Jerry Cotton 3291 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3291 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Hannah Robinson, Professorin für Neurowissenschaften an der New York University, wurde tot in ihrem Labor aufgefunden. Brisant: Ihre Forschungsergebnisse zu umstrittenen Hirnimplantaten waren unauffindbar. Zusammen mit Iris McLane, unserer Profilerin, ermittelte ich in alle Richtungen - ohne Ergebnis. Doch dann stieß die FBI-Psychologin auf eine grausige Spur. Denn als Iris in einem anderen Fall zwei besonders bestialische Morde begutachtete, drängte sich ihr der Verdacht auf, dass jemand den Tätern, zwei ansonsten unbescholtenen Bürgern, einen Chip implantiert hatte, der sie zu mitleidlosen Tötungsmaschinen mutieren ließ!

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Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Zombie-Chip

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Stokkete / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9959-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Zombie-Chip

Prof. Hannah Robinson entfernte vorsichtig die Schädelplatte und legte sie auf den Tisch. Dann setzte sie am präfrontalen Kortex an, machte einen tiefen Schnitt mit dem Skalpell. Nun kam der schwierige Teil. Vorsichtig nahm sie den Chip mit einer Pinzette auf, führte mit der anderen Hand einen Spatel und öffnete damit den Schnitt so weit wie möglich, ohne dass sie die umliegende Hirnmasse verletzte. Anschließend schob sie den Chip vorsichtig hinein. Sie hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich nicht um. Nur ausgesuchtes Personal hatte Zugang zum sterilen Bereich, es musste einer ihrer Assistenten sein. Sie spürte, wie sich jemand über sie beugte.

»Ich bin gleich so weit«, sagte sie durch den Mundschutz. »Nur noch die richtige Stelle am dorsalen Thalamus treffen, danach können wir mit den Versuchen beginnen.«

Sie hörte ein Geräusch, das sie kannte. Ein leises Sirren, sie spürte aber nicht einmal mehr, wie sich einer der medizinischen Bohrer in ihren Nacken bohrte und die Nerven im Rückgrat durchtrennte.

Sie war sofort tot.

Dr. Iris McLane trat in unser Büro, als wir gerade die Akte zu unserem aktuellen Fall schlossen. Ein Bauunternehmer, der illegale Einwanderer quer durchs Land zu seinen Baustellen geschickt und dabei in Kauf genommen hatte, dass zehn von ihnen qualvoll erstickt waren, weil ein Mitarbeiter den falschen Container ohne Lüftung erwischt hatte. Das Gericht hatte vor einer knappen Stunde auf Totschlag erkannt und den Unternehmer und drei seiner Angestellten zu jeweils zwölf Jahren Haft auf Rikers Island verurteilt.

»Heute nur erfreuliche Nachrichten«, sagte Phil, knallte den Aktenschrank zu und legte die Füße auf seinen Schreibtisch. »Wir müssen uns noch von den windigen Ausflüchten erholen, die der Anwalt dieses Kerls in seinem Schlussplädoyer meinte, anbringen zu müssen. Immer wieder erstaunlich, für was sich solch ein Krawattenträger hergibt.«

»Er tut, was er tun muss, um seinen Klienten zu schützen«, wandte ich ein und griff nach der Kaffeekanne.

Phil schnaufte angewidert. »Er tut es, weil er es bezahlt bekommt. Und seiner Krawatte nach zu urteilen, bezahlt man ihm deutlich mehr als uns.«

Ich wollte noch etwas Beschwichtigendes sagen, doch von Iris' Gesicht las ich ab, dass es Wichtigeres gab. Sie setzte sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und hielt ein Magazin hoch, auf dessen Titelseite das Foto einer Frau in einem weißen Kittel prangte.

»Wer ist das?«, fragte ich.

»Professor Hannah Robinson«, erwiderte unsere Profilerin. »Sie hat den Lehrstuhl für Neurowissenschaften an der New York University inne. Besser, sie hatte! Sie wurde gestern Abend tot in ihrem Labor aufgefunden. Ermordet mit einem Bohrer, mit dem man normalerweise Löcher in Schädel bohrt.«

Nun hatte Iris unsere volle Aufmerksamkeit. Phil nahm die Füße vom Tisch und kam zu uns herüber. Ich stellte den Kaffee beiseite, nahm von Iris die Zeitschrift entgegen und blätterte zu der Seite, die sie mit einem Post-it markiert hatte. Während ich den Inhalt überflog, redete Iris weiter.

»Sie hatte Neider. Die Wissenschaftsgemeinde hat es ihr übel genommen, dass ihre Projekte in den letzten Jahren regelmäßig vom Staat mit hohen Fördersummen bedacht worden sind, obwohl andere Bereiche bereits vom Haushaltsstopp erwischt wurden. Sie hat es immer wieder geschafft, die richtigen Knöpfe zu drücken. Damit hat sie sich Feinde gemacht, auch bei ihren New Yorker Kollegen, aber es hat der Universität eine Menge Reputation verschafft, wie du sehen kannst.«

»Scheint, dass sie eine Art Star der Szene gewesen is«, meinte ich und gab die Zeitschrift an Phil weiter. »Hat das vielleicht daran gelegen, dass ihr Forschungsbereich im Moment in der Öffentlichkeit Kultstatus genießt?«

Iris nickte. »Die Neurowissenschaften sind heute das, was früher die Genetik war und davor die Physik. Man erwartet sich geradezu esoterisch anmutende Fortschritte. Waren es früher die Entdeckungen der Physiker, aus denen man Blockbusterfilme drehen konnte, galt danach die Genetik als der Schlüssel zur Züchtung des Übermenschen. Heute sieht man das alles nüchterner, die Neurowissenschaft hat jedoch gegenüber Physik und Genetik den Vorteil, dass man sie viel schneller zur Anwendung bringen kann. Und genau das Bedürfnis hat Professor Robinson anscheinend befriedigt. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den höchsten Regierungskreisen.«

»Moment«, sagte Phil und blätterte mit gerunzelter Stirn in der Zeitschrift. »Ist das nicht die Frau, die vor ein paar Jahren ein paar Affen das Lesen beibringen wollte, mithilfe eines Serums, das sie ihnen verabreicht hat?«

»Genau die.« Iris nickte. »Sie hat es damit bis in die Late-Night-Shows geschafft, aber das Ganze hatte einen ernsten Hintergrund. Das Serum war in der Lage, Teile des Lernzentrums von Primaten so zu stimulieren, dass Bewusstseinsinhalte, die ansonsten nach Sekunden aus dem Aufmerksamkeitsbereich verschwinden, für Minuten präsent blieben. Der Nachteil bei der Sache war, dass die Fähigkeiten nach Abklingen der Wirkung ebenfalls verschwanden und das Serum die Affen nach mehrmaliger Anwendung getötet hat. Das hat ihr einiges an Kritik eingebracht, unter anderem von Tierschützern, die gegen sie Sturm gelaufen sind.«

»Also vielleicht von dieser Seite …?«, versuchte Phil einen Schuss ins Blaue.

Iris zuckte mit den Schultern. »Das ist ein paar Jahre her, und sie hat die Sache mit dem Serum aufgegeben.«

»Und woran hat sie aktuell geforscht?«, wollte ich wissen.

»Das weiß man nicht genau«, antwortete Iris. »Die Universitätsleitung hält sich in dieser Frage bedeckt. Fest steht nur, dass sie demnächst einen Antrag auf einen Fördertopf in Millionenhöhe stellen wollte, auf den sich auch Kollegen beworben haben. Der wird jetzt wieder frei.«

»Und was haben wir damit zu tun?«, warf Phil ein. »Sieht mir nach einem ganz normalen Mord aus. Warum übernimmt nicht das NYPD?«

»Nun«, meinte Iris und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Wegen des Themas hat die Unileitung den Bürgermeister darum gebeten, jemanden hinzuzuziehen, der auf dem Gebiet genügend Sachkenntnis mitbringt, um den Fall sensibel anzugehen.«

»Weder Jerry noch ich …«, begann Phil, wurde jedoch sofort von Iris unterbrochen.

»Ich, Phil«, sagte sie, nun mit einem breiten Grinsen und hochgezogenen Augenbrauen. »Sie haben darum gebeten, dass ich ein Team zusammenstelle, weil ich mich mit allem, was die menschliche Psyche angeht, einigermaßen gut auskenne.«

Ich teilte Iris' Lächeln, wurde aber sofort wieder ernst. »Das wird der eine Grund sein«, pflichtete ich ihr bei. »Doch ich wette meine Dienstmarke darauf, dass es weitere Gründe gibt. Es wird etwas sein, das in seinen Auswirkungen für die Universität weit über den Verlust einer genialen Wissenschaftlerin hinausgeht. Also etwas, das auch die Zuständigkeit des NYPD früher oder später übersteigen wird.«

Eine halbe Stunde später machten wir uns auf den Weg zum Washington Square Campus, wo wir uns mit Andrew Hamilton, dem derzeitigen Direktor der Universität, treffen wollten. Er hatte Iris darum gebeten, das Treffen zunächst möglichst informell zu gestalten, weshalb wir uns in der Elmer Bobst Library auf dem Campusgelände verabredet hatten. Hamilton kam uns in der Eingangshalle des beeindruckenden Baus entgegen, schüttelte uns freundlich die Hände und geleitete uns eine Treppe hoch in einen der lichtdurchfluteten Leseräume. Nebenbei erklärte er uns stolz, dass die Bibliothek mit ihren über zwei Millionen Büchern zu den größten der Welt gehörte.

Wir setzten uns an einen der Lesetische, umgeben von der ruhigen Geschäftigkeit einer Bibliothek. Studenten gingen, allein oder in Gruppen, durch den Saal zu ihren Tischen, bepackt mit Büchern, Laptops und Notizheften. Ihr Gemurmel erreichte nie die Lärmschwelle, alle waren so diszipliniert, wie es ein solch ehrwürdiger Ort verdiente.

Hamilton war ein kahlköpfiger, agiler Mann in den Sechzigern, von Haus aus Chemiker, wie ich wusste, aber mit allem bekannt, was das Forschungsgebiet von Prof. Robinson anging. Wir hatten uns die Akten des NYPD auf unser System spielen lassen und auf der Fahrt hierher eingesehen, deshalb wussten wir, dass Hannah Robinson mit einem elektrischen Bohrer der Marke Ysenmed getötet worden war, ein Gerät, das nicht mehr Lärm machte als das Summen einer Fliege. Der Bohrer war durch den dritten Halswirbel gegangen und hatte die Nerven zum Gehirn durchtrennt. Der Täter hatte keine Spuren hinterlassen. Trotz der Tatsache, dass der Mord mitten am Tag geschehen war, hatte niemand einen Verdächtigen gesehen, was dadurch begünstigt worden war, dass sich das Labor in einem sterilen Bereich befand, in dem alle Mitarbeiter Mundschutz, Haarkappen und Kittel trugen.

Ob etwas außer ihrem Laptop gestohlen worden war, konnte nicht festgestellt werden. Prof. Robinson war die Einzige gewesen, die Zugang zum Labor gehabt hatte. Niemand wusste, woran genau sie im Moment gearbeitet hatte. Nur dass sie gerade dabei gewesen war, an einem betäubten Affen ein Experiment vorzubereiten, war offensichtlich gewesen.

Darauf angesprochen, nickte Hamilton bedauernd. »Es war alles streng geheim. Wir wussten nur, dass sie einen Weg gefunden haben wollte, die bisher in der Hirnforschung angewandte Elektrostimulation wesentlich zu verbessern. Wie genau sie das hat anstellen wollen, hat sie mir in den nächsten Wochen erklären wollen, wenn ihr Antrag auf Forschungsgelder dem Aufsichtsrat vorgelegt werden sollte.«

»Könnten Sie uns bitte näher erläutern, worum es in der Sache ging?«, fragte ich.

»Natürlich«, antwortete Hamilton und reckte sich, was ihm sofort eine belehrende Haltung verlieh. »Die Elektrostimulation kortikaler Areale im Gehirn kann kurzfristig die Verarbeitung von Nervenimpulsen in bestimmten Hirnarealen beeinflussen oder ganz ausschalten. Dazu wird der Schädel geöffnet und eine Elektrode implantiert. Damit kann man bei Tieren wie auch beim Menschen die neuronale Aktivität beeinflussen.«

»Und Affen zu Leseratten machen?«, konnte sich Phil nicht verkneifen.

Hamilton lächelte. »Ja, genau. Obwohl das eher eine Art Showelement ist, mit dem Wissenschaftler die Öffentlichkeit beeindrucken, um Verständnis für wichtigere Forschungen zu wecken.«

»Und um welche wichtigen Forschungen ging es Professor Robinson, als sie dieses Kunststück vor zwei Jahren vollführt hat?«, wollte ich wissen.

Hamilton räusperte sich. »Wie ich schon erwähnt habe, lassen sich bestimmte Hirnareale sehr gut durch Elektroden stimulieren. Der Nachteil bei dieser Methode ist aber, dass wir den Schädel öffnen müssen, um die Elektroden anzubringen. Natürlich kann man Elektroden auch von außen einsetzen, dann sind die Stromstöße jedoch ungleich stärker, außerdem haben wir einen gewissen Streuverlust. Hannah hat mir erzählt, dass sie eine Methode gefunden habe, einen Schritt weiterzugehen. Sie hat an etwas gearbeitet, das eine zielgenaue und dauerhafte Stimulierung gewisser Bereiche erlaubt. Das wäre unter anderem in der Psychiatrie eine enorme Verbesserung, wie Ihnen Ihre Kollegin sicher auch erklären kann.«

Iris nickte und übernahm. »Es gibt bereits Erfolge mit der Elektrostimulation in der Psychiatrie, doch die sind, wie Professor Hamilton gerade andeutete, eher bescheiden. Ich muss euch ja nicht erklären, wie hilfreich es wäre, wenn man Aggressionsstörungen, Triebstörungen oder gar psychopathische Charaktermerkmale mit Elektrostimulation heilen könnte. Eine dauerhafte Beseitigung von solchen Störungen ist allerdings mit der beschriebenen Methode nicht zu gewährleisten, weil man niemanden auf Dauer an solch einen Apparat anschließen kann. Dazu kommt, dass es ethisch fragwürdig wäre, jemandem zum Beispiel seine Aggressionen zu nehmen, weil es ja biografische Gründe dafür gibt, dass man sich so entwickelt hat. Deshalb steckt die Forschung, was das angeht, noch in den Kinderschuhen.«

»Genau«, schaltete sich Hamilton wieder ein. »Was wir im Auge hatten, war deshalb zunächst eine Hilfe für Menschen, die subjektiv unter ihren Störungen leiden und für Hilfe aufgeschlossen sind, wie Patienten mit Tourettesyndrom.«

»Das sind diejenigen, die nicht aufhören können, andere zu beschimpfen?«, fragte Phil dazwischen.

Hamilton nickte. »Eine sehr belastende Situation nicht nur für die Patienten, sondern auch für ihre Umwelt. Wir nehmen, nach dem heutigen Stand der Forschung, an, dass es sich um eine Art Gewitter im Gehirn handelt, das immer dann losbricht, wenn eine sozial schwierige Situation auftritt. Da wäre eine Methode, die beruhigenden Areale im Gehirn aktivieren zu können, für alle ein Segen. Wir müssten jetzt erst einmal Hannahs Unterlagen sichten, um dort wieder ansetzen zu können, wo sie aufgehört hat. Aber leider hat sie ihre Daten nicht in den zentralen Rechner der Universität eingespeist, was man bei ihrem Fachgebiet durchaus nachvollziehen kann. Ihre Assistenten haben uns berichtet, dass sie in den letzten Tagen an ein paar Mikrochips gearbeitet hat, die sie programmiert hat. Gefunden haben wir leider nichts! Wir wissen also nicht, ob außer den Chips und dem Laptop noch andere Dinge verschwunden sind. Auch auf der Festplatte ihres Laborcomputers haben wir nichts entdeckt. Sie hatte wohl alles auf ihrem Laptop gespeichert. Der Diebstahl ist ein ungeheurer Verlust für die Wissenschaft.«

Es trat betretenes Schweigen ein. Ich bemerkte, dass einige der Studenten ihren Rektor erkannten, ihn jedoch nicht grüßten, sondern aus Respekt einen Bogen um uns herum machten. Ich ahnte, warum Hamilton uns gerade an diesem Ort hatte treffen wollen. Es gab nichts Unauffälligeres als ein Treffen in der Öffentlichkeit. Niemand hörte, was wir redeten, und niemand hätte uns Geheimniskrämerei vorwerfen können.

Mir lagen einige Bemerkungen auf der Zunge, besonders, was die von Iris angesprochene Heilung von Triebtätern und Psychopathen anging, aber ich verkniff sie mir, weil ich hier und jetzt keine Diskussion anfangen wollte. Stattdessen kam ich auf den Grund unseres Besuchs zu sprechen.

»Sie haben unserer Kollegin gegenüber erwähnt, dass Sie einen bestimmten Verdacht hegen, was den Mord angeht.«

Hamiltons Reaktion bestätigte mir, dass ich mit meiner Vermutung, was den Ort unseres Treffens anging, richtig lag. Er sah sich um, wippte nach vorn, als wolle er mir etwas zuflüstern, dann schnappte er wieder in seine steife Ausgangsposition zurück.

»Ich bin der Rektor dieser Universität«, sagte er. »Es steht mir im Grunde nicht zu, jemanden zu verdächtigen, schon gar nicht meine eigenen Mitarbeiter. Und ich werde mich auf jeden Fall falscher Verdächtigungen schuldig machen, weil ich Ihnen nun mehrere Namen nennen werde, die theoretisch – rein theoretisch, wie ich noch einmal betonen will – für den Mord an Hannah infrage kommen.«

»Ich kann Ihnen versichern, dass alles, was Sie sagen …«

»Das weiß ich«, unterbrach Hamilton mich. »Wenn dem nicht so wäre, säßen wir nicht hier.« Er zog einen Zettel aus seinem Jackett und überreichte ihn mir. »Auf dieser Liste stehen drei Namen. Diese Mitarbeiter haben sich in der jüngsten Vergangenheit teils offen feindlich gegenüber Hannah gezeigt. Ich denke, da müssten Sie ansetzen.«

Ich warf einen Blick auf die Liste. Es waren zwei Männer und eine Frau.

»Sie müssten uns schon verraten, worum es da im Einzelnen ging«, bat ich.

Hamilton sah sich kurz um, dann senkte er die Stimme. »Edward Greenhouse ist Professor für Maschinenbau. Die Mittel für seinen Fachbereich wurden voriges Semester drastisch gekürzt. Er hatte sich ebenfalls für Gelder aus dem Topf beworben, für den sich plötzlich auch Hannah bewerben wollte. Letzte Woche stand er plötzlich vor ihrem Büro und hat sie übel beschimpft. Sie sei nur auf Publicity aus, würde die Arbeit anderer absichtlich torpedieren. Eine ganze Kaskade an wüsten Unterstellungen. Wir mussten ihn mit dem Sicherheitsdienst zurück in sein Büro begleiten. Ihm käme es zugute, dass all ihre neueren Forschungsergebnisse mit dem Laptop verschwunden sind. Mit seiner Arbeit wäre er der nächste Kandidat für die frei gewordenen Gelder gewesen. Wenn es ihm gelingt, dass man ihn nicht mit der Angelegenheit in Verbindung bringt, hätte er noch eine Chance.«

Ich nickte stumm.

Der Rektor zeigte mit einem Finger auf den zweiten Namen. »Verena Carr, Professorin für Genderstudies. Sie liegt seit Jahren mit Hannah im Clinch, weil sich Hannah geweigert hat, ihren Fachbereich nach einem Fünfzig-fünfzig-Schlüssel mit Männern und Frauen gleichmäßig zu besetzen. Verena hat ein Aggressionsproblem. Bei einer Demonstration hat sie einen Polizisten angegriffen, und in einer Kneipe außerhalb des Campus hat sie den Barkeeper geohrfeigt. Zeugen sagen, ohne Grund. Bisher ist sie an unserer Universität nicht auffällig geworden, aber Hanna hat mir vor zwei Monaten nebenbei erzählt, dass sie einen schrecklichen Brief von ihr erhalten habe. Auf meine Nachfrage hin hat sie darauf bestanden, dass es nicht so schlimm sei und sie den Brief vernichtet habe. Ich konnte ihr das nicht recht glauben, wahrscheinlich tat ihr die Bemerkung mir gegenüber leid, und sie wollte Verena schützen.«

»Und der dritte Name?«, wollte ich wissen.

Hamilton räusperte sich erneut. »Nun«, seine Stimme war kaum noch hörbar, so leise redete er. »Das ist eine etwas delikate Angelegenheit. Bob Faber. Hannah hat bis vor Kurzem eine Affäre mit ihm gehabt. Bob ist Doktorand im Fachbereich für Psychologie. Sehr jung. Sehr begabt. Hannah hat Schluss mit ihm gemacht, als sie erfahren hat, dass er nicht diskret genug gewesen ist. Außerdem hat sie ihn danach dabei erwischt, wie er ihr Büro durchwühlt hat. Vielleicht wollte er sich mit dem Diebstahl des Laptops nur rächen und hatte sie gar nicht im Labor erwartet.«

Hamilton seufzte. Man sah ihm an, dass er sich gerade einer für ihn ziemlich unangenehmen Pflicht entledigt hatte.

Ich faltete die Liste zusammen und steckte sie ein. »Wir würden uns natürlich gern das Büro und das Labor von Professor Robinson ansehen«, sagte ich und stand auf. »Insbesondere würden wir gern ihren Computer mitnehmen, um herauszufinden, ob sich nicht doch Daten von ihrem Laptop auf der Festplatte befinden. Wir haben da ein paar Spezialisten bei uns, die sich das mal ansehen können.«

Die anderen standen ebenfalls auf. Hamilton reichte mir die Hand. »Das verstehe ich. Bitte verstehen Sie, dass ich nicht mitkommen werde. Melden Sie sich bitte beim Fachbereich. Ich habe Anweisungen gegeben, dass man Ihnen so weit wie möglich entgegenkommt.«

Zwei Stunden später schauten wir unserem jungen IT-Spezialisten Ben Bruckner über die Schulter, während er sich in den Computer aus Prof. Robinsons Labor hackte. Ansonsten hatten wir nichts von Interesse gefunden, weder im Labor noch in ihrem Büro. Natürlich hatten wir uns die Fotos vom Tatort, die das NYPD uns zur Verfügung gestellt hatte, genau angesehen. Nichts hatte uns Aufschluss darüber gegeben, ob es sich bei dem Täter um einen Mann oder eine Frau handelte und was genau vorgefallen war. Klar war nur, dass der- oder diejenige mittels des Zahlencodes die Sicherheitstür am Eingang des Labors geöffnet hatte, hinter das Opfer getreten war und ihm mit dem Bohrer die Nerven im Rückgrat durchtrennt hatte. Das alles ließ jedoch keine weiteren Rückschlüsse auf den Täter zu.