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Phil und ich bekamen es mit einer Reihe von Morden an Kredithaien zu tun - Männern, die zu einem Wucherzins Geld verliehen. Unser Hauptverdächtiger, der in derselben Branche tätig war, hatte ein wasserdichtes Alibi für mindestens eine der Taten, die immer mit derselben Waffe verübt wurden. Schon bald geriet der Halsabschneider selbst ins Visier des Mörders. Und als eines seiner Opfer schwer verletzt entkommen konnte, erlebten wir unser blaues Wunder.
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Seitenzahl: 140
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Der Wall-Street-Mörder
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: oneinchpunch / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9967-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Wall-Street-Mörder
Noch wusste der Killer nicht, dass er in Kürze einen Mord begehen würde. Er hatte zwar eine Waffe bei sich, aber er hatte nicht die Absicht, sie zu benutzen.
Angespannt schraubte er einen langen, zylindrischen Metallkörper auf seine Pistole, weil er meinte, dass ein klobiger Schalldämpfer auf das Opfer mehr Eindruck machen würde, und schob die Kanone nervös in seinen Gürtel.
Fertig. Er war bereit.
Wut und Hass loderten in den Augen des Mannes, der gekommen war, um mit Frank Grammer, dem Generalmanager der internationalen Versicherungsgesellschaft Eagle Insurance Group, ein Hühnchen zu rupfen.
Ich werde mich sehr zurückhalten müssen, denn schließlich steht für mich ungemein viel auf dem Spiel, sagte er sich. Nur wenn ich kalt, sachlich und ernsthaft bedrohlich auftrete, werde ich Erfolg haben. Wenn ich die Nerven verliere, sind die Konsequenzen nicht abzusehen. Dann läuft garantiert alles komplett aus dem Ruder …
Frank Grammer, ein großer, gut aussehender, knapp fünfzigjähriger Mann, trug ein maßgeschneidertes weißes Smokingjackett und schwarze Hosen mit rasiermesserscharfen Bügelfalten. Seine vornehme Eleganz reichte vom exakt gezogenen Scheitel bis zur glatten Gucci-Sohle.
Die Versicherungsgesellschaft, die er leitete, gab für ihre betuchten Aktionäre einen prunkvollen Empfang. Grammer sonnte sich im Glanz des edlen Fests und ließ es sich als Gastgeber nicht nehmen, alle, die seiner Einladung gefolgt waren, persönlich zu begrüßen.
Das Nobelhotel My Continent verfügte nicht nur über einen üppig dekorierten Festsaal, sondern bot mit seinem an eine Terrasse von beträchtlicher Größe grenzenden exotischen dschungelähnlichen Park einen würdigen Rahmen, wie es ihn sonst nirgendwo in der Stadt gab.
Raffiniert platzierte Miniaturlautsprecher sorgten in diesem künstlich angelegten Urwald für eine entsprechende Geräuschkulisse mit Vogelgeschrei, Raubtiergebrüll, Affengezänk und dergleichen mehr.
Während weder der Killer noch Frank Grammer ahnten, dass der Tod schon bald das Fest der absoluten Spitzenklasse crashen würde, sprach der Generalmanager auf der Hotelterrasse mit einem jungen Millionär, der sich als Wall-Street-Broker mit undurchsichtigen Tricks selbst zum Finanzolymp hochgeschossen hatte. Solche Leute imponierten ihm.
Er bewunderte jeden, der es aus eigener Kraft geschafft hatte, reich zu werden. Ihm selbst war das bisher bedauerlicherweise noch nicht gelungen, deshalb pflegte er zu sagen: „Ich spare zurzeit auf meine zweite Million, weil aus meiner ersten nichts geworden ist.“
Da Frank Grammer nicht wusste, dass seine Lebensuhr unaufhaltsam ablief, war er bester Dinge und sprühte vor Witz, Charme und Lebenslust. Fast bis zum letzten Atemzug.
Ich war spät dran, kürzte die Morgentoilette dennoch nicht ab, sondern sparte die Zeit ein, die mir fehlte, indem ich das Frühstück ausfallen ließ.
So schaffte ich es, Phil – wie immer pünktlich – an unserer Ecke an Bord zu nehmen. Sobald er sich auf den Beifahrersitz meines roten Jaguar F geschwungen hatte, drückte ich gefühlvoll aufs Gaspedal und fädelte mich routiniert in den dichten Morgenverkehr ein.
Im FBI-Hauptquartier an der Federal Plaza summte es bereits wie in einem Bienenstock, als wir eintrafen. Kaum hatten wir unser Büro betreten, läutete mein Telefon.
Ich meldete mich.
„Guten Morgen, Jerry“, sagte am anderen Ende der Leitung eine mir bestens bekannte Frauenstimme.
„Helen … Der Tag könnte nicht besser beginnen.“
„Das geht runter wie Öl“, sagte die Sekretärin unseres Chefs. „Ist Phil auch schon da?“
„Selbstverständlich.“
„Gut. Mister High möchte euch sehen.“
„Wozu? Wir haben uns seit gestern nicht verändert.“
Helen ging nicht auf meinen Scherz ein. „Schafft ihr es in fünf Minuten?“, fragte sie trocken.
„Mit Sicherheit.“
„Dann bis gleich.“ Sie legte auf.
Ich deutete auf meinen Partner. „Das war Helen. Du sollst zum Chef kommen.“
„Du nicht?“
Ich grinste. „Doch. Ich auch.“
Wenige Augenblicke später betraten wir Helens „Residenz“. Mr. Highs Sekretärin war nicht nur wunderschön, sondern auch intelligent, scharfsinnig und zuverlässig.
Das Kleid, das sie trug, hätte keiner Frau besser gepasst als ihr. Als ich ihr das sagte – warum hätte ich es für mich behalten sollen? –, strahlte sie mich dankbar an.
„Kaffee?“, fragte sie.
„Damit rettest du mir das Leben“, antwortete ich.
„Kommt sofort.“
Als wir Mr. Highs Büro betraten, telefonierte er gerade mit irgendeinem Gouverneur. Er nickte uns zu, zeigte auf zwei Stühle und bedeutete uns, Platz zu nehmen.
Wir setzten uns. Ich hatte den Eindruck, dass sich unser Vorgesetzter über den Anrufer ärgerte.
„Bei allem Respekt, Sir …“, leitete er seine unwiderrufliche Abfuhr in derselben Sekunde mit erhobener Stimme ein, und dann zertrümmerte er das Ansinnen des Mannes mit zwei, drei gewichtigen Argumenten, wünschte ihm einen angenehmen Tag und legte mit finsterer Miene auf.
Für uns hatte er danach trotzdem ein freundliches Lächeln. Klar. Wir hatten ihn ja nicht verärgert. Helen, die beste Kaffeeköchin von allen, brachte uns ihr schwarzes, psychotropes, koffeinhaltiges De-luxe-Getränk und kehrte in ihr Vorzimmer zurück, während uns Mr. High eröffnete, dass er – wir ahnten es bereits – einen neuen Fall für uns habe.
„Sagt Ihnen der Name Frank Grammer etwas?“, erkundigte sich unser Chef.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, Sir.“
„Nein, Sir“, lautete auch Phils Antwort.
„Aber die Eagle Insurance Group ist Ihnen bestimmt ein Begriff.“
Wir nickten synchron. Ich trank einen Schluck Kaffee. Er schmeckte ausgezeichnet und war angenehm belebend.
„Frank Grammer war der Generalmanager dieser internationalen Versicherungsgesellschaft“, informierte uns unser Vorgesetzter.
Ich horchte auf. „War?“
„Er wurde gestern Abend während eines repräsentativen Empfangs im Nobelhotel My Continent ermordet“, sagte Mr. High. „Die Hälfte der Gäste, die da waren, ist so reich, dass jeder einzelne von ihnen ganz Manhattan kaufen könnte. Sie wissen, was ich damit sagen will?“
Er meinte, wir sollten unseren Job so erledigen, dass keine Beschwerden kamen. Und trotzdem so schnell und effizient wie möglich. Eigentlich wie immer.
Mr. High gab uns, was man ihm an Unterlagen übermittelt hatte, und entließ uns mit der Bitte: „Halten Sie mich auf dem Laufenden.“
„Geht klar, Sir“, sagte ich.
„Sollten Sie auf Stolpersteine stoßen, die Sie nicht überwinden können, informieren Sie mich. Ich werde dann versuchen, sie für Sie aus dem Weg zu räumen.“
„Vielen Dank, Sir“, erwiderte Phil.
„Da so viel Prominenz im My Continent war, werden die Medien schon bald für ziemlich hohe Wellen sorgen“, brummte Mr. High. Er war aus gutem Grund auf manche Vertreter dieser durchwachsenen Zunft nicht gut zu sprechen.
Keine Angst, Chef, dachte ich. Wir werden schon nicht untergehen.
Wir sichteten die spärlichen Unterlagen, die noch keine Früchte trugen, und fuhren anschließend zum Tatort. Im My Continent trugen alle, vom Liftboy bis zum Kofferträger, die Nasen ziemlich hoch. Ich fragte mich, worauf man sich in diesem Nobelschuppen so viel einbildete.
Etwa darauf, dass man in seinem – gewiss absolut einmaligen – Dschungel den Generalmanager der Eagle Insurance Group erschossen hatte?
Geleitet wurde das My Continent von einer zwar exzellent gekleideten, jedoch höchst unattraktiven Frau. Ihr Name war Tatiana Haddock.
Worauf ihr von Arroganz strotzendes, ekelhaft aufgeblasenes Selbstbewusstsein basierte, war mir ein Rätsel. Sie behandelte uns so sehr von oben herab, dass sie mir unmöglich sympathisch sein – und auch nicht werden – konnte. Phil sah mich an und verdrehte die Augen.
Ich vermutete, dass das heißen sollte: Meine Güte, an wen sind wir da geraten?
Aber wir blieben freundlich und höflich, hatten uns bestens im Griff und ließen Tatiana Haddock die Göttin sein, die sie nicht war.
Mir fiel auf, dass sie wenig eigene Haare hatte. Der Rest war in der gleichen Farbe dazu gesteckt und täuschte eine übertriebene Fülle vor.
Sie hatte eine zu große Nase, dicke Botoxlippen und teure Jacketkronen, die bis nach New Jersey hinüber strahlten. Ihr Gang war watschelnd. Sie drehte dabei die Fußspitzen weit nach außen, als wären diese aufeinander böse. Ich bin nicht unfair. Das waren Fakten. Außerdem hatten wir nicht damit angefangen, gemein zu sein.
„Gibt es im My Continent Überwachungskameras, Mrs. Haddock?“, erkundigte sich mein Partner so moderat wie möglich.
„Miss“, stellte sie spitz richtig.
Eigentlich hätten wir uns denken können, dass es niemanden gab, der sie haben wollte.
„Selbstverständlich gibt es die“, schnappte sie. „Wo finden Sie in der heutigen Zeit noch ein Hotel wie dieses ohne elektronisches Überwachungssystem?“
„Wir würden uns die Aufnahmen vom gestrigen Empfang gerne ansehen“, sagte Phil geduldig. „Wäre das möglich?“
„Das haben bereits Ihre Kollegen von der Metropolitan Police getan.“
Mein Partner lächelte entwaffnend. „Und nun möchten wir einen Blick darauf werfen, wenn Sie nichts dagegen haben.“
„Und wer kommt nach Ihnen?“, fragte Tatiana Haddock scharf.
Phil hob die Schultern. „Schwer zu sagen, Miss Haddock. Das hängt davon ab, was wir entdecken.“
„Ich hoffe, Sie halten sich nicht allzu lange in unserem Haus auf. Das ist nicht gut für unser Image. My Continent und das FBI … Das passt nicht zusammen.“
Mir fielen viele Erwiderungen ein, die ihr mit Sicherheit wehgetan hätten, doch ich ließ sie nicht raus, um das Klima nicht noch mehr zu vergiften. Aber, verflixt noch mal, verdient hätte sie’s.
Die Lady, die bei der Verteilung des Charmes auf der Toilette oder sonst wo gewesen war, griff zum Telefon und beorderte einen Mann namens Tom Levitt zu sich.
Der kantige, knöcherne Securitychef des Hotels war in wenigen Minuten zur Stelle. Die Länge seiner Haare lag im geringen Inchbereich.
Es hätte mich nicht gewundert, wenn er seine Nächte auf einem Nagelbett verbracht hätte. Er war offenbar jemand, der nicht nur gegen sich selbst, sondern auch gegen alle anderen streng war und Härte zeigte.
Tatiana Haddock machte ihn mit uns bekannt und teilte ihm spröde mit, was wir wollten. Auch er erwähnte die Kollegen der Metropolitan Police, die sich die Aufzeichnungen bereits angesehen hatten, und wollte damit wohl zum Ausdruck bringen, dass es seiner Ansicht nach sinnlos war, wenn er sich nun mit uns noch mal die Mühe machen musste.
Da wir jedoch darauf bestanden, musste er uns wohl oder übel in den Überwachungsbereich mitnehmen. Über Tatiana Haddocks Botoxlippen kam auch beim Abschied kein freundliches Wort. Es fiel uns nicht schwer, darauf zu verzichten.
Frank Grammers Mörder hatte einen Tag nach der Tat viel zu tun. Er sah sich alle Nachrichtensendungen an, die sich mit „seinem“ Mord befassten, zeichnete dazu passende Berichte auf einer 2-TB-Festplatte auf und las sämtliche Zeitungen, in denen von Frank Grammers vorzeitigem, gewaltsamem Ableben die Rede war. Es gab unzählige Vermutungen zum Motiv. Manche hörten sich ganz plausibel an und waren dennoch falsch. Nur der Täter selbst wusste, wie und warum der Generalmanager der Eagle Insurance Group tatsächlich gestorben war.
Keine der vielen, zum Teil an den Haaren herbeigezogenen, Mutmaßungen war auch nur im Ansatz richtig. Doch wer hätte sie richtigstellen sollen?
Dem Killer konnte es schließlich nur recht sein, wenn sämtliche Spekulationen wie eine aufgescheuchte Wildpferdherde in die falsche Richtung galoppierten.
Weg von ihm und nicht auf ihn zu. Denn das ersparte ihm eine Menge Ärger. Die Waffe, mit der er es getan hatte, lag vor ihm. Er hatte den Schalldämpfer noch nicht abgeschraubt. Niemand hatte den Schuss gehört.
Frank Grammer war schneller tot gewesen, als er seinen Vornamen hätte buchstabieren können. Eine Kugel hatte gereicht. Herzschuss. Sekundentot.
„Scheiße“, sagte der Killer nicht reumütig, sondern wütend, weil das Treffen im Hotel-Dschungel nicht den geplanten Verlauf genommen hatte. „Er könnte noch leben, wenn …“
Das Telefon läutete.
Grammers Mörder hob ab. „Ja?“
„Wir müssen reden.“
„Wer spricht?“
„Ein Freund.“
„Ich habe keine Freunde.“
„Ich warte im Flamingo.“
„Warum sollte ich da hinkommen?“
„Weil du dir keinen Ärger leisten kannst“, sagte der Anrufer scharf und legte auf.
„Fuck!“, zischte der Mörder, während er den Hörer langsam sinken ließ. „Der Hurensohn hat recht!“
Sobald wir uns nicht mehr in Tatiana Haddocks toxischem Einflussbereich befanden, überraschte uns der Securitychef damit, dass er urplötzlich freundlich und umgänglich wurde. Wie hätten wir damit rechnen sollen?
Er war zu uns im Büro seiner Chefin allem Anschein nach nur deshalb so ruppig gewesen, weil sie das von ihm erwarte hatte. Jetzt wo sie außer Sicht- und Hörweite war, konnten wir ganz vernünftig mit ihm reden.
Er war sogar so ehrlich, uns zu gestehen, dass er die frustgeschädigte Jungfer nicht ausstehen konnte. „An manchen Tagen ist sie so unleidlich, dass ich am liebsten alles hinschmeißen möchte.“
„Warum tun Sie es nicht?“, wollte Phil wissen.
„Weil ich nirgendwo mehr verdienen kann als im My Continent.“
Das war ein Argument, das für mich nicht galt, weil ich der Ansicht bin, dass Geld im Leben nicht alles sein darf. Glück und Zufriedenheit zählen meiner Meinung nach sehr viel mehr.
„Die Frau ist eindeutig unter …“ Levitt brach ab, rümpfte die Nase und wackelte mit dem Kopf. „Sie wissen schon. Ich möchte es nicht aussprechen. Sagen wir, ein Mann würde nicht nur ihr, sondern allen, die mit ihr arbeiten müssen, verdammt guttun. Aber es findet sich ja keiner, der sie anfassen möchte. Wissen Sie, was hilft, wenn sie mal wieder besonders unleidlich ist und brüllt und tobt?“
„Was?“, fragte Phil.
„Ich stelle sie mir nackt vor.“ Levitt grinste böse. „Dann geht’s mir gleich viel besser.“
Wir folgten ihm in sein nüchtern ausgestattetes Büro. Über einem breiten Schreibtisch hingen zehn große Bildschirme neben- und übereinander.
Durch diese „Fenster“ konnte er in nahezu alle Zonen des Hotels sehen, soweit dies gesetzlich erlaubt war. Er konnte die Flächen per Mausklick beliebig partitionieren. Zwanzig Überwachungsbereiche auf einem Monitor waren keine Seltenheit. Doch wenn ihn ein Sektor besonders interessierte, konnte er ihn problemlos separieren und gestochen scharf auf einen anderen Schirm transferieren.
Unserem IT-Genie Dr. Ben Bruckner hätte diese Anlage mit Sicherheit sehr gefallen. Solcher Technikschnickschnack konnte ihn in exzessives Verzücken versetzen.
Da wir ziemlich genau wussten, wann und wo Frank Grammers Herzschlag von der Killerkugel gestoppt worden war, brauchten wir nicht stundenlang irrelevante Videos zu sichten, sondern konnten das für uns infrage kommende Material stark eingrenzen. Und so dauerte es nicht lange, bis wir zwei Männer im My-Continent-Urwald sahen.
Sie sprachen aufgeregt miteinander, schienen unterschiedlicher Meinung zu sein und gestikulierten heftig. Beide waren nur von hinten zu sehen.
„Der eine ist ohne Zweifel Frank Grammer“, sagte Tom Levitt.
„Und der andere?“, fragte Phil.
„Keine Ahnung.“
„Können wir eine Kopie von dieser Sequenz haben?“, erkundigte ich mich.
Levitt griff sich an die Nase. „Eigentlich müsste ich zuerst Miss Haddock fragen …“ Er überlegte kurz, dann winkte er ab. „Aber was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.“
Wir bekamen die Kopie, wünschten dem Securitychef einen ereignislosen Tag und gingen.
Wenn man einmal getötet hat, fällt einem der zweite Mord schon wesentlich leichter, sagt man. Und vielleicht ist das tatsächlich so.
Aber bei dem Mann, der Frank Grammer auf dem Gewissen hatte, traf das aus einem ganz bestimmten Grund nicht zu. Doch wen kümmerte das schon?
Er hatte bereits einen weiteren Namen auf seiner Abschussliste: Larry Cade, ein farbiger Newcomer in der trüben Schattenwelt illegaler Geldverleiher. Jung, dynamisch, ehrgeizig und rücksichtslos.
Ein Mann, der es trotz seiner dunklen Hautfarbe noch weit bringen würde, wenn man seinen rasanten Aufstieg nicht rechtzeitig stoppte.
Er war ein Rüpel, hatte vor niemandem Respekt, keine Manieren, verprellte jeden, eckte überall an und hatte sich – mit erst dreiunddreißig Jahren – bereits einige namhafte Feinde gemacht. Zu Geld war er durch ein Verbrechen gekommen, das für Schlagzeilen gesorgt hatte.
Er hatte mit zwei Freunden einen Geldtransporter überfallen und sich nach einem erbitterten Schusswechsel eine Million Dollar unter den Nagel gerissen.
Sie hatten Joker-Masken getragen und waren deshalb als Joker-Gang durch sämtliche Medienkanäle gegeistert. Es war der Wille des Schicksals gewesen, dass Larry Cades angeschossene und schwer verletzte Komplizen kurz hintereinander – innerhalb von vierundzwanzig Stunden – an „akuter Bleivergiftung“ gestorben waren, wodurch es Cade erspart geblieben war, die fette Beute mit ihnen teilen zu müssen.
Danach musste er sich überlegt haben: Was macht man mit so viel Geld? Wie lässt es sich vermehren? Aktien? Beteiligungen? Crowdfunding? Immobilien? Ein Bitcoinabenteuer? Da er früher selbst des Öfteren finanziell in der schmalen Gasse gewesen war und sich Geld zu Wucherzinsen hatte leihen müssen, um über die Runden zu kommen, war in ihm offenbar sehr schnell der Plan gereift, nunmehr ebenfalls in das Geschäft der Aasgeier und Beutelschneider einzusteigen und Geld zu verleihen.
Die Konkurrenz hatte das zwar von Anfang an nicht gutgeheißen, doch das hatte Cade nicht gekratzt. Was war falsch daran, einem „Freund“, der vorübergehend finanziell in Not geraten war, mit ein paar Scheinen – gegen eine ausreichende Verzinsung – aus der Patsche zu helfen?
Man tat damit ein gutes Werk. Wenn andere das anders sahen, war das deren Angelegenheit. Das Geschäft lief von Anfang an zufriedenstellend.
Der einzige Haken an der Sache waren gelegentlich säumige Zahler. Oft hatten sie das Geld, wollten es aber nicht herausrücken, weil die Aufschläge, die Cade verlangte, ihrer Ansicht nach unverschämt hoch waren. Solange sie das Geld brauchten, jedoch noch nicht hatten, unterschrieben sie bereitwillig alles, was man ihnen vorlegte.
Sobald es allerdings an der Zeit war, die Schulden zu begleichen, begehrten sie auf.