Jerry Cotton 3325 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3325 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Bruce Lane saß als Lebenslänglicher in Sing Sing. Dort wagte sich niemand mehr an ihn heran, seit es mehrere gescheiterte Versuche gegeben hatte, ihn umzubringen. Lane hatte im Auftrag des organisierten Verbrechens mindestens vierzehn Morde begangen. Doch seit aus dem Gefängnis durchgesickert war, dass er mit dem Gedanken spielte, sein Schweigen zu brechen und mit dem FBI und dem Federal Attorney zusammenzuarbeiten, tauchten neue hartgesottene Gefängnisinsassen auf, die Lane für seinen früheren Boss Genaro Choque ins Jenseits befördern sollten. So schwebte Bruce Lane in ständig wachsender Lebensgefahr - und wir mussten zusehen, den Mörder um jeden Preis zu schützen.


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Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Die Angst des Mörders vor dem Tod

Vorschau

Impressum

Die Angst des Mördersvor dem Tod

Ich kam nach Hause und machte Licht. Mein erster Weg nach einem langen Tag führte mich zur Kaffeemaschine. Noch während ich sie befüllte und einschaltete, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Ich reagierte blitzschnell. Ruckte herum und zog die Glock.

Der Kerl saß in meinem Lieblingssessel und grinste mich an. Wie es aussah, interessierte es ihn nicht die Spur, dass ich die klotzige Dienstwaffe auf ihn richtete – im Beidhandanschlag, über die Küchentheke hinweg.

»Cotton«, sagte er seelenruhig. »Das bist du doch, oder? Nicht, dass ich mich in der Wohnungstür geirrt habe.«

Ich nickte nur. Meine Verblüffung über so viel Frechheit behielt ich für mich. Vor ihm auf dem Tisch stand ein aufgeklappter Laptop. Er drehte ihn herum, damit ich das Bild sehen konnte. Es zeigte einen Mund in Großaufnahme. Kirschrote Lippen, weit aufgerissen, umschlossen ölig schimmernden schwarzen Waffenstahl.

Die Lippen gehörten einer Frau. Der Waffenstahl war die Laufmündung einer Pistole. Mir lief es eiskalt über den Rücken.

Über dem Schreckensbild hockte eine Webcam auf dem Laptoprand wie ein bösartiges Zyklopenauge. Es starrte mich an, schien herausfordernd zu zwinkern. Ich zwang mich, es nicht zu beachten.

Zeigte der Mann mir etwa eine Filmszene? Ich brauchte nicht darüber nachzudenken. Denn im selben Moment zoomte die Videokamera langsam zurück. Die Pistolenmündung im Mund der Frau war so klobig wie meine Glock.

Der Zoomrückwärtsgang stoppte, als die Frau von der Hüfte bis zum Scheitel zu sehen war. Ich stand wie erstarrt. Himmel, nein, eine Filmszene war das garantiert nicht. Dagegen sprachen allein schon die Augen der Frau. In Todesangst geweitet, schienen sie zu flackern und aus den Höhlen quellen zu wollen.

Sie war kaum in der Lage, ihr Zittern unter Kontrolle zu halten. Es steigerte sich, ihr Körper begann, sich zu schütteln wie unter Krämpfen.

Offenbar war sie gefesselt. Ihre Arme waren nicht zu sehen. Folglich mussten ihre Handgelenke auf dem Rücken zusammengeschnürt sein. Und sie saß auf einem Stuhl, einer Kiste oder Ähnlichem.

Von dem Mann, der die Pistole hielt, ragte nur der Unterarm ins Bild. Ärmellos. Dass es ein Mann war, zeigten schwarze, gekräuselte Haare auf seinem Arm, die bis zum Handgelenk reichten. Die Hand war groß und knochig und umschloss den Pistolengriff vollständig. Die ganze Waffe wirkte in dieser Riesenfaust wie ein Spielzeug.

Die Webcam der Entführer musste sich ebenfalls auf einem Laptop oder dem Bildschirm eines stationären Rechners befinden. Wegen der leicht erhöhten Position war die obere Gesichtshälfte der Gepeinigten deutlich zu erkennen.

Allzu deutlich. Denn alles war verzerrt durch die Qualen, die sie erlitt. Die Form ihres Gesichts, die Augen, die Stirn, die Wangen. Es war das reine Grauen, das sie empfinden musste. In diesem Moment schwor ich mir, alles für diese Frau zu tun, was ich tun konnte – und wenn ich dabei mein Leben aufs Spiel setzte.

Mit äußerster Mühe konzentrierte ich mich auf das Notwendige, das ich mir einprägen musste.

Ihr Haar war brünett und von mittlerer Länge. Zu normalen Zeiten lag es wahrscheinlich eng an und betonte ihre ovale Kopfform. Zurzeit allerdings war ihre Frisur wild zerzaust. Sie musste sich verzweifelt zur Wehr gesetzt haben. Doch das hatte ihre Lage wohl nur noch verschlimmert.

In ihrer Umgebung gab es buchstäblich nichts, kein markantes Merkmal. Hinter ihr befand sich nur eine weiße Wand. Es konnte auch ein weißes Laken sein, das ihre Entführer aufgehängt hatten. Bisweilen schien das Weiß leichte, flache Wellen zu schlagen. Es bewegte sich also.

Es fiel mir höllisch schwer, mich zusammenzureißen und ruhig zu bleiben. Alles in mir war kurz vor der Explosion, von den Nervenfasern bis zu den Muskeln.

»Also, Cotton«, fuhr der Eindringling fort, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Hör gut zu. Wenn du auf mich schießt, wird hier alles gelöscht. Alles. Auch ein Menschenleben.« Um es zu betonen, deutete er mit der freien Hand auf den Bildschirm und die Webcam.

Gleichzeitig hob er die Rechte nur ein Stück an, um den gekrümmten Mittelfinger gleich darauf wieder knapp über die Delete-Taste zu senken. Ich hätte auch ohne diese hundsgemeine Geste verstanden.

Über die Webcam wurden wir beobachtet. Die Lösch-Taste war nur ein zusätzliches Mittel, mit dem er seinen Komplizen signalisieren würde, dass ich ihn angriff.

Ich nahm die Glock herunter. Es tat mir in der Seele weh, sie ins Gürtelholster zu versenken. Am liebsten hätte ich den grinsenden Mistkerl aus meinem Lieblingssessel gezupft und ihn mir zur Brust genommen. Und dann hätte ich ihm mit Hochgenuss die Stahlacht verpasst.

»Mach dir keine Sorgen, Cotton«, sagte er höhnisch. »Du bist nicht allein.«

»Auf eine Gesellschaft wie deine kann ich verzichten«, erwiderte ich grimmig knurrend. Denn jede nutzlos verstreichende Sekunde erhöhte meine innere Anspannung.

Weil die Qualen der Frau mit jeder Sekunde schlimmer wurden.

Der Kerl im Sessel lachte über meine Bemerkung. »Du verstehst mich völlig falsch.« Er prustete vor Vergnügen. Gleich darauf beruhigte er sich und fügte in väterlich tröstendem Ton hinzu: »Aber dass wir beide gleich Gesellschaft kriegen, kannst du natürlich nicht ahnen.«

Ihr Körper war wie ausgehöhlt. Ausgehöhlt und ausgefüllt von einem nicht enden wollenden Schrei. Ihre Seele stand in Flammen und schrie und schrie unter der glühenden Macht des Fegefeuers. So kam es ihr vor. Dass sie in Wirklichkeit vor Angst keinen Laut von sich gab, war ihr nur halb bewusst.

Was blieb, war die Todesahnung, das sichere Gefühl, die Feuerhölle des inneren Schmerzes nicht überstehen zu können. Ihre Sinne funktionierten, und dennoch war alles zum Unwirklichen verändert wie in einem Albtraum.

Wie durch einen rötlich wallenden Schleier konnte sie die beiden Männer sehen, die sie bewachten. Beide trugen schwarze Kapuzenmasken und waren auch ansonsten ganz in Schwarz gekleidet mit Muscle Shirts, Jeans, Sneakers.

Es war brütend heiß in dem engen Verlies. Die brutalen Kerle hatten alles verrammelt. Türen, Fenster und Jalousien ließen keinen Lufthauch herein. Außerdem hatte die Sonne den Raum erst richtig aufgeheizt.

Der Oktober stand vor der Tür, doch der Sommer war noch einmal nach New York zurückgekehrt. Die Frau begriff nicht, weshalb sich derart unwichtige Einzelheiten in ihren Gedanken breitmachten – in diesem Moment der größten Gefahr, in der sie jemals geschwebt hatte.

Ausgerechnet jetzt, da es keinerlei Hoffnung mehr für sie gab, spielte ihr Verstand verrückt. Es musste damit zu tun haben, dass sie nichts begriff. Sie konnte nichts begreifen.

Alles, was geschehen war, seit sie ihren Arbeitsplatz im Supermarkt verlassen hatte, war unerklärlich. Sie hatte sich noch über den schönen Sonnenuntergang freuen können, als sie den Parkplatz hinter dem Gebäude überquert und ihren Wagen erreicht hatte.

Den schwarzen Van, der direkt daneben parkte, nahm sie erst wahr, als die Entführer sie hineinzerrten. Einer drückte ihr einen dicken, feuchten Wattebausch über Mund und Nase, und ein beißender Geruch raubte ihr das Bewusstsein. Aufgewacht war sie erst wieder in dem stickigen Raum, in dem sie sich jetzt befand.

Manchmal, wenn sich die Maskierten bewegten, hatte sie den Eindruck, dass der Boden unter ihren Füßen leicht schaukelte. Ein Wohnwagen vielleicht?

Ihre Lippen schmerzten noch immer. Anfangs, als die Entführer ihr den riesigen Pistolenlauf zwischen die Zähne gestoßen hatten, glaubte sie, ihr müsste die empfindliche Haut in den Mundwinkeln aufreißen. Wie durch ein Wunder war das nicht geschehen.

Umso mehr hatte sie die Kälte des Stahls und seinen durchdringenden Eisengeschmack, vermischt mit dem beißenden Waffenöl, verspürt. Anfangs hatte beides einen Brechreiz in ihr ausgelöst. Den hatte sie überwunden, und sie war stolz darauf, bedeutete es doch, dass sie ihren Körper wenigstens teilweise noch unter Kontrolle hatte.

Aber das änderte nichts daran, dass ihre Todesangst nach und nach alle anderen Empfindungen überdeckte. Hinzu kam, dass sie sterben würde, ohne zu wissen, warum. Ohne zu begreifen, weshalb sie entführt worden war.

War sie ein Opfer von Menschenhändlern? Darüber las man oft in der Zeitung. Demzufolge betrieb das organisierte Verbrechen einen schwunghaften Handel mit nordamerikanischen Frauen.

Für die Männerwelt von Mexiko bis Chile waren schlanke, langbeinige Blondinen das Idealbild solcher Frauen. Als Sklavinnen an Bordelle in Südamerika verschachert, sicherten sie ihren Entführern ein hohes Einkommen und ein Leben in Luxus.

So entwürdigend und erniedrigend der Beruf der Prostituierten auch sein mochte, wurden dennoch Anforderungen an ihr Äußeres gestellt, die sie niemals erfüllen konnte. Sie als Hure in einem Bordell in Südamerika? Ausgeschlossen. Dazu war sie einfach nicht attraktiv genug.

Mit ihren maskulin geschnittenen dunklen Haaren passte sie garantiert nicht ins Beuteschema südländischer Señores. Außerdem war sie nur fünfeinhalb Fuß groß, und ihren rundlichen Körper fand sie auch nicht aufregend genug, um einen Mann damit hinter dem Ofen hervorzulocken.

Zellulitis um Hüfte und Oberschenkel herum ließ sie in die Breite gehen. So empfand sie es jedenfalls. Schon seit Langem konnte sie sich nicht mehr freuen, wenn sie sich unverhüllt im Spiegel betrachtete.

Aber weshalb, in aller Welt, war sie entführt worden?

Ein jäher Ruck durchlief ihren Körper, riss sie aus ihren Gedanken. Erst nach einem erschrockenen Luftholen wurde ihr klar, dass der Maskierte die Pistole aus ihrem Mund gezogen hatte. Entsetzt starrte sie die tödliche Waffe an, die ihr jetzt noch riesiger vorkam als zuvor.

Der Mann trat zwei, drei Schritte zurück, hielt die Waffe jedoch weiter auf sie gerichtet. Gleichzeitig kam der andere, unbewaffnete näher, und wieder bewegte sich der Boden leicht auf und ab. Er scheuchte seinen Komplizen mit einer Handbewegung seitwärts, um die Schusslinie von sich fernzuhalten.

Beide Männer gaben zwangsläufig den Blick auf einen Tisch frei. Darauf stand ein Laptop mit senkrechtem Bildschirm und aufgesetzter Webcam. Deren kleines Objektiv funkelte. Dadurch glich es einem blinzelnden Auge, das sie ansah.

Sie hörte sich krächzen, als sie zu sprechen versuchte. Statt Worte formen zu können, erlitt sie einen Hustenanfall. Sie krümmte den Oberkörper nach vorn, und ihr wurde erst jetzt wieder bewusst, dass ihre Hände auf den Rücken gefesselt waren. Ihre Arme wurden von der Stuhllehne zurückgehalten, und ein greller Schmerz durchstach beide Schultergelenke gleichzeitig.

Sie schrie und zwang sich zurück in die Senkrechte, obwohl sie noch immer husten musste. Der zweite Kapuzenmann war reflexartig zurückgewichen. Er hatte keine Waffe in der Hand.

»Tu dir keinen Zwang an«, sagte er mit einer rauen, dunklen Stimme. »Du kannst hier schreien, so viel du willst, wenn es dich erleichtert. Kein Mensch wird dich hören.«

Sie verstummte, erstaunt über den Klang seiner Stimme. Während sie noch keuchte und glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, schwand ihre Atemnot rasch, je mehr sich diese Stimme in ihrem Bewusstsein ausbreitete.

Sehr männlich hörte sie sich an. Keine Frage. Fast wie ein Bass, mindestens aber wie ein Bariton.

Und dennoch war es eine Frauenstimme.

So etwas kam vor. In ihrem Job an der Kasse des Supermarkts BigValu erlebte sie, die Entführte, alles Mögliche. Unter den vielen, vielen Menschen, mit denen sie täglich zu tun hatte, gab es alle nur erdenklichen Tonlagen. Die meisten Stammkunden erkannte sie schon von Weitem an der Stimme, noch bevor sie den Betreffenden sehen konnte.

Frauen, die sich wie ein Mann anhörten, waren selten. So viel stand fest. Doch es war eine nutzlose Erkenntnis. Keine einzige Frage ließ sich damit beantworten.

Die Maskierte griff in die Hosentasche, holte einen zum Ball geknüllten Putzlappen heraus und hielt ihn ihr unter die Nase. Der Ball war schwarzgrau und faustgroß, roch nach Motoröl.

Sie drehte den Kopf zur Seite, um dem durchdringenden Geruch zu entgehen.

»Was wollen Sie von mir?«, hörte sie sich fragen, und es kam ihr vor, als würde eine Fremde sprechen. »Ich habe kein Geld, nur Schulden. Mein Bankkonto, meine Kreditkartenkonten – alles tiefrot im Minus.«

Die Entführerin lachte dröhnend. Sie brauchte einen Moment, um ihre Heiterkeit abzuschütteln. Dann beugte sie sich vor, und hinter den Schlitzen der Maske schienen ihre dunklen Augen zu glühen.

»Es geht nicht um Geld, meine Liebe«, erwiderte sie dumpf. »Es geht ums Leben. Ums nackte Überleben.«

»Komm mal her zu mir«, sagte der Dauergrinser in meinem Sessel. »Ab jetzt wird Klartext geredet. Wir beide müssen nämlich ein bisschen zusammenarbeiten.«

Seine Selbstgefälligkeit und Arroganz waren ein Frontalangriff auf meine Nerven. Ich spürte dieses innere Vibrieren wie von gespannten Bogensehnen. Es kostete mich eine höllische Anstrengung ruhig zu bleiben.

Und er wusste es.

Meine Dienstwaffe erwähnte er nicht. Es schien ihm völlig egal zu sein, ob ich die Pistole im Holster ließ oder auf die Arbeitsplatte neben der Kaffeemaschine legte. Also entschied ich mich für Ersteres, umrundete den Küchenblock und ging hinüber.

Er beobachtete mich. In seiner Miene lag unverhohlener Spott. Er fühlte sich als unbezwingbarer Herr der Lage – unangreifbar dank der gepeinigten Frau auf dem Bildschirm. Ich hätte mit einer Maschinenpistole und einer Shotgun kommen können, auch das hätte ihn nicht beeindruckt.

Denn sein Faustpfand hatte ich ständig vor Augen – auf dem Bildschirm.

Deshalb wusste er, dass ich ihm nichts antun würde. Und dass ich alles vermeiden würde, was die Gefangene in Gefahr bringen könnte. Weil für uns FBI Agents ein Menschenleben das höchste Gut war. Weil wir es mit allen Mitteln verteidigten, selbst wenn wir dabei unser eigenes Leben gefährdeten.

»Setz dich«, ordnete er an und wies auf den zweiten Sessel, den er schon vor meinem Eintreffen zu sich herangezogen haben musste. Ich hatte jedenfalls nicht bemerkt, dass er es getan hatte. Vielleicht, weil die Frau mit der Pistole im Mund meine volle Aufmerksamkeit beanspruchte.

Meine Gedanken kreisten um die einzige Frage, die im Augenblick wichtig war: Wie konnten wir es schaffen, die Frau zu finden und zu befreien?

Ich gehorchte, indem ich mich auf der Vorderkante der Sitzfläche niederließ – Beine angezogen, Hände auf den Armlehnen, alle Muskeln angespannt.

»Bleib locker«, befahl er, und sein Grinsen wurde noch eine Spur herablassender. »Rücken an die Lehne. Die Hände kannst du lassen, wo sie sind.«

Damit er sie sehen konnte, völlig klar. Ich tat, was er verlangte, und verzichtete auch diesmal auf einen Kommentar. Meinetwegen konnte er glauben, dass es mir die Sprache verschlagen hatte. Es kümmerte mich nicht.

Im nächsten Moment blieb mir allerdings die Spucke weg. Seine Finger huschten über die Tastatur, und der Bildschirm teilte sich auf. Neue Bilder flammten auf, zoomten sich kurz in den Vordergrund und wichen auf Kleinformat zurück.

Vier Videoaufnahmen kamen auf diese Weise zur Ruhe und teilten sich den Bildschirm. Die Frau, jetzt ohne Pistole im Mund, hatte die Position oben links eingenommen. Rechts daneben Mr. High, selbst nach Feierabend noch in seinem Büro, unten links Phil Decker, mein Freund und Partner, in seiner Wohnung. Unten rechts sah ich mich selbst. Der Grinser war ausgeblendet.

»Jetzt steht sie«, sagte er ölig. »Unsere kleine, aber feine Videokonferenz. Wir können uns erst mal zurücklehnen. Die Gesprächsleitung übernimmt meine Führungsetage.«

»Wer?«, entgegnete ich, ohne den Blick vom Monitor zu wenden.

Mein Nebenmann lachte. »Das könnte dir so passen, was? Mich auf die hinterlistige Tour überrumpeln – mit unwichtigen kleinen Fragen.«

Ich ging nicht darauf ein. Ohnehin wäre ich nicht dazu gekommen, denn eine offenbar maßgebliche Person meldete sich jetzt zu Wort. Die Führungsetage. Die Ansprache wurde digital verfremdet, sodass es sich anhörte, als würde ein Automat sprechen. Das dazugehörige Gesicht wurde nicht gezeigt.

»Guten Abend, Gentlemen. Es freut mich sehr, dass wir in dieser überschaubaren und dennoch entscheidungskräftigen Runde zusammengekommen sind. Ich begrüße John D. High, Assistant Director in Charge und Leiter des FBI Field Office New York, sowie die beiden Assistant Special Agents in Charge Jerry Cotton und Phil Decker als seine bewährtesten und erfolgreichsten Ermittler.«

Es klang wie das Scheppern der Blechdosen hinter dem Auto eines Hochzeitspaars auf dem Weg in die Flitterwochen. Der Hohn des Sprechers war jedoch nicht zu überhören. Er räusperte sich.

Eine Sekunde lang hatte ich Zeit, die Einzelbilder zu betrachten.

Die Frau blickte mit großen, angstgeweiteten Augen in die Webcam. Gleichzeitig sah sie aus, als würde sie nichts von alldem verstehen, was um sie herum vor sich ging. Den Mund hatte sie noch immer geöffnet, vielleicht, um nach Atem zu ringen. Vielleicht rechnete sie aber auch damit, dass die Pistole zurückkehrte.

Die Waffe war am linken unteren Bildrand zu sehen, nach wie vor auf die Frau gerichtet.

Mr. Highs ohnehin schmales Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. So ernst und unnatürlich blass hatte ich ihn selten erlebt. Seine zusammengepressten Lippen waren kaum mehr als ein Strich.

Auch Phil war nicht er selbst. Weil wir uns als Dienstpartner ohnehin fast jeden Tag sahen, kam es selten vor, dass wir mit Webcamunterstützung telefonierten. Doch wenn wir es taten, hatte jeder von uns immer einen Spruch auf Lager. Nichts davon diesmal, denn zum Scherzen war keinem von uns zumute.

Der Anblick des grinsenden Kerls an meiner Seite hätte meinem Chef und meinem Partner wahrscheinlich das Blut in den Adern kochen lassen. Deshalb war ich froh, dass nur ich den Bastard ertragen musste.

Der Unsichtbare mit der verfremdeten Stimme sprach weiter. »Über die gegebenen Umstände brauchen wir keine Worte zu verlieren. Wir sehen gerade alle gemeinsam die Geisel, die wir in unsere Obhut genommen haben.«

Trotz des seltsam blechernen Klangs war herauszuhören, dass die echte Stimme vor höhnischem Überlegenheitsgefühl geradezu troff. Auch weiterhin, als der Digitaltext fortgesetzt wurde.

»Hören Sie jetzt unsere Forderung, die nicht wiederholt wird. Wir verlangen die sofortige und bedingungslose Freilassung von Bruce Lane. Die Einzelheiten über seinen Status setzen wir als bekannt voraus. Wir räumen Ihnen eine Frist von vierundzwanzig Stunden ein. Wenn Lane also bis morgen Abend um neun Uhr nicht das Gefängnistor verlassen hat, beginnt unsere Geisel zu sterben. Ich kann Ihnen versichern, dass es ein langsames und qualvolles Sterben sein wird, das nicht endet, bevor Lane auf freiem Fuß ist.«

»Das ist völlig absurd!«, fuhr Mr. High dazwischen. Ihm war anzuhören, dass er sich nur mühsam beherrschen konnte. »Es steht nicht in der Macht des FBI, einen zu lebenslänglich Gefängnis verurteilten Schwerverbrecher freizulassen, noch dazu aus dem Hochsicherheitstrakt von Sing Sing.«

Die Digitalstimme lachte, dass es schepperte. »Ich sehe, Sie sind mit dem Fall Lane bestens vertraut. Im Übrigen stimmt es nicht, was Sie sagen. Sie haben sehr wohl die Möglichkeit, Lane freizubekommen. Setzen Sie Ihren ganzen Einfluss ein, High, wenn Sie wollen, dass die Frau am Leben bleibt.«