Jerry Cotton 3268 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3268 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Über hundert Menschen starben bei einem Anschlag auf ein New Yorker Wohnhaus, unter ihnen der Exil-Georgier Zamir Yushaev und seine Familie. Schnell wurde klar, der Kaukasus-Konflikt hatte sich in den Big Apple verlagert. Aber wer steckte dahinter? Infrage kamen: der russische Militär-Geheimdienst, das Kaukasus-Emirat und der Präsident der tschetschenischen Regierung höchstpersönlich. Da Zamir Yushaev als Informant mit dem FBI kooperiert hatte, wurden Phil und ich mit den Ermittlungen beauftragt. Zu uns stieß die CIA-Agentin Bonnie White, die vor wenigen Tagen aus der tschetschenischen Hauptstadt Grosny zurückgekehrt war. Konnte sie uns in dem undurchsichtigen Fall weiterhelfen?

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Spionin und ich

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: lunamarina«/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9268-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Spionin und ich

Harper blickte aus dem geöffneten Fenster des Dodge hinüber zu dem brennenden Wohnhaus.

Er gönnte sich ein paar Sekunden, um sich klarzumachen, dass er dieses fantastische Inferno entfesselt hatte. Die Schreie des Entsetzens, die der Wind herübertrug, die Rauchschwaden, die aus Fenstern und Türen ins Freie drängten, die lodernden Flammen, die über dem Dach aufstiegen wie geflügelte Engel der Vernichtung.

Zwei, drei brennende Menschen, die jetzt mit aufgerissenen Mündern über die Straße rannten. Auf den Dodge zu, ihre Gesichter glühend wie Holzscheite. Feuerzungen leckten darüber.

Kurz vor dem Dodge brachen sie in die Knie, krümmten sich, schreiend und wimmernd, auf dem Pflaster.

»Scheiße«, sagte Nick, der neben Harper auf dem Beifahrersitz hockte. »Lass uns endlich abhauen.«

Harper wollte gerade etwas erwidern, als mehrere Kugeln in seinen Kopf einschlugen. Er war auf der Stelle tot.

Another love before my time

made your heart so sad and blue,

And so my heart is paying now

for things I didn’t do …

Bonnie liebte diesen Song, aber der krächzende Lautsprecher ließ von der romantisierenden Wirkung nicht viel übrig.

Im Raum war es kalt und zugig. Die fahle Beleuchtung wetteiferte mit dem trüben Tageslicht draußen um die miesere Wirkung.

Es gab bessere Orte als diesen.

Man hatte Bonnie gesagt, die Heizung wäre jetzt okay und würde in wenigen Minuten ihren Dienst verrichten.

Der Raum mit den wurmstichigen Stühlen und Tischen war leer. Bonnie White blieb vorerst allein. Die große Scheibe, durch die man auf der Straße die Passanten im Schneegestöber schemenhaft vorbeihuschen sah, zierte ein wirres Muster aus Eisblumen. Die lustlose Bedienung, ein schlampiges, junges Mädchen mit ungepflegten Dreadlocks, hatte sich schon vor einiger Zeit in einen Raum hinter der Theke verzogen.

Das Endgame, ein mieses, trostloses Café im Süden der Bronx, stand kurz vor der Schließung. Bonnie White war zunächst der einzige Gast gewesen, was sie als ausgesprochenen Luxus empfunden hatte. Normalerweise bestand ihr Leben aus einer Aneinanderreihung nervenaufreibender Momente. Doch in dieser primitiven Umgebung hier hatte sie geglaubt, eine Art himmlischer Ruhe zu verspüren. Für kurze Zeit hatte sie sich der Illusion hingeben können, dass ihr Leben im Grunde genommen unkompliziert war.

Doch dann war plötzlich dieses stinkende Individuum aufgetaucht und hatte ihr eine Szene gemacht.

Bonnie White war keine Frau, die zu impulsiven Gefühlsäußerungen neigte. Sie fand Gefallen daran, die der anderen Menschen zu beobachten und daraus ihre Schlüsse zu ziehen.

So wie jetzt, da der neue Gast sich breitbeinig seitlich von ihr aufgebaut hatte. Um sie hasserfüllt anzustarren und in rumpelndem Englisch auf unflätigste Art und Weise zu beschimpfen. Dabei zitierte er in einer Tour irgendwelche Bibel- oder Koranzitate, die er mit allerlei Flüchen und Beleidigungen würzte. Das meiste davon verstand Bonnie nicht.

Der Auftritt amüsierte und nervte sie zugleich. Sie saß bewegungslos da, die Hände im Schoß verschränkt.

Bonnie hatte keinen Schimmer, wer der Kerl war. In Gedanken nannte sie ihn mysh. Es war das russische Wort für Maus. Dabei war sie sich nicht mal sicher, ob sie den Kerl für einen Russen oder Tschetschenen oder sonst wen halten sollte.

Aber mysh passte klanglich perfekt zu einer Person, die man beim besten Willen nicht ernst zu nehmen vermochte. Das spitze Gesicht mit den kleinen, stechenden Augen und dem struppigen Kinnbart wirkte bei aller Verbissenheit kauzig und kurios. Ein Eindruck, der durch die hohe, quäkende Stimme noch unterstützt wurde.

Die ärmliche Kleidung – schmuddelige Jeans und ein grob gestrickter, brauner Wollpullover über dem wabbeligen Bauch – ließ darauf schließen, dass die Maus nicht gerade aus den besten Verhältnissen stammte. Oder auch aus einem Land, in dem es einfach keine besten Verhältnisse gab.

Der Schluss, den Bonnie aus der keifenden Suada der Maus zog, war: Sie hatte es zweifellos mit einem Idioten zu tun, der über wenig Selbstkontrolle verfügte und jede Sekunde den Fehler begehen konnte, seinen Zeigefinger zu krümmen.

Bonnie war das, was man eine Waffennärrin nannte. Sie wusste, dass es sich bei der Pistole, die die Maus auf sie richtete, um eine Walther P38 handelte, wie sie im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht benutzt worden war. Das gute Stück musste bereits durch viele Hände gegangen sein und entsprechend viel Unheil angerichtet haben.

Bonnie legte keinen Wert darauf, dass ausgerechnet dieses vorsintflutliche Schießeisen ihrem Leben ein vorzeitiges Ende bereitete. Abgefeuert von einem lächerlichen, eifernden Fanatiker, dessen Motiv sie nicht einmal kannte.

Der Mann schwieg abrupt und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über den Mund. Es sah aus, als wäre ihm sein eigenes Gerede mit einem Mal zuwider.

Bonnie White betrachtete ihn mit kühler Neugier, ohne etwas zu sagen.

»Verdammt«, fauchte der Mann schließlich, »was ist los mit dir? Du bist stumm, ja?«

Er rollte das R. Überhaupt klangen seine Worte wie wild herumkollernde Steine.

Bonnie zuckte nur gleichmütig mit den Schultern.

»Ich werde dich töten«, sagte der Mann.

Hinter der Theke tauchte die Bedienung wieder auf. Mit geöffnetem Mund gaffte sie zu Bonnie und der Maus herüber. Sie machte keinerlei Anstalten, etwas zu unternehmen. Was Bonnie nicht wunderte. Ihrer Meinung nach versuchten die Menschen immer häufiger, sich aus allem rauszuhalten.

Außerdem, fand sie, hatte der Voyeurismus zugenommen. Viele liebten es dabei zuzuschauen, wie andere zu Schanden kamen. Ein kostenloses Vergnügen, so wie es früher die öffentlichen Hinrichtungen waren.

Was das Mädchen hinter der Theke betraf: Wenn es hier gleich zur Sache ginge, würde es besser den Kopf einziehen.

Während Bonnie diese Überlegungen anstellte, wurde die Maus immer ungeduldiger. Der Mann fletschte die Zähne und fuhr sich ständig mit der Zunge über die Lippen.

Bonnie schob ihren Stuhl vorsichtig zurück, sodass sie jetzt direkt vor dem Mann saß.

»Worauf warten Sie?«, fragte sie und lächelte begütigend.

»Was warten?«

»Sie wissen nicht, ob Sie mit dem Ding da losballern sollen?«

Er blinzelte verständnislos. Sein Englisch reichte nicht, um Bonnies Worte zu deuten.

»Sie haben echt Humor«, sagte das Mädchen hinter der Theke. »Der Kerl kann Sie jede Sekunde umbringen.«

Die Maus zuckte herum und richtete die Pistole auf das Mädchen.

»Schnauze, du Schlampe!«, herrschte er sie an.

Das Mädchen erstarrte, die Augen weiteten sich.

»Wie heißt du?«, fragte Bonnie.

»Scarlett«, stammelte das Mädchen.

»Schön, Scarlett. Besser, du hältst dich raus. Unser Freund hier meint es ernst.«

Die Hand mit der Pistole kehrte zu Bonnie zurück.

»Es ist wegen Erdil«, sagte die Maus unvermittelt. »Er ist mein Bruder.«

Der Zeigefinger am Abzugsbügel der Walther rührte sich kaum merklich.

Bonnie war klar, dass der Kerl kein Profi war. Er war viel zu aufgeregt, hatte keinen Überblick. Und er war unschlüssig, hatte unüberlegt gehandelt.

Bisher hatte Bonnie gewartet. Darauf, dass er verriet, wer er war und was er wollte.

Bonnie wusste es jetzt. Es empfahl sich nicht, die Maus noch länger hinzuhalten. Jede Sekunde konnte sich ein Schuss aus der Walther lösen.

»Hey, Scarlett«, sagte Bonnie und winkte zu dem Mädchen hinter der Theke rüber.

Für einen winzigen Moment war die Maus irritiert.

Es war der Moment, in dem Bonnie White im Schoß ihre Hände öffnete, in denen die kleine Glock Slimline verdeckt gelegen hatte.

Die Maus sah nur noch das Mündungsfeuer aufblitzen.

Zwei Tage nach dem verheerenden Anschlag auf das Wohnhaus in der Bronx kehrten Phil und ich aus Quantico zurück. Wir hatten dort gemeinsam ein Seminar für die Rekruten der FBI-Akademie gegeben.

Morgens um acht Uhr empfing uns Mr. High am Schreibtisch in seinem Büro. Wir saßen ihm gegenüber. Wir wussten bereits, dass der Chef uns mit den Ermittlungen beauftragen wollte. Er hatte es uns als Erstes offenbart, nachdem Helen uns alle drei mit Kaffee versorgt hatte. Darüber hinaus waren wir noch einigermaßen ahnungslos.

»Beginnen wir mit den Fakten«, sagte Mr. High, »soweit sie bisher bekannt sind. Vor einem luxuriösen Wohnhaus in der Fordham Street ist am Montagmorgen eine Autobombe in einem LKW explodiert. Die Experten vermuten, dass es sich bei dem Sprengsatz um eine Mischung aus Aluminium-Pulver und Ammoniumnitrat handelte. Zwei Aufgänge des Hauses mit den dazugehörigen Wohnungen wurden zerstört. Es gab vierundsechzig Tote, darunter dreiundzwanzig Kinder, und hundertfünfzig Schwerverletzte. Betroffen waren auch Passanten, vorbeifahrende Wagen und Bewohner eines Nachbarhauses. Das alles sieht nach einem Terrorangriff aus. Unter den Opfern befindet sich ein Tschetschene namens Zamir Yushaev mit seiner Frau und den drei Töchtern. Und jetzt raten Sie mal, wer die Familie in dem Haus untergebracht hat!«

Phil und ich sahen uns kurz an.

»Wenn Sie so fragen, Chef«, erwiderte Phil, »handelt es sich vermutlich um das FBI.«

»So ist es«, bestätigte Mr. High. »Ich habe erst jetzt von Director Fuller erfahren, dass der FBI-Nachrichtendienst in Washington Yushaev die Wohnung beschafft hatte.«

»Warum haben die ihn in New York einquartiert?«, fragte Phil.

»Um ihn aus der Schusslinie zu bringen. Yushaev war von 2007 bis 2009 einer der Rebellen-Kommandeure im Krieg zwischen Russland und den Tschetschenen. Er kämpfte Seite an Seite mit dem islamistischen Rebellenführer und Terroristen Schamil Bassajew. In den letzten zwei Jahren arbeitete er aber als Informant für CIA und FBI. Sein Leben galt als extrem gefährdet. In Washington wimmelt es nur so von Spionen und Agenten. Jeder beobachtet jeden. Man hoffte, Yushaev würde in New York anonym bleiben. Er lebte hier unter dem Namen Reginald Parker. Es galt die höchste Geheimhaltungsstufe. Nicht mal ich wurde eingeweiht.«

Falls Mr. High dieser Umstand missfiel, zeigte er es nicht. Er wirkte ruhig und gefasst.

»Und nun sollen wir die Hintergründe des Anschlags aufklären«, fuhr er fort. »Weil wir uns im Big Apple am besten auskennen.«

Er beugte sich vor und faltete die Hände auf dem Tisch. Dabei musterte er Phil und mich eindringlich.

»Ihnen ist sicher klar, was in diesem Fall auf dem Spiel steht. Jeder noch so kleine Fehler bei den Ermittlungen könnte internationale Krisen auslösen. Der Kaukasus ist eines der gefährlichsten Krisengebiete der Welt«, erinnerte er uns.

»Ich kenne mich mit den Konflikten dort nur bedingt aus«, gestand ich ein. »Wie kommt es, dass jemand, der mit muslimischen Terroristen paktiert hat, die Seiten wechselt?«

Mr. High nickte verständnisvoll. »Die Verhältnisse in Tschetschenien sind in der Tat verwirrend. Yushaev wollte nie einen Gottesstaat in Tschetschenien. Er kämpfte zwar wie Schamil Bassajew für die Unabhängigkeit des Landes und gegen die russischen Besatzer. Aber er hoffte, dass aus Tschetschenien eine demokratische Republik werden würde. Weshalb er nach dem Krieg auch begann, sich gegen die Islamisten zu engagieren.«

»Wen betrafen denn die Informationen, mit denen Yushaev FBI und CIA versorgte?«, unterbrach Phil den Chef.

»Zunächst natürlich die islamistische Seite. Bassajew hatte sich damals mit dem IS verbündet. Er verfügte über weitreichende Verbindungen und Insider-Kenntnisse, was die islamistische Terrorszene in der Region anging. Sein Mitstreiter und Vertrauter Yushaev erhielt dadurch entsprechenden Einblicke.«

»Ich vermute, dass auch die russische Regierung nicht begeistert war über Yushaevs Auskunftsbereitschaft«, dachte ich laut.

»So ist es, Jerry«, bestätigte Mr. High. »Tschetschenien ist heute eine autonome Teilrepublik Russlands. Der Präsident, Arbi Umarow, gilt als loyaler Gefolgsmann der Russen. Er regiert das Land mit brutaler Härte, inklusive der Inhaftierung, Folter und Ermordung aller möglichen Personen, die ihm missliebig erscheinen. Dazu gehören politische Gegner, Homosexuelle, kritische Journalisten und natürlich die in den Untergrund gegangenen muslimischen Terroristen. Yushaevs Informationen boten gewiss Sprengstoff genug, um Umarows Regime und die russische Regierung weltweit zu diskreditieren und unter Druck zu setzen. Der Anschlag in der Bronx könnte ebenso gut ein Werk des russischen Militärgeheimdienstes GRU sein wie das tschetschenischer Agenten.«

»Die muslimischen Terroristen nicht zu vergessen«, ergänzte Phil.

»Deren wichtigste Organisation nennt sich Kaukasus-Emirat«, nahm der Chef Phils Gedanken auf. »Director Fuller hält es für wahrscheinlich, dass deren Geheimdienst den Anschlag verübt hat. Aus Rache dafür, dass Zamir Yushaev sich gegen die radikalen Fundamentalisten wandte, um mit den Amerikanern gemeinsame Sache zu machen.«

»Du meine Güte«, stöhnte Phil, »dann haben wir es ja bloß mit drei Geheimdiensten zu tun. Wo fangen wir da bloß an?«

Mr. High zeigte so etwas wie den Ansatz eines Lächelns.

»Für den Einstieg ist gesorgt, Phil.«

Er telefonierte kurz mit dem Vorzimmer. Keine Minute später öffnete sich die Tür, und Helen führte eine große, schlanke Frau herein. Ich schätzte sie auf Ende zwanzig. Ihre blonden Haare waren im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trug einen pelzgefütterten, olivgrünen Ledermantel und hochgeschnürte, dunkelbraune Stiefel mit flachen Absätzen. Ihre rechte Hand hatte sie lässig auf die Hüfte gestemmt, in der linken hielt sie eine kleine, schwarze Lacktasche.

Im blassen, fein gezeichneten Gesicht mit den hochstehenden Wangenknochen wirkten die dunkelrot geschminkten, vollen Lippen wie ein mysteriöser Hinweis.

Jeder Mensch verfügte über ein Mienenspiel, das immer dann zum Einsatz kam, wenn gerade nichts Besonderes anlag. Es verriet viel über die Grundzüge des Charakters. Hinter der gleichmütigen Reserviertheit dieser Frau las ich so etwas wie die Spannung eines Panthers, bevor er zum Sprung ansetzt.

»Darf ich vorstellen?«, fragte Mr. High. »Das ist Agent Bonnie White von der CIA. Sie ist vor einer Woche aus der tschetschenischen Hauptstadt Grosny in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt.«

»Zufall?«, fragte ich spontan.

Miss White lächelte so angestrengt, als sollte sie für eine zwar gesunde, aber übelschmeckende Zahnpasta werben.

»Ja«, erwiderte sie mit sarkastischem Unterton, »so was soll es ja bekanntlich geben. Meinetwegen können Sie es aber auch göttliche Fügung nennen. Meine Vorgesetzten in Langley hatten Sehnsucht nach mir.«

Zwei Dinge standen somit fest. Erstens, dass Bonnie White wusste, wie man sich einen eindrucksvollen Auftritt verschaffte. Und zweitens, dass sie nicht auf den Mund gefallen war.

Sie kam zum Schreibtisch herüber. Phil und ich erhoben uns artig und stellten uns Miss White vor. Ihr Händedruck war energisch.

Ohne abzuwarten, dass man ihr einen Platz anbot, schob sie einen Stuhl zwischen Phil und mich und ließ sich darauf nieder. Ich registrierte, dass sie eine Vorliebe für Noir, ein ziemlich teures Parfüm von Chanel, hatte. Es verlieh ihr eine Aura verschwiegener Sinnlichkeit.

Agent White faltete ihre makellos gepflegten Hände im Schoß über der schwarzen Lacktasche.

Mr. High lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nickte Miss White aufmunternd zu.

»Wie wär’s mit einem Kaffee?«, bot er an.

»Danke, Sir.«

»Danke ja oder danke nein?«

»Danke nein.« Diesmal war Miss Whites Lächeln ausgesprochen gewinnend. Sie sah zu mir und Phil hinüber, um sich anschließend wieder dem Chef zuzuwenden. »Haben Agent Cotton und Agent Decker bereits Kenntnis von meinem kleinen Missgeschick, Sir?«

Mr. High runzelte die Stirn. »Nein, vielleicht berichten Sie kurz davon.«

»Nun, ich wurde gestern in einem Café von einem Mann bedroht, der mir eine Pistole unter die Nase hielt und versicherte, dass er mich töten wolle.«

»Offensichtlich ging die Sache gut aus«, stellte Phil fest.

»Für mich schon, für ihn nicht. Ich hatte keine Wahl, ich musste ihn erschießen. Ich bedauere das sehr, denn jetzt habe ich natürlich Aufmerksamkeit erregt. Die Presse wird darüber berichten.«

»Solange ihr niemand mitteilt, dass Miss White bei der CIA ist, wird dieser Vorfall wohl nicht viel Staub aufwirbeln«, mutmaßte Mr. High.

»Weiß man, mit wem Sie es da zu tun hatten?«, fragte ich Miss White.

Sie schüttelte den Kopf. »Der Bursche hatte keine Papiere bei sich. Aber er behauptete, der Bruder von jemandem zu sein, mit dem ich in Verbindung stehe.«

»Um wer ist diese Person?«, erkundigte sich Phil.

»Edil Kurun, er arbeitet für den Geheimdienst einer radikal-islamischen Untergrundorganisation in Tschetschenien. Er hält sich derzeit unter dem polnischen Decknamen Jannik Barczok außerhalb von New York auf. Er hat ein Zimmer auf einer Farm gemietet. «

»Bei diesem Geheimdienst handelt es sich um das Kaukasus-Emirat, das ich Ihnen gegenüber bereits erwähnte«, klärte der Chef Phil und mich auf.

Phil pfiff leise durch die Zähne. »Sie kennen ja tolle Leute, Agent White.«

»Das ist mein Job, Agent Decker.« Sie zuckte gleichmütig mit den Schultern.

Phil gab sich mit der Antwort nicht zufrieden.

»Warum wollte dieser Bruder sie töten?«, hakte er nach.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«

»Weiß Kurun, dass Sie bei der CIA sind?«, wollte er weiter wissen.

Erneut deutete Miss White ein Lächeln an. Es sah aber nicht nett aus, eher belanglos.

»Ja«, antwortete sie dann. »Aber er weiß nicht, dass ich das weiß.«

»Soll das heißen, er spielt Ihnen vor, Sie für eine ganz normale Frau zu halten …«

»… mit der er zufällig eine sexuelle Affäre hat«, ergänzte Miss White gleichmütig. »Ich habe ihm erzählt, dass ich für ein Reiseunternehmen arbeite, das Touristen nach Grosny locken soll.«

»Was verspricht er sich von der Beziehung mit Ihnen?«

»Ich vermute, er hofft mich auf seine Seite zu ziehen. Irgendwann wird er glauben, es geschafft zu haben. Und dann wird er für mich zu einer erstklassigen Quelle.«

»Ist er so überzeugt von seiner Männlichkeit, dass er glaubt, Sie würden ihm verfallen?«

»Oh ja, Agent Decker, Männer haben ziemlich romantische Vorstellungen von Frauen. Und genau deshalb sind sie uns Frauen unterlegen.«

Phil seufzte schwermütig. »Und das erfahre ich erst jetzt.«

Mr. High machte bislang keinerlei Anstalten, sich in das Gespräch einzumischen. Offensichtlich wollte er, dass Phil und ich es allein schafften, uns mit Miss Whites eigenwilliger Persönlichkeit zu arrangieren.

Ich ruckelte etwas mit meinem Stuhl herum. Jetzt konnte ich geradewegs in ihre grün irisierenden Augen sehen.