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Ein grausamer Frauenmörder verbreitete in New York Angst und Schrecken. Niemand hatte eine Ahnung, wer er war, warum er tötete oder nach welchen Gesichtspunkten er seine Opfer auswählte. Phil und ich hatten schließlich drei Verdächtige im Visier: einen abartig veranlagten Buchautor, einen Schauspieler, der sein Dasein bis vor Kurzem in einer Nervenklinik gefristet hatte, und einen Reporter, der immer mehr zu wissen schien als seine Kollegen. Wir mussten uns mächtig ins Zeug legen, denn der Killer konnte jederzeit wieder zuschlagen!
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Nacht des Psychopathen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Nomad_Soul / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9961-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Nacht des Psychopathen
Da waren sie wieder – die Stimmen. Er liebte sie, denn sie meinten es stets gut mit ihm. Sie waren seine Freunde, begleiteten ihn durch den Tag und sehr oft auch durch die Nacht. Sie waren immer bei ihm.
Treue Gefährten, die ihm Tipps, Ratschläge und Empfehlungen gaben, niemals aufdringlich waren, ihm unter allen Umständen in letzter Konsequenz die Entscheidung überließen und ihm keine Vorwürfe machten, wenn er mal nicht auf sie hörte, sondern nach eigenem Gutdünken verfuhr.
Freunde eben. Einfühlsam, taktvoll und tolerant. Verständnisvoll, wohlwollend und hilfsbereit. Wenn er wollte, konnte er sich mit ihnen unterhalten.
Es machte ihm Spaß, mit ihnen zu diskutieren. Sie legten ihm ihren Standpunkt dar und er ihnen seinen. Total friedlich und amikal.
Es tat gut zu wissen, dass sie jederzeit für ihn da waren. Seit er sie zum ersten Mal gehört hatte, lebte er in dem angenehmen Bewusstsein, niemals allein zu sein, denn er trug sie in sich – ganz gleich, wohin ihn sein Weg führte …
Es überkam ihn während eines Abendspaziergangs. Er schlenderte in Gedanken versunken eine menschenleere Straße entlang – und plötzlich machte es bei ihm Klick.
Einfach so. Ohne Grund. Er verharrte, sah sich um, stand vor einem kleinen, gepflegten Einfamilienhaus, in dem der Fernsehapparat lief.
Kühle, feuchte Luft wehte von der nahen Bowery Bay herüber. Blassbläuliches Licht wurde von den Vorhängen aufgefangen und nicht durchgelassen.
Mal heller, mal dunkler. So rasch, wie die Bilder auf dem Schirm wechselten … Um diese Zeit sitzt halb New York vor der Glotze und zieht sich irgendwelchen billig produzierten, anspruchslosen, geisttötenden Schrott rein, dachte er verächtlich, während er die Kapuze seines mitternachtsblauen Nike-Hoodies aufsetzte.
Ein ziemlich alter Wagen bog röchelnd, ächzend und gurgelnd mit fast blinden Scheinwerfern und dreckiger Frontscheibe um die Ecke. Jede Tür, die Motorhaube und der Kofferraumdeckel hatten eine andere Farbe.
Das Fahrzeug sah wie ein rollendes Blechpuzzle aus. Zusammengesetzt aus Teilen, die achtlos auf dem Autofriedhof herumgelegen hatten. Der Mann trat rasch hinter den breiten Stamm einer Platane und machte sich auf diese Weise gewissermaßen unsichtbar.
Der ausgeleierte Oldtimer fuhr quietschend und klappernd an ihm vorbei und war bald nicht mehr zu sehen, aber noch eine Weile zu hören.
Schließlich kehrte wieder Stille ein, und der Hoodieträger näherte sich dem Einfamilienhaus, um sich zu holen, wonach ihn gelüstete.
Er war ein kluger Kopf. Ehe er erkannt hatte, was ihn wirklich interessierte, wofür er nachgerade geschaffen war, hatte er mehrere sehr unterschiedliche Studienrichtungen eingeschlagen, diese eine Weile zielstrebig verfolgt und schließlich wieder abgebrochen. Doch seit geraumer Zeit wusste er um seine Berufung bestens Bescheid.
Ein sauberer Plattenweg führte sowohl zur dunkelbraunen Haustür als auch daran vorbei zum Garten, der sich hinter dem Haus befand.
Der teppichweiche sattgrüne Rasen war gepflegt und unkrautfrei. Ein kleiner Mähroboter summte unermüdlich und allem Anschein nach total planlos hin und her und kreuz und quer über das nicht besonders große Grundstück, stieß mal hier, mal da gegen Bäume und andere Hindernisse, blieb stehen, machte kehrt und versuchte sein Glück in einer anderen Richtung.
Der Mann, der auf diesem Grundstück nichts zu suchen hatte, schaute dem Roboter eine Weile fasziniert zu, besann sich dann wieder seines Vorhabens und näherte sich auf leisen Sohlen der Terrasse, die von einem großen, schweren Holztisch beherrscht wurde. Darum waren acht hellgraue Gartensessel gruppiert. Die Terrassentür stand offen.
Der Mann sah in ein rechteckiges Wohnzimmer. Links ein riesiger Flachbildfernseher an der Wand, rechts eine braune Ledercouch.
Davor ein Tisch aus grünem Marmor. Auf dem Boden lag ein orientalisch gemusterter Seidenteppich, und über den Bildschirm flimmerte gerade die Aufzeichnung einer wissenschaftlichen Sendung, die vor zwei Tagen ausgestrahlt worden war. Der populäre Historiker Hawk Fergus erklärte gerade mit allgemein leicht verständlichen Worten die paläografischen Zusammenhänge antiker Schriften aus verschiedenen Epochen und die junge Frau, die mit angezogenen Beinen auf der Ledercouch saß, lauschte ihm mit großem Interesse.
Der Hoodiemann betrachtete sie eingehend. Sie war zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, hatte langes dunkles, leicht gewelltes Haar und trug ein gut geschnittenes, superkurzes, silbern glänzendes Minikleid. Er konnte ihr Höschen sehen, doch das erregte ihn nicht.
Sein Blick saugte sich fasziniert an ihren muskulösen Schenkeln fest. Er nahm an, dass sie viel Sport machte. Da sie sehr schlank war, glaubte er nicht, dass ihre auffallend großen Brüste echt waren.
Vielleicht schneide ich ihr die Implantate in Kürze heraus, dachte er. Mal sehen. Das Werkzeug hätte ich dafür. Das Können auch.
Er streckte vorsichtig die Hand aus und teilte die weiße, in sich gemusterte Gardine. Als er auf Zehenspitzen das Wohnzimmer betreten wollte, klingelte ihr Handy. Er zuckte zurück und wartete ab.
Ein grausamer Frauenmörder verbreitete zurzeit Angst und Schrecken in der Stadt. Niemand wusste, wer er war, warum er tötete beziehungsweise nach welchen Gesichtspunkten er seine Opfer auswählte.
Sie kamen aus allen Gesellschaftsschichten, waren wohlhabend oder arm, Single oder verheiratet, jung oder schon etwas reifer, schön oder ein bisschen weniger attraktiv.
Und es war uns nicht möglich, ihn auszurechnen, weil er ganz offensichtlich nach keinem bestimmten Muster vorging. Er konnte jederzeit überall zuschlagen.
In allen fünf New Yorker Bezirken. Oder auch weiter draußen, vor den Toren der Stadt. Was immer wir anstellten, um diesem entmenschten Scheusal das blutige Handwerk zu legen, fruchtete nicht.
Wir stießen immer wieder ins Leere, sahen nicht den kleinsten Lichtblick in diesem undurchschaubaren Fall, der uns von früh bis spät beschäftigte.
Selbst wenn ich mir – was viel zu selten vorkam – eine Mütze Schlaf gönnte, tauchte dieses Monster in Menschengestalt in meinen Träumen auf.
Natürlich immer ohne Gesicht, um dem Fall die Spannung zu erhalten. Vier Frauen hatte er sich schon geholt und ihnen schreckliche Dinge angetan.
Er hatte sie unvorstellbaren Qualen ausgesetzt, ehe er sie endlich »erlöst« und ihnen das Leben genommen hatte. Doch wir kamen einfach nicht vom Fleck. Die Pinnwand in unserem Büro war gepflastert mit Leichenaufnahmen, Obduktionsberichten, Informationen verschiedenster Art, Notizen, Zeugenfotos, Zeitungsartikeln und irrelevanten Hinweisen, die im Moment keinerlei Sinn ergaben.
Viermal hatte die Bestie bereits zugeschlagen. Zu den unterschiedlichsten Tages- und Nachtzeiten. Und wir hatten keinen blassen Schimmer, wer es war.
Heute Morgen hatte uns Mr. High in sein Büro gebeten. Helen, seine hübsche dunkelhaarige Sekretärin, war uns mit einer Miene begegnet, die wir von ihr nicht gewohnt waren, weil sie normalerweise immer freundlich war, deshalb hatte ich vorsichtig gefragt: »Alles in Ordnung, Helen?«
»Leider nein, Jerry«, antwortete sie verstimmt.
»Eine private Angelegenheit?«
»Mein Postfach wird zurzeit mit dermaßen vielen Phishingmails zugemüllt, dass es schon nicht mehr feierlich ist«, beschwerte sich die gut aussehende Sekretärin unseres Chefs.
»Frag doch mal unseren IT-Experten«, empfahl ich ihr.
Phil nickte. »Ben Bruckner kann das bestimmt für dich abstellen.«
Helens Augen wurden groß. »Richtig! Ja. Ben. Meine Güte, an den habe ich noch gar nicht gedacht. Wie konnte ich nur …? Danke für den Tipp.«
»Immer wieder gerne«, gab Phil schmunzelnd zurück.
Wir gingen weiter. Mr. High, ein schlanker Mann mit silbergrauem Haar und schmalem, markant geschnittenem Gesicht, empfing uns mit sorgenumwölkter Stirn.
Er war für uns nicht nur Vorgesetzter, sondern auch väterlicher Freund und hatte es uns noch nie übel genommen, wenn wir ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt hatten.
»Jerry. Phil.« Er zeigte auf die Stühle, die vor seinem monströsen Schreibtisch standen. »Bitte setzen Sie sich.«
Wir nahmen Platz. Helen brachte zwei Tassen ihres legendären Kaffees und zog sich gleich wieder zurück. Mr. High stützte die Ellenbogen auf und musterte uns mit seinen eisgrauen Augen.
Vor ihm lagen Zeitungen mit ziemlich unerfreulichen Kommentaren. Wir kannten sie alle. Das FBI kam darin sehr schlecht weg. Man bezichtigte uns unterschwellig der Unfähigkeit, und damit wir nicht rechtlich gegen diesen ehrenrührigen Schmutzkübeljournalismus vorgehen konnten, wurden den Lesern die frechsten Behauptungen immer – ganz nach Pharisäer Art – mit einem dicken Fragezeichen serviert, denn schließlich wird man ja wohl noch eine Frage stellen dürfen.
Unser Chef zeigte auf die Blätter. »Darf ich erfahren, wie Sie vorankommen?«
»Wir sind am Ball, Sir«, bemerkte mein Partner lapidar.
Mr. High kniff die Augen zusammen. »Sie erwarten doch hoffentlich nicht von mir, dass ich mich mit dieser Antwort zufriedengebe.«
Phil zog die Schultern hoch. »Wir laufen uns die Hacken ab, sind rund um die Uhr auf den Beinen, rennen kreuz und quer durch die Stadt, gehen selbst den kleinsten Hinweisen nach, sprechen mit den Familienangehörigen der Opfer, soweit es welche gibt, reden mit deren Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen, ackern uns durch Anruflisten, Webadressen und Bankkontoauszüge …«
»Mit welchem Ergebnis?«, fiel ihm unser Chef ins Wort, als würde ihn das nicht sonderlich interessieren.
»Je mehr Informationen wir zusammentragen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Bestie kriegen«, warf ich ein.
»Ich kann mich sehr gut in Ihre Lage hineinversetzen. Das wissen Sie. Aber Sie müssen auch meinen Standpunkt verstehen.« Mr. High krallte sich zwei Blätter, hob sie hoch und schüttelte sie verdrossen. »Solche Berichte können mir nicht gefallen. Sie zwingen mich, Druck zu machen. Sie kennen die Medien. Die sind unerbittlich gierig. Ich muss ihnen irgendetwas geben, muss ihren Hunger stillen. Sonst zerreißen sie uns in der Luft. Vier Morde. Vier schreckliche Frauenmorde. Ich kann nicht vor die Presse treten und sagen: Meine Leute sind am Ball. Das reicht nicht. Das ist zu wenig.«
Wir waren uns dessen bewusst, jedoch mehr als 24/7 zu arbeiten, konnten wir nicht. Das musste Mr. High einsehen. Wir zeichneten ihm ein hässliches Bild von den vier abscheulichen Morden und schilderten ihm eine Stunde lang – so viel Zeit nahmen unsere Berichte normalerweise so gut wie nie in Anspruch –, was wir schon alles unternommen hatten. Welche Essenz er daraus gewinnen und an die Medien weitergeben würde, war danach seine Sache. Er war ein Routinier, würde schon den richtigen Ton und die treffenden Formulierungen finden.
Als wir wieder in unserem Büro waren, starrte Phil die Pinnwand wie einen persönlichen Feind an. »Ich bin ja jetzt schon eine Weile in dem Job und dachte eigentlich, bereits alles erlebt zu haben, nur das stimmt nicht«, grollte er. »Die Taten dieses grausamen Teufels gehen mir dermaßen unter die Haut, wie ich es noch nie erlebt habe.«
Ich nickte, denn mir ging es genauso.
Lara Nixon warf einen Blick auf das Display ihres Smartphones. Wenn es ihr Vater gewesen wäre, hätte sie ihn kurzentschlossen weggedrückt, denn sie war nicht gut auf ihn zu sprechen, seit sie erfahren hatte, dass er seine Frau, ihre geliebte Mom, mit seiner Sekretärin, diesem billigen, allzeit bereiten Flittchen, betrogen hatte.
Das Luder war nicht einmal besonders hübsch, aber jung, noch nicht einmal zwanzig, und das hatte den alten Bock, der mitten in einer deprimierenden Midlife-Crisis steckte, wohl so sehr gereizt, dass er nicht widerstehen konnte.
Martina Warner, Laras immer fröhliche Langzeitfreundin, strahlte sie vom Display mit großen Glubschaugen an. Für die war sie jederzeit zu sprechen.
»Hallo, Martina, wie geht’s?«, erkundigte sich Lara aufgekratzt. Sie drückte auf die Fernbedienung und stoppte die Wiedergabe der TV-Aufzeichnung. »Du kannst wahrscheinlich gar nicht genug klagen, stimmt’s?«
Schluchzen am anderen Ende.
Lara erschrak. »Martina?«
Schluchzen. Schniefen.
»Um Himmels willen, Martina, was ist passiert?«
Martina Warner heulte los, als wäre in diesem Moment ein Damm in ihr gebrochen. »Ich hasse ihn.«
»Wen?«
»Er ist ein Mistkerl.«
»Wer? Von wem sprichst du, Martina?«, wollte Lara wissen. Sie sprang auf und lief im Wohnzimmer hin und her.
»Ich habe ihm vertraut, dachte, er wäre anders, aber er ist ein Schwein wie alle. Es gibt keine anständigen Männer. Sie sind alle gleich.«
»Wie ist sein Name?«, wollte Lara aufgewühlt wissen.
»Patrick Dwayne.«
»Wo hast du ihn kennengelernt? Auf dieser Internetplattform?«
»Ja.«
»Oh, Martina, ich hab dir doch gesagt …«
»Er kam so nett, so harmlos, so anständig rüber.« Martina schluchzte.
»Was hat er getan?«, fragte Lara, obwohl sie die Antwort zu kennen glaubte.
»Ich hätte ihn nicht mit zu mir nehmen sollen. Das war ein großer Fehler. Er war nur so freundlich, liebenswürdig und unterhaltsam. Wir haben so viel gelacht … Kaum waren wir jedoch allein, da … da … da ließ er die Maske fallen. Er war wie ausgewechselt, wurde zudringlich … Ich habe ihn gebeten, es langsam anzugehen, davon wollte er nichts wissen. Er wurde grob, fiel wie ein Tier über mich her …«
»Du hättest ihm die Tür weisen sollen, Martina.«
»Das habe ich getan. Er hat mich ausgelacht und mir mein Kleid zerrissen.«
»Hast du dich nicht gewehrt?«
»Doch, aber er war zu stark für mich.«
»Hast du um Hilfe gerufen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Er hat gedroht, mich umzubringen, wenn ich nicht still sein und ihn machen lassen würde. Oh, Lara, es hat so entsetzlich wehgetan«, wimmerte Martina.
Laras Kopfhaut zog sich zusammen. Sie fühlte mit der Freundin. »Möchtest du zu mir kommen?«
»Das kann ich nicht. Ich bin …«
»Soll ich zu dir kommen?«, fragte Lara.
»Kannst du über Nacht bei mir bleiben?«, fragte Martina flehend.
»Klar. Kein Problem. Ich fahre gleich los. Du wirst diesen Patrick Dwayne anzeigen, hörst du?«
Martina Warner presste furchtsam hervor: »Ich habe Angst, dass er …«
»Du musst dieses Schwein anzeigen, damit er nicht schon morgen der nächsten Frau Gewalt antut«, sagte Lara mit Nachdruck. »Der Mistkerl gehört ins Gefängnis.« Ihre Stimme klang gnadenlos. »Ich bin in spätestens zwanzig Minuten bei dir.«
Sie legte auf. Der Hoodiemann trat ein – und damit völlig unverhofft in ihr Leben.
Der Serienkiller, hinter dem wir her waren, hatte seine Opfer entstellt, verstümmelt, verbrannt, verätzt, und es stand fest, dass der Ort, an dem man die Frauenleichen gefunden hatte, niemals auch der Tatort gewesen war. Umgebracht waren die Frauen woanders worden. Wo? Das wussten wir, trotz intensivsten Bemühens, noch nicht.
Es war später Abend. Ich kam geschlaucht nach Hause und sehnte mich nach Ruhe und Entspannung. Mein Kühlschrank war gähnend leer. Hier hatten mal wieder Planungs- und Organisationstalent komplett versagt.
»Selber schuld«, murmelte ich ohne Mitleid. »Wenn du nichts einkaufst, ist nichts da.«
Zum Glück war noch eine Flasche Bud da. Die trank ich vor dem Fernseher, mit hochgelegten Beinen. Herrlich. Wie bescheiden der Mensch bisweilen sein kann.
Während ich mich flüssig ernährte, zappte ich mich durch die Kanäle und blieb an einem Stand-up-Comedian hängen, der sein Publikum mit scharfzüngigen Witzen zu unterhalten wusste. Obgleich er es für meinen Geschmack hin und wieder mit seinem bissigen Zynismus und seinem Griff in die unterste Schmuddellade ein wenig übertrieb, brüllten die Leute vor Begeisterung und applaudierten nach jedem giftigen Gag wie verrückt. Manche Pointe entging mir, weil meine Gedanken immer wieder zu Mr. U abschweiften. Mr. Unbekannt.
Den Namen hatte ich ihm – für den Eigengebrauch – gegeben, und ich hoffte, ihm bald seinen richtigen Namen umhängen zu können. Was bewog ihn, zu töten?
Machte es ihm Spaß, Menschen sterben zu sehen? Hasste er Frauen? War ihm einmal von einem weiblichen Wesen großes Leid zugefügt worden?
Meinte er, nur mit grausamen Morden darüber hinwegkommen zu können? Was für ein Motiv hatte er? Oder brauchte er keines für seine entsetzlichen Taten?
Als mein Telefon klingelte, griff ich zur Fernbedienung und killte den ätzenden, alle Tabus brechenden Comedian. Dann meldete ich mich.
»Wobei störe ich?«, erkundigte sich jemand. Ein Mann.
»Wer will das wissen?«, fragte ich zurück.
»Erkennst du meine Stimme nicht?«
»Kann es sein, dass Sie falsch verbunden sind?«
»Mann, Jerry. Ich bin es: Mick. Mick Huddle.«
Mick Huddle! Grundgütiger. Ja. Der Mann war ein Multitalent. Er malte grandiose düstere Bilder, komponierte schräge Songs und veröffentlichte zwischendurch als Selfpublisher E-Books, die sich hervorragend verkauften.
Ich hatte ihn vor einem Jahr im Zuge einer Ermittlung kennengelernt. Wir hatten uns danach ein paarmal privat getroffen, und dann war er nach Hollywood gegangen, weil ein Filmproduzent Gefallen an einem seiner Romane gefunden und ihn eingeladen hatte, am Drehbuch mitzuarbeiten. Das geplante Projekt war nicht zustande gekommen, weil der große, triebgesteuerte Moviemogul seine fetten Finger nicht von den jungen Starlets hatte lassen können, die sich bei ihm um eine Rolle bemüht hatten. Jetzt saß er da, wo er hingehörte, und konnte nur noch Männerfreundschaften anbahnen.
»Wieder zurück, Mick?«, fragte ich.
»Ja.«
»Seit wann?«
»Seit drei Wochen«, antwortete Mick Huddle.
»Und da höre ich erst heute von dir?«, fragte ich vorwurfsvoll.
»Ich hatte viel um die Ohren«, rechtfertigte sich der Künstler. »Ihr auch, wie ich den Gazetten entnehme.«
»Allerdings«, knurrte ich verdrossen. Wer wird schon gerne an seine Erfolglosigkeit erinnert? Mr. U verkörperte für uns zurzeit das reinste Waterloo. »Wie war’s drüben?«
»Ich habe es mir glamouröser vorgestellt«, antwortete Mick. »Hör zu, Jerry, ich habe vielleicht einen Tipp für euch.«
Nach den gefühlten tausend leider wertlosen Tipps, die wir schon bekommen hatten, noch einer. Warum nicht?
»Ich hoffe, du bist daran interessiert«, sagte Mick.
»Immer – wenn er gut ist«, gab ich zurück.
»Weißt du, wer Sal Abnett ist?«, erkundigte sich Mick.
»Sollte ich?«
»Abnett ist Autor«, klärte er mich auf. »Er schreibt Bücher, für die er keinen Verleger findet. Deshalb bringt er sie im Selbstverlag heraus.«
»Warum findet er keinen Verleger? Schreibt er so schlecht?«
»Das nicht«, gab Mick zur Antwort. »Sein Stil ist brillant. Daran gibt es nichts zu meckern.«
»Wieso will ihn dann keiner verlegen?«
»Weil seine Themen an Abartigkeit nicht zu überbieten sind.«
»Worüber schreibt er denn?«