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Eine ausgelassene Firmenparty auf einem Ausflugsschiff in New Yorks Upper Bay fand ein brutales Ende, als zwei schwer bewaffnete Männer an Bord kamen und die knapp hundert Gäste als Geiseln nahmen. Ihre Bedingung an die Ermittlungsbehörden: Freiheit für Patrick Hardy! Der Ex-Cop war längst im Ruhestand, hatte jedoch als Wachmann für das Unternehmen gearbeitet, das die Party veranstaltete. Ehe wir uns einen Reim darauf machen konnten, versuchten zwei der Geiseln, von dem Schiff zu fliehen - und brachten damit die anderen Passagiere in höchste Lebensgefahr!
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Albtraum in der Upper Bay
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Andy Gin / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9965-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Albtraum in der Upper Bay
Alan Cavill lehnte sich gegen die Reling der kleinen Charterjacht und blickte aufs Wasser hinaus. Vor ihm lag die glitzernde Skyline Manhattans. Dazwischen waren die Lichter einiger Boote zu sehen. Über allem prangte ein heller Mond, der seinen silbernen Schein über die Bucht warf. Cavill hatte gerade erfahren, dass die langersehnte Beförderung zum Teamleiter bei Edward Quality Engineering kurz bevorstand. Konnte es einen perfekteren Abend geben? Cavill trank das halb volle Champagnerglas in einem Zug leer und warf es im hohen Bogen über Bord. Dann drehte er sich um – und erstarrte.
Vor ihm stand ein komplett schwarz gekleideter Mann, über dem Kopf eine Sturmhaube, in den Händen eine MP. Und ihr Lauf zeigte genau auf Cavill …
Die Stimmung an Bord war ausgelassen. Der Champagner floss in Strömen, uniformierte Kellner reichten Häppchen.
Die Jacht verfügte über zwei Decks, doch im Moment hielten sich fast alle der knapp hundert geladenen Gäste im unteren Bereich auf, wo für das leibliche Wohl gesorgt wurde. Später würde sich das Geschehen allmählich auf das Oberdeck verlagern, wo eine Band bereits ihr Equipment aufbaute.
Die Gespräche verstummten, als Charles Edward III., aktueller Geschäftsführer des über hundert Jahre alten Familienunternehmens, mit einem Löffel dreimal gegen das Kristallglas in seiner Hand schlug.
Die Gäste wandten sich zu ihm um, halb freudig gespannt, halb in der Hoffnung, dass keine allzu lange Rede die Eröffnung des Büfetts unnötig herauszögern würde.
»Ich freue mich außerordentlich, Sie heute hier persönlich an Bord der Infinity begrüßen zu können«, begann Edward. »Ich sehe in viele vertraute Gesichter, aber auch in viele neue, und ich …«
Er verstummte, da ein Raunen durch die Anwesenden ging. Er drehte sich halb um, sein Blick fiel auf die drei Musiker und ihre Sängerin, die die Treppe vom Oberdeck hinunterstolperten. Und dann erkannte Edward den Grund dafür. In kurzem Abstand folgte ihnen eine komplett schwarz gekleidete, muskulöse Gestalt. Das Gesicht des Mannes war von einer Sturmhaube verhüllt, nur die Augen lagen frei.
Edward wollte etwas sagen, als ein Schrei aus den hinteren Reihen erklang.
Alle fuhren gleichzeitig herum. Ein weiterer Bewaffneter war aufgetaucht. Ein identisches Abbild des Kerls auf der Treppe. Auch er hielt eine kurzläufige MP, die er auf einen Mann gerichtet hielt.
Edward erkannte Alan Cavill, eine vielversprechende Führungspersönlichkeit seines Unternehmens. Jetzt war der Sonnyboy kreidebleich. Seine Lippen bebten.
Edward fühlte sich genötigt, irgendetwas zu sagen. »Gentlemen, was …?«
»Schnauze!«, blaffte der Kerl an der Tür und drückte Cavill den Lauf tiefer in die Rippen. »Noch einen Ton, und dieser Mann stirbt!«
Steve Dillaggios Anruf erreichte Phil und mich beim Abendessen. Den ganzen langen Tag waren wir mit der Nacharbeitung unseres letzten Falls beschäftigt gewesen und dabei kaum aus unseren Büros gekommen. Mittags hatten wir beide nur ein Sandwich runtergewürgt, das mir die nächsten Stunden schwer im Magen gelegen hatte. Nach Feierabend hatten wir deshalb beschlossen, diesen Tag im Mezzogiorno, unserem Stammitaliener, bei Pasta und einem guten Glas Wein zu beschließen. Nebenher plauderten wir über allerlei private Dinge, die uns zurzeit beschäftigten. Phil berichtete über eine neue Flamme, mit der er sich ein paarmal getroffen hatte, ohne zu wissen, wohin das Ganze führen würde. Und bei mir … Zugegeben, ich hatte mein Privatleben in letzter Zeit vernachlässigt und nahm diesen Abend zum Anlass, um diesbezüglich Besserung zu geloben.
»Darauf stoßen wir an«, sagte Phil und hob sein Rotweinglas. Ich tat es ihm gleich. Die rubinrote Flüssigkeit glitzerte im Licht der dezenten Deckenbeleuchtung. »Auf weniger Arbeit und mehr …«
In genau diesem Moment meldete sich mein Smartphone, das neben mir auf dem Tisch lag. Die Worte Steve Office leuchteten auf dem Display auf.
»Mehr Arbeit«, seufzte ich und nahm das Gespräch an. Phil und ich wussten beide, dass Not am Mann war, wenn Steve uns nach Dienstschluss vom Büro aus anrief. Nicht ranzugehen, war demnach keine Option.
»Hey, was gibt’s?«, fragte ich knapp.
»Sorry, aber ich muss dich leider zurück beordern. Wir haben einen Notfall. Sagst du auch Phil Bescheid?«
»Ist bei mir«, entgegnete ich.
Steve fasste zusammen, was passiert war. Ich versprach, dass wir uns sofort auf den Weg machten, und legte auf.
Phil schaute mich fragend an.
»Eine Geiselnahme«, erklärte ich. »Betroffen sind etwa hundert Personen einer Betriebsfeier. Die Geiselnehmer sind maskiert und mit MP bewaffnet …« Während ich sprach, winkte ich bereits den Kellner heran und zückte die Brieftasche.
»Und wo findet das Ganze statt?«
Ich sah Phil finster. »Mitten auf dem Wasser …«
Steve erwartete uns zusammen mit Mr. High in dessen Büro.
»Zeery macht, wie ihr wisst, gerade Urlaub auf Hawaii. Les und Joe sind unterwegs, brauchen aber noch eine Weile«, erklärte der Special Agent in Charge, während wir es uns in den Ledersesseln in der Besprechungsecke bequem machten.
Darauf wollte Mr. High, unser Chef und Leiter der Task Force T. A. C. T. I. C. S., nicht warten. Dass die Lage ernst war, entnahm ich bereits seiner Miene.
»Vor einer halben Stunde haben mehrere Bewaffnete die Infinity gestürmt, eine Jacht, die seit dem frühen Abend in der Upper New York Bay schippert. An Bord befinden sich etwa hundert Angestellte der Firma Edward Quality Engineering. Ein altgedientes Familienunternehmen, das Maschinen und Düngemittel für die Landwirtschaft produziert. Das Boot wurde bei einem lokalen Charterunternehmen eigens für die heutige Veranstaltung gebucht. Aktuell kreisen Hubschrauber des NYPD über der Bucht, doch aus der Luft ist nicht viel zu erkennen. Eines unserer Taucherteams macht sich bereit, um sich der Jacht zu gegebener Zeit unter Wasser zu nähern. Unser Hauptaugenmerk liegt allerdings zunächst darauf, nähere Informationen über die Geiselnehmer zu erhalten.«
»Ist bekannt, mit wie viele Geiselnehmern wir es zu tun haben?«, fragte ich.
»Leider nein«, gab Steve zurück. »Wir haben bisher nur wenige Erkenntnisse über das, was genau sich an Bord zugetragen hat. Vor einer halben Stunde ist ein Anruf beim NYPD eingegangen. Ein Mann erklärte, er und seine Mitstreiter hätten Geiseln genommen, und verlangte Freiheit für Patrick Hardy. Er hat gedroht, alle drei Stunden eine der Geiseln zu erschießen, falls der Fall Hardy nicht neu aufgerollt wird.«
»Hardy?«, hakte Phil nach.
Ich beantwortete seinen fragenden Blick nur mit einem Schulterzucken, denn ich konnte mich nicht erinnern, den Namen schon einmal gehört zu haben.
Steve griff nach einem Tablet und zeigte uns darauf das Polizeifoto eines Mannes in seinen späten Fünfzigern, der ausdruckslos in die Kamera schaute. Er hatte schütteres graues Haar und einen Dreitagebart.
»Hardy wurde vor einem Monat zu lebenslanger Haft verurteilt«, erklärte er. »Ihm wurde vorgeworfen, einen Brand in einer Fertigungshalle seines ehemaligen Arbeitgebers gelegt zu haben. Zwei Wachleute sind dabei ums Leben gekommen.«
»Und wer war sein Arbeitgeber?«, wollte ich wissen.
»Edward Quality Engineering.«
Ich nickte verstehend. »Dieselbe Firma, deren Mitarbeiter als Geiseln genommen wurden …«
»Hardy hat dort als Wachmann gearbeitet, bis ihm fristlos gekündigt wurde«, fuhr Steve fort.
Allmählich kamen wir der Sache näher.
»Warum wurde ihm gekündigt?«, fragte Phil.
»Ist nicht bekannt«, entgegnete Steve.
»Und dieser Hardy …«
»… hat seine Schuld vor Gericht bis zuletzt bestritten, Jerry«, meldete sich Mr. High zu Wort. »Er beharrte darauf, in eine Falle gelockt worden zu sein.«
»Hat Hardy Familie?«, wollte ich wissen.
»Eine Frau und zwei erwachsene Söhne, Ende zwanzig und Anfang dreißig«, sagte Steve mit einem Blick in die Akten auf seinem Tablet. »Wir haben versucht, Mrs. Hardy telefonisch zu erreichen, aber unter ihrer Nummer im Telefonverzeichnis geht niemand ran. Von den Söhnen haben wir bisher keine Kontaktdaten.«
»Und die Frau wohnt in …?«, fragte ich.
»… Queens.«
Wir beschlossen, dass Phil und ich uns sofort auf den Weg zu ihr machten. Vielleicht hatte sie eine Ahnung, wer die Geiselnehmer waren. Und mit etwas Glück wusste sie sogar über deren Pläne Bescheid.
Eleonore Hardy wohnte in South Jamaica, im Norden von Queens, fast in direkter Nachbarschaft zum JFK Airport. Es handelte sich um eine reine Wohngegend, der Verkehr hielt sich um diese Uhrzeit in Grenzen.
Unter der Adresse, die wir recherchiert hatten, fanden wir ein kleines Einfamilienhaus. Auf dem kurz geschnittenen Rasen lag allerlei Gerümpel verstreut, und das Gartentor quietschte bei unserem Eintreten laut und vernehmlich. Schon bei unserer Ankunft hatten wir bemerkt, dass im Haus alles dunkel war.
»Sieht so aus, als würde Mrs. Hardy früh schlafen gehen«, meinte Phil.
»Oder noch spät um die Häuser ziehen«, gab ich zurück, um meine Nervosität zu überspielen. Meine größte Sorge war, dass etwas passiert sein könnte.
Auch auf unser Klingeln hin regte sich nichts. Gerade wollten wir aufbrechen, als ein Yellow Cab direkt vor dem Grundstück am Straßenrand hielt. Eine ältere Lady stieg aus, bezahlte den Fahrer in bar und stutzte, als sie uns vor ihrer Haustür stehen sah.
Um ihr keine Angst einzujagen, zückte ich schon beim Näherkommen meinen Dienstausweis. Beruhigen schien sie das allerdings nicht.
»Ist was mit Pat? Meinem Mann?«, fragte sie nur.
Da ich nicht wusste, was ich darauf entgegnen sollte, schlug ich vor, das Gespräch im Haus fortzusetzen. Eleonore Hardy war einverstanden.
Nachdem wir eingetreten waren, erklärte sie, dass sie gerade bei ihrer Schwester zum Abendessen gewesen war. Sie führte uns in ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer mit einer braunen Ledercouch und bunten Vorhängen. An den Wänden hingen zahlreiche Familienfotos von ihr, ihrem Mann und den beiden Kindern. Die Fotos mussten schon sehr alt sein, denn die Söhne waren noch im Teenageralter.
Mrs. Hardy hatte halblanges blondes Haar, trug eine geblümte Bluse zu einem knielangen Rock und strahlte eine Traurigkeit aus, die sich nicht in erster Linie durch ihre Mimik bemerkbar machte, sondern sich tief in ihre Gesichtszüge eingegraben hatte. Ich nahm an, dass sie sehr unter der Inhaftierung ihres Mann litt.
»Ich habe keinen Besuch erwartet, deshalb kann ich nichts Besonderes anbieten«, entschuldigte sie sich, nachdem wir um den Couchtisch herum Platz genommen hatten. »Einen Tee vielleicht? Oder ein Glas Wasser?«
»Vielen Dank, aber wir möchten nichts«, sprach ich für uns beide und kam gleich zur Sache. »Ihr Mann ist derzeit auf Rikers Island in Haft, ist das richtig?«
Bei der Erwähnung ihres Mannes und der Gefängnisinsel im East River stiegen ihr Tränen in die Augen, die sie sich mit einem schmutzigen Stofftaschentuch abtupfte. »Mein Mann, ist unschuldig. Er …«
»Ma’am, darum geht es im Moment nicht«, fiel Phil ihr ins Wort. Dann erzählte er ihr von der Geiselnahme auf der Infinity. Und davon, dass ihr Mann Patrick Hardy explizit als Grund für diese Aktion genannt worden war.
Mrs. Hardys erschrockenes, verwirrtes Gesicht verriet mir alles, was ich wissen musste: Sie wusste nichts und hörte von diesem Überfall gerade zum ersten Mal.
»Ma’am, hören Sie sich das bitte an«, bat Phil, zog sein Handy hervor und spielte eine Sounddatei ab. Wir hatten uns den Mitschnitt des Anrufs schicken lassen, mit dem sich einer der Geiselnehmer in der Zentrale eines Police Department gemeldet hatte.
Zuerst war eine weibliche Stimme zu hören. »Mit wem spreche ich bitte?«
»Mein Name tut nichts zur Sache«, gab eine hart klingende Männerstimme zurück.
»O Gott!« Eleonore Hardys Kopf sank auf ihre Brust, und sie vergrub das Gesicht in den Händen.
Die Reaktion war vielsagender, als wir es uns erhofft hatten. Wir schwiegen und ließen die Aufnahme weiterlaufen.
»Ich und meine Leute haben die Crew und die Passagiere der Infinity in der Upper New York Bay in unsere Gewalt gebracht. Alle sind wohlauf. Und das wird so bleiben, wenn unsere Forderungen erfüllt werden.«
»Sir, wie lauten diese?«, fragte die weibliche Stimme.
In diesem Moment beendete Phil die Aufnahme. Es gab keinen Grund, Eleonore Hardy weiter zu quälen.
Die Frau hob den Kopf und schaute uns aus rot geränderten Augen an. »Das war einer meiner beiden Söhne. Tyler …«
Sie stand auf, ging zu einer Anrichte und nahm ein gerahmtes Foto in die Hand. Es zeigte einen etwa vierzehnjährigen Jungen, der mit Rollerskates über die Einfahrt vor dem Haus rollte. Sie sah es versonnen an, als könnte sie allein mit ihren Blicken die Zeit zurückdrehen und alles, was seit diesem einen Moment passiert war, ungeschehen machen.
Plötzlich hastete sie zum Telefon und wählte auswendig und mit zitternden Fingern eine Nummer. Obwohl der Apparat nicht laut gestellt war, konnten wir die Stimme einer Bandansage hören.
»Der gewünschte Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar …«
Mrs. Hardy biss sich auf den Knöchel ihrer Linken, dann legte sie auf. »Tyler geht nicht ran«, erklärte sie überflüssigerweise. Sie versuchte noch die Nummer ihres zweiten Sohns, mit dem gleichen Erfolg.
Wir baten sie um die Adressen ihrer Söhne. Anschließend rief ich Steve an und diktierte sie ihm. Nur Tyler Hardy wohnte in New York. Der ältere, Sam, lebte in Philadelphia, wo er ein Fitnessstudio leitete. Steve versprach, sofort ein paar unserer Leute zu beiden Adressen zu schicken. Ich bezweifelte jedoch, dass sie dort irgendjemanden antreffen würden.
Mich interessierte im Moment auch etwas ganz anderes. »Was ist in der Nacht des Brands geschehen, der Ihrem Mann vorgeworfen wird, Mrs. Hardy? Hat er je mit Ihnen darüber gesprochen?«
Eleonore Hardy schniefte in ihr Taschentuch und sah mich mit verweinten Augen an. »Er hat es nicht getan, Agent Cotton. Das hat er mir geschworen …«
»Das war nicht meine Frage«, gab ich freundlich zurück.
Sie seufzte laut. »Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass er in dieser Nacht das Haus verlassen hat. Wir … haben getrennte Schlafzimmer, müssen Sie wissen. Weil ich doch so laut schnarche …«
»Wann haben Sie sein Verschwinden bemerkt?«, fragte Phil.
»Als die Polizei vor der Tür stand und mir erklärte, dass sie Patrick wegen Verdacht auf Brandstiftung verhaftet haben. Ich bin aus allen Wolken gefallen. ›Mein Mann liegt friedlich in seinem Bett‹, habe ich gesagt. Erst nachdem ich nachgesehen habe, war mir klar, dass keine Verwechslung vorliegt. Da war ich aber noch überzeugt, dass sich die ganze Sache rasch aufklärt. Keine Sekunde lang habe ich an die Vorwürfe geglaubt.«
»Stimmt es, dass er erst kurz davor bei Edward Quality Engineering gefeuert worden ist?«
»Ja, Agent Cotton, nur deshalb legt man nicht gleich einen Brand …«
»Haben Sie mit ihm persönlich darüber gesprochen, warum er in dieser Nacht in die Firma gefahren ist?«, erkundigte sich Phil.
Sie faltete die Hände im Schoß und senkte den Kopf. »Er hat behauptet, ein ehemaliger Kollege hätte ihn gebeten, in die Firma zu kommen. Das hat er dann auch vor Gericht ausgesagt …«
»Mitten in der Nacht?«, hakte mein Partner nach.
Mrs. Hardy zuckte nur mit den Schultern.
Ich überlegte. Bereits auf der Fahrt hierher hatte Phil mir Passagen aus dem Polizeibericht vorgelesen. Demnach handelte es sich bei der abgebrannten Fertigungshalle um genau jenes Gebäude, das Hardy bis zu seiner Entlassung bewacht hatte. Bilder der Überwachungskameras belegten, dass er zum Zeitpunkt des Brands vor Ort war. Hardy selbst blieb unbeschadet, während zwei seiner Kollegen in den Flammen ums Leben gekommen waren. Alles, was wir bisher wussten, sprach dafür, dass Hardy das Feuer aus Frust über seine Entlassung gelegt hatte und dass die Hoffnung seiner Söhne, seine Unschuld beweisen zu können, auf Sand gebaut war.
»Eines noch, Mrs. Hardy«, sagte ich. »Was war der Grund für die Entlassung Ihres Mannes?«
»Er wollte sich dazu nicht äußern. Er meinte … er hätte wohl die falschen Fragen gestellt.«
Ich stutzte. »Hat er das näher ausgeführt?«
Eleonore Hardy schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht weiter nachgebohrt. Ich dachte, wenn er bereit ist, darüber zu reden, lässt er es mich schon wissen.«
Während Mrs. Hardy erneut den Kopf senkte, hielten Phil und ich stumme Zwiesprache. Eigentlich waren wir nur gekommen, um Aufschluss über die Identität der Geiselnehmer zu erhalten. Doch die mysteriösen Andeutungen, die Hardy seiner Frau gegenüber gemacht hatte, ließen uns aufhorchen. Vielleicht war es keine schlechte Idee, Patrick Hardy persönlich einen Besuch abzustatten. Ich hatte das Gefühl, dass er uns einiges zu erzählen hatte. Und wenn jemand seine Söhne zur Aufgabe bewegen konnte, dann vermutlich er.
»Mister Burnett? Hallo? Mister Burnett?«
Kevin Wilkes trat einen Schritt zurück und ließ den Blick an der Fassade des Einfamilienhauses hochwandern. Im Inneren war alles dunkel. Lediglich hinter einem Fenster unter dem Dach brannte ein schwaches bläuliches Licht.
Nachdem auf sein Klopfen niemand reagiert hatte, klopfte er mit der flachen Hand gegen die Fliegengittertür.
Hatte Burnett ihren Termin vergessen? Kevin kam seit drei Monaten jeden Mittwochabend zur Physiknachhilfe zu dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der NYU. Kevin war ein guter Sportler, und auch in Englisch und Geschichte konnte er punkten. Nur Naturwissenschaften waren für ihn während seiner gesamten schulischen Laufbahn ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Ein Umstand, an dem selbst der aus Schottland stammende Doktor der Physik bisher nicht viel hatte ändern können.
Kevin schaute auf die Uhr. Gut, er war acht Minuten zu früh, was daran lag, dass sein Footballtraining heute früher geendet hatte.