Jerry Cotton 3292 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3292 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In einem Apartment in Hell’s Kitchen wurden drei Leichen entdeckt: ein junges Studentenpaar, das dort wohnte, und ein Mitglied der Gambino-Familie. Allen Opfern war die Kehle durchgeschnitten geworden. Der Mafioso, Umberto Pastore, war ein Spitzel des FBI gewesen, sein V-Mann-Führer unser Kollege Steve Dillaggio. Es lag auf der Hand, dass die Gambino-Familie hinter Pastores Nebenverdienst gekommen sein musste. Doch wie passten die toten Studenten ins Bild? Als der Gerichtsmediziner im Magen der Frau eine winzige Geige spielende Teufelsfigur fand, waren wir alarmiert. Denn nun hatten wir es mit einem eiskalten Serienkiller zu tun!

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Seitenzahl: 144

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Teufel von Manhattan

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Jaroslaw Grudzinski / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9960-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Teufel von Manhattan

»Was für ein Drecksloch!«, schimpfte Umberto Pastore.

Der Lift war defekt, deshalb hatte er trotz seines Übergewichts die Treppe nehmen müssen. Schnaufend erklomm er die letzten Stufen zum dunklen Flur im elften Stock des abgehalfterten Apartmenthauses.

Als er an die erste Tür links im Gang klopfte, hatte er keine Ahnung, was ihn erwarten würde. Ein anonymer Anruf hatte ihn hierhergelockt.

Die schäbige Tür quietschte in den Angeln, als sie geöffnet wurde. Licht fiel in den Gang. Vor ihm hob sich die Silhouette eines Mannes ab, der Pastore um einen Kopf überragte.

»Komm rein«, sagte der Mann.

Er ließ Pastore vorgehen in einen hell erleuchteten Raum, in dem ein junger Mann und eine junge Frau auf einem Bett lagen. Ihre Kehlen waren klaffende Wunden, aus denen Blut sprudelte.

»Was soll ich hier?«, fragte Pastore.

Es waren seine letzten Worte.

»Umberto Pastore war ein übler Bursche. Ich mochte den Kerl nicht.« Zeerookah entfernte ein Staubkorn vom Revers seines eng taillierten, modischen Jacketts. Vermutlich, um sein Eingeständnis gestisch zu unterstreichen. »Es amüsierte ihn, auf meine indianische Abstammung anzuspielen.«

»Ich wette«, sagte Phil grinsend, »du hast es ihm heimgezahlt.«

»Klar, ich habe ihn als ›ekligen Mehlsack‹ bezeichnet.«

Ich schüttelte den Kopf. »Niemals, du bist ein Gentleman, Zeery.«

»Na ja, Jerry«, er zuckte bedauernd mit den Schultern, »du hast schon recht. Aber eigentlich hätte ich es gerne getan.«

»Kann ich Ihnen nicht verdenken«, meinte Mr. High.

Es war ein ganz normaler Mittwochnachmittag. Wir saßen am Besprechungstisch des Chefs, tranken Tee und redeten über die dunklen Seiten des menschlichen Lebens. Genauer: über einen Mord.

Es ging um drei Leichen in einem Wohnturm in Hell’s Kitchen beziehungsweise Clinton, wie dieser frühere Hotspot der Kriminalität inzwischen auch genannt wurde.

In der vergangenen Nacht war ein Nachbar gegen drei Uhr durch laute Musik aufgeschreckt worden, die aus einem der Apartments gedröhnt war. Empört hatte er sich auf den Weg gemacht, um sich zu beschweren. Er hatte die Wohnungstür geöffnet vorgefunden. Im Schlafzimmer hatte er dann die drei Toten entdeckt. Im Bett ein junges Paar, auf dem Boden davor ein schwergewichtiger, älterer Mann. Allen dreien hatte man die Kehle aufgeschlitzt.

Das Schwergewicht, ein Mafioso der Gambino-Familie, war V-Mann des FBI gewesen. Und Zeerookah sein Betreuer, weshalb Zeery, Phil und ich am Morgen auch gemeinsam mit Beamten des NYPD den Tatort inspiziert hatten. Den Vormittag hatten wir genutzt, um erste Erkundigungen einzuziehen. Am Nachmittag war Mr. High von einem Termin in New Jersey zurückgekehrt. Jetzt waren wir in seinem Office, um ihm Bericht zu erstatten.

»Was, um Himmels willen«, wunderte sich der Chef, »hat ein Gangster wie Umberto Pastore in einer Studentenbude zu suchen?«

»Die Spurensicherung hat dort Koks im Wert von dreißigtausend Dollar gefunden«, erklärte Zeerookah.

Mr. High runzelte skeptisch die Stirn. »Soll das etwa heißen, die Cosa Nostra lässt Studenten als Dealer für sich arbeiten?«

»Ich weiß nicht«, sagte Phil, »die Päckchen lagen kaum verdeckt im Küchenschrank hinter ein paar Handtüchern. Entweder waren diese Studenten ziemlich naiv, oder man wollte sie reinlegen.«

»Und uns weismachen, dass sie mit Drogen gehandelt haben und deshalb umgebracht worden sind,«, ergänzte Zeerookah.

»Wissen Sie schon etwas über die Studenten?«, fragte der Chef.

Ich nickte. »Ihre Namen sind Donald Page und Laura Smith. Sie haben beide Soziologie studiert. Page hat eine Schwester in New York, Abigail Page. Ebenfalls Soziologiestudentin. Sie wurde bereits informiert über den Tod ihres Bruders. Ich habe sie angerufen und einen Termin für sechs Uhr abends vereinbart. Die Eltern leben in Yonkers und sind momentan nicht erreichbar. Vermutlich wollen sie von niemandem belästigt werden. Laura Smith ist im Heim aufgewachsen. Es gibt keine Verwandten. Ich habe den Professor angerufen, der Page und Laura Smith auf die Zwischenprüfung vorbereitet hat. Es scheint, dass er das Paar auch persönlich gut gekannt hat. Er schwört Stein und Bein, dass die beiden hochanständige Menschen gewesen sind.«

Für einen Moment schwiegen wir alle. Wie man es auch betrachtete, die Sache mit dem Gangster und den Studenten schien keinen rechten Sinn zu ergeben.

Mr. High wechselte das Thema. »Wie lautet der Befund des Gerichtsmediziners?«

»Den Opfern«, erwiderte ich, »wurde die Kehle mit einem scharfen Gegenstand durchtrennt. Die Wunden sind auffällig lang, dabei glatt und tief. Die Waffe muss mit großer Kraft bogenförmig geführt worden sein. Eine Waffe mit einer längeren, schmalen, leicht geschwungenen Klinge.«

»Kein Messer?«

»Eher ein Kurzschwert«, antwortete ich.

»Woher kennt man solche Waffen?«

»Von den Japanern, Sir«, sagte Phil. »Diese Dinger heißen ›tanto‹. Eine typische Waffe der Samurais. Einige Nahkampftrainer in Quantico lehren neuerdings den Umgang mit solchen Schwertern. Da Jerry und ich gelegentlich Vorträge vor den Rekruten halten, wissen wir, was dort zurzeit unterrichtet wird.«

»Wozu ist es nützlich, diese Kampftechnik zu erlernen?«

»Die Ausbildung vermittelt erstklassige Verteidigungstechniken«, erwiderte mein Freund.

»Wir sollten uns bei den einschlägigen Kampfschulen in New York umhören«, schlug Zeerookah vor.

»Überprüfen Sie«, forderte der Chef, »ob im Umkreis von zweihundert Meilen noch andere Menschen auf ähnliche Weise getötet worden sind in den letzten Monaten. Gibt es weitere Auffälligkeiten?«

»Allerdings«, bestätigte Phil. »Der Doc hat unter der Zunge von Laura Smith eine winzige rote Plastikfigur gefunden. Einen tanzenden, Geige spielenden Teufel.«

Mr. High neigte generell nicht zu übertriebenen Reaktionen. Doch jetzt war er sichtbar verblüfft. »Klingt nach einem üblen Scherz. Offensichtlich bemüht sich dieser Killer um Originalität. Er will auffallen.«

»Was dafür spricht«, mutmaßte ich, »dass er wieder zuschlagen wird.«

»Ein Serientäter also«, stellte Zeerookah fest.

»Nicht unbedingt«, widersprach Phil. »Es könnte sich auch um einen stilbewussten Profi handeln.«

»Großartig«, sagte Mr. High. »Die Presseleute werden sich die Hände reiben.«

»Mit Sicherheit«, meinte Phil. »Solche Typen sorgen für hohe Auflagen. Sie selbst halten sich für Stars, und die Medienfuzzis sorgen dafür, dass sie es auch werden.«

»Gibt es Zeugen?«, erkundigte sich der Chef.

»Nein«, bedauerte ich. »Auch keine Spuren oder brauchbaren Fingerabdrücke. Der Doc hatte jedoch einen interessanten Hinweis für uns. Umberto Pastore ist etwa eine Stunde später als die anderen beiden Opfer gestorben. Womöglich ist er erst in der Wohnung eingetroffen, als die Studenten schon tot waren. Was bedeuten könnte, dass der Täter in Gesellschaft der beiden Toten auf sein drittes Opfer gewartet hat. Pastore trug noch seinen Mantel. Womöglich wurde er gleich nach seiner Ankunft getötet.«

»Der Killer muss verdammt gute Nerven haben«, sagte Zeerookah.

»Was für die Profitheorie spricht«, fügte Phil hinzu. »Allerdings wurde in Pastores Hosentasche dessen Handy gefunden. Ein Profi hätte es vermutlich an sich genommen.«

»Es sei denn«, wandte Zeerookah ein, »er musste nicht befürchten, dass die Daten einen Hinweis auf ihn erhielten.«

»Betrachten wir«, schlug Mr. High vor, »die Taten einmal getrennt. Im Mordfall Umberto Pastore liegt es nahe, seinen Boss Tiziano Lucci als Auftraggeber des Mordes zu vermuten. Gab es denn Anzeichen dafür, dass Lucci Pastore als Verräter entlarvt hatte?«

Zeerookah zuckte unschlüssig mit den Schultern. »Pastore war in den letzten Wochen ziemlich nervös. Er wirkte oft unkonzentriert bei unseren Treffen. Nur das muss nichts heißen. Mit seinen Nerven stand es nie zum Besten. Er ist immer schon launisch und leicht erregbar gewesen.«

»Ein sensibler Mitmensch«, spottete Phil.

»Keineswegs, ein ausgemachter Schweinehund, aber wehleidig und wankelmütig.«

»Wie verlässlich«, wollte der Chef von Zeerookah wissen, »waren denn die Informationen, die er Ihnen kürzlich gegeben hat?«

Mr. High spielte damit auf eine umfangreiche Waffenlieferung am Hudson an. Die Cosa Nostra hatte die Waffen auf Umwegen aus Deutschland eingeführt und wollte sie mutmaßlich in dieser Nacht an ihre mexikanischen Kunden weitergeben. Phil, Zeery und ich würden mit einem SWAT-Team zur Stelle sein.

»Ich bin mir sicher«, sagte Zeerookah, »dass die Waffen heute Nacht eintreffen werden. Die Mafia streicht durch den Weiterverkauf an das Mexikokartell einen Millionengewinn ein. Wobei Pastore nie von Lucci persönlich gesprochen hat. War ihm wohl eine Nummer zu groß, den obersten Boss ans Messer zu liefern.«

»Wenn Lucci davon ausgeht, dass Umberto Pastore ein Verräter war: Wird er die Lieferung dann nicht stoppen oder umleiten?«

»Nein, Sir, Lucci hatte Pastore nicht persönlich über den Handel informiert. Vermutlich, weil er ihm nicht traute. Er muss davon ausgehen, dass Pastore nichts davon wusste.«

»Wer hat Pastore denn die Information gesteckt?«

»Vermutlich sein Leibwächter Rick Tornato. Aber Pastore ist damit nie richtig rausgerückt.«

Mr. High dachte kurz darüber nach. »Also gut, Zeerookah, dann sollte erst die Aktion heute Nacht erfolgen. Und morgen knöpfen Sie sich dann Tiziano Lucci und Tornato vor. Falls Ihnen die beiden nicht bei der Waffenlieferung ins Netz gehen. Außerdem sollte Pastores Wohnung durchsucht werden.«

»Wir würden gern die Daten auf Pastores Handy checken«, meldete ich mich wieder zu Wort.

»Sicher, geben Sie Ben Bescheid, Jerry. Ich kümmere mich um die rechtlichen Voraussetzungen. Kommen wir zu den Studenten. Wie können wir mehr über sie erfahren?«

»Ich hatte am Telefon den Eindruck, dass zwischen Abigail und ihrem Bruder eine starke Verbindung bestand. Ich könnte mir vorstellen, dass sie uns weiterhelfen kann.«

»Halten Sie mich auf dem Laufen«, beendete Mr. High die Unterredung.

Als Phil, Zeerookah und ich bereits in der Tür standen, hielt er mich zurück. »Sie sagten etwas von lauter Musik, die aus der Wohnung der Studenten gekommen ist.«

»Ja, eigenartig, dass Sie das ansprechen, Sir. Der Nachbar ist ein pensionierter Musiklehrer. Er meinte, es habe sich um die Opernarie Die Frist ist um aus dem Fliegenden Holländer von Richard Wagner gehandelt. Jetzt fällt mir ein, dass ich in der Wohnung weder ein Abspielgerät noch einen Fernseher entdeckt habe.«

»Wann genau hat der Nachbar die Musik gehört, Jerry?«

»Etwa zehn Minuten, bevor er sich entschlossen hat sich zu beschweren. Als er dann vor der Tür der Studentenwohnung stand, fand er sie geöffnet vor. Die Musik war verklungen.«

»Sieht ganz so aus«, konstatierte Mr. High nüchtern, »als hätte der Täter selbst ein kleines Konzert veranstaltet.«

Mary Anne Muellers Name war nicht minder klangvoll als ihre sanfte, gutturale Stimme. Der verschleierte Blick aus ihren mandelförmigen rehbraunen Augen war der einer wohlwollenden Sphinx, deren Rätselhaftigkeit nichts Bedrohliches hatte. Ständig wechselnde Launen verliehen ihrem Mienenspiel den Reiz eines betörenden Frühlingsabends, voller Ahnungen und Verlockungen. Zugleich wirkte sie für ihre zweiundzwanzig Jahre erstaunlich reif, was nicht zuletzt daran lag, dass sie einem kultivierten, vermögenden Elternhaus entstammte. Sie war gebildet, konnte sich exzellent ausdrücken und spielte ganz brauchbar Klavier. Um den Eindruck von Bescheidenheit und Zurückhaltung zu erwecken, kleidete sie sich stets konservativ. Zumindest, was den sichtbaren Teil ihrer Garderobe betraf.

Heute trug sie ein anthrazitfarbenes Kaschmirkleid, das gerade noch kurz genug war, um ihre erlesen geformten Unterschenkel zu enthüllen.

Tiziano Lucci begriff nicht viel von alldem. Er saß in einem von zwei schwarzen Ledersesseln vor einem XXL-Fernseher, auf dem gerade eine Wrestlingshow lief. Der Ton war abgestellt. Er starrte Mary Anne schweigend an.

Sie strich sich mit einer lasziven Geste das kastanienbraune Haar aus der Stirn. »Was hast du denn, Darling?«

Tizianos Blick wanderte zurück zum Geschehen auf der Mattscheibe. Der Mafiaboss sann darüber nach, was zur Hölle mit ihm los war. Warum gab er sich mit dieser Frau ab? Sie war ein Alien. Entsprang einem Paralleluniversum, bevölkert von lauter reichen und hochanständigen Arschlöchern. Was wollte sie von ihm? Sie kam und ging, wie es ihr passte, als wäre er quasi eine Nebensache in ihrem Leben. Er hatte sie den ganzen verdammten Tag lang nicht zu Gesicht bekommen. Und die Nacht davor auch nicht, obwohl er sie darum gebeten hatte, in genau dieser Nacht bei ihm zu sein. Den wahren Grund dafür hatte er ihr verschwiegen.

Jetzt also stand sie vor ihm, mit gerecktem Kinn, eine Hand kokett auf die Hüfte gestemmt. Die pure Provokation.

Okay, er war kein Schönling. Und die Jahre unverbrauchter Frische lagen zugegebenermaßen eine Ewigkeit zurück. Aber die Weiber flogen auf ihn, besonders die ganz jungen. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnipsen und schon lagen sie in seinen Armen. Er hatte das gewisse Etwas, anders war die Sache nicht zu erklären. Das sah auch Rick so, sein Bodyguard.

»Bist ein Frauenheld«, hatte Rick gesagt. Und Rick war Spezialist. Mit zwei Dingen kannte er sich wirklich aus, mit Waffen und mit Weibern.

Er, Tiziano Lucci, war auf eine wie Mary Anne Mueller nicht angewiesen. Sie nervte ihn, weil sie nicht nach seiner Pfeife tanzte. Sollte sie doch heimkehren zu ihren verschissenen Alien-Eltern und irgendeinen Langweiler mit fettem Bankkonto ehelichen, den Daddy für sie aussuchte.

»Wo bist du gewesen, verdammt?«

Mist, das hatte er gar nicht fragen wollen. Es war nicht gut, wenn ein Mann es nötig hatte, so was zu fragen. Es erweckte bei Frauen den Eindruck, dass sie irgendwie wichtig waren.

Na ja, es war ihm eben rausgerutscht.

Merda, donne pazze!

Spott huschte wie ein Schatten über Mary Annes Züge und kräuselte ihre Lippen. »Möchtest du nicht gestört werden, oder darf ich mich zu dir setzen?«

Natürlich kannte sie die Antwort.

»Setzt dich!«, forderte er mürrisch, als wäre es seine Idee gewesen.

Sie ließ sich seufzend in den Ledersessel neben ihm sinken und schlug die langen Beine übereinander. Dabei rutschte ihr Kleid um eine Handbreit nach oben.

»Willst du mir nicht etwas mehr über die Waffenlieferung heute Nacht erzählen, Tizio?«

»Nein.«

Er hegte den Verdacht, dass sie sich nur wegen der heißblütigen Mexikaner danach erkundigte. Vielleicht wurde es Zeit, dass eine dieser Tequila saufenden Missgeburten sie mal ordentlich rannahm. Damit sie endlich kapierte, wie es im richtigen Leben lief.

»Du weißt schon zu viel«, legte Tiziano nach.

Eine hübsche Falte über ihrer Nasenwurzel signalisierte Empörung. »Es ist immer das Gleiche, Tizio, du machst irgendwelche Andeutungen, um meine Neugier zu wecken. Aber wenn ich mehr erfahren will, zeigst du mir die kalte Schulter.«

»Ich würde dir gern vertrauen, Baby. Echt, und dann fällt mir wieder ein, wie dämlich das wäre.«

»Ach, und warum bitte wäre das dämlich?«

»Kein Mann sollte einer Frau vertrauen.«

»Und warum nicht?«

»Vaffanculo!«, fluchte Tiziano. »Bist du ein quengelndes Kleinkind, oder was? Warum dies, warum das! Ich meine, es gibt Dinge, die so sind, wie sie sind. Frauen quatschen zu viel. Und sie verraten einen Mann, während sie ihm ins Gesicht lächeln.«

Mary Anne räkelte sich ein bisschen, als wäre sie gerade aus einem verwirrenden Traum erwacht. Dann wechselte sie aus ihrem Sessel auf Tizianos Schoß und legte die Arme um seinen Hals. Ihre Nähe hatte etwas Zwingendes, Besitzergreifendes.

»Du bist ein sehr harter Mann«, flüsterte sie. »Warum hast du solche Angst vor uns Frauen?«

Er wusste, was sie jetzt sah. Einen Mann, der sie grundlos angrinste. Dieses Grinsen war sein Markenzeichen. Er konnte nicht anders, er grinste sogar, wenn ihm jemand eine Knarre an die Schläfe hielt.

Lucci il sorriso!

»Das Problem ist«, sagte er, »du bist hier nicht bei deinem Daddy an der Upper East Side, sondern auf meinem Territorium. Deshalb muss ich auf dich aufpassen. Es wäre zu gefährlich, dich in alles einzuweihen.«

Ihre langen Finger mit den gepflegten perlmuttfarbenen Nägeln strichen über sein schütteres blondiertes Haar. Ruhig und bestimmt, als wollten sie seine widersprüchlichen Empfindungen in die richtige Ordnung bringen.

»Wovor hast du Angst?«, wiederholte sie ihre Frage.

Und ehe er darüber nachdenken konnte, offenbarte er ihr, wie es um sie beide stand. »Vielleicht«, sagte er, »muss ich dir eines Tages eine Kugel in deinen hübschen Kopf jagen.«

Sie stutzte, dann ließ sie von ihm ab, stand langsam auf und glätteten die Falten ihres verrutschten Kleids. »Vielleicht solltest du das tun. Aber vorher würde ich gerne dabei sein, wenn die Chicos ihre Waffen kriegen.«

Abigail Page wohnte im Erdgeschoss eines gesichtslosen siebenstöckigen Hauses am Flea Market in Hell’s Kitchen. Fast ein Drittel der grauen Backsteinfassade verdeckte ein Riesentransparent, auf dem sinnigerweise für Luxusurlaub auf Hawaii geworben wurde. Als hätte sich irgendein Bewohner dieser armseligen Gegend je dorthin verirren können. Die Botschaft schien zu sein: Seht her, ihr ewigen Verlierer und Schmarotzer, von so was könnt ihr nur träumen!

Hinter dem Gebäude stapelten sich weitere fensterbestückte Klötze. Gelb, braun und weißlich. Wuchsen dicht gedrängt in verschiedene Höhen empor in den uferlos grauen, gleichgültigen Himmel. Eine moderne Version des Turmbaus zu Babel.

Aus einigen Schornsteinen züngelten aschfarbene Rauchfahnen.

Phil, Zeerookah und ich betraten den dämmrigen Flur des Hauses. Rechts führte neben dem Lift eine Holztreppe in die oberen Stockwerke. Geradeaus gab es drei ramponierte Türen. Wir steuerten die mittlere an. Die Klingel funktionierte nicht. Also probierte ich es mit Klopfen. Es dauerte, bis uns ein junger Mann mit geflochtenem Kinnbart öffnete. Er trug eine ausgefranzte Jeans und ein olivgrünes T-Shirt mit Che-Guevara-Motiv.

»Wir würden gern mit Abigail Page sprechen«, sagte ich und zeigte ihm meine Dienstmarke.

»Ich weiß Bescheid«, erklärte er und ließ uns eintreten.

Er wirkte weder sonderlich beeindruckt noch abweisend. Eher gelangweilt.

Wir standen in einer schmalen Diele. Rechts konnte man in eine Küche mit grünem Linoleumboden sehen. Der beeindruckende Geschirrhaufen auf der Spüle und zwei abgemagerte Katzen, die auf dem mit Gläsern, Büchern und Zeitschriften bedeckten Tisch herumspazierten, wiesen auf einen bohemehaften Lebensstil hin.

»Sind Sie Abigails Freund?«, fragte Phil.

»Nee, ich bin Mark. Wir wohnen bloß zusammen. Drei Typen und zwei Bräute. Ist 'ne Kommune hier.«

»Und wo finden wir Miss Page?«, wollte ich wissen.