Jerry Cotton 3270 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3270 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Eine brutale Motorradgang versetzte New York City in Angst und Schrecken. Die fünfköpfige Truppe hatte es auf Banken und Geldtransporter abgesehen und ging bei ihren Raubzügen äußerst professionell vor. Ihre Gesichter verbargen die Täter hinter grellroten Tüchern mit dem stilisierten Antlitz einer Schlange. Während wir fieberhaft nach der Bande fahndeten, veröffentlichte eine Online-Nachrichtenseite einen undeutlichen Schnappschuss, auf dem das Gesicht eines weiblichen Gang-Mitglieds zu erkennen war. Die Auswertung des Bildmaterials förderte Erstaunliches zutage: Bei der jungen Frau handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um Cara Rodríguez, die Tochter eines Kongressabgeordneten, die fünf Jahre zuvor während eines Kolumbien-Urlaubs entführt worden war. Weshalb tauchte sie nun als Mitglied einer brutalen Motorrad-Gang in New York auf?

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Jagd auf die "Rote Viper"

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Der Mandant«/ddp-images

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9270-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Jagd auf die »Rote Viper«

Lance Synder brauchte einen Moment, um zu merken, dass etwas nicht stimmte. Irgendwo auf der Höhe von Scarsdale waren ihm auf dem Beifahrersitz des Geldtransporters die Augen zugefallen. Ein absolutes Unding für den sechsunddreißigjährigen Security Guard! Ihre wertvolle Fracht erforderte ständige Wachsamkeit.

Jetzt setzte er sich kerzengerade auf und blickte verwundert durch die von Insekten verklebte Panzerglasscheibe. Das war nicht mehr die State Route 22, die sie auf direktem Wege nach White Plains befördern sollte. Sie fuhren auf einer mit Schlaglöchern übersäten Landstraße. Weit und breit war kein Haus zu sehen. Kein anderes Auto, keine Menschenseele. Und hinter ihnen im Frachtraum lagerten Goldbarren im Wert von fünf Millionen Dollar …

Ein Blick nach links, zu seinem Kollegen Guy Parker, verstärkte sein mieses Gefühl. Der neununddreißigjährige Schwarze hatte den Blick starr auf die vor ihm liegende Straße und den bleigrauen Himmel gerichtet. Seine Lippen bildeten einen dünnen, blutleeren Strich. Seine rechte Schläfe zuckte, als würde dahinter ein Kampf ausgefochten.

»Hey! Guy!« Lance Snyders Stimme tönte dumpf in der gepanzerten Fahrzeugkabine.

Keine Reaktion.

Wieder verschwamm die Umgebung vor seinen Augen. Einen kurzen Moment lang sah er Guy Parker doppelt, dann schoben sich die beiden Bilder wieder zusammen.

Nein, irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Das war kein normaler Müdigkeitsanfall!

Unwillkürlich wanderte sein Blick zu der Thermoskanne zu seinen Füßen.

»Verdammt, Guy …« Seine Rechte griff wie von selbst nach der Glock in seinem Hüfthalfter, fasste jedoch ins Leere.

Shit! Wie lange war er »weg« gewesen?

»Guy, was zur Hölle geht hier vor? Wo sind wir?«

»Eine halbe Meile westlich von Scarsdale. Sorry, Mann, ich habe keine Wahl.«

»Du hast keine …?« Das letzte Wort wurde ihm von den Lippen gerissen, als der Panzerwagen durch ein besonders tiefes Schlagloch holperte. Schlammiges Wasser spritzte vor ihnen in die Höhe und legte sich wie feiner Sprühregen auf die Windschutzscheibe.

Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, griff Guy Parker nach seinem Smartphone, das neben ihm in einer speziellen Halterung am Armaturenbrett angebracht war. Er tippte ein paar Mal darauf, dann drehte er es in die Richtung seines Partners.

Ein unscharfes Video flackerte über den handtellergroßen Screen. Mit ungläubig aufgerissenen Augen starrte Lance Snyder auf die Szene, die sich ihm bot. Die Kamera war auf eine durchgesessene weiße Ledercouch gerichtet, die in einem schlecht ausgeleuchteten Wohnzimmer stand.

Lance schluckte. Es dauerte einen kurzen Moment bis es »Klick« bei ihm machte, doch dann traf ihn die Erkenntnis mit der Wucht eines Faustschlags. Er selbst hatte schon Dutzende Male auf dieser Couch gesessen. Immer dann, wenn Guy ihn zum Footballschauen zu sich nach Hause eingeladen und seine Frau Eleonore ihre legendären Sloppy Joes mit Spezialwürze aus ihrer Heimat Alabama serviert hatte. Eleonore, die jetzt mit angstverzerrtem Gesicht in den Polstern kauerte, ihre beiden Kinder – die zwölfjährige Tabitha und den achtjährigen Michael – an sich gedrückt.

»Mein Gott …!«

Lance sah wieder zu seinem Partner, der noch immer keine Miene verzog. Lediglich eine einzelne Träne hatte sich aus seinem rechten Augenwinkel gelöst und wanderte schräg über seine Wange, wo sie eine feucht schimmernde Spur hinterließ.

Eine abrupte Bewegung lenkte Lance’ Aufmerksamkeit wieder auf den Monitor. Eine vierte Person war auf der Bildfläche erschienen. Wobei die Bezeichnung »Person« es nur unzureichend beschrieb. Es war eine Schauergestalt wie aus einem Horrorfilm. Anstelle eines Gesichts hatte der Mann eine grellrote Fratze mit schaurigen Zügen: denen einer zum Angriff bereiten, züngelnden Schlange.

Wie aus dem Nichts war die Gestalt im Zwielicht hinter der Couch aufgetaucht. In der Hand hielt der Unheimliche eine doppelläufige Shotgun, die er in diesem Moment anhob, sodass die beiden Läufe direkt auf den Hinterkopf der schluchzenden Frau zielten.

Eleonore schloss die Augen. Ihre Lippen bebten.

»Bitte! Behalten Sie mich. Aber lassen Sie die Kinder gehen …«, flehte sie.

Die Antwort, die aber eindeutig an den Zuschauer der schaurigen Szene gerichtet war, gab eine dumpfe, verzerrte Stimme aus dem Off.

»Du weißt, was du tun musst, Guy. Die ›Rote Viper‹ beobachtet dich!«

Damit brach das Video ab. Guy drehte den Screen wieder zu sich.

Im Augenwinkel sah Lance, dass sie sich dem dunklen, kreisrunden Loch einer Unterführung näherten, doch sein Blick blieb auf seinen Partner gerichtet.

»Wann hast du das bekommen?«, wollte er wissen.

Keine Antwort.

Mit regloser Miene hielt Guy weiter auf das schwarze Loch zu. Der Tunnel war kurz. Bereits nach wenigen Yards klaffte der Ausgang.

Guy steuerte den Transporter in der Mitte der Unterführung an und stoppte den Motor. Dann schloss er die Augen und lehnte sich zurück.

»Guy, was zum …?«

Ein röhrendes Geräusch lenkte Lance’ Aufmerksamkeit auf das Ende des Tunnels. Vor dem hellen, kreisrunden Hintergrund tauchte eine Silhouette auf – die einer schlanken, durchtrainierten Gestalt auf einem Motorrad! Sie hielt direkt vor dem Eingang an und betätigte den Gashebel. Wie das Grollen einer kampfbereiten Bestie röhrte der Motor im Leerlauf.

Lance schluckte. Wieder verschwamm die Umgebung vor seinen Augen. Er blinzelte, doch die Benommenheit blieb.

»Du … hast mir was in den Kaffee … getan.«

»Zu wenig. Leider …«, entgegnete Guy mit ehrlichem Bedauern. »Du bist zu früh aufgewacht ….«

Lance Parkers flackernder Blick blieb wie hypnotisiert auf dem unheimlichen Motorradfahrer kleben. Er bekam gar nicht mit, wie sein Partner mit spitzen Fingern nach seiner eigenen Glock griff, wie sich seine Faust um den Lauf schloss und er die Waffe nach oben riss.

Er merkte auch nicht, wie der Kolben Sekunden später mit einem widerlichen Geräusch auf seiner Schläfe explodierte.

Er sah nur noch, wie neben der Silhouette des ersten Motorradfahrers zwei weitere auftauchten. Wie sich alle drei von ihren Plätzen lösten, sich aufbäumten und knatternd auf den Transporter zu jagten.

Dann wurde es Nacht.

Fünf Tage später.

Wie eine Hand in einen Handschuh glitt der Jaguar in die einzige freie Parklücke, als wäre sie nur für ihn gemacht. Ohne auch nur einmal korrigieren zu müssen, schaltete ich den Motor aus. Manchmal hatte man eben Glück.

Natürlich hätte ich auch bis ganz an den Tatort heranfahren können, was uns eine Zeitersparnis von einer knappen Minute beschert hätte. So eilig hatten wir es aber nun auch wieder nicht. Das Schlimmste war bereits vorbei. Wir waren im Prinzip nur hier, um die Scherben aufzukehren.

Keine fünfzig Yards weiter flatterte das grellgelbe Absperrband, das die Kollegen vom NYPD in weitem Abstand um den Tatort gezogen hatten.

Jetzt, wo die Scheibenwischer des Jaguars nicht mehr arbeiteten, hinterließ der nasskalte Sprühregen einen milchigen Schleier auf der Windschutzscheibe. In Sekundenschnelle verschwammen die blauroten Lichter der Patrol Cars wie die Farben auf einem frischen, zu feucht gewordenen Wasserfarbengemälde. Es war noch früh am Morgen, und die erst kürzlich aufgegangene Sonne schien den Kampf gegen die bleierne Wolkendecke zu verlieren.

»Dann sehen wir uns die mal Bescherung mal an.« Phil seufzte und warf mir einen kurzen Blick zu

Synchron stiegen wir aus und gingen schnurstracks auf das Bankgebäude zu, in dem sich am frühen Morgen, kurz nach Schalteröffnung, eine Tragödie abgespielt hatte. Vor der Absperrung war ein Kollege noch immer damit beschäftigt, ein Dutzend Schaulustige zum Weitergehen zu bewegen. Zivile Pkw, die den Zugang blockierten, gab es keine. Der Verkehr war längst umgeleitet worden.

Der Überfall auf die Filiale der Chase Bank in Jackson Heights, nordwestlich von Queens, hatte sich vor etwas über einer Stunde ereignet. Nach ersten polizeilichen Informationen waren die Täter zu fünft gewesen. Sie waren auf Motorrädern der Marke Harley-Davidson gekommen und hatten schnell und effektiv zugeschlagen. Und ihre Gesichter unter den Motorradhelmen waren hinter roten Tüchern mit dem stilisierten Antlitz einer Schlange verborgen gewesen.

Vor allem das letzte Detail hatte uns aufhorchen lassen. Erst vor ein paar Tagen war es zu einem Überfall auf einen Geldtransporter gekommen. Um Druck auf den Fahrer auszuüben, hatten die Gangster dessen Frau und Kinder als Geisel genommen. Alle waren zum Glück wohlauf, was wohl auch daran lag, dass der Mann die Anweisungen der Bande bis ins Detail befolgt hatte.

Die Woche davor hatte es in Brooklyn einen Juwelier getroffen.

Die Täterbeschreibung, die die Zeugen in beiden Fällen abgegeben hatten, stimmte mit dieser hier haargenau überein.

Die »Rote Viper« nannte sich die offensichtlich gut organisierte Bande, die wie aus dem Nichts in unserer Stadt aufgetaucht war und mit keiner der uns bekannten Gangs in Verbindung zu stehen schien. Die virtuellen Drähte zu unseren Informanten und Mittelsmännern waren die letzten Tage heiß gelaufen, doch der entscheidende Tipp war bisher nicht dabei gewesen.

Ein heftiger Windstoß wehte uns eine mehrere Tage alte Titelseite der New York Post entgegen. Phil fing sie reaktionsschnell aus der Luft und hielt mir die Schlagzeile entgegen: DIE »ROTE VIPER« SCHLÄGT WIEDER ZU! Darunter war die Skizze einer roten Schlangenmaske abgebildet.

»Das nennt man Timing.« Ich lächelte schief.

»Oder ein Omen.«

»Dann hoffentlich kein Böses.«

Phil rümpfte die Nase und warf die Seite hinter sich, während wir die Absperrung erreichten.

Die Menge der Gaffer hatte sich etwas zerstreut. Wir mussten uns gegenüber dem wachhabenden Beamten nicht ausweisen. Man kannte uns beim NYPD. Der junge, etwas schlaksige Uniformierte war sogar so freundlich, das gelbe Band mit der Aufschrift POLICE LINE DO NOT CROSS anzuheben, sodass wir, leicht gebückt, darunter hindurchklettern konnten.

»Hier geht’s lang, Jungs. Dageblieben!«

Das letzte Wort war an einen jungen Mann in einem schwarzen Hoodie gerichtet, der sich in unserem Fahrwasser heimlich durch die Absperrung stehlen wollte. Murrend machte er kehrt.

Die Bank befand sich in einem flachen, zweistöckigen Gebäude, vor dem weitere Patrol Cars postiert waren. Einige der Beamten grüßten uns im Vorbeigehen.

Von außen war dem unscheinbaren Backsteingebäude nicht anzusehen, was sich kurz zuvor im Innern abgespielt hatte.

Wir traten durch die Doppelglastür und sahen uns um. In dem kleinen Schalterraum hielten sich noch immer mehrere Zeugen auf, die zum Teil noch von Uniformierten befragt, zum Teil schon von Seelsorgern betreut wurden. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich den großen, zerfaserten Blutfleck entdeckte, der in der Nähe des Eingangs wie ein riesiges Muttermal in den Teppichboden gesickert war.

Schnell wandte ich mich ab und richtete meine Aufmerksamkeit auf einen rothaarigen Zivilbeamten, den ich von früheren Begegnungen kannte. O’Sullivan. Peter, wenn mich nicht alles täuschte. Er stand neben einer kleinen Asiatin, die, wild gestikulierend, ihre Aussage zu Protokoll gab.

Nachdem wir uns ihr vorgestellt hatten, erfuhren wir, dass die zierliche, etwa vierzigjährige Frau Margaret Yang hieß und hier die Filialleiterin war. Laut ihrer Aussage hatten die Täter die Bank kurz nach Öffnung gestürmt. Den einzigen Security Guard hatten sie mit einer Pumpgun niedergeschossen. Er lebte, aber sein Zustand war kritisch. Fraglich, ob er durchkam. Eine Kundin hatten die Gangster kurzeitig als Geisel genommen.

Ab da war alles ganz schnell gegangen, was auch den allgemeinen Verhaltensvorschriften für Bankangestellte zu verdanken war. Diese besagten, dass bei einem Überfall keinerlei Widerstand zu leisten war. Vielmehr seien alle Forderungen der Räuber zu erfüllen und alles zu tun, damit diese die Bank so schnell wie möglich wieder verließen. Ein solches Vorgehen erschwerte zwar einen Zugriff durch die Polizeikräfte, erhöhte die Sicherheit aller Beteiligten jedoch enorm und verhinderte in der Regel ein Blutvergießen.

In diesem Fall waren die Täter mit vergleichsweise mageren achthunderttausend Dollar entkommen. Ein Klacks im Vergleich zu den millionenschweren Goldbarren, die sie erst vor fünf Tagen erbeutet hatten.

Die waren allerdings nicht so leicht zu verkaufen, sondern mussten erst umständlich eingeschmolzen und in eine neue Form gegossen werden. Vielleicht wurden sie dazu sogar außer Landes geschafft.

Im Moment interessierte mich aber vor allem der Verbleib der Frau, die die Gangster vorübergehend als Geisel genommen hatten, deshalb fragte ich Margaret Yang nach ihr. O’Sullivan antwortete an ihrer Stelle.

»Die Täter haben sie mit nach draußen gezerrt. Bis zu ihren Maschinen. Da haben sie sie dann freigelassen, bevor sie abgerauscht sind. Die Frau steht unter Schock und wurde zur ambulanten Untersuchung ins Queens Hospital Center gebracht.«

»Haben Sie den Namen parat?«

»Sabrina Aniston.« Diesmal kam die Antwort von Margaret Yang, die die Kundin offenbar kannte.

Ich notierte es mir, dann deutete ich auf eine der Überwachungskameras, die in den Ecken des Raumes platziert waren.

»Schicken Sie uns die Mitschnitte ins Büro«, bat ich. »Wir übernehmen ab hier.«

»Ist so gut wie erledigt«, meinte O’Sullivan und tippte sich an die Stirn.

Ich nickte zufrieden. Die Kollegen aus der Task Force würden das Material sichten. Ich dagegen wollte als Erstes mit Sabrina Aniston reden. Sie war den Gangstern am nächsten gekommen. Es war nur ein Strohhalm, an den ich mich klammerte, aber vielleicht hatte sie ja irgendetwas bemerkt, das uns weiterhalf.

Wir wollten gerade aufbrechen, als mein Handy vibrierte. Ein kurzer Blick genügte, um festzustellen, dass der Anruf aus dem Büro kam. Es war Steve Dillaggio, Kollege und als SAC Führungsmitglied der Task Force.

»Bewegt eure Hintern ins Office, und zwar schnell. Der Chef hat eine Krisensitzung anberaumt.«

Ich runzelte die Stirn. »Ist schon wieder Weltuntergang?«

»Nö, nur ein kleineres Erdbeben. Halt dich fest: Wir kennen die Identität eines der Täter.«

»Ernsthaft? Kannst du schon mehr sagen?«

»Kommt ins Büro! Aber eines verrate ich dir: Das schlägt jetzt schon hohe Wellen …«

Als wir den Besprechungsraum im dreiundzwanzigsten Stock des Javits Federal Building betraten, saß der Rest der Task Force bereits zusammen. Die Atmosphäre war angespannt.

Zeerookah, der wie immer aussah, als käme er geradewegs vom Laufsteg der New York Fashion Week, saß kerzengerade und mit verschränkten Armen auf der Kante einer schmalen Couch. Steve Dillaggio hatte sich rückwärts auf einen Stuhl gefläzt, die Arme lässig auf die Lehne gestützt. Joe Brandenburg zog es vor, zu stehen.

Unser IT-Experte Ben Bruckner war an einem kleinen Schreibtisch über ein Notebook gebeugt und schien unser Kommen gar nicht zu bemerken. Was ihn so sehr in Beschlag nahm, konnte ich von meinem Blickwinkel aus nicht erkennen, aber ich war mir sicher, es gleich zu erfahren.

Unser Chef, Mr. High stand neben ihm, die Stirn in tiefe Furchen gelegt. Der Rest seines Gesichts wirkte dagegen wie in Stein gemeißelt.

Ich kam mir vor wie ein Schauspieler, der bei einem ihm unbekannten Stück auf die Bühne geschubst wird. Alle anderen schienen mehr zu wissen als wir.

Helen, die mit uns ins Zimmer gekommen war, schenkte diskret Kaffee nach, bevor sie geräuschlos wie ein Geist nach draußen entschwebte.

Jetzt erst blickte Mr. High auf. »Damit wären wir vollzählig.«

Phil zog sich einen freien Stuhl heran, ich stand lieber.

Ben Bruckner hieb in die Tasten seines Keyboards. Zeitgleich erwachte der große Monitor auf der gegenüberliegenden Wand zu flackerndem Leben. Ein Standbild poppte auf. Oder war es nur ein Foto?

Das Motiv war jedenfalls eine junge Frau auf einem Motorrad, die in dieser Sekunde direkt in die Kamera blickte. So weit so unspektakulär. Es war ein winziges Detail, das mir eine Sekunde später den Atem raubte.

Bis zum Moment der Aufnahme war das Gesicht der Frau von einem grellroten Tuch verborgen gewesen, das sie jetzt mit spitzen Fingern bis unter den Rand des Motorradhelms zog. Das aufgedruckte Motiv darauf war nur bruchstückhaft zu erkennen, aber die Ausschnitte reichten, um zu erkennen, dass es den Kopf einer zum Angriff bereiten Schlange zeigte.

Mindestens ein Mitglied der »Roten Viper« war also weiblich. Immer noch keine Information, die mich sonderlich überrascht hätte. Das taten die Worte, die Ben Bruckner nun an uns richtete.

»Das Foto tauchte vor knapp einer Stunde auf der Hauptseite von The Hunt auf. Das ist eine Nachrichtenseite im Internet. Die Kernkompetenz dieser Seite sind reißerische Meldungen, oft verbunden mit plumper politischer Agitation.«

»Und woher stammt es?«

»Angeblich wurde es der Seite von einem Informanten zugespielt, der zufällig zum Zeitpunkt des Banküberfalls vor Ort war und genau im richtigen Moment auf den Auslöser gedrückt hat.«

»Zufällig, hm?«, meinte Phil skeptisch.

»Nun, das können wir momentan nicht bewerten«, nahm Ben den Ball auf. »Anders als die Behauptung bezüglich der Identität der jungen Frau. Demnach handelt es sich bei ihr um Cara Rodríguez …«

Der Name brachte irgendetwas in mir zum Klingen, aber hundertprozentig einordnen konnte ich ihn noch nicht.

Das Bild auf dem Monitor verschwand und wurde durch ein anderes ersetzt. Auch dieses zeigte eine Frau, vielleicht ein paar Jahre jünger. Der Kontrast zu dem vorherigen Bild hätte nicht größer sein können. Dieses war offenbar von einem professionellen Fotografen gemacht und perfekt ausgeleuchtet worden. Die junge Frau hatte sich für die Aufnahme zurechtgemacht, frisiert, geschminkt und lächelte charmant in die Kamera.

Und da traf mich die Erkenntnis.

»Cara Rodríguez, na klar! Ihr Vater ist Ricardo Rodríguez, der New Yorker Kongressabgeordnete. Wie lange ist ihre Entführung her? Vier Jahre?«

»Fünf«, korrigierte mich Mr. High. »Miss Rodríguez machte damals Tauchurlaub auf der Isla Fuerte, nahe des kolumbianischen Festlandes, als sie mitten in der Nacht von mehreren Bewaffneten aus einem Zelt verschleppt wurde. Kurz darauf tauchte ein Bekennerschreiben einer terroristischen Splittergruppe auf, mit Verbindungen zur sogenannten Nationalen Befreiungsarmee, kurz ELN.«

Ich nickte. Bei der Ejército de Liberación Nacional handelte es sich, ähnlich wie bei den Farc-Rebellen, um eine marxistisch orientierte Guerilla-Truppe, die in Kolumbien seit fünfzig Jahren neben der Ermordung von Amtsträgern immer wieder auch durch Entführungen ausländischer Touristen von sich reden machte.

»Wenn ich mich recht erinnere, gab es auch eine Lösegeldforderung.«

»Rodríguez wollte sogar zahlen, aber die Übergabe platzte«, erinnerte sich Phil.