Jerry Cotton 3323 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3323 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Ein New Yorker FBI Agent wurde bei lebendigem Leib verbrannt. Er hatte im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko die Hintergründe eines Attentats aufklären sollen. Mr. High schickte Phil und mich sofort nach El Paso, um dort und in der Nachbarstadt Ciudad Juárez gemeinsam mit der mexikanischen Polizei Ermittlungen aufzunehmen. Schnell war offenkundig, dass mehrere Parteien in einen blutigen Konflikt verstrickt waren, der schon bald neue Opfer forderte. Drogenkartelle, CIA und Politiker lieferten sich einen gnadenlosen Kampf um Macht und Einfluss. Und für uns wurde es zunehmend schwieriger zu unterscheiden, wer Freund und wer Feind war.


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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Der Bluthund von Juárez

Vorschau

Impressum

Der Bluthund von Juárez

Der Computerbildschirm zeigte ein Foto des jungen FBI Agents Jim Bradford. Ein verzerrtes Gesicht, dessen aufgerissene Augen den Betrachter in ungläubigem Entsetzen anstarrten.

Nach wenigen Sekunden folgte eine kurze verwackelte Filmsequenz.

Eine vermummte Gestalt entkleidete Bradford, schor ihm die Haare und steckte ihn in ein bodenlanges schwarzes Kleid.

Eine derbe Hand übermalte den Mund des Agents mit einem rubinroten Lippenstift. Der Gepeinigte schien jetzt zu grinsen.

Dann entzündete der Vermummte den Saum des Kleids mit einem Feuerzeug.

In der letzten Filmeinstellung war Bradford nur noch ein undeutlicher Schemen inmitten einer hell lodernden rotweißen Feuerlanze.

»Jetzt wissen Sie«, sagte Mr. High zu Phil und mir, »mit wem Sie es da unten zu tun bekommen.«

Neun Uhr morgens.

Das Video war Mr. High erst vor einer halben Stunde übermittelt worden. Es kursierte im Internet, wo es unser IT-Spezialist Ben Bruckner entdeckt hatte.

Auf diese drastische und zynische Weise erfuhren wir vom Tod unseres Kollegen Jim Bradford.

Phil und ich wussten bisher nicht viel über seine Mission, weil wir in den vergangenen Wochen intensiv mit den Ermittlungen in einem anderen Fall beschäftigt gewesen waren. Jetzt, so viel war klar, gab es eine neue Aufgabe für uns.

Wir saßen am Besprechungstisch im Office des Chefs, vor dem aufgeklappten Laptop, über dessen Monitor der Film geflimmert war. Der blank geputzte blaue Himmel hinter dem Fenster wirkte seltsam künstlich.

Mr. High beobachtete uns. Geduldig wartete er auf unsere Reaktion. Er wollte uns Zeit geben, die grauenvollen Eindrücke zu verarbeiten.

Seine Miene war ernst und verschlossen. Ich wusste, wie schwer es ihm fallen musste, seine Gefühle zu beherrschen. In seinem Körper und Blick las ich die enorme Anstrengung, die es ihn kostete, seine Trauer und Wut zu verbergen.

»Wer immer dahintersteckt«, versetzte ich schließlich, »wir werden ihn kriegen.«

»Werden wir«, bestätigte Phil mit belegter Stimme.

Mr. High nickte stumm, ehe er leise sagte: »Ich habe Bradford da runtergeschickt, an die mexikanische Grenze. Er war noch jung, nicht besonders erfahren. Aber er sprach hervorragend Spanisch, und seine Eltern leben in El Paso. Er sollte sich zunächst nur ein wenig umhören, sich einen Eindruck von den Verhältnissen dort und in Ciudad de Juárez verschaffen. Vielleicht war er zu unerfahren. Hätte ich jemand anders aussuchen sollen? Ich mache mir Vorwürfe.«

Ich verstand Mr. High nur zu gut. Zwar musste jeder FBI Agent mit dem Risiko leben, dass es ihn vor der Zeit erwischte. Doch die Ungeheuerlichkeit dessen, was wir gerade gesehen hatten, lähmte die Sinne und löste automatisch Schuldgefühle beim Betrachter aus. Waren wir nicht alle dafür verantwortlich, wenn das Böse triumphierte?

Der Rio Grande, der in Mexiko »Río Bravo« heißt, ist der Grenzfluss, an dem die beiden Städte liegen. Darüber eine Brücke, die die eine Hölle mit der anderen verbindet.

Ein Bild baute sich in meinem Kopf auf. Der mythische Fluss Styx in der Darstellung von Gustave Doré: In den düsteren, wild bewegten Fluten treiben die Toten. Der Fährmann, der sie übersetzen soll ans andere Ufer, hat die Kontrolle verloren.

Für ein paar Sekunden spürte ich die Last, die auf unseren Schultern lag. Ich sah zu Phil hinüber, ihm ging es nicht besser.

Dann atmete ich tief durch und befahl meinen Dämonen, sich gefälligst zu verziehen. Trübe Gedanken waren nichts, was einen G-man weiterbrachte.

»Worum genau geht es bei dieser Sache, Sir?«, fragte ich.

»Um Politik, Verbrechen, vielleicht um beides«, erwiderte Mr. High grimmig. »Vor drei Wochen wurden in der Umgebung von Ciudad de Juárez zwei Fahrzeuge beschossen, in denen Mitglieder zweier in Mexiko wohnender Mormonenfamilien aus Texas saßen. Das Ganze endete in einem Massaker. Die mexikanischen Behörden haben um die Unterstützung des FBI gebeten. Was nichts Ungewöhnliches ist, denn die USA und Mexiko unterhalten Abkommen zur gegenseitigen Amtshilfe bei strafrechtlichen Ermittlungen. Aus diesem Grund habe ich Bradford nach El Paso entsandt, wo er gemeinsam mit den Agents vom dortigen Field Office die Arbeit aufnehmen sollte. Das Ganze war mit Director Fuller abgestimmt.«

»Hatte Bradford bereits eine Vermutung geäußert«, erkundigte sich Phil, »aus welchem Umfeld der oder die Täter stammen könnten?«

»Ja, er meinte, dass einiges auf das Juárez-Kartell hindeute. Dessen Boss Diego Ramirez konnte bislang keine Straftat nachgewiesen werden, obwohl niemand bezweifelt, dass mehrere Dutzend Morde im Bundesstaat Chihuahua auf sein Konto gehen. Einige Leute nehmen an, dass Rivalen von Ramirez das Attentat verübten, weil sie dachten, in den Fahrzeugen säßen Mitglieder des Juárez-Kartells.«

»Klingt wenig plausibel«, wandte ich ein.

»Allerdings«, stimmte der Chef mir zu. »An der Grenze herrschen katastrophale Zustände, wogegen auch die neue Regierung bislang kein Mittel gefunden hat. Milizen, Bürgerwehren, Drogenbarone und korrupte Politiker verhindern, dass die Gegend zur Ruhe kommt, was auch vitale amerikanische Interessen tangiert. Denn die beiden Städte sind ein Drehkreuz für den Warenverkehr zwischen beiden Ländern.«

»Soviel ich weiß«, warf Phil ein, »versucht die frisch gewählte Präsidentin Maria Fernanda Cruz das Land zu reformieren.«

»Ja, das stimmt, sie hat eine Justizreform auf den Weg gebracht und den Drogenkartellen den Kampf angesagt. Außerdem hat sie angekündigt, die rechtsgerichteten Milizen zu entwaffnen. Doch es gibt immer noch eine Menge andere Anhänger des vorigen despotischen Präsidenten, die ihr nicht wohlgesonnen sind. Und zwar in allen Teilen der Gesellschaft, auch bei der Polizei und in der Wirtschaft.«

»Was«, wollte ich wissen, »ist die Position unserer Regierung?«

Mr. High krauste die Stirn. »Nun ja, das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Eigentlich pflegten die USA in der Vergangenheit gute Beziehungen zu Mexiko. Es galt das Prinzip der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten. Nachdem Menschenrechtler massive Verstöße des alten Regimes in Mexiko City öffentlich gemacht hatten, distanzierte sich unsere Regierung. Momentan versucht man, sich mit der neuen Präsidentin zu arrangieren. Der Umstand, dass Maria Fernanda Cruz eine amerikakritische Haltung einnimmt und ein partnerschaftliches Verhältnis mit Venezuela anstrebt, wird jedoch mit Sorge betrachtet.«

»Vermutlich«, sagte ich, »werden Phil und ich da unten unseren Freunden von der CIA begegnen, oder?«

Meine ironische Anspielung bezog sich auf den Umstand, dass mit der Gründung der CIA 1947 dem FBI eine Konkurrenz erwachsen war, was geheimdienstliche Aufgaben im Ausland anging. Die wurden nur noch in speziellen Fällen vom FBI wahrgenommen. So war der Mythos einer dauerhaften Rivalität zwischen den beiden Behörden entstanden.

Mr. High lächelte verhalten. »Sie haben es erraten, Jerry. Deswegen werden Sie nach Ihrer Ankunft in Ciudad de Juárez auch möglichst schnell Verbindung mit Agent Georgia Harris aufnehmen. Sie ist Chefin der Abteilung für geheime Operationen der CIA in Nordmexiko. Ich wurde darüber ins Bild gesetzt, sie soll mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern, dass das Chaos an der Grenze in einen Bürgerkrieg mündet.«

»Was immer das heißt«, gab ich zurück.

Der Chef zuckte mit den Schultern. »Mit konkreten Aussagen hielt sich die Leitung der CIA in Langley zurück. Finden Sie es selbst heraus, Jerry. Und noch etwas, Georgia Harris operiert da unten inkognito. Nicht einmal das FBI Field Office in El Paso ist über sie informiert. Für Sie beide habe ich eine Sondergenehmigung zur Kontaktaufnahme mit Agent Harris erwirkt.«

»Wen außer ihr«, fragte Phil, »sollen wir noch da unten treffen, Sir?«

Mr. High warf einen raschen Blick auf seine Uhr und erhob sich. »Helen wird Ihnen eine E-Mail mit weiteren Informationen schicken. Leider muss ich Sie jetzt hinausbitten. Director Fuller erwartet mich. Sie beide reisen heute Nacht noch ab. Wir sollten morgen miteinander telefonieren.«

Als Phil und ich bereits in der Tür standen, sagte Mr. High in unserem Rücken: »Sie stoßen in ein Wespennest. Rechnen Sie jederzeit mit allem, und geben Sie auf sich acht.«

Im Hinblick auf das Video, das Bradfords unseliges Ende dokumentierte, fiel es mir leicht, seine sorgenvolle Warnung ernst zu nehmen.

Ich drehte mich um. »Das werden wir, Sir.«

Draußen ging die Dämmerung allmählich in Dunkelheit über.

Vor der geöffneten Tür der Bar, im schwächelnden Lichtschein einer Straßenlaterne, zupfte ein abgerissener Bursche mit Sombrero auf den Saiten seiner Gitarre herum. Die schiefen Töne schwirrten wie verirrte Insekten in das verräucherte, stickige Halbdunkel des Schankraums.

Ein Leben ohne jedes Risiko, dachte Kathy Prescott, ist pure Verschwendung.

Sie war erst dreiundzwanzig Jahre alt, aber bereits unendlich gelangweilt.

Weshalb sie auch in Ciudad de Juárez war. Im Auftrag der New York Times arbeitete sie an einer Reportage über den Sumpf aus Korruption und Gewalt an der mexikanisch-amerikanischen Grenze.

Seit einer halben Stunde hockte sie nun in dieser üblen Spelunke einem vierzigjährigen Mann in Camouflagehose und schwarzem Muskelshirt gegenüber, dem die hiesige Presse den Ehrentitel »El Braco«, der Bluthund, verliehen hatte.

Eine treffende Kennzeichnung des gedrungenen, muskulösen Kartellbosses.

Sein Englisch war schwer zu verstehen, er verschluckte die Hälfte der Vokale. Was einem dauerhaften Knurren ziemlich nahe kam.

Mal ehrlich, dachte Kathy dankbar, welcher andere Beruf hätte mir schon eine derart ungewöhnliche Begegnung beschert?

Das El Foco, in dem sie sich verabredet hatten, war eine filmreife Bruchbude gegenüber den Betonarkaden am Marktplatz. Ramponierte, rot gestrichene Tische, wackelige Holzstühle, verdreckte karierte Vorhänge vor den verklebten Fensterscheiben. Hinter dem aus Blechplatten zusammengeschusterten Tresen stand ein hagerer Endsechziger mit verschmierter Schürze und nackten blassen Armen voller Einstiche. Er hielt sich eine Hand auf den Magen, hatte den Kopf gesenkt und ließ den Oberkörper beständig vor- und zurückpendeln.

Der Laden machte seinem Namen alle Ehre. Das El Foco war, wie Kathy vorab erfahren hatte, tatsächlich eine »Brutstätte«, und zwar für den kriminellen Nachwuchs. Wer als Junge die ersten Anzeichen der Pubertät aufweisen konnte, dufte hier abhängen und darauf hoffen, dass einer der Generäle des Juárez-Kartells ihn unter seine Fittiche nahm.

Einer glänzenden, frühzeitigen Karriere als Dealer und Mörder stand dann so gut wie nichts mehr im Weg. Allerdings endeten diese steilen Karrieren für die Youngster ziemlich oft mit einer Kugel im Rücken oder einer durchschnittenen Kehle.

Ein paar dieser Burschen lungerten in dem verräucherten Raum an den anderen Tischen oder der schäbigen Bar herum. Sie tranken billiges Bier. Ab und zu warf einer von ihnen einen scheuen Blick zu dem Kartellboss herüber.

»Diese armselige Kreaturen«, sagte Ramirez. Er deutete mit seinem klobigen Zeigefinger in ihre Richtung. »Ohne mich würde deren Leben enden, ehe es angefangen hätte. Meine Leute kümmern sich um sie. Ob Sie's glauben oder nicht, mujercita, ich habe ein soziales Gewissen. Und ich wollte, dass Sie es mit eigenen Augen sehen.«

Ramirez schwieg, ergriffen von seinen eigenen Worten. Dann begann er, die bereits eine gute Viertelstunde währende Litanei über seine Heldentaten fortzusetzen.

Glaubte man ihm, war er der großartigste und warmherzigste Mensch auf Erden.

Diese langatmigen Lügen fand Kathy enttäuschend. Sie gierte nach Erzählungen von blutigen Straßenschlachten und abscheulichen, perversen Untaten, was vermutlich ein Ergebnis ihrer streng protestantischen Erziehung in einer Bostoner Patrizierfamilie war.

Während sie den weitschweifigen Selbstbelobigungen von Ramirez lauschte, überlegte sie, wie sie ihn auf dem kleinen Schreibblock in ihrem Schoß am besten porträtieren konnte. Kathy war noch unentschlossen. Die Spitze des Bleistifts malte winzige, unsichtbare Kringel in die Luft über dem weißen Blatt.

El Braco hatte seinen Stuhl schräg gestellt, sodass er sich Kathy je nach Laune von vorn oder seitlich mit übereinandergeschlagenen Beinen präsentieren konnte. Mal zugewandt, mal kühl an ihr vorbei starrend, als wäre sie gar nicht anwesend.

Ramirez' Profil erinnerte Kathy an einen unregelmäßig geformten Kürbis, was plump und grotesk wirkte. Daher verzichtete sie auf diese Perspektive und konzentrierte sich auf die Frontansicht.

Mit leichter Hand zog sie die ersten Linien auf dem Papier. Ein unregelmäßiges Oval für das Gesicht, unten breiter. Da wo die fleischigen, ungesund geröteten Wangen das Antlitz des Gangsters ausbeulten. Eine horizontale Schlauchform für den verächtlichen, brutal aufgeworfenen Mund. Darunter ein Kreis für das vorgestülpte Kinn. Harte Schraffuren kennzeichneten die Labialfalten: zwei tiefe Furchen, die schroff vom Mundwinkel bis zum Unterkiefer abfielen und das Kinn wie ausgerenkt erscheinen ließen.

»Hören Sie mir überhaupt zu?«, fragte Ramirez mit heiserer, grollender Stimme.

Sie nicke eifrig.

»Was machen Sie da, mujercita?«

Kathy überlegte, ob es ihr gefiel, dass er sie so nannte. Kleine Frau.

Nun ja, er war eben ein echter Macho.

»Oh«, sagte sie, »ich fertige eine Zeichnung von Ihnen an.«

Ramirez' Lippen zuckten abfällig. »Und das Ergebnis wird dann gedruckt, oder wie?«

»Nee, eigentlich nicht.«

»Warum machen Sie's dann?«

»Ist ein Hobby von mir.«

»Das heißt, der Blödsinn macht Ihnen Spaß?«

»Sonst würde ich's wohl nicht machen.« Kathy ließ den Bleistift wieder über das Papier huschen.

»Sind Sie so 'ne Art Künstlerin?«

»Weiß nicht, ich zeige Ihnen gleich das Ergebnis, dann können Sie es selbst beurteilen.«

Jetzt war Ramirez sichtbar geschmeichelt. »Gefällt mir, dass so 'ne heiße Lady mich zeichnet. Sie haben Format, mujercita. Wenn's mir gefällt, kaufe ich Ihnen das Gekritzel ab.«

Kathy leistete sich ein ungewisses Lächeln. »Und falls nicht?«

»Stopfe ich's Ihnen ins Maul und lass es Sie auffressen.«

Ramirez lachte dröhnend, als hätte er den besten Witz der Welt gerissen.

Kathy fröstelte plötzlich. War sie in Gefahr?

Ihr Blick suchte Ramirez' Augen.

Sie waren schmale, schräge Schächte, in denen zwei kleine Kohlestücke halb versteckt unter schweren, müden Lidern lauerten. Der Ausdruck war kaum zu deuten.

Kathy zeichnete parallele, nach innen abfallende Linien mit schwarzen Punkten dazwischen.

Ramirez stemmte die behaarten Fäuste auf den Tisch und hievte sich schnaufend in die Höhe. »Ich denke, das war's jetzt, oder?«

»Was meinen Sie?«, fragte Kathy erschrocken.

»Sie hören mir ja doch nicht zu.«

»Ich wollte gerade mit dem Interview anfangen«, beteuerte Kathy.

»Wird auch Zeit, mujercita.« Er leckte sich genüsslich mit der Zungenspitze über die wulstigen Lippen. »Ich meine, sonst könnten wir auch gleich was anderes machen, stimmt's?

»Ich ... ich verstehe nicht«, stammelte Kathy verwirrt.

Auf einmal begriff sie, wie naiv sie gewesen war, sich ohne Geleitschutz mit dem Kartellboss getroffen zu haben.

Ramirez legte nach. »Zier dich nicht so. Denkst du, ich lass dich laufen, ehe wir beide ein bisschen Spaß hatten? Das wäre verdammt unhöflich.«

Jetzt duzte er sie auch noch.

Draußen setzte unvermittelt ein rauschender Regen ein. Wasser spritzte über die Türschwelle. Der Gitarrist kam fluchend herein, den Oberkörper schützend über sein Instrument gebeugt.

»Hey, José!«, brüllte Ramirez zu ihm hinüber. »Willst du ein Bier?«

Der Musiker nickte scheu und ließ sich bei zwei Youngstern an einem Tisch in der Nähe der Tür nieder.

Ramirez stapfte zum Tresen hinüber und ließ sich eine Flasche Cerveza Negra aushändigen.

»Hör zu, du Arschloch«, pflaumte er den Junkie-Keeper an. »Jeder kann sehen, dass du auf Turkey bist. Sieht echt scheiße aus. Soll ich dir was besorgen, Mann?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zum Tisch hinüber, an dem der Gitarrist saß. Mit einer groben Bewegung drückte er ihm das Bier in die Hand.

»Hier, José, damit du mir nicht schlapp machst. Ihr Künstler seid ja so verdammt sensibel.«

Dabei zwinkerte er den Burschen am Tisch grinsend zu. Sie lachten schadenfroh. Einer von ihnen klopfte dem Gitarristen so heftig auf die Schulter, dass der seine Flasche um ein Haar fallen gelassen hätte.

Mit schwingenden Armen kehrte Ramirez zu Kathy zurück.

»Bei Gott«, hörte sie ihn hinter ihrem Stuhl sagen, »ich liebe den Regen. Wollen wir zusammen rausgehen?«

Sein Ton hatte etwas Einschmeichelndes.

Sie spürte seine harte, schwielige Hand an ihrem Oberarm.

»Wollen wir?« Er drückte fester zu, zog Kathy hoch und drehte sie so, dass sie ihn ansehen musste. »Du brauchst keine Angst zu haben, Kleines, bei mir bist du sicher.«

Er zog sie ganz dicht an sich heran.

Sie war angewidert, hätte sich am liebsten losgerissen und wäre fortgerannt. Doch ihr Blick verlor sich in der seltsamen Leere seiner Augen. Und sein Atem, der warm über ihre Mundpartie streifte, schien sie zu lähmen.

Unvermittelt gab er sie frei und lief zur Tür, trat in den sintflutartig niedergehenden Regen und blieb reglos stehen. Den Kopf hochgereckt, sodass die trübe Helligkeit der Straßenlaterne vermischt mit dem Wasser sein Gesicht auswusch und die Konturen auflöste.

Ihr Verstand sagte Kathy, dass jetzt der Moment gekommen war, um nach dem Hinterausgang der Bar zu suchen und sich ganz schnell zu verdrücken.

Das hier war eine Nummer zu groß für sie.

Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde Kathy klar, dass es neben der Welt, die ihr vertraut war, noch eine andere gab. Dunkel und zerstörerisch.

Gewusst hatte sie es immer.

Aber was bedeutete das schon?

Real wurden die Dinge erst, wenn man sie auch spürte.

Mit allen Sinnen spürte.

Ich tue das, dachte Kathy, was Menschen von Beginn an getan haben. Ich folge der Spur des Feuers.

Sie wandte sich um zum Tisch, packte Notizblock und Bleistift in ihre Umhängetasche und ging hinaus zu dem Mann, der »El Braco« genannt wurde.

Es war ihr völlig gleichgültig, dass ihre Rechnung unbezahlt blieb. Sie hatte die Flasche mit dem billigen Bier ohnehin nicht angerührt.

Der Nachtflug mit United Airlines dauerte inklusive eines Zwischenstopps sieben Stunden. Ich schaffte es nicht zu schlafen. Das Video mit dem lichterloh brennenden Jim Bradford ging mir nicht aus dem Kopf.

Gegen acht Uhr am Sonntagmorgen landete unsre Maschine in El Paso. Ein Taxi brachte uns zu unserem Hotel im Zentrum.

Es war nur eine Meile entfernt von der Good Neighbor International Bridge. Einer der vier Brücken über den Rio Grande, die das amerikanische El Paso mit dem mexikanischen Ciudad de Juárez verbinden. Es gibt drei Fahrstreifen Richtung Süden und nur einen, der nach Norden führt und von den Amerikanern kontrolliert wird.