Jerry Cotton 3316 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3316 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In einem verfallenen Gebäude auf dem Gelände einer früheren Klinik in Poughkeepsie wurde nach einem anonymen Anruf bei der örtlichen Polizei die Leiche einer unbekannten jungen Frau entdeckt. Die Untersuchung der Toten zeigte, dass das Opfer ganz offensichtlich längere Zeit gefangen gehalten worden war. Wir übernahmen die Ermittlungen und trafen dabei nicht nur auf Urban Explorers, die in ihrer Freizeit verlassene Orte erkundeten, sondern auch auf einen perfiden Killer!


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Seitenzahl: 138

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Klinik

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: van_yog / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0824-1

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Die Klinik

Endlich hatte sie es geschafft und sich von den Fesseln befreit. Aber das Gefühl des Triumphes war verflogen. Noch immer befand sie sich in diesem einsturzgefährdeten, alten Krankenhaus und musste zusehen, dass sie hier so schnell wie möglich herauskam. Sie war im zweiten Stock des Gebäudes. Ein Sprung aus dem Fenster war daher zu gefährlich. Das erste Treppenhaus, das sie entdeckt hatte, war unpassierbar. Die Holztreppe war längst verfault und zusammengebrochen. Doch es musste einen Ausweg geben. Irgendwie hatte ihr Entführer sie ja schließlich hierhergebracht.

Vorsichtig tappte sie den Gang entlang. Die Zimmer rechts und links standen leer. Und vor ihr, fast am Ende des Flurs, klaffte ein riesiges Loch im Fußboden. Wenn sie sich ganz nah an die Wand drückte, könnte sie es schaffen, auf die andere Seite zu gelangen. Sie riskierte es. Unendlich langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen.

Jemand lachte höhnisch. Sie fuhr herum. Den Mann hatte sie nicht kommen hören. Er hielt eine Pistole in der Hand.

Die Tote lag in einem verfallenen Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen Mental Health Center in Poughkeepsie, einer Kleinstadt am Hudson River, etwa achtzig Meilen nördlich von New York City. Wir standen im dritten Stock und blickten durch ein gewaltiges Loch im Fußboden nach unten.

»Da ist sie heruntergestürzt«, sagte Eric Edwards.

Edwards war der Leiter der Detective Division von Poughkeepsie, der zuständige Polizist vor Ort.

Ich trat einen Schritt näher an die Abbruchkante.

»Vorsicht!«, mahnte Edwards.

Ich beugte mich nach vorn, von meiner jetzigen Position aus konnte ich die Leiche jedoch nicht sehen.

»Kommen Sie, wir gehen besser nach unten«, schlug er vor.

Im Schein der Taschenlampen stiegen Phil und ich mit Edwards vorsichtig die Treppe hinab. Überall sahen wir Zeichen des Verfalls. Wir gelangten schließlich in einen großen, fast quadratischen Raum, der durch kräftige Strahler hell ausgeleuchtet war. Im Hintergrund brummte ein Aggregat.

»Das Gebäude hängt nicht mehr an der öffentlichen Stromversorgung«, erläuterte Edwards.

Eine Heizung existierte offensichtlich auch nicht. Durch die zerbrochenen Fenster drang die Kälte des Wintertages ungehindert zu uns nach drinnen.

Die Tote lag nicht in der Mitte des Raums, sondern auf der linken Seite, dicht an der Mauer. Auf den ersten Blick wirkte sie völlig unversehrt.

»Als wir sie gesehen haben, haben wir erst gedacht, dass das ein typischer Selbstmord wäre«, sagte der Detective.

»Ein ziemlich ungewöhnlicher Ort für einen Suizid«, bemerkte Phil.

»Finden Sie? Einsam genug wäre es hier jedenfalls. Niemand würde einen stören. Doch Sie haben recht, es gibt bessere Orte für eine Selbsttötung. Wenn ich mich in Poughkeepsie umbringen wollte, würde ich wahrscheinlich von der Brücke springen. Die Brücke über dem Hudson ist auf jeden Fall hoch genug. Aber die Menschen sind verschieden, und was in einem Selbstmörder vor sich geht, das kann man nie so genau wissen.«

Nur dies war offensichtlich kein Freitod, sonst hätte man uns nicht gerufen.

»Kommen Sie, sehen Sie es sich an«, sagte jemand rechts neben mir. Ich hatte den Mann gar nicht bemerkt. Er hatte sehr still außerhalb des grellen Lichts gestanden.

Edwards stellte ihn vor. »Das ist Frank Sorben, unser Gerichtsmediziner.«

Wir traten nach vorn. Glasscherben knirschten unter unseren Stiefeln.

»Sie ist erschossen worden, und zwar aus größerer Entfernung«, erläuterte der Arzt. »Es gibt keine Schmauchspuren an der Einschussstelle. Der Täter hat eine Waffe mit relativ kleinem Kaliber verwendet. Der Ausschuss ist nicht wesentlich größer als der Einschuss ...«

»Sie hat also oben an der Kante dieses Einsturztrichters gestanden«, mutmaßte Phil. »Und dann ist der Täter durch die Tür gekommen und hat sie vielleicht gerufen, sie hat sich nach ihm umgedreht, und dann ...«

Ich unterbrach meinen Partner. Es war nicht zielführend, wenn wir Vermutungen über den Ablauf der Tat anstellten, solange wir nicht einmal alle Details kannten. Erst war die örtliche Polizei am Zug.

»Ich möchte gern, dass Sie uns den Ablauf der Ereignisse von Anfang an schildern«, bat ich.

Eric Edwards nickte. »Heute Nachmittag gegen vier Uhr ist ein anonymer Anruf bei uns eingegangen. Der Wachhabende hat ihn sofort an mich weitergeleitet. Am anderen Ende der Leitung war ein aufgeregter junger Mann, der sagte: ,Ich muss einen Mord melden, Detective. Ich muss einen Mord melden!' Ich habe gesagt, er möge sich bitte beruhigen, und dann möge er mir bitte schildern, was genau passiert sei.«

Ich war überrascht. »Nach seinem Namen haben Sie ihn nicht gefragt?«

Edwards schüttelte den Kopf. »Der Anruf kam über die anonyme Leitung, daher wusste ich, dass er seinen Namen nicht nennen wollte. Wir machen das immer so, dass wir später im Verlauf des Gesprächs noch einmal nachfragen. Das habe ich hier auch getan. Ich habe gesagt, es könnte sein, dass wir später noch irgendwelche Fragen hätten, und da wäre es hilfreich, wenn wir wüssten, wie wir mit ihm in Verbindung treten könnten. Darauf hat er sich nicht eingelassen.«

»Schade.«

Der Detective lächelte. »Wir haben allerdings Hinweise darauf, wer dieser unbekannte Anrufer sein könnte, Agent Cotton.« Er zog einen Umschlag aus der Tasche und zeigte uns den Inhalt.

»Ein Akku«, stellte Phil fest.

Edwards nickte. »Der gehört zu einer Sony-Kamera. Den können Sie natürlich für verschiedene Modelle verwenden, doch die Kameras, zu denen er passt, liegen sämtlich zwischen tausendfünfhundert und dreitausend Dollar. Das heißt, der Unbekannte ist kein gewöhnlicher Einbrecher, der womöglich gehofft hat, in dieser Ruine noch irgendetwas Brauchbares zu finden, und er war auch nicht darauf aus, irgendeinen raschen Schnappschuss zu machen, sondern ihm ging es um ernsthafte Fotografie.«

»Ein Ruinenfotograf?«, fragte ich.

»Sozusagen. Diese Leute nennen sich normalerweise ›Urban Explorers‹, Stadtforscher also, und sie stellen hinterher ihre Bilder ins Internet.«

»Woher wissen Sie das?«, erkundigte sich Phil.

Edwards lächelte. »Ich habe beruflich damit zu tun. Der Gebäudekomplex dieses ehemaligen Hospitals ist ein ideales Gelände für solche Stadtforscher. Im Grunde ist es eine Ruine. Natürlich ist es illegal, in leer stehende Häuser einzudringen, und gefährlich ist es allemal. Das hält diese Leute nicht davon ab, solche Ausflüge zu unternehmen. In diesem Fall liegt ein besonderer Reiz natürlich darin, dass es sich bei dem Mental Health Center ja um kein gewöhnliches Krankenhaus handelt, sondern um eine ehemalige Irrenanstalt.«

»Und Sie sehen Ihre Aufgabe darin, derartige Einbrüche zu unterbinden?«

»Ja, natürlich. Aber nur, wenn wir alarmiert werden, was meistens nicht passiert. Und solange es bei diesen Expeditionen nur um den Nervenkitzel geht, gibt es keinen Grund zum Eingreifen. Anders liegt die Sache, wenn Sachbeschädigung dazukommt. Vandalismus, auch das gibt es. Und wenn Sie sich in diesen Gebäuden umsehen, werden Sie feststellen, dass solche unerwünschten Eindringlinge erheblichen Schaden verursacht haben. Daher habe ich die Anweisung an alle Kollegen gegeben, in ihrer freien Zeit ein wachsames Auge auf die Klinik zu haben. Und wenn wir einen solchen Eindringling auf frischer Tat ertappen, nehmen wir ihn fest.«

Ich fragte, was die örtliche Polizei mit einem solchen Eindringling machte, wenn er sich weiter nichts hatte zuschulden kommen ließ, als in ein leer stehendes Haus zu gehen.

»Wir stellen ihn zur Rede«, antwortete Edwards. »Wir erklären den jungen Leuten, dass man nicht einfach in fremdes Eigentum eindringen und vor allen Dingen nichts kaputtmachen darf. Es geht uns nicht darum, irgendjemanden vor Gericht zu zerren oder gar einzusperren. Das Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst zu Straftaten kommt.«

»Ich wünschte, wir hätten mehr Erfolg mit dieser Methode«, warf Sorben ein.

Edwards lachte. »Du bist ein Pessimist, Frank! Aber wenn du dir die Zahlen ansiehst, musst du zugeben, dass die Straftaten bei uns in Poughkeepsie in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind.«

»Und jetzt haben wir einen Mord«, beharrte der Gerichtsmediziner. »Die Untersuchung der Leiche hat gezeigt, dass die Frau nicht zufällig in diesem Gebäude herumgelaufen ist, sondern unfreiwillig hier war. Sie ist gefangen gehalten worden ist. Die Abdrücke von Stricken sind an ihren Armen und Beinen deutlich sichtbar. Hier zum Beispiel, sehen Sie? Offenbar ist es der Frau gelungen sich zu befreien.«

»Auf welche Weise?«, fragte mein Partner.

»Sie hat eine der Glasscherben in einem der zersplitterten Fenster benutzt. Dabei hat sie sich am linken Arm verletzt. Zu der Verletzung passt eine entsprechende Glasscherbe mit Blut, die wir in einem der früheren Krankenzimmer unweit der Stelle gefunden haben, an der die Frau schließlich zu Tode gekommen ist.«

»Sie haben eine Menge herausgefunden«, musste ich zugeben.

Sorben nickte. »Meiner Ansicht nach hat sich die Geschichte so abgespielt: Die Frau hat ihre Fesseln durchtrennt und versucht, aus dem Gebäude zu flüchten. Das hat der Täter bemerkt. Er hat sie bei dem riesigen Loch im Fußboden gestellt. Dieses Loch kann man nur umgehen, wenn man sich auf dem schmalen Sims an einer der beiden Seitenwände entlanghangelt. Wahrscheinlich hat sie gehofft, dass ihr Verfolger ihr nicht dorthin folgen könnte. Aber der hat kurzerhand geschossen, und sie ist tödlich abgestürzt. Das erklärt auch, warum sie genau an der Stelle liegt, an der wir sie gefunden haben.«

»Ein ungewöhnliches Verbrechen«, sagte ich.

»Ungewöhnlich oder nicht«, beharrte der Gerichtsmediziner, »mich würde schon interessieren, warum sich das FBI ausgerechnet für diesen Fall interessiert. Hat es etwas damit zu tun, dass sich der Mord in dieser ehemaligen Klinik ereignet hat? Hat es etwas damit zu tun, dass hochrangige Persönlichkeiten in die Grundstücksspekulation um dieses Objekt verwickelt sind?«

Eric Edwards lachte. »Du witterst überall irgendwelche Verschwörungen, Frank. In Wirklichkeit ist die Angelegenheit sehr viel simpler. Wir haben das Auto der Toten gefunden. Es ist in Kentucky zugelassen. Wir sind in New York. Wenn bei Mordfällen mehrere Bundesstaaten beteiligt sind, wird das FBI eingeschaltet, besonders, wenn die Möglichkeit besteht, dass dieser Mord Teil einer Serie ist.«

»Was ist das für eine Grundstücksspekulation?«, hakte ich nach.

Edwards winkte ab. »Das Übliche. Nachdem die Klinik stillgelegt worden ist, gab es natürlich sofort Kaufinteressenten. Jetzt im Dunkeln haben Sie nicht viel davon sehen können, doch der Gebäudekomplex der ehemaligen Klinik liegt landschaftlich sehr hübsch mitten in einem ausgedehnten, wenn auch leider inzwischen stark verwilderten Park. Wenn man die Bäume etwas auslichtet, hat man von hier oben einen herrlichen Blick über das Tal des Hudson River. Damit wären diese Gebäude geradezu ideal für ein großzügig geplantes neues Wohngebiet, und so gab es sofort Kaufinteressenten.«

»Geier!«, warf Sorben ein.

»Geschäftsleute«, widersprach Edwards.

»Wie groß ist das Gelände?«, wollte Phil wissen.

»Fast eine Quadratmeile.«

Solch eine Fläche musste außerordentlich attraktiv sein für jemanden, der einen völlig neuen Stadtteil planen wollte. Warum war dann nichts passiert? Die Klinik lag nicht erst seit gestern brach.

Der Detective fasste die Lage knapp zusammen. »Vor mehr als zehn Jahren hat das Krankenhaus endgültig seinen Betrieb eingestellt. Die Gesellschaft, die das Gelände damals gekauft hat, wollte offensichtlich so schnell wie möglich Geld damit verdienen. Und so viel wie möglich. Doch die Stadtväter von Poughkeepsie waren mit den Plänen nicht einverstanden und haben das Vorhaben nicht gebilligt. Schließlich hat die Gesellschaft das Handtuch geworfen und das Gelände an einen gemeinnützigen Verein veräußert. Ansonsten hat sich nichts geändert. Alles liegt noch so da, wie die Ärzte und Krankenschwestern es zurückgelassen haben.«

»Nicht mehr ganz so«, bemerkte Phil und wies auf die eingestürzte Zimmerdecke.

»Ja, das ist ein Problem«, bestätigte Edwards.

Wir waren uns keineswegs sicher, dass der spektakuläre Mord an dieser unidentifizierten Frau Teil einer Serie war.

Beim Fund einer unbekannten Leiche bietet der Fundort oft entscheidende Hinweise. In diesem Fall war der Fundort sehr ungewöhnlich. Zwar war der weitläufige Gebäudekomplex des alten Sanatoriums nicht völlig ungeeignet, um eine Frau längere Zeit gefangen zu halten und am Ende zu töten, aber im Keller eines beliebigen Einfamilienhauses wäre der Täter angesichts der Stadtforscher wesentlich sicherer vor unliebsamen Überraschungen gewesen. Auch war das alte Sanatorium nicht frei zugänglich. Warum hatte der Täter die Mühe auf sich genommen, die Frau herzuschaffen, wenn er sie sowieso töten wollte? Es dürfte ihm sehr wichtig gewesen sein, die Frau genau hierhin zu bringen.

Zwar wussten wir, dass in New York City seit gut zwei Wochen ein Lester Hawkins, neunundsechzig Jahre, vermisst gemeldet war. Hawkins hatte dadurch eine gewisse Bekanntheit erreicht, dass er ein umfangreiches Buch über die Geschichte des Mental Health Center geschrieben hatte, in der er die gruseligen Details aus der frühen Geschichte psychiatrischer Behandlungsmethoden nicht ausgelassen hatte. Hawkins, von Beruf Buchhalter, war früher für die Finanzverwaltung des Mental Health Center zuständig gewesen. Der Mann hatte also eine direkte Verbindung zu der ehemaligen Klinik, aber ob es einen Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Mordfall gab, war völlig unbekannt. In New York verschwanden täglich Menschen, und es gab keine Anzeichen dafür, dass sich Lester Hawkins auf den Weg nach Poughkeepsie gemacht hätte. Vielleicht war er einfach nur in Urlaub gefahren.

Die Tote war zwar in der Klinik gefunden worden, darüber hinaus existierte nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass sie auf irgendeine Weise mit der früheren Klinik in Verbindung stand. Im Gegenteil. Die örtliche Polizei hatte inzwischen das Auto der Toten sichergestellt. Es war auf einem der Waldwege auf dem Gelände des Krankenhauses abgestellt worden. Der Wagen war in Kentucky zugelassen. Im Handschuhfach fand sich der Führerschein. Die Besitzerin des Wagens war eine Frau namens Doreen Coleman, von der wir bisher nichts weiter wussten, als dass sie dreiundvierzig Jahre alt war. Auf dem Foto im Führerschein sah sie jünger aus. Er war vor drei Monaten abgelaufen. Vor gut vier Jahren hatte Doreen Coleman in Lexington gewohnt, 733 Providence Road. Edwards hatte sich umgehend an die örtliche Polizei gewandt, und die hatte herausgefunden, dass die Frau das Haus vor gut zwei Jahren verkauft hatte. Die jetzigen Besitzer wussten nicht, wohin sie gezogen sein mochte. Sie wussten auch sonst nichts über die Frau.

Der Mann, den seine Feinde »die Ratte« nannten, hatte aus sicherer Entfernung zugesehen, wie die Polizei angerückt war und die Tote entdeckt hatte. Zwar hatte längst nicht alles so geklappt, wie er sich das vorgestellt hatte, trotz allem war er bisher mit heiler Haut davongekommen. Er hatte sein Vorhaben bis ins Detail durchgeplant. Nichts durfte schiefgehen. Die Panne in Sacramento damals durfte sich nicht wiederholen. Er war dem verbrecherischen Anwalt bis nach Kalifornien gefolgt, hatte ihn gestellt, als er abends aus einem Restaurant getreten war, hatte Streit angefangen und den Mann in der anschließenden Schlägerei erschlagen. Dass die anderen Gäste ihn festhalten würden, damit hatte er nicht gerechnet. Mit einer Verurteilung wegen Totschlags war er vergleichsweise milde bestraft worden. Niemand konnte ahnen, dass er den Tod dieses Anwalts von langer Hand geplant hatte. Die Jahre im Gefängnis hatten dazu geführt, dass er die Spuren aller anderen Beteiligten verloren hatte.

Es war schwierig gewesen, den Verbleib der Kollegen von damals in Erfahrung zu bringen. Nur einer wohnte nach wie vor in Poughkeepsie. Dass das Krankenhaus heute nur noch eine Ruine war, kam ihm gelegen. Er würde sie alle dorthin locken oder mit Gewalt dorthin bringen, an den Ort, an dem sie sein ganzes Leben ruiniert hatten. Dort würden sie sterben.

Die Idee, sie alle gleichzeitig herzuschaffen und über sie zu Gericht zu sitzen, hatte er inzwischen aufgegeben. Für einen Einzelgänger wie ihn war das undurchführbar. Hinzu kamen technische Schwierigkeiten. Er war praktisch mittellos, hatte nicht einmal ein eigenes Auto. Erst nach ein paar erfolgreichen Diebstählen war er in der Lage gewesen, sich wenigstens eine Schusswaffe zuzulegen.

Er hatte mit dem einfachsten Fall begonnen. Doreen war die einzige Frau in der Gruppe gewesen. Er hatte sie nicht für besonders wehrhaft gehalten. Zunächst versuchte er, sie per E-Mail zu einem Treffen im Krankenhaus zu überreden, als sie jedoch nicht auf seine Nachrichten reagierte, überwältigte er sie kurzerhand vor ihrer Haustür, entführte sie in ihrem eigenen Wagen und brachte sie schließlich in einem der Räume des leer stehenden Südflügels des Hospitals unter.

Von seinem zweiten Opfer, dem Buchhalter, hatte er gar nicht erst angenommen, dass er sich hierherlocken lassen würde. Er fuhr los, um ihn persönlich aus New York City zu holen. Doch der Kerl roch Lunte. Und als er selbst schließlich nach Poughkeepsie zurückkehrte, war schon alles schiefgegangen. Doreen hatte sich selbst befreit. Er war zwar gerade noch rechtzeitig gekommen, um ihre Flucht zu verhindern. Nur unmittelbar danach waren diese jungen Leute aufgetaucht und hatten die Tote entdeckt, und damit waren jetzt die Cops eingeschaltet. Spätestens morgen würde alle Welt wissen, dass in der Ruine des Krankenhauses eine Frau erschossen worden war. Eine ganz bestimmte Frau. Und die anderen aus der Gruppe, die ihn damals hereingelegt hatten, waren jetzt gewarnt. Jetzt musste alles schnell gehen. Schlag auf Schlag.