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Dank eines abgehörten Telefonats gelang es unserer Task Force in letzter Sekunde, einen Sniper-Anschlag auf einen New Yorker Staatsanwalt zu verhindern. In einem Hotelzimmer überwältigten Phil und ich die Schützin. Doch in der nächsten Sekunde wurden wir vom Dach des gegenüberliegenden Hauses von einem zweiten Schützen unter Beschuss genommen. Wir warfen uns in Deckung und mussten feststellen, dass der Fall gerade erst begonnen hatte!
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Der Racheengel
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: KI Petro / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0675-9
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Der Racheengel
Lautlos schloss die Killerin die Tür des Hotelzimmers. Mit katzenhafter Gewandtheit huschte sie über den abgewetzten Teppichboden. Den schlanken Koffer in ihrer Hand legte sie aufs Bett, wo er eine tiefe Mulde in der viel zu weichen Matratze schuf. Die Killerin öffnete ihn und begutachtete kurz das zerlegte Remington-Sniper-Gewehr. Sie schloss den Koffer wieder, trat ans Fenster und schob den dicken Brokatvorhang beiseite.
Ihr Blick fiel aus dem achten Stock auf das gegenüberliegende Nobelrestaurant. Noch eine halbe Stunde, dann würde ein ganz besonderer Gast vor dem Lokal vorfahren – und zehn Sekunden später mit einer Kugel im Kopf sein Leben aushauchen ...
Phil und ich saßen beim Essen – Chop Suey und gebratene Nudeln von unserem Stammchinesen –, das wir an unseren Schreibtischen sitzend mit Stäbchen zu uns nahmen. Wir hatten gerade angefangen und redeten über Gott und die Welt, als unser Kollege Steve Dillaggio ins Zimmer stürmte.
Ich kenne Steve seit einer halben Ewigkeit, deshalb sah ich gleich die Besorgnis, die er unter seinem Pokerface zu verbergen versuchte. Noch im selben Moment legte ich die Stäbchen weg.
Steve zog die Tür diskret hinter sich zu und blieb daneben an der Wand stehen. »Ich habe eine beunruhigende Nachricht vom Leiter unseres Electronic Surveillance Program bekommen ...«
Spätestens jetzt horchte ich auf. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich auch Phil anspannte und zu essen aufhörte.
Die Abteilung für Kommunikationsüberwachung des FBI hat die Aufgabe, eventuelle Bedrohungen durch Terrorismus und ähnliche Aktivitäten im Vorfeld zu erkennen und zu vereiteln. Wenn Steve von dort eine Information erhalten hatte, die ihn sichtlich beunruhigte, kam auch bei mir Sorge auf.
»Wir ihr wisst, haben die Kollegen zurzeit verstärkt das Umfeld von Ray Biagio im Auge ...«
Ich nickte. Ray Biagio war der mutmaßliche Kopf einer Mafiaorganisation, an der wir uns in der Vergangenheit die Zähne ausgebissen hatten. Der aus Brooklyn stammende Italo-Amerikaner verdingte sich schon vor dreißig Jahren als Laufbursche eines berüchtigten Mafioso und stieg in den folgenden Jahrzehnten bis an die Spitze von dessen Organisation auf. Nach dem Tod seines »Ziehvaters« machte er sich das durch offene Rivalitäten innerhalb der Führungsriege entstandene Machtvakuum zunutze, um endgültig dessen Position einzunehmen. In den Folgejahren nutzte Biagio die alten Strukturen, um in neue Geschäftsfelder vorzustoßen. Seit dem Siegeszug des Internets hatte er seine Aktivitäten allmählich in den Bereich der Onlinekriminalität verlagert. Entstanden war ein Netz aus Subfirmen im In- und Ausland, das deutlich schwerer zu durchschauen war als die Aktivitäten seines Vorgängers.
Vor einem Jahr gelang unserer Task Force dank eines Whistleblowers aus Biagios eigenen Reihen ein entscheidender Schlag gegen sein Syndikat. Drei hochrangige Mitglieder seiner Organisation wurden verhaftet, unter ihnen Biagios ältester Sohn, was dem Alten sichtlich die Laune verdarb. Er fuhr nicht nur einen Stab seiner besten Anwälte auf, sondern startete darüber hinaus eine ausgefeilte mediale PR-Kampagne, um sich gegen diesen, wie er es nannte »politisch motivierten Akt staatlicher Willkür«, zu wehren. Wie erfolgversprechend diese Strategie war, würde sich bald herausstellen. Der Prozess hatte vor einer Woche begonnen.
»Heute Morgen haben die Kollegen eine Textnachricht abgefangen«, fuhr Steve fort. »Verschickt wurde sie an einen toten Briefkasten im Darknet, von dem wir wissen, dass Biagios Leute ihn für kurzfristige Absprachen verwenden. Eine Art Schwarzes Brett für Mafiosi. Der Inhalt ist brisant, der Absender hat seine Identität mit einer speziellen VPN-Software perfekt verschleiert. 13:00 wird der Große Weiße erlegt, lautet der genaue Wortlaut.«
»Der Große Weiße?« Phil stutzte. »Wer ist damit gemeint?«
»Als Erstes würde man da an einen Hai denken«, sagte ich nachdenklich.
»›Hai‹ wiederum ist Ganovensprache und steht für ›Anwalt‹«, warf mein Partner den Ball zurück.
»Und könnte gleichzeitig eine Anspielung auf die Körpergröße von Ethan Colette sein«, vollendete Steve unsere Assoziationskette.
Ich nickte ernst. Colette war ein Hüne von fast sechseinhalb Fuß. Und er war der Chefankläger, der Biagios Leuten zurzeit vor dem New Yorker Criminal Court den Prozess machte.
»Du glaubst, Biagio hat einen Mordanschlag auf Colette in Auftrag gegeben?«, fragte ich.
»Wenn, dann geht er ein ziemliches Risiko ein«, antwortete Steve. »Die Sicherheitsvorkehrungen wurden seit Beginn der Verhandlung noch einmal erhöht, die Zahl der Personenschützer verdoppelt. Biagio muss außerdem klar sein, dass der Verdacht sofort auf ihn fällt. Dennoch ...«
Ich folgte Steves Blick zur Uhr an der Wand. Viel mehr musste der SAC nicht sagen, damit wir wussten, was Sache war. Wenn der Verdacht stimmte, dann drängte die Zeit.
»Wo ist Colette jetzt?«, erkundigte sich Phil. »Noch im Gericht?«
»Die Verhandlung endet heute gegen zwölf Uhr dreißig. Aus Colettes Büro habe ich erfahren, dass er für eins eine Tischreservierung beim nahegelegenen Nobelitaliener Pirazzo hat.«
Das war in einer knappen Dreiviertelstunde. Ich kannte das Restaurant, das mitten in Manhattan lag, nur einen Block vom Field Office entfernt. In zehn Minuten konnten wir dort sein.
Mein Partner und ich nickten uns zu, während wir aufstanden.
»Wir konnten Colette dazu überreden, den Termin um eine halbe Stunde nach hinten zu verschieben. Mehr war nicht drin. Wenn wirklich ein Killer auf der Lauer liegt, dann wahrscheinlich in gebührendem Abstand. Möglicherweise in einem der gegenüberliegenden Gebäude ...«
Wenn mich nicht alles täuschte, befand sich dort ein Hotel. Das Bedford Inn. Ein idealer Standort, um aus dem Hinterhalt heraus einen Mord zu begehen.
»Ich habe zusätzliche Secret-Service-Leute angefordert, aber ...«
»Wenn es wirklich jemand auf das Leben von Ethan Colette abgesehen hat, dann finden wir ihn«, unterbrach ich zuversichtlich und hoffte insgeheim, diese Worte nicht schon bald zu bereuen.
Obwohl die Temperaturen in den letzten Tagen gesunken waren und sich in der Nacht Frost auf den Straßen und Masten bildete, war es für diese Jahreszeit immer noch relativ mild. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel und setzte die Stadt wie für eine Tourismusbroschüre in Szene.
Phil und ich gingen den kurzen Weg zu Fuß. Das Auto aus der Tiefgarage zu holen und einen Block weiter nach einem Parkplatz zu suchen, hätte deutlich länger gedauert. Da wir uns beeilten, erreichten wir das Bedford Inn, dessen schmale, rot gestrichene Fassade sich acht Stockwerke in die Höhe schraubte, keine zehn Minuten später.
Meine Erinnerung hatte mich nicht getrogen. Das Pirazzo lag ihm fast mathematisch exakt gegenüber, sodass man im Prinzip aus jedem der Fenster einen guten Blick auf die Front des Nobellokals hatte. Und eine perfekte Schussbahn ...
Mein Blick streifte die einzelnen Fenster des Bedford, ohne etwas Verdächtiges zu entdecken. Aber was hatte ich erwartet? Die ursprünglich geplante Ankunft des Staatsanwalts war erst in einer halben Stunde, und ein professioneller Attentäter würde den Teufel tun, sich jetzt schon am Fenster herumzudrücken. Dennoch bemühten wir uns, uns nicht zu verdächtig zu verhalten, hielten uns nicht lange auf der Straße auf, sondern betraten zügig das Hotel. Für einen heimlichen Beobachter hätte nichts dagegengesprochen, dass wir nur Gäste waren.
Kurz bevor wir eintraten, bemerkte ich im Augenwinkel einen Wagen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor dem Pirazzo hielt. Ein kurzer Schulterblick und ich erkannte einen jüngeren FBI-Kollegen am Steuer. Max Astley. Steve hatte bereits angekündigt, uns Verstärkung zu schicken. Ich hatte mich schon gefragt, wen er wohl abbestellte. Unser indianischer Kollege Zeerookah wurde zurzeit komplett von Undercoverermittlungen in den Reihen der Wettmafia vereinnahmt, Joe Brandenburg hatte ein paar Tage Urlaub genommen, und sein Partner Les Bedell war nach Indiana gefahren, um dort die Zeugenaussage einer Aussteigerin einer Extremistenorganisation aufzunehmen, die in New York für die Ermordung eines Bürgerrechtsanwalts verantwortlich sein sollte. Und Mr. High, unser Chef, hatte in Washington zu tun.
Wir agierten also in Minimalbesetzung. Astley war erst vor wenigen Wochen von der Westküste nach New York versetzt worden. Ich kannte ihn daher nicht gut, doch bei unseren bisherigen Begegnungen war er mir als engagierter und besonnener Kollege erschienen.
Wahrscheinlich wimmelte es hier ohnehin bald von Feds und Secret-Service-Agenten, aber solange wir nicht genau wussten, wo der mögliche Attentäter Position bezogen hatte, war es für alle Beteiligten wichtig, sich nicht zu erkennen zu geben. Wenn der Täter zu früh Verdacht schöpfte, brach er die Aktion womöglich ab und schlüpfte uns durch die Finger.
Ohne uns dem Kollegen auf irgendeine Art und Weise bemerkbar zu machen, gingen wir weiter. Die Lobby empfing uns mit leisen Jazzklängen, die aus versteckten Lautsprechern drangen, und einem plüschigen, altmodischen Ambiente, das durchaus zum Verweilen aufforderte, auch wenn in den nächsten Jahren bestimmt eine Grundsanierung anstand. Nachdem wir mit der Klingel, die an der Rezeption stand, auf uns aufmerksam gemacht hatten, kam ein junger Mann in einer Pagenuniform aus einem Nebenzimmer geeilt.
»Die Gentlemen haben reserviert?«, fragte er und wollte schon das Gästebuch aufklappen, als sein Blick auf meinen Ausweis fiel, den ich ihm am ausgestreckten Arm entgegenhielt.
Wir erklärten in Kürze, worum es ging, ohne ihn in alle Details einzuweihen. Dass wir auf der Suche nach einem Verdächtigen waren und dass möglicherweise Menschenleben in Gefahr waren, wenn wir ihn nicht rechtzeitig fanden.
»Wie viele Zimmer sind zurzeit belegt?«, fragte Phil.
»Knapp ein Drittel. Um die Zeit ist wenig los. Die Sommersaison ist vorbei und Weihnachten ...«
»Sind darunter Gäste, die heute erst eingecheckt haben?«, unterbrach ich, bevor das eine längere Litanei wurde.
»Check-in ist bei uns erst ab drei Uhr. Davor sind die Zimmer noch nicht ...«
»Und gestern?«
Der Portier öffnete das Gästebuch und ging die letzten Eintragungen durch. »Gestern war mein freier Tag, aber ich habe hier zwei Neuzugänge. Ein Gentleman namens Peter Smith aus Connecticut und eine Lady ... Mallory Marshall aus Illinois ...«
Phil und ich verständigten uns mit Blicken. Peter Smith. Wir waren uns beide einig, dass dieser Allerweltsname mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Alias war. Wer so hieß, zog keine Aufmerksamkeit auf sich, sondern schwamm in der Masse. Für einen Übeltäter, wie denjenigen, den wir suchten, nahezu perfekt.
Wir ließen uns die Zimmernummer und die Schlüsselkarte geben. Das Zimmer befand sich im fünften Stock. Von dort hatte man bestimmt eine hervorragende Sicht auf das Restaurant. Und bevor jemand merken würde, woher der Schuss gekommen war, war der Täter längst über alle Berge.
Obwohl es einen Aufzug gab, nahmen wir die Treppe. In Momenten wie diesen verschafft einem das die Freiheit, auch auf unvorhergesehene Dinge blitzschnell reagieren zu können.
Im Fünften pirschten wir im Eilschritt den Flur entlang. Das Zimmer mit der Nummer 520 lag etwa in der Mitte. Wir hatten die Tür kaum erreicht, als Phil bereits seine Glock auf dem Gürtelholster zog.
Ich wartete noch damit, nahm die Schlüsselkarte in die Rechte, dann warf ich einen Blick auf meinen Partner, der schräg neben mir stehen blieb, die Waffe im Anschlag. Erst auf sein Nicken hin näherte ich die weiße, unbeschriftete Karte dem Sensor am Türknauf. Ein leises, kaum wahrnehmbares Klicken verriet mir, dass der Öffnungsmechanismus ausgelöst wurde.
Ab jetzt musste alles schnell gehen. Profikiller haben in der Regel eine hervorragende Auffassungsgabe, und so leise konnte das Geräusch gar nicht sein, dass der Mann auf der anderen Seite der Tür es nicht wahrnehmen würde. Deshalb vergeudete ich keine Sekunde, griff mit der Linken nach dem Knauf und riss die Tür auf.
Phil zielte mitten in den Raum, aus dem in diesem Moment ein schriller Angstschrei ertönte. Entweder war Peter Smith Eunuch, oder die Stimme gehörte einer Frau.
Wir ließen uns davon nicht irritieren, sondern agierten weiter wie ein perfekt eingespieltes Team. Phil stürmte vor und sicherte in alle Richtungen ab, während auch ich meine Glock aus dem Gürtelholster zog, wie sein Schatten hinter ihm blieb und ihm Deckung gab.
Das Zimmer war abgedunkelt, die Vorhänge geschlossen, deshalb brauchten wir einen Moment, um uns zu orientieren. Bereits nach wenigen Sekunden gewöhnte ich mich an die Lichtverhältnisse und erkannte die Urheberin des noch immer anhaltenden Geschreis.
Die Frau saß aufrecht im Bett und hielt sich mit beiden Händen die Decke bis unters Kinn. Ihre Augen sahen uns angstvoll an. Da von ihr keine Gefahr zu drohen schien, widmete ich mich dem Badezimmer, riss die Tür auf, zielte hinein und verscheuchte lediglich eine daumengroße Kakerlake, die hektisch wuselnd hinter der Toilettenschüssel verschwand.
Ich atmete aus, ließ die Waffe sinken und wandte mich wieder dem Zimmer zu.
Phil war bereits bei der Frau und wies sich ihr gegenüber aus.
»FBI, Ma'am. Das Zimmer ist auf einen Peter Smith gebucht ...«
Das war genauso eine Frage wie eine Feststellung. Der starre Blick der Frau pendelte noch immer fassungslos zwischen meinem Partner und mir hin und her.
»Mir hat er gesagt, er heißt Donnie«, gab sie mit belegter Stimme zurück, als sie sich halbwegs gefangen und wir unsere Waffen sicher verstaut hatten.
»Und wo ist dieser Donnie jetzt?«, fragte ich betont, ging zum Fenster und spähte durch den schmalen Vorhangspalt hinaus auf die Straße. Unten vor dem Lokal war noch immer alles ruhig. Doch wie es aussah, waren wir einem fatalen Irrtum aufgesessen.
»Er ... meinte, er wäre geschäftlich hier. Musste früh los, meinte aber, ich kann liegen bleiben, solange ich will.«
Mehr mussten wir nicht wissen. Dieser Peter Smith, wahrscheinlich auch noch sein richtiger Name, hatte die Frau wohl gestern bei einem Absacker kennengelernt und mit aufs Hotelzimmer genommen. Das alles ging uns nichts an.
In diesem Moment klingelte mein Handy. Es war Max Astley, der mich vom Auto aus anrief.
»Hey, Jerry, ich glaube, oben im Achten tut sich was. Eine junge Frau. Taucht immer wieder am Fenster auf und blickt verstohlen auf die Straße hinaus.«
Mallory Marshall ...
Ich ging zum Fenster, schob den Vorhang auf und winkte in Richtung meines Kollegen.
»Siehst du mich auch?«, fragte ich.
»Klar und deutlich.«
»Wo genau befindet sich das Fenster?«
»Schräg über euch. Wahrscheinlich ein Zimmer weiter.«
Ich bedankte mich, legte auf und eilte zur Tür.
»Ma'am, bitte entschuldigen Sie«, meinte ich knapp, dann war ich auch schon auf dem Flur.
Phil war dicht hinter mir, gemeinsam rannten wir zurück ins Treppenhaus und zwei Stockwerke nach oben.
Wieder hasteten wir einen identischen Gang entlang, verharrten vor der Tür, hinter der wir die Frau vermuteten, und wiederholten die Prozedur.
»FBI! Waffe runter!«
Phil, der wiederum mit gezückter Waffe voranstürmte, erblickte die Frau als Erster. Sie stand direkt am Fenster, war schlank, Ende zwanzig, hatte dunkles Haar und einen südländischen Teint. In den Händen hielt sie ein Sniper-Gewehr, das sie nun herumriss und auf meinen Partner richtete. Ihr voller Mund zuckte leicht, als ihr Blick auf mich fiel. Schräg hinter meinem Partner war ich stehen geblieben und richtete nun ebenfalls meine Glock auf sie.
»Waffe runter!« Ich konnte förmlich erkennen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Hoffentlich war sie Profi genug, um die Ausweglosigkeit der Situation zu erkennen. Einen Schuss konnte sie vielleicht noch abgeben. Der zweite – aus meiner Waffe – würde sie treffen.
Sekunden vergingen. Ihre dunklen Augen schienen mich fast zu durchdringen. Dann blinzelte sie und ließ das schlanke Mordinstrument sinken.
Blitzschnell war ich bei ihr, legte ihr Handschellen an.
Es klingt vielleicht widersprüchlich, das Folgende geschah jedoch so schnell, dass ich es wie in Zeitlupe wahrnahm.
Erst sah ich nur ein Funkeln, wie eine Reflexion, die mich blendete. Mein Blick zuckte durch das Fenster zu dem Gebäude neben dem Nobellokal. Ein achtstöckiger Backsteinbau mit einer Neonreklame über der Tür.
Die Reflexion kam vom Dach.
»Deckung!«, rief ich meinem Partner noch zu, dann packte ich die Frau an den Schultern und riss sie mit mir zu Boden.
Keine zwei Sekunden später zerplatzte über uns die Scheibe, und Glas regnete wie Hagel auf uns herab.
Zu meiner Erleichterung sah ich, dass Phil meine Warnung befolgt und ebenfalls abgetaucht war. Jetzt richtete er sich halb auf und spähte aus angemessenem Abstand durch das Fenster.
Ich tat es ihm gleich, blickte über den Sims, doch die Reflexion war verschwunden. Genauso wie der Schütze, den ich für den Bruchteil einer Sekunde auf dem Bauch liegend am Rand des Dachs erspäht hatte.
Ich riss mein Handy heraus und rief meinen Kollegen zurück.
»Max, ein zweiter Sniper! Auf dem Dach, das Gebäude zu deiner Linken.«
»Alles klar. Ich schnapp mir den Kerl!«
Da hatte er auch schon aufgelegt. Durch das Fenster konnte ich beobachten, wie er den Wagen verließ, die Straße entlang eilte und in dem Gebäude verschwand.
Ich hingegen wandte mich der Frau zu, die mit auf den Rücken gefesselten Händen neben mir auf dem Bauch lag.
»Ihr Kumpel kommt auch nicht weit, das schwör ich Ihnen«, zischte ich ihr zu. Dann stand ich auf und tippte sie mit der Schuhspitze an. »Los! Abmarsch!«
Special Agent Max Astley verlor keine Zeit. Er riss die Wagentür auf und rannte zu dem Gebäude, das mehrere Anwaltskanzleien, eine Künstleragentur und eine Zahnarztpraxis beherbergte.
Fast wäre er in die Eingangstür gerannt, die ihm eine erschrocken wirkende ältere Lady entgegenschob. Er drückte sich mit einem »Sorry, Ma'am« an ihr vorbei und durchquerte einen kurzen Gang, der an einer Treppe endete.
Sein Blick pendelte einen Moment lang zwischen den abgewetzten Holzstufen und der gegenüberliegenden Aufzugtür hin und her. Die Kabine befand sich im Erdgeschoss. Max Astley nahm einen Kinderwagen, der in der Mitte des Flurs geparkt war, schob ihn vor den Aufzug und drückte den Knopf. Die Tür schwang quietschend auf. Astley rollte den Wagen in die Öffnung, drehte sich um und rannte die Treppe hinauf. Jetzt war der Aufzug »außer Betrieb«. Wenn ihm keiner dazwischenfunkte und den Wagen wieder beiseite rollte, war dem Sniper einer von zwei möglichen Fluchtwegen abgeschnitten.