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New York wurde an einem einzigen Vormittag von einer Reihe unerklärlicher Gewalttaten erschüttert. Ein gut gekleideter Mann betrat eine Wäscherei, erkundigte sich nach einem ganz bestimmten Angestellten - und erschoss ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. Keine Stunde später tötete derselbe Mann in Brooklyn. Und auch Mord Nummer drei und vier ließen nicht lange auf sich warten. Wir stürzten uns in die Ermittlungen und sahen uns schon bald mit einem mächtigen Gegner konfrontiert, der seine willenlosen Puppen tanzen ließ.
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Der ferngesteuerte Tod
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Seleznev Oleg / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9964-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der ferngesteuerte Tod
Sun Lee blickte kaum auf, als das Glöckchen über dem Eingang Kundschaft ankündigte. Die Wäscherei hatte noch keine drei Minuten geöffnet. Der Kunde würde sich einen Moment gedulden müssen, bis sie die Liste der heutigen Abholungen überprüft hatte. Mit einem Bleistift setzte Sun Lee einen Haken hinter einen weiteren Kundennamen.
Dann hielt sie inne. Irgendetwas am Verhalten des Mannes irritierte sie. Schnurstracks trat er an den Counter heran, kein Hallo, kein Guten Morgen. Erst jetzt sah sie zu ihm auf.
Nichts an seiner Erscheinung ließ vermuten, dass der Tod persönlich vor ihr stand.
Der Dunkelhaarige, den sie nie zuvor gesehen hatte, war um die vierzig, wirkte adrett, aber unscheinbar und trug einen halb geöffneten schwarzen Mantel über einem Anzug. Am auffälligsten war die Brille auf seiner Nase. Ein klobiges und nicht besonders modisches Gestell.
»Ja bitte?«, sprach sie ihn an, als er auf ihren auffordernden Blick keinen Ton herausgebracht hatte.
»Ich …« Er räusperte sich. Die Worte klangen heiser, als sei seine Kehle mit Sandpapier ausgelegt. »Ich möchte zu Chung-Ho.«
Sun Lee runzelte die Stirn. Chung-Ho war der jüngste ihrer drei Söhne. Und alle drei unterstützten ihre Mutter in der Wäscherei, wo es nur ging. In diesem Moment war er im Waschraum, um die Maschinen anzuwerfen. Anscheinend hatte er seinen Namen gehört, denn es vergingen keine zehn Sekunden, ehe er hinter ihr durch die Tür kam und neben sie trat.
Auch er musterte den Fremden fragend. »Ja?«
»Chung-Ho Lee?«, versicherte sich der Unbekannte.
»Das bin ich … Was kann ich …?«
Er kam nicht mehr dazu, die Frage zu stellen. Blitzschnell griff der Mann unter seinen Mantel, zog eine Schusswaffe und richtete den kurzen Lauf auf ihn.
Chung-Ho wich mit schreckgeweiteten Augen zurück, als bereits die Schüsse ertönten. Der erste traf ihn in die Schulter, der zweite in die Brust. Der dritte wühlte sich ihm in den Magen.
Es dauerte Sekunden, bis Sun Lee verstand, was gerade geschehen war. Die Schüsse hallten in ihren Ohren nach, als ihr Sohn bereits blutüberströmt neben ihr zusammenbrach. Ihr Blick ging noch einmal zu dem Fremden, der die Waffe wieder unter seinem Mantel verschwinden ließ, ein kurzes »Sorry«, murmelte und dann eilig den Laden verließ.
Detective Ralph Harris bahnte sich einen Weg durch die Schaulustigen, die vor dem Eingang der Wäscherei in Queens Village standen. Die Streifenkollegen, die als Erste vor Ort gewesen waren, hatten den Tatort provisorisch mit einem Absperrband gesichert. Einer von ihnen, ein junger Officer namens Sanchez, hatte inzwischen Position vor dem Eingang bezogen und redete auf die Gaffer ein. Die beiden Männer nickten sich im Vorbeigehen zu.
»Die Meds waren schon da und haben ihn abtransportiert«, meinte der Uniformierte knapp.
»Haben sie etwas zu seinem Zustand gesagt?«
Sanchez schüttelte verhalten den Kopf. »Sie wollen sich in Kürze melden.« Damit trat der Latino zur Seite und ließ Harris passieren.
Im Inneren der Wäscherei war es dunkel, und es roch nach einem Potpourri verschiedener Reinigungsmittel.
Mit einem erfahrenen Blick durchsuchte Harris den Raum nach einer Überwachungskamera und wurde in der linken hinteren Ecke fündig. Im Geiste machte er sich eine Notiz.
Der zweite Officer, den Harris nicht namentlich kannte, lehnte am Counter neben einer älteren Asiatin und versuchte, ihr Details zum Tathergang zu entlocken.
»Der Täter zog also grundlos eine Waffe und schoss …«
Die Frau sah ihn aus großen, geröteten Augen an. Ihre Lider flatterten. »Bitte … Ich will zu meinem Sohn.«
Der Uniformierte klappte seinen Notizblock zu und steckte ihn in die Brusttasche der Uniform
Harris blieb neben den beiden stehen und stellte sich vor.
»Officer Stanley«, entgegnete der Kollege knapp. Er brachte Harris auf den neuesten Stand. Die Tat war nicht einmal eine halbe Stunde her. Harris war bereits unterwegs gebrieft worden. Neu war lediglich, dass es sich entgegen seiner bisherigen Annahme offenbar nicht um einen Überfall handelte. Der Mann hatte kein Geld gewollt. Was dann?
Tausend Möglichkeiten schossen Harris durch den Kopf. Läden wie dieser mussten häufig Schutzgeld bezahlen. Eine Tat im Bandenmilieu also?
Um das herauszufinden, war eine intensive Befragung der Angehörigen vonnöten, doch zumindest Mrs. Lee schien dazu kaum in der Lage zu sein. Sie stand sichtlich unter Schock und würde erst einmal selbst medizinische Hilfe benötigen, die angefordert war.
»Was ist mit dem Rest der Familie?«, fragte Harris leise, nachdem sie sich ein paar Schritte von der Koreanerin entfernt hatten.
»Zwei weitere Söhnen. Beide wurden verständigt und sind unterwegs. Der Vater ist vor Jahren verstorben.«
Harris nickte knapp und griff nach seinem Handy, das seit zehn Sekunden in seiner Gesäßtasche vibrierte.
Er meldete sich mit Namen und Dienstrang, hörte zu, bedankte sich und legte auf. Seine Miene verdüsterte sich.
Officer Stanley sah ihn fragend an.
»Die Klinik«, sagte der Detective so leise, dass nur der Kollege es hören konnte. Der musste nicht nachfragen, um zu wissen, was Harris gerade erfahren hatte. Sie nickten sich ernst zu, dann traten sie an die Koreanerin heran. Sie saß vornübergebeugt und hatte das Gesicht in den Händen vergraben.
Innerlich seufzend legte Harris ihr eine Hand auf die Schulter. Nun kam der traurigste Teil seines Jobs.
Officer Mitch Ferguson trat aus der Tür seines fünfstöckigen Wohnhauses in der Plymouth Street im nordwestlich gelegenen Teil von Brooklyn. Er blieb stehen, hob den Blick in den wolkenverhangenen Himmel. Das Gewitter, das in den frühen Morgenstunden über der Stadt gewütet hatte, löste sich allmählich auf. Der Rest des Tages versprach, so sonnig zu werden, wie es der Wetterbericht vorhergesagt hatte.
Ferguson setzte seine blaue Uniformmütze mit dem goldfarbenen Wappen auf und zog den Reißverschluss seines Parkas bis zum Kinn.
An diesem Septembermorgen war es frischer als noch vor einer Woche. Eine kurze Unterbrechung des bis dahin ohnehin viel zu warmen Spätsommers. Doch laut Wetterbericht würde bis zum Wochenende erneut die 68-Grad-Fahrenheit-Marke gerissen. Ferguson hatte zwar Dienst, aber auf Streife fuhr es sich leichter bei angenehmen Temperaturen. Und die Menschen waren entspannter …
Ferguson klemmte sich den Glimmstängel, den er in der hohlen Hand hielt, zwischen die Lippen, zündete ihn an und nahm einen tiefen Zug.
Vom Gebäude des vierundachtzigsten Precinct, dem Ferguson unterstellt war, trennte ihn nur eine knappe Meile, die er bei normaler Schrittgeschwindigkeit in einer Viertelstunde zurücklegte.
Er öffnete das schmiedeeiserne Tor, trat auf die Straße hinaus und wollte es gerade wieder schließen, als sich fünf Yards weiter ein Mann aus dem Schatten der mannshohen Backsteinmauer löste, die das Wohnhaus umgab. Mitch Ferguson musterte von oben bis unten. Ein Verhalten, das ihm dank seines Berufs in Fleisch und Blut übergegangen war.
Der Mann war gut gekleidet. Ferguson war kein Modeexperte, doch dass der halb geöffnete Mantel und der Anzug darunter nicht von der Stange kamen, war selbst für ihn zu erkennen.
Irgendetwas störte ihn allerdings, ohne dass er es genau benennen konnte. War es die merkwürdige Brille auf seiner Nase? Das ausdruckslose Gesicht, das so maskenhaft war, als würde der andere krampfhaft jede Gefühlsregung unterdrücken? Zumindest seine flatternden Lider verrieten, dass er unter enormer Anspannung stand.
Ferguson hielt abwartend inne. Irgendwie kam ihm der Mann bekannt vor. Wohnte er in der Nachbarschaft?
Nun, was immer der Fremde von ihm wollte, Ferguson würde es gleich erfahren, denn er kam direkt auf ihn zu. Er war noch drei Schritte entfernt, als er ihn bereits ansprach.
»Mitch Ferguson? Officer Ferguson?«
Wie es aussah, hatte der seltsame Mantelträger nur auf ihn gewartet.
»Steht vor Ihnen, Sir«, gab Ferguson unumwunden zurück.
Eine Armlänge von Ferguson entfernt blieb der Mann stehen. Jetzt, aus der Nähe, sah Ferguson den feuchten Schimmer in den blassgrauen Augen seines Gegenübers. Irgendetwas schien ihn schwer zu belasten.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Der Mann senkte den Kopf. Bisher hatte er beide Hände in den Taschen seines Mantels vergraben gehabt. Jetzt zog er die Rechte in einer ruckartigen Bewegung heraus. Fergusons Blick fiel auf den Lauf der Waffe, der auf ihn zielte.
Sein Puls beschleunigte sich, seine Kehle wurde trocken. Im Augenwinkel bemerkte er zwei Passanten, die zehn Yards hinter dem Bewaffneten erschrocken zurückwichen und das Weite suchten.
Irgendwo hinter ihm schrie jemand: »Verdammt, der Kerl hat eine Waffe!«
Die Worte drangen wie durch Watte in sein Bewusstsein. Seine Konzentration galt einzig und allein dem Fremden. Fergusons eigene Dienstwaffe, eine Glock 19, wie sie das NYPD standardmäßig verwendete, lag sicher verwahrt auf dem Revier, wie es die Sicherheitsvorschriften verlangten.
In einer beschwichtigenden Geste hob Ferguson beide Hände und wollte gerade etwas sagen, als auch schon der erste Schuss ertönte.
Die Kugel traf ihn in die linke Brust, dicht oberhalb des Herzens. Keuchend taumelte Ferguson rückwärts. Er bekam noch mit, wie im dritten Stock des Wohnhauses ein Fenster aufgerissen wurde und irgendjemand seinen Namen rief. Dass es Carrie, seine Lebensgefährtin war, merkte er nicht.
Der zweite Schuss traf ihn genau in die Stirn. Und setzte einen blutroten Schlusspunkt hinter sein kurzes Leben.
Detective Harris saß in seinem Büro an seinem Schreibtisch.
Das Fenster stand weit offen, die Jalousien waren halb heruntergelassen, sodass das Sonnenlicht ein kunstvolles Streifenmuster auf seine rechte Gesichtshälfte malte.
Sein konzentrierter Blick war auf den Flachbildmonitor mit den Aufnahmen der Überwachungskamera aus der Wäscherei gerichtet, die ihm gerade zugespielt worden waren.
Die Kamera war in einem für Harris' Zwecke ungünstigen Winkel installiert. Der Mantelträger war nur von hinten – und von schräg oben – zu sehen. Von der Waffe war nichts zu erkennen. Ein uneingeweihter Zuschauer hätte gar nicht verstanden, warum der junge Asiate hinter dem Counter urplötzlich zusammenbrach.
Der Schütze schien die Kamera nicht bemerkt zu haben, da er sich beim Gehen genau in ihre Richtung drehte.
Harris klickte die rechte Maustaste. Das unscharfe Bild fror in dem Moment ein, in dem sich der Täter Richtung Kamera wandte. Sein Aussehen stimmte mit der Beschreibung überein, die Mrs. Lee abgegeben hatte. Harris hatte bereits auf den ersten Blick nicht das Gefühl gehabt, dass der Mann dem üblichen Täterprofil bei ähnlich gelagerten Taten entsprach. Der Mann in dem modischen Mantel war kein Junkie und kein Gangmitglied. Und der Mord war keine Zufallstat. Er hatte sein Opfer namentlich gekannt. Ein Auftragskiller? Wohl kaum. Die erledigten ihr Geschäft nicht in aller Öffentlichkeit, und schon gar nicht vor dem aufmerksamen Zyklopenauge einer Überwachungskamera.
Harris fertigte einen Screenshot des Mannes an. Sollten ihn die Kollegen durch das Archiv jagen, vielleicht erzielten sie einen Treffer.
Harris wollte gerade aufstehen, als das Festnetztelefon auf dem Schreibtisch klingelte. Der Anruf kam aus der Zentrale.
Harris nahm ab. »Ja?«, meldete er sich knapp.
»Detective, ich habe gerade eine Meldung reinbekommen. Eine Schießerei in Vinegar Hill …«
»Zu spät. Ich bin schon an einem anderen Fall dran …«
»Genau deshalb rufe ich an. Zeugen beschreiben den Täter als einen gut gekleideten Mann um die vierzig, mit dunklen Haaren und einer auffälligen Brille. Er trägt außerdem einen Mantel …«
Harris setzte sich hustend auf. Magensäure schoss ihm in die Kehle. Er hätte heute Morgen nicht so viel Kaffee trinken sollen.
»Sir, alles in Ordnung?«
Harris bejahte krächzend. »Wer ist das Opfer?«
»Ein Streifenkollege.«
»Ein Cop?« Harris' Blutdruck ging in die Höhe.
»Ja, Sir. Aus dem Vierundachtzigsten. Mitch Ferguson ist sein Name …«
»Ist er …?«
»Kopfschuss, Sir. Er ist noch am Tatort gestorben.«
Harris ließ sich die Adresse geben, bedankte sich und legte auf, um kurz darauf seinen Vorgesetzten Captain Snyder anzuwählen. In knappen Worten schilderte er die Situation.
»Vinegar Hill?«, echote Snyder. »Das ist zwanzig Meilen vom ersten Tatort entfernt.«
»Ich weiß, Sir. Der Täter scheint nicht wahllos zu morden, sondern sich seine Opfer gezielt auszusuchen. Und wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Ferguson nicht der Letzte auf seiner Liste war.«
Sekundenlange Stille in der Leitung. »Ich werde das FBI informieren«, meinte Snyder dann.
»Halten Sie das nicht für etwas voreilig?«
»Nach allem, was wir wissen, haben wir es hier mit einem Amoklauf zu tun, vielleicht sogar mit Terrorismus. In jedem Fall ist es eine Frage der inneren Sicherheit.«
Harris atmete tief durch. »Alles klar, Sir.«
Dass Harris den Fall an die Bundespolizei abgeben musste, gefiel ihm nicht. Aber Snyder hatte recht. Dies war nicht der Zeitpunkt für Kompetenzgerangel. Nach dem aktuellen Ermittlungsstand lief ein waffenschwingender Irrer durch die Straßen ihrer Stadt. Ihn zu stoppen, egal wie, hatte oberste Priorität.
»Entschuldigen Sie, ist dieser Platz noch frei? Sir …? Hallo …?«
Geistesabwesend sah ich von meinem Teller auf. Ich war in Gedanken gewesen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass mich die Rothaarige schon ein paarmal angesprochen hatte. Sie trug einen dunklen Blazer, einen knielangen Rock und hatte sich mit einem Tablett in der Hand durch das Gedränge gekämpft.
»Na klar«, beeilte ich mich zu sagen und tastete nach der Einkaufstüte, die ich etwas ungünstig unter meinem Tisch platziert hatte.
Ich hatte mich so auf mein Essen, Club Sandwich mit einem Berg French Fries, konzentriert, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie sich das Self-Service-Lokal in Manhattan in den letzten Minuten gefüllt hatte.
Ich hatte mir den Vormittag freigenommen, um mal wieder ein paar aufgeschobene Besorgungen zu erledigen. Danach war ich spontan in dem kleinen Lokal eingekehrt, an dem ich bisher immer nur vorbeigegangen war. Vom Stil her ein klassisches Diner im Design der Fünfzigerjahre mit roten Stühlen und Bänken und einem Schachbrettmuster auf dem Boden. Die Wände zierten alte Werbeplaketten und Zeitungsauschnitte.
Die Rothaarige stellte ihr Tablett ab und ließ sich wie ein nasser Sack auf den Stuhl gegenüber plumpsen. Jetzt wo sie sich einen Platz gesichert hatte und sich auf ihre Caesar-Salad-Bowl stürzen konnte, sah sie mich schon etwas versöhnlicher an.
»Sorry, dass ich gerade etwas pampig war …« Sie lächelte. »Rita, hi!«
Ich erwiderte das Lächeln. »Jerry.« Eigentlich war ich mit dem Essen so gut wie fertig und nicht unbedingt in der Stimmung, eine Konversation zu führen. Im Gegensatz zu Rita, die sofort begann, mir von ihrem Job als Modeberaterin zu erzählen. Ehrlich gesagt, hörte ich nur mit einem Ohr zu, wollte aber auch nicht unhöflich sein.
Mein Blick wanderte zu dem stumm geschalteten Großbildfernseher über der Milkshakebar, über den die Livebilder eines lokalen Nachrichtensenders flackerten. Irgendetwas musste passiert sein. Auf dem Laufband am unteren Rand stand irgendetwas von mehreren Schießereien und einem Täter, der auf der Flucht war. Dann wurde das Phantombild eines Mannes eingeblendet, das bis auf die auffällige Brille relativ nichtssagend war.
»Und was machen Sie beruflich, Jerry?«
Ich zögerte einen Moment. Mein Beruf war zwar kein Staatsgeheimnis, dennoch hatte ich eine gewisse Scheu, mit wildfremden Menschen darüber zu sprechen. »Ich arbeite für die Regierung«, sagte ich daher nur.
Die Rothaarige verdrehte die Augen. »O nein, ein IRS-Fuzzi.« Rita stöhnte. Mein Zögern hatte sie offenbar völlig falsch gedeutet und hielt mich für einen Finanzbeamten.
»Knapp vorbei«, gab ich lächelnd zurück.
Rita schürzte die Lippen, während sie ihre Gabel beiseitelegte. »Verraten Sie es mir.«
»Ich …« Mein Blick wanderte erneut zu dem Monitor. Leider konnte ich nicht verstehen, was die blonde Reporterin sagte. Sie stand vor einer mit einem gelb-schwarzen Band abgesperrten Backsteinmauer. Es schien weitere Neuigkeiten zu geben. Auf dem Laufband stand jetzt irgendetwas von einem möglichen Amoklauf. Allmählich wuchs meine Anspannung.
»Rita, ich …«
Meistens reagiere ich auf das Dudeln meines Smartphones genervt, in diesem Fall war es eine Erlösung. Ein schneller Blick auf das Display verriet mir, dass der Anruf aus den Headquarters kam. Steve Dillaggio, Special Agent in Charge und Leiter unserer Task Force.
Bevor ich etwas sagen konnte, legte Steve auch schon los. »Jerry, ich stör dich ungern in deiner freien Zeit, aber ich muss dich bitten, sofort ins Field Office zu kommen.«
»Geht es um das, was ich gerade in den Nachrichten sehe?«, fragte ich unverblümt, woraufhin sich Rita abrupt umdrehte und ebenfalls den Monitor hypnotisierte.
»Ich sehe, du bist schon im Bilde. Bis wann bist du da?«
»Zwanzig Minuten«, entgegnete ich, warf die Serviette auf meinen leeren Teller und stand auf. »Ich bin untröstlich, doch die Pflicht ruft«, meinte ich zu der Rothaarigen, während ich mein Tablett umständlich an ihrem Stuhl vorbei balancierte.
Die junge Frau blickte interessiert zu mir auf. »Sagen Sie, sind Sie ein Cop oder so?«
»So was in der Art«, meinte ich lächelnd, bevor ich in der Menge verschwand.
Als ich nach einer halbstündigen Fahrt durch den New Yorker Mittagsverkehr unser Field Office im Javits Federal Office Building betrat, konnte man die Spannung mit Händen greifen.
Die Kollegen, die durch die Gänge huschten, trugen ernste Mienen vor sich her oder tuschelten leise miteinander.