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Erpressungen und Morde hielten Tribeca in Atem - den New Yorker Stadtteil im Süden Manhattans, der sich von einer Industriegegend in ein angesagtes Szeneviertel verwandelt hatte. Kein Wunder, dass die Taten nicht nur uns vom FBI, sondern auch den dort ansässigen Immobilienbesitzern gegen den Strich gingen. Als Phil und ich die Ermittlungen aufnahmen, warteten gleich zwei Überraschungen auf uns: Der Täter handelte nicht allein. Und Geld war offenbar nicht das Motiv, vielmehr eine alte offene Rechnung ...
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Das Phantom von Tribeca
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: New Africa / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0028-3
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Das Phantom von Tribeca
Es war schon lange dunkel, als Peter Terring seinen Drugstore abschloss. Auf der Church Street im New Yorker Stadtteil Tribeca floss der Verkehr dahin. Leichter Regen hatte eingesetzt. Der Asphalt und die Oberflächen der Fahrzeuge glänzten.
Terring spürte Unruhe. Diesen Moment hatte er lange hinausgezögert. Eigentlich hätte er schon seit drei Stunden Feierabend gehabt. Die Warnung war nicht ernst gemeint, sagte er sich immer wieder, während er die Straße entlangging. Niemand wird dir etwas tun. Doch es gelang ihm nicht, sich zu beruhigen. Tief in seinem Inneren wusste er, dass er in Gefahr war.
Sein Wagen stand in einer nahegelegenen Tiefgarage. Nur vier Blocks, dann würde er einsteigen und nach Hause fahren. Und alles war gut.
Er hastete zwischen den Menschen hindurch, die den Abend genossen. Manche hatten Regenschirme aufgespannt, und Terring musste im Slalom den entgegenkommenden Leuten ausweichen.
Hätte er länger im Laden bleiben sollen?
Nein.
Jedes Mal, wenn die Klingel an der Tür ertönte, war er zusammengezuckt. Jedes Mal hatte er erwartet, dass finstere Typen hereinkamen und Geld verlangten.
Schutzgeld.
Peter Terring wusste, dass es Schutzgeld war, auch wenn sie es nicht so nannten.
Vor drei Tagen hatte er in der Post einen Zettel gefunden. Ein Schreiben ohne Umschlag, einfach in seinen Briefkasten eingeworfen. Ein richtiger Brief war es allerdings nicht gewesen. Mehr eine kurze Nachricht.
Halten Sie 10 000 Dollar bereit.
Drei Wörter. Unmissverständlich und klar. Vor allem für einen Ladenbesitzer in New York.
Terring hatte keine zehntausend Dollar. Er hatte nicht einmal genug Geld, um eine Aushilfe zu bezahlen, die in seinem Laden die Nachtschicht übernahm. Sein Einkommen, das er bezog, reichte gerade mal, um nicht in Mietrückstände zu geraten. Sein Konto rutschte regelmäßig am Monatsanfang ins Minus.
Trotzdem hatte er es geschafft, wenigstens dreitausend zusammenzukratzen. Und die hatte er in der Tasche, falls jemand vorbeikam und das Geld verlangte.
Andererseits war bisher nichts passiert. Nichts von dem, womit Schutzgelderpresser ihrer Forderung normalerweise Nachdruck verliehen. Keine eingeworfenen Scheiben. Keine Schmierereien. Keine Bedrohung. Kein persönlicher Besuch.
Es könnte auch nur ein Scherz gewesen sein.
Ein schlechter Scherz, sicher, aber die Leute kamen auf die verrücktesten Ideen …
Peter Terring hatte wieder einen Block auf dem Weg zur Tiefgarage hinter sich gebracht. Er tastete nach seiner rechten Jackentasche. Darin knisterte es. Das war der Umschlag mit den dreitausend Dollar. Wahrscheinlich würde er ihn noch wochenlang mit sich herumschleppen.
Endlich hatte er den Eingang zur Tiefgarage erreicht. Sie lag in einer Nebenstraße, wo schlagartig viel weniger der typischen New Yorker Betriebsamkeit herrschte. Die Ausfahrt war mit einem Gitter gesichert, das man von innen über einen Knopf öffnen konnte. Für Fußgänger gab es eine Metalltür, die nicht verschlossen war.
Ein Bewegungsmelder ließ überall Neonröhren aufflackern. Terrings Wagen, ein zehn Jahre alter Ford Focus, stand ganz am Ende der langen Reihe. Er kramte im Gehen den Schlüssel heraus und bediente den Funkknopf, der die Zentralverriegelung mit einem Klacken öffnete.
Jetzt rein und nichts wie nach Hause, dachte Terring.
Im selben Moment nahm er eine Bewegung neben sich wahr, und jemand rammte etwas Hartes in seinen Rücken. Er blieb sofort stehen und versteifte sich.
„Sehr gut“, raunte eine Stimme. „Scheint ja fast, als hättest du uns erwartet …“
Der Druck wurde fester. Terring zweifelte nicht daran, dass es sich um eine Pistole handelte.
„Bleib schön stehen.“
„Was … was wollen Sie?“ Seine Stimme klang heiser.
„Du hast doch unsere Nachricht bekommen, oder etwa nicht? Jetzt ist Zahltag, mein Lieber.“
Uns erwartet … unsere Nachricht … Ihm fiel auf, dass die Person in der Mehrzahl sprach. Waren hier noch mehr Angreifer in der Tiefgarage?
„Und? Hast du das Geld dabei?“
Terring musste schlucken, bevor er sprechen konnte. Sein Hals war plötzlich ganz trocken. Er räusperte sich.
„Ja …“, brachte er hervor. „Hier in der Jacke. Es ist in einem Umschlag.“
Der Druck der Waffe blieb. Terring spürte, wie sich jemand an der Tasche zu schaffen machte. Er bewegte sich leicht, und es gelang ihm, einen Blick zur Seite zu werfen.
Da war tatsächlich eine zweite Person. Die eine bedrohte ihn, und es war wohl diejenige, die mit ihm gesprochen hatte. Die andere zog den Umschlag heraus.
Die Stimme … Gehörte sie nicht einer Frau?
„He, willst du uns verarschen?“, rief nun die andere Person. Eindeutig ein Mann. „Kannst du nicht lesen? Zehntausend stand in dem Brief.“
„Ich weiß“, brachte Terring hervor. „Aber mehr habe ich nicht. Ich habe eigentlich noch nicht mal das …“
„Und das sollen wir dir glauben? Sollen wir dich noch mal besuchen? Und deinen Laden ein bisschen auseinandernehmen? Oder dir einen Finger brechen? Oder zwei?“
Das Licht in der Tiefgarage verlosch. Um es wieder zu aktivieren, hätte man sich bewegen müssen. Dann wäre der Bewegungsmelder wieder aktiviert worden.
„Nein, bitte nicht!“, rief Terring.
Wieder musste er sich räuspern. Was sollte er tun? Zeit gewinnen.
„H-hören Sie“, stammelte er. „Heute ist Mittwoch … Sagen wir, bis nächste Woche habe ich das Geld zusammen … Und dann kriegen Sie den Rest …“
Er atmete schwer. Sein Herz raste. Die Angreifer waren hinter ihm. Die Pistole drückte nach wie vor in seinen Rücken. Sonst geschah nichts.
Was war los? Dachten sie ernsthaft über sein Angebot nach? Warum auch nicht? Sie wollten das Geld. Sie hatten ihm Angst gemacht … Sie hatten eine Anzahlung. Was konnte er verkaufen, um bis nächste Woche sieben Riesen lockerzumachen?
Das Einzige, was ihm einfiel, war sein Wagen. Der Ford, mit dem er täglich von seiner kleinen Wohnung in Queens hierherfuhr und mit dem er die Einkäufe für den Laden machte. Zumindest was die Dinge betraf, die er nicht direkt vom Großhandel geliefert bekam. Würde er für den Wagen noch so viel erhalten?
„Wir haben es uns überlegt“, sagte eine der Stimmen hinter ihm. Es war diejenige, die zu einem Mann gehörte.
Terring atmete auf. Also gut, er würde es versuchen. Ab nächster Woche nahm er eben die U-Bahn. Und für alles Weitere musste ihm jemand einen Wagen leihen. Irgendjemand aus seinem Freundeskreis würde ihm schon weiterhelfen.
Auf einmal wurde ihm wieder klar, dass die Leute, die ihn hier bedrohten, ziemlich untypisch vorgingen. Vielleicht brauchte er vor ihnen ja gar nicht so viel Angst zu haben. Vielleicht reichte es, zur Polizei zu gehen. Die Beamten würden vielleicht ein Auge auf seinen Laden haben, und nächste Woche würden sie die beiden auf frischer Tat ertappen.
„Wir finden, dass die dreitausend Dollar eine Beleidigung für uns sind, aber wir geben uns damit zufrieden“, fuhr die Stimme fort.
Was sollte das denn heißen? Terring glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
Er wollte etwas erwidern, doch im selben Moment, gab es ein ploppendes Geräusch. In seinem Rücken entstand ein greller Schmerz, der ihm die Luft nahm. Schlagartig gaben seine Beine nach, und er fiel auf den Betonboden. Es war stockdunkel um ihn herum. Trotzdem war ihm, als würde sich ein Schatten über ihm ausbreiten.
Die Silhouette hatte den Umriss eines Menschen. Sie hob den Arm, und im nächsten Moment versank alles um Terring herum in absoluter Schwärze.
Die Scheibenwischer meines Jaguar F-Type schoben sich durch eine ständig neue Schicht von Regenwasser, als ich am Morgen Phil an der gewohnten Ecke in der Upper West Side abholte.
Mein Partner drückte sich in den Hauseingang, um sich vor dem Sauwetter zu schützen. Als er mich sah, kam er herübergelaufen.
„Morgen, Jerry“, rief er, sichtlich gut gelaunt. Das wunderte mich, denn oft genug erlebte ich Phil als Morgenmuffel. Vor allem, wenn das Wetter nicht gerade dazu geeignet war, sich auf den Tag zu freuen.
Ich begrüßte ihn ebenfalls und lenkte den Wagen in den zäh dahinfließenden Verkehr. Gerade wollte ich Phil auf seine gute Laune ansprechen, da kam er mir zuvor.
„Sie starten zwar gestresst in den Tag, aber im weiteren Verlauf werden Sie sehen, dass Ihre berufliche Erfahrung Ihnen die nötige Ruhe verleiht, um allen Aufgaben gewachsen zu sein“, sagte er.
„Was soll das denn heißen?“, fragte ich verwundert. „Und seit wann siezt du mich?“
„Damit bist ja auch nicht du gemeint“, erklärte er, „sondern ich. Das stand heute Morgen in meinem Horoskop.“
„Ich wusste gar nicht, dass du an so was glaubst. Und abgesehen davon, was stand denn in meinem? Dass ich den Tag bewältige, indem ich mit einem Partner zusammenarbeite, der in die Zukunft schaut?“
Phil lehnte sich in seinem Sitz zurück. „Du kannst darüber denken, wie du willst. Doch der erste Stress ist ja nun erst mal vorüber. So wie ich das hier sehe, sind wir heute wieder ein bisschen länger unterwegs.“
Ich nickte nur. Sobald es in New York regnete, bestand der Verkehr vor allem aus den legendären Taxis, den Yellow Cabs, die zu den üblichen Pendlern hinzukamen. Wie immer musste ich mich an den Abzweigungen forsch zwischen die Wagen im typischen Gelb drängen. Kein Taxifahrer im Big Apple machte freiwillig einem anderen Autofahrer Platz. So waren wir über eine Stunde unterwegs, bis wir an der Federal Plaza eintrafen.
Kaum hatten wir über den Aufzug unsere Etage im Javits Federal Office Building erreicht, wurden wir schon in das Büro unseres Chefs Mr. High gerufen. Der Assistant Director in Charge war nicht alleine. Neben ihm stand ein rothaariger Mann, der einen grauen Anzug trug. Er kam mir bekannt vor. Als der Chef uns begrüßte und gegenseitig vorstellte, wusste ich auch, wer der Gast war. Detective Smith vom New York Police Department. Er war Mordermittler, und wir hatten schon einmal zusammengearbeitet.
„Freut mich, Sie mal wiederzusehen, Special Agent Cotton“, sagte er lächelnd, nachdem er mir die Hand gegeben hatte. „Auch wenn der Anlass nicht gerade ein freudiger ist.“
„Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte ich und wechselte mit Phil einen Blick. Ich hätte gerne mit einem Verweis auf Phils Horoskop eine Bemerkung über die große berufliche Routine gemacht, mit der wir die Aufgaben, die nun sicher vor uns lagen, angehen würden. Doch solche Scherze verboten sich. Vor allem, wenn man in Mr. Highs ernstes Gesicht sah.
Der Assistant Director in Charge wies auf den Besprechungstisch mit den ledergepolsterten Stühlen und beauftragte Helen, ihren hervorragenden Kaffee zu servieren. Dann bat er Detective Smith, den Grund seines Besuchs zu erklären.
Der Beamte vom NYPD kam direkt zur Sache. „Wir haben eine Serie von Schutzgelderpressungen hier in Manhattan. Einiges deutet auf organisierte Kriminalität hin, deswegen bin ich hier. Das NYPD glaubt, dass das ein Fall für Ihre Task Force ist.“
„Wer sind die Opfer?“, fragte ich.
„Geschäftsleute. Restaurantbesitzer. Ein Inhaber einer Kunstgalerie. Und alles in einem ziemlich begrenzten räumlichen Umfeld.“
„Moment mal“, rief Phil. „Hat das etwas mit den Morden in Tribeca zu tun?“
„‚Das Phantom von Tribeca‘“, sagte Smith. „Genau das sind die Fälle, um die es geht.“
Nun waren wir im Bilde. Seit einigen Wochen kam es immer wieder zu Mordfällen in dem Stadtteil von New York, dessen Name sich aus den Worten „Triangle Below Canal Street“, also dem Dreieck unterhalb der Canal Street, ableitete. Das Viertel lag gar nicht weit weg von der Federal Plaza. Die Presse hatte über die Fälle berichtet und den nach wie vor unbekannten Täter mit dem zugkräftigen Namen „Phantom von Tribeca“ bedacht.
„Das NYPD dachte zunächst ebenfalls an eine Mordserie“, fuhr der Detective fort. „Wobei wir lange im Dunkeln tappten, was das Motiv betrifft. Und bis dahin wäre es auch unser Fall gewesen. Nun sind wir dahintergekommen, dass es sich um Schutzgelderpressung handelt. Und wer immer dahintersteckt, fackelt nicht lange. Die Opfer werden mit einem anonymen Schreiben aufgefordert, eine größere Summe bereitzuhalten. Bei der Übergabe werden die Opfer getötet.“
Mr. High ergriff das Wort. „Der Ablauf ist äußerst brutal. Ich habe Detective Smith schon erläutert, dass die Vorgehensweise ziemlich untypisch ist. Schutzgelderpresser haben kein Interesse daran, ihr Opfer sofort zu töten. Außerdem gibt es vor der Geldforderung normalerweise eine Phase der Einschüchterung, um die Person, die das Geld bezahlen soll, auch wirklich gefügig zu machen.“
„Und das ist nicht alles“, fügte ich hinzu. „Die Mafia und wer sonst hinter dieser Art der Kriminalität steckt, hat sich von diesen alten Methoden längst verabschiedet. Heutzutage geht niemand mehr hin und treibt persönlich in einem kleinen Laden Geld ein. Der Mob ist heute viel moderner unterwegs. Er hat von der Globalisierung gelernt und nutzt die Digitalisierung. Was da in Tribeca passiert, gehört in eine ganz andere Zeit.“
„Könnte es denn sein, dass sich jemand nur den Anschein geben will, nach Mafiamethoden zu arbeiten?“, fragte Smith. „Um ein anderes Motiv zu verdecken?“ Er runzelte die Stirn. „Wissen Sie, wir haben versucht, eine Gemeinsamkeit zwischen den Opfern zu finden. Doch außer dass es eben Geschäftsleute sind, gibt es keine. Das jüngste Opfer ist der Inhaber eines Drugstores in der Church Street. Dazu kommen drei Restaurantbesitzer, außerdem der Inhaber eines weiteren Drugstores und der einer Kunstgalerie.“
„Das ist selbst für eine Stadt wie New York eine außergewöhnliche Mordserie“, stellte Mr. High fest. „Das FBI wird den Fall übernehmen. Agent Cotton und Agent Decker werden herausfinden, ob der Mob dahintersteckt oder nicht.“ Er sah uns auffordernd an. „Auch wenn am Anfang die größte Verwirrung herrscht, wird Ihre berufliche Erfahrung sicher bald Klarheit in die Sache bringen.“
„Berufliche Erfahrung“, rief Phil, während wir in unser Gemeinschaftsbüro wechselten. „Hast du das gehört? Er hat genau die gleiche Formulierung benutzt, die in dem Horoskop gestanden hat. Das kann doch kein Zufall sein.“
Wir ließen uns in unsere Stühle fallen.
„Ist es aber“, sagte ich und drückte auf den Knopf, der den Computer hochfahren ließ. „Weil es eben einfach stimmt.“
Ich sah Phil an, dass er die Weissagung, die er in der Zeitung oder im Internet aufgeschnappt hatte, selbst nicht ganz ernst nahm. Es war nur ein Versuch, mich aufzuziehen. Umso besser. Ich hätte mir sonst um meinen Partner ernsthaft Sorgen gemacht.
Routiniert sichteten wir die Akten, die uns das NYPD elektronisch zugesandt hatte. Die Beamten hatten ordentlich ermittelt. Es war ihnen sogar gelungen, zwei der Schreiben zu finden, mit denen das sogenannte Phantom Geld forderte. Die Botschaft war so kurz wie klar. Sie besagte nur, dass der oder die Betreffende zehn Riesen bereithalten sollte. In einigen Fällen hatte das NYPD herausgefunden, dass wohl Geld bezahlt worden war, denn es hatte kurz vor den Morden entsprechende Barabhebungen gegeben. Trotzdem verpasste der Täter allen einen tödlichen Schuss. Auf das letzte Opfer, den Drugstorebesitzer Peter Terring, war sogar zweimal gefeuert worden. Jedes Mal wurde eine Waffe mit dem in den USA sehr verbreiteten Kaliber .38 Special benutzt. Es gab keine Zeugen der Morde.
„Terring ist in einer Tiefgarage erschossen worden“, las Phil von seinem Rechner ab. „Normalerweise gibt es dort doch Überwachungskameras.“
Ich suchte mir die Passage aus den Protokollen heraus und checkte die Adresse. „Fehlanzeige. Das ist ein privat vermieteter Stellplatz. Der Vermieter braucht dort keine Überwachung zu installieren. Anders sieht es in öffentlichen Gebäuden, Hotels oder öffentlichen Garagen aus.“
Phil kaute auf seiner Unterlippe herum. „Das hat der Täter offenbar gewusst.“
„Wenn es überhaupt nur ein Täter war“, meinte ich. „Die Presse schreibt zwar von ‚dem‘ Phantom, aber es kann sich auch um eine ganze Gruppe handeln.“
Wir prüften weiter die Unterlagen. Phil holte eigens noch mehr Kaffee von Helen herüber.
„Ich glaube, wir müssen ganz vorne anfangen“, meinte ich schließlich, als mir die Buchstaben vor den Augen tanzten. „Um herauszufinden, ob der Mob dahintersteckt, bleibt uns nichts anderes übrig, als im Gangland zu recherchieren. Irgendjemand muss etwas wissen. Und wahrscheinlich gibt es Leute, denen diese Holzhammermethoden nicht gerade recht sind. Das müssen wir ausnutzen.“
Phil runzelte die Stirn. „Du meinst, wir sollten mal ins Wespennest stechen? Auf den Busch klopfen? Oder wie auch immer man das nennen soll.“
Ich nickte. „Ganz genau. Und zwar ordentlich. Nur nicht so fest, dass die Sache eskaliert.“
Mein Partner grinste. „Mit anderen Worten, die berufliche Erfahrung wird uns die nötige Ruhe verleihen, um allen Aufgaben gewachsen zu sein.“
„Oder so“, sagte ich seufzend.
Es war kurz vor halb elf, als wir uns dem Stadtteil Park Slope in Brooklyn näherten. Unser Ziel war die Wohnung eines gewissen Marco Gonzales, eine schillernde Figur in der New Yorker Szene. Er hatte sich vom Hotdogverkäufer zum Doorman hochgearbeitet, was ihm nicht reichte, denn er hatte einige Drogendelikte auf dem Kerbholz und in Verbindung damit einige Freiheitsstrafen abgesessen. Als er wieder auf freiem Fuß war, hatten ihn die Familien gelegentlich für kleinere Botendienste oder zum Geldeintreiben angestellt. Das wiederum brachte Gonzales auf die Idee, das wenige Wissen, das er im Gangland gesammelt hatte, auch den Strafverfolgungsbehörden anzubieten. So hatte er eine weitere Karriere als V-Mann begonnen, sie jedoch gleich wieder abgebrochen, nachdem Schläger einer russischen Familie sein Apartment zu Kleinholz gemacht hatten.
Doch nach wie vor war Gonzales ein Mann, der vieles von dem mitbekam, was im Milieu so lief.
Das Viertel war eine angesagte Gegend und wirkte mit seinen baumgesäumten Straßen und den alten Brownstonefassaden wie die Kulisse für die schönsten Fotos in einem New-York-Reiseführer. Ich fand zum Glück einen Parkplatz in der Nähe der Adresse. Als wir die Stufen zum Eingang hinaufgegangen waren, erwartete uns eine Überraschung. Neben der Klingel für die Wohnung im dritten Stock prangte ein Messingschild mit der Aufschrift Gonzales – Privatermittlungen.
„Unser Freund hat einen neuen Job“, stellte ich fest und klingelte Sturm.