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Wir kehrten gerade von einem Einsatz zurück, als wir über Polizeifunk von einer Auseinandersetzung mit Schusswaffengebrauch in unserer Nähe hörten. Spontan beschlossen wir einzugreifen. Am Ort des Geschehens fanden wir vier Verletzte vor, einer davon hatte eine Kugel in der Brust und kämpfte um sein Leben - und bemerkten, wie ein weiterer Mann bei unserem Auftauchen floh. Während Phil bei den Verletzten blieb und Ambulanz und Cops verständigte, verfolgte ich den Flüchtigen, der mich um ein Haar erwischte. Kurz darauf erfuhren wir, dass der Mann vom MI6 war und die CIA von dem Einsatz wusste. Doch das blieb nicht die einzige Überraschung in diesem undurchschaubaren Fall!
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Man stirbt nur einmal
Vorschau
Impressum
Man stirbt nur einmal
Der Geruch nach Rauch und Schweiß in einem Casino um drei Uhr morgens kann außerordentlich unangenehm sein. Jedenfalls, wenn es sich um ein illegales Etablissement handelt, in dem Rauchen noch erlaubt ist. In Las Vegas oder Atlantic City hätte es angenehmer gerochen, dessen war sich Tony Rogers sicher.
Wie beiläufig blickte er sich in dem großzügig geschnittenen, luxuriösen Raum um, der sich in einem ansonsten unauffälligen Gebäude in Brooklyn befand. Roulettetische wechselten mit solchen ab, an denen Frauen und Männer in Abendgarderobe ihr ehrlich und unehrlich erarbeitetes Geld bei Poker und Baccara verspielten, denn eines war auch in diesem Casino gewiss: Die Bank gewann immer.
Und die Bank hier gehörte Alfredo »Chubby« Cavolfiore, der es gewohnt war, immer und überall zu gewinnen. Weshalb er seinen kräftig gebauten Sicherheitsleuten einen kleinen, nur Tony auffallenden Wink gab, sich den dunkelhaarigen, schlanken Mann im Smoking zu schnappen.
Tony stellte das Glas Gin Tonic, an dem er kaum genippt hatte, auf das Tablett einer Bedienung im kleinen Schwarzen, bevor er auf den Ausgang zuhielt. Als Cavolfiores Leute ihn wenig später in einer Gasse unweit des Casinos in die Enge trieben und einer der Sicherheitsleute seine Pistole hob, lächelte Tony schmal.
»Ah«, sagte er, »wie ich sehe, gehen wir All-in.«
Es war mitten in der Nacht. Phil und ich befanden uns unweit des Brooklyn Navy Yard, als uns die aus dem Funkgerät unseres Ford Interceptor Stealth kommende Stimme aus der FBI-Notrufleitstelle aufhorchen ließ.
»Das NYPD meldet eine Auseinandersetzung mit Schusswaffengebrauch. Offenbar ist eine größere Anzahl von Personen daran beteiligt. Alle verfügbaren Einheiten sofort in die Carlton Avenue zwischen Flushing und Park Avenue in Brooklyn.«
»Eine größere Anzahl ...«, sagte Phil gedehnt. »Klingt, als könnten die Jungs vom NYPD jede Hilfe brauchen, die sie kriegen können.«
Er warf einen Blick auf unser Navi.
»Lass mich raten«, meinte ich, »die Carlton Avenue ist direkt um die Ecke, oder?«
Da ich unseren Dienstwagen aus der Fahrbereitschaft gerade die eben genannte Park Avenue entlang steuerte, musste ich kein Raketenwissenschaftler sein, um mir seine Antwort ausrechnen zu können. Eigentlich hatte ich vorgehabt, die nächstbeste Auffahrt auf den Brooklyn Queens Expressway zu nehmen, damit wir über die Brooklyn Bridge nach Manhattan zurückkehren und endlich Feierabend machen konnten. Phils simples »Ja« machte mir jedoch einen Strich durch die Rechnung.
»Nimm die dritte Straße rechts«, sagte Phil.
»Wie Sie wünschen, Miss Daisy.«
Ich gab Gas, und der Wagen jagte die dank der späten Stunde nur spärlich befahrene Park Avenue hinunter. Mit quietschenden Reifen schoss ich um die Ecke auf die wie ausgestorben daliegende Carlton Avenue. Entlang der Straße lag eine Reihe kleiner Gewerbebetriebe. Am nördlichen Ende konnte ich das wesentlich größere Gebäude eines Mietlagers ausmachen.
»Sie haben Ihr Ziel erreicht«, verkündete die freundliche weibliche Stimme unseres Navis.
»Die muss sich irren«, knurrte Phil. »Ich kann mein Bett hier nirgendwo entdecken.«
Ich trat auf die Bremse, wir stießen unsere Türen auf und sprangen aus dem Wagen. Aufmerksam sahen wir uns um, während wir gleichzeitig in die Nacht lauschten.
Auf den ersten Blick bemerkten wir nichts Ungewöhnliches. Von der Park im Süden und der Flushing im Norden drang nur das Rauschen des nächtlichen Verkehrs an unsere Ohren. Einsatzfahrzeuge des NYPD konnten wir weder sehen noch hören. Vermutlich waren sie noch unterwegs. Für den Moment waren wir auf uns allein gestellt.
Phil und ich warfen uns einen fragenden Blick zu. Ich zuckte mit den Schultern.
»Wäre gut, wenn noch mal jemand schießen würde, damit wir ...«, begann Phil, als unvermittelt Geräusche aus der uns am nächsten gelegenen schmalen Gasse zwischen zwei Betrieben drangen.
Wir waren lange genug in unserem Job, um sofort zu erkennen, dass es sich um die Geräusche eines Kampfes handelte.
Eines ausgesprochen hitzigen Kampfes.
Ein gedämpfter Schrei ertönte.
Ohne ein weiteres Wort rannten wir mit gezogenen Waffen in die entsprechende Richtung. Kurz vor der Einmündung zur Gasse verlangsamten wir unsere Schritte. Phil drückte sich an die Hauswand, während ich zur gegenüberliegende Seite des schmalen Durchgangs weitereilte. Uns gegenseitig sichernd, sondierten wir die Lage.
Für den Moment zumindest bestand keine Gefahr. Wenigstens machten die vier Gestalten, die ein paar Yards die Gasse hinunter im Lichtkegel einer schwachen Lampe auf dem Boden lagen, nicht den Eindruck, als interessierte sie etwas anderes als die Schmerzen, die sie gerade litten.
Langsam drangen Phil und ich in die Gasse vor. Drei der Verletzten wanden sich am Boden, der vierte Mann gab kaum mehr als ein Stöhnen von sich und lag ansonsten reglos da. Blut sickerte aus einer Schusswunde in seinem Oberkörper. Ein anderer Mann blutete aus einer Wunde im Bein.
»Waffe!«, stieß ich warnend hervor und trat eine Glock, die neben dem Schwerverletzten auf dem Asphalt ruhte, aus dessen Reichweite.
Phil tat das Gleiche mit einer weiteren Pistole. Mit geübten Griffen filzten wir die vier Männer, die sich kaum um uns scherten, und förderten zwei weitere Schusswaffen zutage. Offensichtlich war es keinem ihrer Träger mehr gelungen, diese zu ziehen, bevor sie ausgeschaltet worden waren.
Vorsichtig sahen wir uns um. Nicht weit von uns entfernt ging hinter den Verletzten ein weiteres Gässchen nach links ab. Viel war nicht zu erkennen, denn dieser Durchgang zwischen den Gebäuden lag in tiefer Dunkelheit.
Phil nickte mir zu. Ich huschte an den Verletzten vorbei und schob den Kopf langsam aus der Deckung in die zweite Gasse hinaus. Meine Augen versuchten, in der vor mir liegenden Schwärze etwas zu entdecken, aber alles, was ich erkennen konnte, waren ein paar Müllcontainer und – noch mehr Schwärze.
Und eine Bewegung. Plötzlich und unvermutet. Fast wäre sie mir entgangen.
»Stehen bleiben, FBI!«, rief ich, doch wer immer dort im Dunkel vor mir steckte, reagierte auf beinahe klassische Weise.
Er rannte davon.
Warum taten sie das immer?
Ich stieß einen leisen Fluch aus und wandte mich zu Phil um.
»Kommst du alleine klar?«
»Kein Problem«, erwiderte mein Partner, »ich habe die Jungs im Griff. Außerdem kommen die Kollegen sicher bald.«
Wie aufs Stichwort erklang in der Ferne endlich das Heulen von Sirenen, das sich zügig näherte.
»Okay«, rief ich Phil zu.
Dann nahm ich die Verfolgung auf.
Während ich das Gässchen entlangstürzte, konnte ich zunächst kaum die Hand vor Augen sehen. Aber langsam gewöhnte ich mich an die mich umgebende Dunkelheit. So weit, dass ich schon bald den Umriss des Flüchtigen vor mir erkennen konnte. Aus der Art, wie er lief, schloss ich, dass es sich um einen Mann handelte. Blieb mir nur zu hoffen, dass er allein war und ich mich nicht wie ein blutiger Anfänger in eine Falle locken ließ. Allerdings hielt ich das für unwahrscheinlich, denn es stellte sich die berechtigte Frage, was ihm ein Hinterhalt für Vorteile eingebracht hätte. Davonzurennen war in seiner Situation eindeutig die bessere Option.
Das Gässchen machte einen Knick, dann einen weiteren. Licht, das sich von einem größeren, vor uns liegenden Hof ergoss, verscheuchte die Dunkelheit und warf lange Schatten in meinen Weg. Der Flüchtende, der einen ziemlichen Vorsprung hatte, hob sich als harte Silhouette gegen das helle Rechteck des Gassenendes ab.
Ich lief schneller, holte auf.
Der andere erreichte den Hof, schwenkte nach links und verschwand aus meinem Blickfeld. Obwohl ich keine Waffe in seiner Hand gesehen hatte, verlangsamte ich meine Schritte wieder und riskierte einen Blick um die Ecke, bevor ich ihm ins Freie folgte. Wenn man es vermeiden konnte, sollte man nie in eine mögliche Kugel hineinlaufen.
Die Luft war rein. Der Mann rannte noch immer.
Wie ich feststellte, befanden wir uns auf dem Parkplatz und Verladehof des großen Mietlagers. Eine Treppe und ein paar Rampen führten in das vor mir liegende Gebäude. Rechts erhob sich eine hohe Mauer, links begrenzte ein Maschendrahtzaun mit einem breiten Tor, das geschlossen war, das Gelände. Das sollte den Flüchtenden, der genau darauf zuhielt, ein wenig aufhalten.
Ich bog um die Ecke und rannte weiter.
Mit einem gewagten Sprung, der ihn fast zur Hälfte am Tor emportrug, warf sich der Mann in den Maschendraht. Der Zaun vibrierte sichtbar und ein lautes metallisches Klirren erfüllte die Luft.
Die Sirenen von mindestens zwei Streifenwagen kamen näher, durchschnitten die Nacht mit ihrem Heulen, doch sie erklangen vom anderen, weiter entfernten Ende der Carlton Avenue, dort, wo Phil und ich unseren Wagen verlassen hatten. Wenn nicht ein Wunder geschah, würde ich so bald keine Unterstützung erhalten.
In atemberaubender Geschwindigkeit überwand der Flüchtende das Hindernis, ließ sich fallen und landete wie eine Katze auf dem Bürgersteig auf der anderen Seite des Zauns. Statt weiterzulaufen, blieb er kurz stehen und blickte in meine Richtung.
Er war zu weit entfernt, um sein Gesicht erkennen zu können. Was ich stattdessen klar sehen konnte, war, dass der Mann einen eleganten Smoking trug.
Nicht gerade die übliche Kleidung in einer Gegend wie dieser, schon gar nicht um diese Uhrzeit.
Noch während ich das dachte, traf mich die Erkenntnis, dass die vier Verletzten, für die der Mann offenbar verantwortlich war, ebenso gekleidet waren. Ein Zufall? Wohl kaum. Aber was sich hinter diesem Umstand verbarg, konnte ich nur endgültig klären, wenn ich den Flüchtenden erwischte. Der mir selbstverständlich nicht den Gefallen tat und länger stehen blieb, um auf mich zu warten. Er gab erneut Fersengeld, überquerte die Straße und rannte nach Norden weiter, auf die Flushing Avenue zu. Fort von den Streifenwagen, deren blinkende Lichter ich in der Nähe unseres Dienstwagens sehen konnte, während auch ich über den Zaun kletterte. Hoffentlich waren ihre Besatzungen mittlerweile wenigstens bei Phil eingetroffen und halfen ihm dabei, sich um seine Schäflein zu kümmern.
Nachdem ich den Zaun überwunden hatte, legte ich erneut einen Zahn zu und holte alles aus meinen Beinen heraus, was in ihnen steckte.
Auf der anderen Straßenseite schwenkte der Flüchtende nach links und verschwand in einer weiteren Gasse, bevor er die Flushing Avenue erreichte. Er schien gern Blindekuh zu spielen, aber in seiner Situation konnte ich ihm das wohl kaum verübeln. Dass er vier Verletzte hinter sich gelassen hatte, dagegen schon.
Ich tauchte in das Dunkel der Gasse ein, hetzte an weiteren Containern und kleinen Haufen undefinierbaren Schrotts und Mülls vorbei. Schließlich hatte ich den Flüchtenden unvermittelt vor mir. Irgendetwas, das am Boden lag, war ihm zwischen die Füße geraten und hatte ihn straucheln lassen.
Er verlor das Gleichgewicht und die Kontrolle, doch nur für einen Augenblick. Als ich ihn erreichte, hatte er sich bereits wieder gefangen und sein Taumeln in eine gezielte Bewegung verwandelt, drehte sich elegant auf einem Bein um die eigene Achse, während sein anderes in die Höhe und auf mich zuschoss.
So etwas hatte ich noch nicht oft gesehen.
Und dann sah ich auch erst einmal nichts weiter außer einem Regen von Sternen, die vor meinen Augen explodierten. Ich wankte zurück, fing mich ebenfalls und warf mich gleichzeitig nach vorn. In der Dunkelheit vor mir weiteten sich die Augen meines Gegners vor Überraschung und ließen sie weiß aufleuchten. In der nächsten Sekunde prallte ich auch schon in ihn hinein.
Gemeinsam stolperten wir ein Stück weiter, wichen voneinander und verhielten einen Moment, nahmen die Haltung des jeweils anderen in uns auf, schätzten unsere Chancen ein.
Das Ganze dauerte kaum länger als einen Wimpernschlag. Noch vor dem nächsten schnellte die Handkante meines Gegners auf meinen Hals zu. Mit einer ebenso schnellen Armbewegung lenkte ich die zustoßende Hand ab und ließ sie an meinem Hals vorbei ins Leere stoßen.
Sofort drang mein Gegner weiter auf mich ein. Während wir schlugen und parierten, wurde mir überdeutlich, dass ich es mit jemandem zu tun hatte, der nicht so leicht zu besiegen war. Jeder von uns wehrte die Schläge oder Tritte des anderen mit höchster Präzision ab – einer Präzision, die in dieser Form nur durch jahrelanges hartes Training erreicht werden konnte.
Der Mann war ein Profi, daran hatte ich nicht den leisesten Zweifel.
So plötzlich, wie unsere Auseinandersetzung begonnen hatte, war sie auch schon wieder vorbei. Diesmal war ich es, den ein auf dem Boden herumliegendes Rohr oder etwas Ähnliches aus dem Tritt brachte. Ich machte mir nicht die Mühe festzustellen, was es war. Noch während ich mich fing, nutzte mein Gegner die günstige Gelegenheit, wirbelte herum und stürmte davon.
Ich setzte ihm nach.
Er erreichte die Flushing Avenue. Der Verkehr war noch immer bedeutend weniger dicht als am Tag, aber sich so hineinzuwerfen, wie er es tat, war doch einigermaßen tollkühn. Dennoch gelang es ihm, die erste Hälfte der breiten Straße unversehrt zu überqueren. Nun befand er sich auf dem verkehrsfreien Streifen unter dem Expressway. Mit ein paar langen Schritten überwand er das Asphaltband, auf dem hier und da ein paar Autos parkten. Unterdessen kämpfte ich mich noch über die nach Osten führenden Spuren und durch eine Kakophonie aus quietschenden Reifen und wütendem Hupen. Geschickt nutzte er eine Lücke im Verkehr, um auch die Richtung East River verlaufenden Fahrbahnen der Flushing zu überwinden.
Ich war ihm hart auf den Fersen.
Der Flüchtende lavierte sich vor einem herannahenden Taxi hindurch und entging ihm nur um Haaresbreite.
Ich warf mich in eine Bresche, die sich hinter einem SUV auftat, und spürte mehr, als dass ich es sah, dass etwas Riesiges mit der Unaufhaltsamkeit einer Kugel auf mich zuschoss. Ich wandte den Kopf und da war er – ein Truck, der gerade die Spur gewechselt hatte.
Mit einem verzweifelten Sprung nach hinten rettete ich mich auf das Band unter dem Expressway und landete zwischen zwei geparkten Autos. Knapp verfehlte mich der Kühlergrill des Trucks, und während der von ihm verursachte Fahrtwind mich grob durschüttelte, rauschte der stählerne Leviathan mit einem lang gezogenen Hupen an mir vorüber.
Mit vom Adrenalinstoß zittrigen Knien richtete ich mich auf und blickte auf die andere Seite der Flushing Avenue. Der Flüchtende war im Licht einer Laterne stehen geblieben, stand einfach da und sah mich an. Diesmal konnte ich sein Gesicht klar erkennen. Er nickte mit ernstem Blick, zwinkerte mir kurz zu und verschwand im hinter ihm liegenden Labyrinth des Industriegebiets des Brooklyn Navy Yard.
»Ein Profi?«, fragte Mr. High.
Wir saßen in seinem Büro, wo er sich von uns über die Ereignisse der letzten Nacht hatte Bericht erstatten lassen. Nun sah er mich scharf über den Rand seiner erhobenen Kaffeetasse an.
»Sind Sie sich sicher, Jerry?«
»So wie er sich verhalten und gekämpft hat ...«, erwiderte ich. »Und vergessen Sie nicht, dass er, soweit wir wissen, alleine vier schwer bewaffnete Männer ausgeschaltet hat, ohne dabei selbst verletzt worden zu sein. Wenn das nicht für einen Profi spricht, weiß ich es auch nicht.«
Mr. High nickte bedächtig. »Wissen wir etwas Neues von den vier Verletzten?«
»Nicht viel, Sir«, sagte Phil. »Sie sind ins Krankenhaus gebracht und behandelt worden. Der Zustand des Mannes mit der Schusswunde in der Brust ist kritisch, aber die Ärzte sind zuversichtlich, dass er überleben wird. Und die anderen drei haben starke Schmerzen, sind ansonsten aus dem Gröbsten raus. Allerdings sind sie auch verschlossen wie die sprichwörtliche Auster.«
»Sie haben sich nicht zu den Vorfällen geäußert?«
Phil schüttelte den Kopf.
»Wissen wir sonst etwas über sie?«
»Das NYPD hat ihre Führerscheine und ihre Fingerabdrücke überprüft. Und, o Wunder über Wunder, drei von den vieren sind einschlägig bekannt. Hauptsächlich Körperverletzungsdelikte und Ähnliches. Der Schwerverletzte war mal wegen versuchten Totschlags vor Gericht, wurde aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen.«
»Also haben wir nichts?«
»Nicht ganz«, widersprach ich unserem Chef. »In der Tasche von zweien der Männer haben wir Jetons gefunden.«
»Jetons? Aus einem Casino? Meinen Sie, die Männer waren vorher in Atlantic City?«
»Und sind dann in ihren feinen Anzügen nach Brooklyn gefahren, um sich dort zusammenschlagen und zusammenschießen zu lassen? Eher nicht.«
Mr. High nippte an seinem Kaffee. »Das würde mich auch überraschen, Jerry.«
»Wir haben die Jetons, die mit einem sehr auffälligen Wappen verziert sind, fotografiert und an das Vice Squad des New York Police Department und an Ben weitergeleitet«, sagte Phil. »Mal sehen, was die zutage fördern.«
»Außerdem«, ergänzte ich, »habe ich gleich einen Termin mit unserem Phantombildersteller. Es wäre doch gelacht, wenn der kein schönes Bild unseres Flüchtigen hinbekäme.«
Mr. High nickte. »Und danach gönnen Sie sich eine Mütze voll Schlaf. Man sollte fitter sein als Sie beide, wenn man sich auf die Jagd begibt.« Er lächelte. »Ich schätze, bis heute Mittag wird das Land auch ohne Ihre Dienste nicht untergehen.«
Mit der Mütze voll Schlaf wurde es nichts. Doch irgendwie hatte ich das auch nicht erwartet.
Nachdem meine Sitzung mit dem Phantombildersteller beendet war, warf ich einen Blick auf das Ergebnis und fand, dass das Bild, das dabei herausgekommen war, meinem Sparringspartner von gestern Nacht ziemlich ähnlich sah. Ich schickte es an Dr. Ben Bruckner, unseren Computerfachmann, weiter und bat ihn, als er kurz darauf in Phils und mein Büro trat, es durch sämtliche uns zur Verfügung stehende Datenbanken zu schicken.
»Überprüfe bitte auch, ob er auf irgendwelchen Videos oder Fotos von Verkehrs- und Sicherheitskameras im Großraum New York auftaucht«, meinte ich. »Vielleicht hebt er ja Geld ab oder will die Stadt verlassen. Gut möglich, dass er dabei erfasst wird.«
Ben blickte mich ausdruckslos an. »Daran hätte ich fast nicht gedacht.«
Für unseren scheuen Kollegen war das ein ziemlich gewagter Witz.
Ich grinste ihn an. »Genau das hatte ich befürchtet.«
Nun erhellte sich auch Bens Gesicht in einem schüchternen Lächeln. Er nickte mir zu und verließ das Büro.
Kurz darauf klingelte das Telefon. Es war ein Lieutenant Wilkes vom Vice Squad.
»Ich weiß, zu wem die Jetons gehören«, eröffnete er mir umgehend.
Ich stellte das Telefon auf Lautsprecher und bedeutete Phil, ebenfalls zuzuhören.
»Mein Partner und ich lauschen gebannt«, sagte ich.