eine theatralische Pause ein und betupfte seine Augen mit einem Spitzentaschentuch.
»Klasse Show!« Phil nickte anerkennend. »Der Kerl hat komödiantisches Talent.«
Genau wie etwa neunzig Prozent der Anwesenden waren wir nicht des Toten, sondern der Lebenden wegen hier. Um einen Blick auf die Trauernden zu werfen. Um zu sehen, wer gekommen war und wer nicht. Um die Lage zu sondieren.
Die restlichen zehn Prozent hatte vermutlich die Sensationsgier auf den Calvary Friedhof gelockt.
In dem sündhaft teuren Sarg lag Luke Santini, langjähriger Clan-Chef einer einflussreichen New Yorker Mafiafamilie. Vor gut fünfzehn Jahren war er untergetaucht, nachdem ein krummes Ding schiefgelaufen war und sowohl das NYPD als auch das FBI und seine Gegner ihm auf den Fersen gewesen waren.
Er hatte sich in einer pompösen Wohnung versteckt, in einem luxuriösen Apartment in SoHo, und dieses jahrelang nicht verlassen. Das war gängige Praxis bei Mafiosi, die in Bedrängnis gerieten. Sie suchten sich einen goldenen Käfig, in den sie sich einnisteten, bis Gras über die Sache gewachsen war.
Natürlich mussten sie sich während dieser Zeit still verhalten und die Geschäfte abgeben. Sie durften niemandem trauen, sonst sickerte die Information über den Aufenthaltsort durch. So mancher berühmte Mafiaboss hatte jahrelang in einem solchen Versteck ausgeharrt, bis sein Fall vergessen gewesen war.
Bei Luke Santini war aus dem kurzfristigen Unterschlupf ein lebenslanger geworden. Er hatte unter einer seltenen Nervenkrankheit gelitten, die ihn in den letzten Jahren ans Bett gefesselt und seinen Geist verwirrt hatte.
Gepflegt hatte ihn Olivia Santini, seine Ehefrau, die selbst schon weit in den Siebzigern war und alles andere als gesund aussah. Sie saß in der ersten Reihe, trug Schwarz und war vielleicht die einzige im ganzen Leichenschauhaus, die tatsächlich trauerte. Zumindest wirkte ihr Gesicht verhärmt, und wenn sie aufstand, schwankte sie leicht.
Nachdem der Witzbold im weißen Anzug, zu Lebzeiten einer von Santinis Erzrivalen, geendet hatte, räusperte sich der Priester und forderte die Trauergemeinde auf, den Toten zur letzten Ruhe zu betten.
Die Träger, allesamt Neffen des Verstorbenen, nahmen den Sarg auf, und der Trauerzug setzte sich in Bewegung. Wir folgten ganz am Ende.
»Wenig Überraschendes bisher«, stellte Phil bedauernd fest.
Ebenso wie die New Yorker Clans hatte auch das FBI Luke Santini nahezu vergessen, als uns die Nachricht seines Todes erreichte. Längst hatte der Rest seiner Familie, allen voran die Neffen, die Geschäfte übernommen und neu geordnet.
Wir waren zur Beerdigung gekommen, um uns ein Bild von der Lage zu machen. Wie erwartet heuchelten die Familienmitglieder Trauer und Bestürzung, obwohl sie mit Sicherheit alle froh waren, dass der Alte nicht lebendig wieder aufgetaucht war. Befreundete Familien hatten Komitees geschickt, um ihre Verbundenheit zu demonstrieren. In den hinteren Reihen befanden sich einige Spione rivalisierender Clans, die, genau wie wir, nach dem Rechten sahen. Alles in allem eine langweilige Angelegenheit, die kaum Komplikationen erwarten ließ.
Der Trauerzug hatte eben das offene Grab erreicht, als vorne Unruhe entstand. Gackerndes Gelächter ertönte.
Als offensichtlich wurde, wer da lauthals lachte, machte sich Bestürzung breit. Es war Olivia Santini, die Frau des Verstorbenen.
Einer der Neffen kümmerte sich um sie und führte sie zur Seite. Ich sah, wie er ihr verstohlen eine harte Ohrfeige versetzte. Daraufhin verstummte sie.
»Demenz«, flüsterte jemand vor uns. »Es heißt, die Alte hat Alzheimer und ist total verwirrt.«
Phil grinste schon wieder. »Wenigstens die Show ist gut, findest du nicht?«
Mein Diensthandy vibrierte. Ich ließ mich zurückfallen und ging ran. Wenn Mr. High uns bei einer Beerdigung störte, musste es wichtig sein.
Aufmerksam hörte ich unserem Chef zu. »Verstanden, Sir. Wir sind schon unterwegs.«
Dann schloss ich wieder auf und wandte mich an Phil.
»Die Vorstellung ist vorüber, Partner«, informierte ich ihn. »Jetzt geht es an die echte Arbeit.«
Auf der Fahrt klärte ich Phil auf. Auf Staten Island war ein Anwalt in seinem eigenen Wohnhaus erschossen worden.
»Warum ist es ein Fall für uns?«, wollte Phil wissen.
»Die Kanzlei des Mannes steht seit einiger Zeit unter besonderer Beobachtung des FBI. Sie ist auf Offshore-Geschäfte spezialisiert. Du weißt, was das bedeutet …«
Phil nickte. Offshore Geschäfte waren eine halbseidene, aber ansatzweise legale Möglichkeit, Steuergelder am Fiskus vorbeizuschleusen. Der New Yorker Mob nutzte Briefkastenfirmen auf entlegenen Inseln besonders gern zur Geldwäsche.
»Mit Erfolg beobachtet?«, hakte mein Partner nach.
»Bislang nicht. Es haben sich keine Auffälligkeiten ergeben. Aber die Beobachtung läuft auch noch nicht sonderlich lange.«
»Es könnte sich also auch um einen ganz klassischen Mord aus Habgier handeln? Oder um ein Familiendrama?«
»Beides ist wohl eher auszuschließen. Irgendetwas stimmt mit der Tatwaffe nicht. Mister High hat sich bedeckt gehalten, um unser Urteil nicht im Vorfeld zu beeinflussen. Wir werden es ja gleich sehen.«
Es dauerte seine Zeit, bis wir die Hunt Lane auf dem Todt Hill erreichten. Den Jaguar parkte ich vor dem Haus. Er fiel in dieser Gegend nicht weiter auf, in den meisten Einfahrten standen teure und exotische Autos. Das hier war keine Wohngegend für den Mittelstand. Wer hierherzog, hatte es zu etwas gebracht.
Die Haustür stand offen, überall erledigten Cops ihre traurige Arbeit. Mehrere Wagen des NYPD parkten vor der Einfahrt, daneben zwei Krankenwagen und der dunkle Lincoln des Bestatters.
Die Nachbarn standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Das Entsetzen stand ihnen in die Gesichter geschrieben. In einer solchen Gegend war die Polizei nur selten zu Gast.
Eine Handvoll Cops war bereits damit beschäftigt, die Leute nach ihren Beobachtungen zu befragen. Eine große, stämmige Frau mit überraschend sanften Gesichtszügen entpuppte sich als die Chefin der Truppe.
»Detective Hannah Hunter«, stellte sie sich vor. »Schön, dass Sie da sind, Agent Cotton und Agent Decker. Wir können ein wenig Unterstützung vom FBI gut gebrauchen.«
Sie führte uns in das Arbeitszimmer des Ermordeten. Sofort stieg mir der metallische Geruch von Blut in die Nase.
Graham McCastle war am Fenster zusammengebrochen. Sein Körper war von Kugeln durchsiebt, er musste schnell gestorben sein. Auf dem Boden lagen die Scherben des Fensterglases verstreut.
Mit einem Blick aus dem zweiten Fenster überzeugte ich mich davon, dass etliche Kugeln in die Hauswand eingeschlagen waren. Der Killer musste wild drauflosgeballert haben. Das hier war nicht das Werk eines Scharfschützen.
Ich betrachtete das Opfer näher. Graham McCastle konnte nicht älter als vierzig Jahre alt gewesen sein, eher jünger. Sein Haar war noch sehr voll und von einem auffallend hellen Blond. Obwohl er sich in seinem eigenen Haus aufgehalten hatte, trug er einen korrekten Businessanzug. Sein Gesichtsausdruck war schmerzverzerrt, aber ich glaubte, auch einen Hauch Verwunderung darin zu lesen.
»Als hätte er seinen Mörder kommen sehen«, sprach Phil aus, was ich dachte.
Ich blickte mich im Arbeitszimmer um. Es war ordentlich aufgeräumt. Extrem ordentlich! Die Bücher standen wir Zinnsoldaten in den zwei Regalen. Es handelte sich ausschließlich um juristische Fachliteratur. Auf einem kleinen Tisch lagen drei Aktenordner, einer davon aufgeschlagen. Auf dem Schreibtisch daneben stand ein aufgeklappter Laptop. Parallel zur Tischkante, wie mir schien.
»Wie kann man nur so arbeiten?«, fragte Phil, dem die ungewöhnliche Ordnung ebenfalls auffiel. Ich verglich den Raum im Geiste mit unserem Büro und dem produktiven Chaos, das dort herrschte, wenn wir an einem Fall arbeiteten.
»Keine Ahnung, vielleicht muss man dazu Anwalt sein«, erwiderte ich, dann wandte ich mich an Detective Hunter: »Den Laptop und die Akten würden wir gern mitnehmen, sobald die Spurensicherung fertig ist.«
Sie nickte. »Dachte ich mir schon. Das wird allerdings noch ein paar Stunden dauern. Derzeit sichern sie das Gelände hinter den Beerenstauden, wo die Tatwaffe gefunden wurde.«
Ich blickte überrascht auf. »Der Mörder hat die Waffe zurückgelassen?«
Hunter deutete aus dem zweiten, unversehrten Fenster. Bei den Johannisbeersträuchern waren ihre Leute in weißen Schutzanzügen damit beschäftigt, Spuren einzusammeln. Die Kamera des Fotografen war unermüdlich im Einsatz.
Bevor wir uns auf den Weg nach draußen machten, streifte mein Blick noch einmal das Opfer.
Ich stutzte. Irgendetwas stimmte nicht, irgendetwas passte nicht recht ins Bild. Ich konnte jedoch nicht benennen, was es war. Also prägte ich mir den Tatort so gut wie möglich ein und bat Detective Hunter, uns umgehend die Bilder des Fotografen zu schicken.
Die Waffe lag im akkurat gemähten Gras, achtlos weggeworfen, nachdem die Tat begangen worden war.
Gleichzeitig mit Phil pfiff ich überrascht durch die Zähne.
»Eine Tommy Gun!«, rief Phil laut aus.
»Und in verdammt gutem Zustand«, pflichtete ich meinem Partner bei.
»Ich habe mal eine im National Museum of American History in Washington gesehen«, schaltete sich Detective Hannah Hunter ein. »Hätte nie geglaubt, dass ich jemals im Job mit einer zu tun bekomme!«
Die Waffe war weder schön noch sonderlich handlich. Und dennoch war sie etwas ganz Besonderes!
»Bonnie und Clyde hatten so eine«, sagte Hunter, und ihre Stimme klang fast ein wenig ehrfurchtsvoll.
Die Thompson Submachine Gun war eine geradezu legendäre Maschinenpistole. General John T. Thompson hatte sie bereits während des Ersten Weltkrieges entwickelt. Ihren Siegeszug trat sie im Chicago der Dreißigerjahre an. Eine solche Tommy Gun, auch Chicago Piano genannt, hatte der Ganove Machine Gun Kelly benutzt, als er 1933 vom FBI geschnappt worden war und den legendären Satz: »Nicht schießen, G-men, nicht schießen!« ausgerufen hatte. Bis heute nannten uns die altmodischen unter den Gangstern bei diesem Namen.
Später war die Waffe im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz gekommen und hatte lange der Army gedient. Das Kuriose war nur: Seit Jahrzehnten gab es sie nicht mehr. Sie war extrem selten, hatte fast ausschließlich im Museum überlebt. Wie kam eine solche Tommy Gun in den Garten von Graham McCastle?
»Fußspuren?«, wandte ich mich an Detective Hunter.
»Nicht hier auf dem Rasen. Es hat tagelang nicht geregnet.«
»Und in den Beeten, hinter den Sträuchern?«
»Nur die von Mrs. McCastle, ihrem Sohn und dem Gärtner.«
Phil kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Haben die Nachbarn die Schüsse nicht gehört? Diese alten Maschinenpistolen machen einen Heidenlärm.«
»Zwei Grundstücke weiter wurde zur Tatzeit wohl der Rasen gemäht. Zwar glauben einzelne Nachbarn, ein ungewöhnliches Rattern gehört zu haben, sie haben es aber auf einen Defekt am Rasenmäher geschoben. Niemand hat sich die Mühe gemacht, nachzusehen.«
»Und wahrscheinlich hat auch niemand nach einem Unbekannten Ausschau gehalten«, mutmaßte ich.
»Richtig, Agent Cotton. Die Befragungen laufen zwar noch, aber offenbar hat niemand eine verdächtige Person gesehen.«
Ich seufzte. Was hatte ich erwartet? Dass uns der Mörder auf dem Präsentierteller serviert wurde?
Der Garten war groß, eine hohe Hecke umgab den gesamten Bereich. Von der Straße aus führte ein schmaler, gepflasterter Weg direkt hinters Haus. Das Grundstück war weiträumig, der nächste Nachbar gut fünfzig Yards entfernt. Der Mörder hatte nur sein Auto direkt vor dem Gartenweg parken, sein blutiges Geschäft verrichten und wieder davonfahren müssen. Ob er absichtlich den Zeitpunkt gewählt hatte, als zwei Häuser weiter der Rasen gemäht wurde, oder ob ihm hier der Zufall in die Hände gespielt hatte, konnten wir nicht herausfinden. Fest stand allerdings, dass es sich um einen geplanten Mord handelte.
»Der Kerl muss das Gelände vorher ausgekundschaftet haben«, sagte ich zu Detective Hunter. »Fragen Sie die Nachbarn auch, ob ihnen in den vergangenen Tagen oder Wochen ein Unbekannter aufgefallen ist.«
»Natürlich, Agent Cotton. Einige Anwohner haben uns schon erzählt, dass Mister McCastle gelegentlich Klienten in seinem Haus empfangen hat. Sie können auch gern seine Frau und den Jungen befragen. Mrs. McCastle und ihr Sohn sitzen im Wohnzimmer und stehen unter ärztlicher Aufsicht. Wollen Sie jetzt mit ihnen sprechen?«
Ich hasste es, die Hinterbliebenen von Mordopfern mit Fragen quälen zu müssen. Aber natürlich blieb mir nichts anderes übrig.
Das Wohnzimmer der McCastles wirkte genauso ordentlich und steril wie der Arbeitsraum des Anwalts.