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Es war mitten in der Nacht, als Diane Lenahan von einem Geräusch aus dem Schlaf gerissen wurde. Sie lauschte kurz, vernahm ein Knarren und war sich sicher, dass sich jemand im Haus befand. Diane weckte ihren Mann. Gene griff nach seiner Pistole, stand auf und ging zur Tür. In dem Moment flog diese auf ...
Am folgenden Tag entdeckte man das tote Ehepaar, der vierjährige Sohn Nicolas war spurlos verschwunden. Schnell fanden Phil und ich heraus, dass das Kind der Eheleute kein leibliches, sondern zwei Jahre zuvor aus Kolumbien adoptiert worden war. Ich hatte gleich so eine Ahnung, dass der Mord an dem Ehepaar mit der Adoption zusammenhing ...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Das Kartell der Skrupellosen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Tinnakorn jorruang/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9643-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das Kartell der Skrupellosen
Diane Lenahan schlug die Augen auf. Im Schlafzimmer war es finster. Angespannt lauschte sie, denn sie glaubte, im Haus ein Geräusch vernommen zu haben.
Sie war sich nicht sicher. Vielleicht hatte sie auch geträumt, möglicherweise hatte ihr das Unterbewusstsein etwas vorgegaukelt.
Jetzt hörte sie das Knarren wieder. Sie kannte es. Es waren die Holzstufen der Treppe zum Obergeschoss ihres Hauses.
Diane griff nach dem Arm ihres Mannes und rüttelte ihn.
»Was ist?«, fragte er schlaftrunken.
»Auf der Treppe ist jemand«, murmelte Diane.
»Unsinn«, brummte Gene Lenahan.
»Ich bin mir ganz sicher«, flüsterte Diane. »Nimm die Pistole, Gene. Das ist bestimmt …«
Die Tür flog krachend auf, dann holte der Lichtkegel einer Taschenlampe das Ehepaar aus der Dunkelheit. Aus dem klobigen Schalldämpfer einer Pistole züngelten Mündungsblitze …
Vier Mal feuerte der Eindringling. Die Schüsse hörten sich an, als würde man den Korken aus einer Champagnerflasche ziehen.
Diane Lenahan, die sich aufgesetzt hatte, wurde getroffen und ins Kissen zurückgeworfen. Gene Lenahan bäumte sich auf, röchelte und starb.
Der Geruch von verbranntem Pulver breitete sich im Schlafzimmer aus.
»Okay, wir holen den Jungen und verschwinden«, sagte eine leise Stimme.
Die Tür wurde zugedrückt und der Lichtstrahl der Taschenlampe auf die nächste Tür gerichtet. Einer der beiden Eindringlinge – beide trugen schwarze Sturmmasken und dünne Handschuhe – öffnete diese Tür und leuchtete in den Raum. Es war tatsächlich das Kinderzimmer. Ein kleiner Junge schlummerte friedlich in seinem Bett.
»Das ist er«, knurrte einer der Maskierten. »Hol ihn.«
»Und wenn er schreit?«
»Dann halt ihm einfach den Mund zu.«
Der andere glitt in den Raum, griff nach dem Jungen und hob ihn aus dem Bett.
Das Kind schlug die Augen auf und sah im Schein der Taschenlampe den fremden Mann.
»Ganz ruhig, mein Kleiner«, raunte der Maskierte. »Wir bringen dich zu deinem Grandpa.«
»Zu Opa Gregory?«, fragte der Kleine schlaftrunken.
»Ja, zu Opa Gregory.«
Der Maskierte hob den Jungen auf seinen Arm, das Kind sank gegen seine Schulter und schlief wieder ein.
Ich las den Bericht der Mordkommission aufmerksam durch. Ein fünfunddreißigjähriger Mann namens Gene Lenahan und seine Gattin Diane, zweiunddreißig Jahre alt, waren in der Nacht von Freitag auf Samstag in ihrem Haus ermordet worden. Der vierjährige Sohn der beiden, Nicolas, war spurlos verschwunden.
Die Spurensicherung hatte keine Hinweise auf den oder die Täter ergeben. Lediglich die Kugeln, die das Ehepaar getötet hatten, befanden sich in der Ballistik. Eine Analyse lag noch nicht vor.
Phil, der eine Kopie des Berichts vor sich liegen hatte, riss den Blick davon los und schaute mich an.
»Das ist nicht viel, was wir da haben«, stellte er fest. »Zwei Ermordete und ein verschwundenes Kind sowie vier Kugeln. In der Wohnung wurden Bargeld, Kreditkarten und Schmuck gefunden. Es handelte sich also nicht um einen Raubüberfall. Wo sollen wir in diesem Fall ansetzen?«
»Tja, diese Frage stelle ich mir auch«, gestand ich. »Was hältst du davon, wenn wir die Nachbarn befragen?«
»Genau das hätte ich auch vorgeschlagen«, erklärte mein Freund und Partner.
Die Adresse des ermordeten Ehepaares lautete 65 Bergen Street, wir mussten also hinüber nach Brooklyn. Es handelte sich um ein schönes Einfamilienhaus mit verspielten Erkern, einer großen Veranda und einem Vorgarten, der nicht eingezäunt war. Eine breite, mit Betonplatten ausgelegte Einfahrt führte zu einer Doppelgarage, die an das Wohngebäude angebaut war. Wer hier lebte, war gewiss nicht arm.
Ich fand eine Parklücke und manövrierte den Jaguar hinein. Wir stiegen aus, und ich lies den Blick die Straße hinauf- und hinunterschweifen. Die Bergen Street war eine ruhige und auch sehr schöne Wohnstraße.
»Fangen wir dort an«, meinte Phil und wies auf ein in den Farben Weiß und Grün gehaltenes Haus. Ein gepflasterter Weg führte zur Haustür.
Selbst auf die Entfernung hin konnte ich das Siegel des NYPD an der Tür des Gebäudes, in dem die beiden Morde begangen worden waren, erkennen. Das würde auch so bleiben, bis die Ermittlungen abgeschlossen waren.
Phil läutete an der Haustür des Nachbarhauses. Es dauerte nicht lange, dann tönte eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage.
»Was kann ich für Sie tun?«, schnarrte sie.
Ich bückte mich ein wenig, denn die Gegensprechanlage befand sich in Hüfthöhe.
»Mein Name ist Cotton«, sagte ich und fügte erklärend hinzu: »Ich bin Special Agent des FBI. Bei mir ist mein Kollege Decker. Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
»Augenblick«, sagte die Lady, und dann ertönte ein Knacken aus dem Lautsprecher.
Im nächsten Moment wurde die Tür aufgezogen. Eine mittelgroße, zierliche Frau um die fünfzig stand vor uns und musterte uns abwechselnd
»Es geht um die Morde von nebenan, nicht wahr?«, fragte sie.
Ich nickte. »Sehr richtig, Ma’m. Ich nehme an, man hat Sie bereits befragt. Aber nun wurde der Fall an das FBI abgegeben, und wir stellen unsere Fragen gerne selbst.«
»Man hat uns gleich an dem Morgen, an dem man die Leichen gefunden hat, befragt«, gab die Frau zu verstehen. »Was heißt ›befragt‹? Man wollte lediglich von uns wissen, ob wir was gehört oder gesehen hätten.«
»Und? Haben Sie?«, hakte Phil nach.
Die Lady schüttelte den Kopf. »Nein.«
Das war kurz und bündig.
»Haben Sie hin und wieder mal mit dem Ehepaar Lenahan gesprochen?«, fragte ich. »Schließlich wohnen Sie doch in der unmittelbaren Nachbarschaft.«
»Natürlich haben wir miteinander gesprochen.« Plötzlich fasste sie uns schärfer ins Auge. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen einfach so Rede und Antwort stehen soll. Sie haben sich nicht mal ausgewiesen.«
»Oh, entschuldigen Sie«, beeilte ich mich zu sagen, zückte das Etui mit dem Ausweis und hielt ihn ihr hin.
Die Frau warf einen etwas längeren Blick darauf und bedankte sich schließlich.
»Es ist tragisch«, sagte sie danach bedauernd. »Die Lenahans waren prima Leute: freundlich, hilfsbereit und großzügig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie irgendwelche Feinde hatten. Vielleicht wollte man sie berauben, und die Täter wurden gestört.«
»Wohl kaum«, entgegnete ich. »Wenn die Täter gestört worden wären, hätten sie sicher nicht das Kind mitgenommen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Eigentlich haben Sie die Frage, die ich als nächstes stellen wollte, schon beantwortet.«
Die Lady fixierte mich verständnislos.
»Ich wollte fragen, ob die Lenahans Feinde hatten oder bedroht worden sind.«
»Mir ist nichts bekannt. Wenn es so wäre, hätte Diane auf jeden Fall mit mir darüber gesprochen. Wir haben öfter mal bei einer Tasse Kaffee zusammengesessen.« In ihren Augen blitzte es auf. »Will man etwa mit Nicolas ein Lösegeld erpressen?«
»Seine Eltern sind tot«, versetzte Phil. »An wen sonst könnte sich eine Lösegeldforderung richten?«
»An Gregory McFadden vielleicht«, antwortete die Frau. »Er ist Dianes Vater. Allerdings lebt er in Albuquerque, New Mexiko.« Sie starrte versonnen auf einen unbestimmten Punkt. »Andererseits … McFadden ist ja eigentlich gar nicht der Großvater des Jungen …«, murmelte sie dann.
Ich legte die Stirn in Falten. »Wenn er der Vater der Mutter ist, dann ist er auch der Großvater«, sagte ich.
»Nicolas ist nicht das leibliche Kind von Diane und Gene. Sie haben ihn vor etwa zwei Jahren adoptiert. Er ist aus einem Waisenhaus in Bogotá gekommen.«
Ich staunte nicht schlecht, und der Blick, den Phil mir zuwarf, verriet, dass es meinem Partner ebenso erging.
»Wenn das so ist, dann muss es doch auch irgendwelche Adoptionspapiere geben«, konstatierte ich schließlich. »Man kann sich doch nicht einfach in Bogotá ein Kind aus einem Waisenhaus holen und es mit in die Staaten nehmen. So einer Adoption geht doch eine Menge Papierkrieg voraus. Es gibt staatliche Stellen, über die sie abzuwickeln ist.«
»Natürlich. Die Sache ist über einen Rechtsanwalt namens Lambert gelaufen. Diane und Gene haben zwar nicht allzu viel über die Angelegenheit geredet, aber der Name des Anwalts ist einige Male erwähnt worden. Ich erinnere mich, dass sie das Kind auch nicht selbst in Kolumbien abgeholt haben. Es wurde ihnen gebracht.«
Die Stimme der Frau sank etwas herab und nahm einen verschwörerischen Unterton an.
»Einige Zeit wurden in der Nachbarschaft Vermutungen dahingehend angestellt, dass es bei der Adoption nicht mit rechten Dingen zugegangen sein soll«, erzählte sie. »Aber die Gerüchteküche hörte schnell wieder zu brodeln auf, weil es im Endeffekt keinen wirklich interessierte, wie die Lenahans zu dem Kind gekommen sind. Sie waren glücklich, und jedem war klar, dass der Junge es gut haben würde bei ihnen.«
»Wie sagten Sie, heißt der Rechtsanwalt?«, hakte ich noch einmal nach.
»Lambert. Seinen Vornamen weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass Diane einmal erwähnt hat, dass er in New York ansässig ist.«
Ich bedankte mich bei der Frau und erklärte ihr, dass sie uns sehr geholfen habe. Dann verabschiedeten wir uns.
Wir befragten auch den anderen Nachbarn. Es handelte sich um einen älteren Mann, der bereits im Ruhestand war. Er gab zu verstehen, dass er nur wenig Kontakt mit den Lenahans gehabt hatte, dass er aber von der Adoption und den Gerüchten gehört habe, die einige Zeit im Umlauf gewesen waren.
»Ist es nicht seltsam, dass die Akte, die wir vom NYPD erhalten haben, keinen Hinweis auf die Adoption des Jungen enthält?«, fragte Phil, als wir wieder auf dem Weg nach Manhattan waren.
»Die Kollegen haben allenfalls ein paar Befragungen durchgeführt«, antwortete ich. »Von Ermittlungsarbeit kann kaum die Rede sein. Außerdem kann ich mir denken, dass sich die Nachbarn nach dem Mord in einer Art Schockstarre befunden haben. Sie haben sicherlich nur Fragen beantwortet, und eine Frage über die Adoption war bestimmt nicht dabei.«
»Wohl kaum«, pflichtete Phil mir bei. »Wer soll schon auf eine solche Idee kommen? Wäre nicht die Sprache auf den Vater der Ermordeten gekommen, hätten wir wahrscheinlich auch nicht erfahren, dass der Kleine aus Kolumbien stammt und im Rahmen einer Adoption nach Amerika kam.«
»Einer Adoption, bei der es möglicherweise nicht mit rechten Dingen zugegangen ist«, verlieh ich meinem Verdacht Ausdruck.
»Wir sollten, sobald wir im Field Office sind, mit dem Vater der Ermordeten Kontakt aufnehmen«, schlug Phil vor. »Vielleicht kann der uns mehr zu der Adoption sagen.«
»Vor allem sollten wir mit diesem Rechtsanwalt in Verbindung treten. Wenn die Adoption über ihn gelaufen ist, kann er uns sicher auch entsprechende Dokumente vorlegen.«
Wir benutzten die Brooklyn Bridge, um wieder nach Manhattan zu gelangen. Nachdem wir die Abfahrt von der Brücke genommen hatten, war es nur noch ein Katzensprung zum Javits Federal Office Building.
Von der Tiefgarage aus fuhren wir mit dem Aufzug hinauf in die dreiundzwanzigste Etage und suchten dort unser gemeinsames Büro auf. Ich sagte Helen telefonisch Bescheid, dass wir wieder zurück waren, dann setzten wir uns an die Computer. Während ich nach Rechtsanwalt Lambert suchte, war es Phils Aufgabe, Gregory McFaddens Telefonnummer herauszufinden.
Ich fand einen Rechtsanwalt Lambert, sein Vorname war Chuck. Seine Kanzlei befand sich auf der East Side, 86th Street. Ich notierte mir die Anschrift und auch die Telefonnummer des Juristen.
»Da haben wir ihn ja«, stieß Phil hervor. »Gregory McFadden. Ich glaube, ich rufe ihn gleich mal an.«
»Meinst du nicht, dass er sich vielleicht in New York aufhält, nachdem seine Tochter und sein Schwiegersohn ermordet wurden?«, gab ich zu bedenken.
»Das ist natürlich nicht auszuschließen«, gab Phil zu. »Aber versuchen kann ich es ja.« Er grinste. »Der Versuch kostet nichts.«
»Und ich werde Rechtsanwalt Lambert anrufen«, beschloss ich.
Wir griffen gleichzeitig zum Telefon. Ich tippte die Zahlenreihe, die ich notiert hatte, und stellte eine Verbindung her. Zweimal erklang das Rufzeichen.
»Rechtsanwaltskanzlei Lambert, Sie sprechen mit Jessica Lambert«, meldete sich dann eine sachliche Frauenstimme. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Ich stellte mich vor.
»Ist es Zufall, dass Sie Lambert heißen, Ma’m, oder sind Sie mit Chuck Lambert verwandt?«, wollte ich dann wissen.
»Ich bin seine Frau«, antwortete sie lachend. »Und gleichzeitig bin ich seine Sekretärin. So bleibt mein Verdienst in der Familie.«
Jessica Lambert schien eine humorvolle Lady zu sein.
»Aha«, sagte ich. »Ich denke, das ist nicht die schlechteste Lösung. Ich hätte gerne mit Ihrem Gatten gesprochen, Mrs. Lambert.«
»Würden Sie mir verraten, worum es geht?«, erkundigte sie sich.
Sicher war es ihr Job, Anrufer abzuwimmeln, wenn ihr der Anruf nicht wichtig genug erschien.
»Es geht um die Adoption eines Kindes aus Kolumbien. Bei den Adoptiveltern handelt es sich um Gene und Diane Lenahan, das Kind hat den Namen Nicolas. Die Adoption erfolgte vor etwa zwei Jahren und soll über die Kanzlei Ihres Mannes gelaufen sein.«
Mrs. Lambert schien sich nicht sicher zu sein, ob die Sache wichtig genug war, um ihren Gatten damit zu behelligen, denn sie schwieg einen Augenblick.
»Einen Moment, Agent, ich verbinde Sie mit meinem Mann«, verkündete sie schließlich.
»Vielen Dank«, sagte ich, aber das hörte sie wahrscheinlich schon gar nicht mehr.
»Lambert«, ertönte eine sonore Stimme, kaum dass der letzte Buchstabe über meine Lippen war. »Was kann ich für Sie tun?«
»Cotton, FBI New York. Guten Tag, Mister Lambert.« Ich hörte ihn ebenfalls einen Gruß murmeln. Dann erklärte ich ihm den Grund meines Anrufs.
»Ich erinnere mich, Agent«, sagte er, als ich geendet hatte. »Ja, das Kind habe ich persönlich in Bogotá abgeholt und es den Eheleuten gebracht. Die Eltern des Jungen waren kurz nach seiner Geburt gestorben. Er hat bis zu seiner Adoption anderthalb Jahre in dem Waisenhaus verbracht. Wieso interessiert sich das FBI für den Fall?«
»Das Ehepaar Lambert ist in der Nacht von Freitag auf Samstag in seinem Haus ermordet worden. Der kleine Junge, sein Name ist Nicolas, wurde gekidnappt.«
Ich hörte Lambert regelrecht nach Luft schnappen. Und es schien eine ganze Zeit zu dauern, bis er Fassungslosigkeit und Betroffenheit überwunden hatte und seine Sprache wiederfand.
»Ermordet …«, keuchte er, »… das Kind entführt? Gütiger Gott! Das – das ist ja furchtbar.«
»Ja, furchtbar dürfte ein passender Ausdruck sein, Mister Lambert«, pflichtete ich ihm bei. »Eine Nachbarin der Lenahans hat uns erzählt, dass damals die wildesten Vermutungen angestellt worden sind, als bei den Lenahans plötzlich ein adoptiertes Kind einzog. Man hat gemunkelt, dass es bei der Adoption nicht mit rechten Dingen zugegangen wäre.«
»Es hatte alles seine Ordnung«, erklärte der Rechtsanwalt mit Nachdruck. Er schien zu seiner sachlichen und nüchternen Fassung zurückgefunden zu haben. »Adoptionen aus Kolumbien laufen über das ›Instituto Colombiano de Bienestar Familiar‹ in Bogotá. Auch die Adoption des kleinen Nicolas vor zwei Jahren ist über diese Institution abgewickelt worden. Ich besitze die Dokumente, die die Rechtmäßigkeit der Adoption beweisen.«
»Diese Dokumente würde ich gerne einsehen«, äußerte ich mein Anliegen. »Vielleicht sind Sie so nett und fertigen mir von den Adoptionspapieren Kopien an.«
»Glauben Sie denn, dass die Ermordung des Ehepaares etwas mit der Adoption zu tun hat?«, fragte der Anwalt.
»Wir wissen es nicht, aber wir schließen es nicht aus«, antwortete ich. »Wann können wir bei Ihnen vorbeikommen, Mister Lambert, um die Adoptionsakte einzusehen und die Kopien abzuholen?«
»Meinetwegen heute noch. Es ist jetzt vierzehn Uhr dreißig. Ich schließe um siebzehn Uhr. Sie können es also noch schaffen.«
»Sehr gut«, sagte ich. »Wir fahren sofort los.«
»Ich erwarte Sie, Special Agent.«
Ich beendete das Gespräch und legte auf.
»Du scheinst mal wieder recht gehabt zu haben«, knurrte Phil. »Der gute Mister McFadden scheint tatsächlich nicht zu Hause zu sein.«
»Wir werden bei der Staatsanwaltschaft anfragen, wann die beiden Leichen zur Beerdigung freigegeben werden«, sagte ich. »Bei der Bestattung treffen wir Mister McFadden mit hundertprozentiger Sicherheit.«
Wir verloren keine Zeit. Der Verkehr in Manhattan war wie immer kolossal. Anfahren, bremsen, anfahren … Bei der 14th Street verließen wir den Broadway und fuhren hinüber zur Second Avenue, der wir nach Norden bis zur 86th folgten.
Es dauerte seine Zeit. Schließlich aber erreichen wir Yorkville, den Stadtteil auf der Upper East Side Manhattans. Ich steuerte den Jaguar in die 86th Street und parkte ihn zwischen einem grauen Toyota und einem Müllcontainer, der am Straßenrand stand.
Lamberts Kanzlei befand sich in der vierten Etage eines Hochhauses, über das in der Eingangshalle ein Doorman die Aufsicht führte. Es handelte sich um einen schwergewichtigen Afroamerikaner mit grauen Haaren und einem gemütlichen Bulldoggengesicht. Wir zeigten ihm unsere ID Cards und verrieten ihm, zu wem wir wollten.
Er rief den Rechtsanwalt an und informierte ihn. Wahrscheinlich erhielt er von Lambert grünes Licht, denn er machte eine einladende Handbewegung, nachdem er das Telefon in die Ladestation zurückgestellt hatte.
»Bitte, Gentlemen, Sie dürfen passieren«, sagte er grinsend. »Nehmen Sie den Aufzug. Vierte Etage. Mister Lambert erwartet Sie.«
Wir bedankten uns, und gleich darauf trug uns der Fahrstuhl nach oben.