Jerry Cotton 3332 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3332 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Die Polizei wurde an einem Montagmorgen zu einem Einfamilienhaus an der South Beach von Staten Island gerufen. Sie fand dort drei nackte Männer mit Schussverletzungen vor. Zwei waren tot, der andere überlebte schwer verletzt. Die Haushälterin, die den Notruf gewählt hatte, war fassungslos. Sie hatte die Männer noch nie in ihrem Leben gesehen und wusste nicht, wie sie ins Haus gelangt waren. Außerdem war der Eigentümer verschwunden. War hier eine Sexparty fürchterlich aus dem Ruder gelaufen? Oder steckte etwas ganz anderes dahinter?


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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Das Totenhaus von Staten Island

Vorschau

Impressum

Das Totenhaus vonStaten Island

Als Alison Carver am Montagmorgen ihren Dienst antrat, glaubte sie, es wäre ein Tag wie jeder andere. Die weiß gestrichene, moderne Villa ihres Arbeitgebers auf Staten Island direkt am Meer sah so aus wie immer. Das Garagentor war geschlossen. Das bedeutete, dass Stephen Ridgecraft wieder einmal den Sonntag im Büro in Brooklyn zugebracht und auch dort übernachtet hatte. Mr. Ridgecraft sollte nicht so viel arbeiten, dachte Alison. Sie machte sich Sorgen um seine Gesundheit und schloss die Haustür auf.

Das Erste, was ihr auffiel, waren der seltsame Geruch und das Chaos im Wohnzimmer. Dann sah sie die Toten. Der eine lag direkt vor ihr im Hausflur, der andere etwas weiter hinten im Wohnzimmer. Beide waren nackt, beide waren erschossen worden. Alison Carver zögerte keinen Moment. Sie zog das Handy hervor und wählte 911.

Das Haus, in dem das Verbrechen stattgefunden hatte, lag am Ende der Yeomalt Avenue, einer Straße an der Südküste von Staten Island. Das zweigeschossige Haus mit Doppelgarage war kleiner als die meisten Nachbarhäuser, und zur Straße hin sah es völlig unspektakulär aus, mit Ausnahme vielleicht des Briefkastens, der von zwei Delfinen aus rosafarbenem Kunststoff getragen wurde. Die Straße selbst war schlecht gepflegt, der Asphalt brüchig. Sie endete direkt vor den Granitblöcken der Küstenbefestigung. Damit niemand ins Wasser fuhr, hatte die Verkehrsbehörde ein gelbes Schild mit der Aufschrift END aufgestellt.

Erst wenn man um das Haus herumging, sah man, was für einen Schatz Stephen Ridgecraft erstanden hatte. Beide Stockwerke hatten riesige Fenster, aus denen man ungehindert auf den Strand und das offene Meer hinausblicken konnte. Aber dieser Friede war nachhaltig gestört worden. Eine der Fensterscheiben im Erdgeschoss war zersplittert. Auf dem Rasen suchte ein Mann mit einem Metalldetektor nach Pistolenkugeln.

»Sehen wir es uns an«, sagte ich.

Phil und ich gingen nach drinnen.

Zuständig war das Polizeirevier 123 der New York City Police. Die Kollegen hatten gut und rasch gearbeitet, und als sie gesehen hatten, was hier vorlag, hatten sie das FBI sofort eingeschaltet. Die Opfer der Schießerei waren bereits abtransportiert. Davon, wo sie gelegen hatten, zeugten nur noch Blutspuren auf dem Parkett.

Captain Harry Smirnov setzte uns ins Bild. »Das erste Opfer hat gleich da vorn gelegen, im Flur, Gesicht zum Ausgang. Ihn hat die Haushälterin entdeckt, als sie die Haustür geöffnet hat. Danach den Toten im Wohnzimmer. Sie uns angerufen und ist anschließend weiter ins Haus hineingegangen.«

»Das war ziemlich mutig. Sie konnte ja nicht wissen, ob der Täter noch im Haus war.«

»Sie ist eine ziemlich unerschrockene Person, Agent Cotton«, erwiderte der Captain. »Sie werden sie gleich noch kennenlernen. Der zweite Tote lag mitten im Wohnzimmer. Er ist mit drei Schüssen niedergestreckt worden. Das dritte Opfer hat Mrs. Carver erst ein paar Minuten später entdeckt, als sie sich die zerstörte Fensterscheibe aus der Nähe angesehen hat. Der Mann befand sich im Garten. Wir nehmen an, dass er versucht hat davonzulaufen, das ist missglückt. Die Kugel hat ihn knapp unterhalb der Schulter erwischt, sodass keine lebenswichtigen Organe getroffen worden sind. Er lebt. Doch er hat eine ganze Menge Blut verloren. Als Mrs. Carver ihn gefunden hat, war er bei Bewusstsein, jedoch nicht ansprechbar. Er ist dann gleich ins Krankenhaus transportiert worden.«

»Und der Täter?«, fragte Phil.

Der Captain zuckte mit den Schultern. »Wir haben keine Ahnung. Die Forensik vom NYPD Police Crime Lab war inzwischen da, und die Kollegen haben jede Menge Fingerabdrücke sichergestellt, aber bis jetzt hatten sie noch keine Gelegenheit, sie mit den Abdrücken der Personen zu vergleichen, von denen wir wissen, dass sie sich kürzlich am Tatort aufgehalten haben. Außer den drei Opfern der Schießerei sind das die Haushälterin und der Besitzer des Hauses, ein gewisser Stephen Ridgecraft. Er ist nicht hier. Wir wissen nicht, wo er steckt.«

»Was ist dieser Ridgecraft für ein Mensch?«, erkundigte ich mich.

»Ein Geschäftsmann aus Brooklyn. Das Haus hat er vor einigen Jahren erworben.«

»Verheiratet?«, wollte Phil wissen.

Der Detective schüttelte den Kopf.

»Auch keine Kinder?« Mein Partner deutete auf die Schaukel draußen auf dem Rasen.

»Nein. Die Dinge hat Ridgecraft alle vom Vorbesitzer übernommen. Auch die unglaublichen Delfine am Briefkasten.«

Da der Verletzte nicht ansprechbar war, blieb uns vorerst als einzige Zeugin die Haushälterin. Sie wirkte sehr gefasst. Wir befragten sie zunächst einmal über ihren Arbeitgeber. Stephen Ridgecraft war dreiundfünfzig Jahre alt, Junggeselle und Eigentümer einer Softwarefirma in Brooklyn. Seine Eltern waren beide tot. An nahen Verwandten gab es nur noch eine jüngere Schwester, zu der er wenig Kontakt hatte. Sie wohnte an der Westküste in Seattle.

»Können Sie uns erklären, wie es zu diesem Massaker gekommen ist?«, fragte ich.

Alice Carver zuckte mit den Schultern. »Ich weiß gar nichts. Ich kenne diese Männer nicht. Ich hatte am Wochenende frei, wie immer, und ich war zu Hause bei meinen Eltern in Rhode Island. Als ich heute Morgen zurückkam, um meinen Dienst anzutreten, habe ich dieses Chaos vorgefunden. Mein erster Eindruck war, dass diese Männer alle tot waren. Deshalb habe ich ja als Erstes bei der Polizei angerufen. Und dann hat sich plötzlich der Mann auf dem Rasen bewegt. Ich habe mich gewaltig erschrocken, dann habe ich sofort das Krankenhaus informiert. Der Notarzt war in wenigen Minuten vor Ort. Der South Campus des Staten Island University Hospital liegt ja sozusagen um die Ecke. Mehr weiß ich nicht.«

»Wann genau sind Sie zu ihrem Wochenendurlaub aufgebrochen?«, fragte ich.

»Das war am Freitagnachmittag, so gegen drei Uhr. Ich hatte alle Hausarbeiten erledigt, und Mister Ridgecraft hatte nichts dagegen, dass ich etwas früher Feierabend gemacht habe. Er wusste ja, dass ich noch eine lange Fahrt vor mir hatte.«

»Das heißt also, Ihr Arbeitgeber war noch da, als Sie das Haus verlassen haben.«

»Ja, Agent Cotton. Freitags macht Mister Ridgecraft immer schon gegen Mittag Schluss. Dann dauert es eine ganze Weile, bis er eintrifft, doch er sieht zu, dass es nicht zu spät wird.«

»Und an diesem Freitag war alles genauso wie immer?«

»Ja, genau wie immer. Was hätte anders sein sollen?«

»Es hat also nichts darauf hingedeutet, dass während des Wochenendes ein Ereignis stattfinden würde, bei dem am Ende drei Leute niedergeschossen werden würden?«

Alison Carver schüttelte den Kopf.

»Aber jetzt hat es eine Schießerei gegeben, drei Leute sind niedergeschossen worden, und Mister Ridgecraft ist weg. Haben Sie dafür eine Erklärung?«

»Nein, Agent Cotton.«

»Und die nackten Männer? Es sieht ja so aus, als hätte hier eine Sexparty stattgefunden. Was sagen Sie dazu?«

Mrs. Carver schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mister Ridgecraft irgendetwas damit zu tun hat. Es ist solch ein korrekter, gewissenhafter Mensch. Immer höflich, immer anständig. Und dass er jetzt nicht da ist, das ist nichts Besonderes. Als Geschäftsmann hat er zahlreiche Termine, manche davon auch am Wochenende. Meistens sagt er mir Bescheid, wenn er wegfährt, manchmal sind es kurzfristige Sachen, und da geht es dann nicht. Deshalb habe ich ja den Hausschlüssel, damit ich völlig unabhängig von ihm kommen und gehen kann.«

»Der Schlüssel«, sagte Phil, »das ist auch so ein Punkt, über den wir uns unterhalten müssen. Wie viele Leute haben einen Hausschlüssel?«

»Das weiß ich nicht. Ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass Mister Ridgecraft und ich die beiden Einzigen sind, die solch einen Schlüssel haben. Aber vielleicht stimmt das nicht.«

Phil nickte. »Irgendwie müssen die unbekannten Besucher ja ins Haus gekommen sein, und zwar ohne irgendwelche Gewalt anzuwenden. Die Tür ist nicht aufgebrochen worden. Also hat Mister Ridgecraft sie wahrscheinlich hereingelassen.«

»Oder sie sind durch das Fenster eingedrungen«, warf Alice Carver ein.

»Kommen Sie mit, Mrs. Carver«, bat ich. »Ich zeige Ihnen etwas.« Ich ging mit ihr zu dem zerbrochenen Fenster. »Was sehen Sie?«

»Ein eingeschlagenes Fenster«, sagte sie.

»Das ist richtig. Das Fenster ist mit so großer Wucht eingeschlagen worden, dass fast die gesamte Scheibe zerstört worden ist, sodass man ohne Weiteres hätte dadurch ins Wohnzimmer gelangen können. Und was sehen Sie noch? Was ist mit den Glasscherben?«

Mrs. Carver trat näher an das Fenster heran. »Sie liegen auf der Außenseite. Also muss das Fenster von innen her eingeschlagen worden sein.«

»So ist es. Wir glauben nicht, dass es einen Einbruch gegeben hat. Wir nehmen vielmehr an, dass die Besucher auf Einladung des Hausherrn in das Haus gekommen sind. Aus irgendeinem Grund ist ein Streit ausgebrochen. Irgendjemand hat eine Pistole gezogen und auf die anderen geschossen. Einer der Männer ist im Wohnzimmer durch einen Kopfschuss getötet worden. Ein anderer wollte zur Tür hin flüchten, er wurde mit zwei Schüssen niedergestreckt. Ein dritter Mann ist durch die geschlossene Scheibe nach draußen gesprungen. Dabei hat er sich Schnittverletzungen an den Händen und im Gesicht zugezogen. Er hat es nicht weit geschafft. Auch er wurde von dem Unbekannten niedergeschossen.«

»Ja, so sieht es wohl aus«, musste Alice Carver zugeben. »Es ist einfach unfassbar. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es zu solch einem Ausbruch von Gewalt kommen konnte.«

»Um ehrlich zu sein«, sagte Phil, »das können wir auch nicht. Aber nach allem, was wir bisher wissen, haben sich mindestens vier Personen gestern oder vielleicht schon vorgestern in diesem Haus getroffen. Eine davon haben wir inzwischen sicher identifiziert. Das ist der Mann, der draußen im Garten niedergeschossen worden ist. Er heißt Adam Mertens und ist leitender Angestellter einer Brauerei in Milwaukee. Kennen Sie diesen Mann?«

Mrs. Carver schüttelte den Kopf. »Das habe ich doch schon gesagt: Ich kenne keinen dieser drei Gentlemen.«

»Und den Namen ›Adam Mertens‹ haben Sie auch noch nie gehört?«

»Nein. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Ab und zu redet Mister Ridgecraft über geschäftliche Dinge, einzelne Namen merke ich mir nicht, denn ich weiß ja, dass ich diese Leute niemals sehen werde.«

»Halten Sie es für möglich, dass die Männer nach Staten Island gekommen sind, um geschäftliche Dinge mit Mister Ridgecraft zu besprechen?«, hakte ich nach.

»Das halte ich für ganz unwahrscheinlich«, sagte Alice Carver mit fester Stimme. »Das hat es jedenfalls noch nie gegeben. Mister Ridgecraft hat noch nie irgendwelche Geschäftspartner hierher mitgebracht. Er sagt immer: ›Alice, das ist eines meiner Grundprinzipien. Meine Arbeit und mein Privatleben, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Ich möchte nicht, dass sie miteinander vermischt werden.‹«

»Diesmal hat er offenbar eine Ausnahme gemacht«, meinte Phil.

Mrs. Carver schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was am Wochenende passiert ist. Und ich kann nur wiederholen, was Mister Ridgecraft mir gesagt hat. Ich bin jetzt seit fast zehn Jahren bei ihm beschäftigt, und er hat niemals Geschäftsfreunde zu sich nach Hause eingeladen. All die Jahre nicht.«

»Nur sind Sie nicht jeden Tag da«, gab Phil zu bedenken.

»Die meiste Zeit bin ich da. Fünf Tage in der Woche. Außer im Urlaub, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Mister Ridgecraft ausgerechnet dann irgendwelche Partys veranstaltet, wenn ich nicht da bin und er alles allein organisieren müsste.«

Phil hob die Brauen. Von Partys war bisher nicht die Rede gewesen. Doch es war naheliegend, dass hier eine Art Sexparty stattgefunden hatte. Wahrscheinlich hatte Ridgecraft seine homosexuellen Freunde eingeladen, um sich ungestört mit ihnen vergnügen zu können.

Davon wollte Mrs. Carver jedoch nichts wissen. »Mister Ridgecraft ist nicht homosexuell. Und er liebt keine lauten Partys. Er ist nie zu irgendwelchen Partys gegangen, und er hat keine Partys veranstaltet.«

»Außer vielleicht am Wochenende«, sagte Phil.

»Nein, auch nicht am Wochenende. Jedenfalls hat er niemals davon gesprochen. Ich glaube, dass er die meisten Wochenenden allein in seinem wunderschönen Haus zubringt.«

Das konnte Mrs. Carver nur vermuten.

»Alles, was wir hier sehen, spricht eine andere Sprache. Es hat ein Treffen von mindestens vier Personen stattgefunden. Drei davon sind niedergeschossen worden. Die vierte Person hat geschossen. Mrs. Carver, Sie waren am Wochenende nicht da, Mister Ridgecraft war allerdings da. Es spricht alles dafür, dass er geschossen hat.«

Alice Carver schüttelte den Kopf. Das hielt sie für ausgeschlossen. Dabei war es die einfachste Lösung. Wenn der Hausherr seinen Besuchern selbst die Tür geöffnet hatte, gab es wahrscheinlich tatsächlich nur die beiden Haustürschlüssel, von denen die Haushälterin wusste. Und wenn am Ende dieses dramatischen Zusammentreffens drei der Beteiligten tot oder schwer verletzt waren und sich der vierte aus dem Staub gemacht hatte, war es naheliegend, dass er der Täter war. Der höfliche Mr. Ridgecraft.

»Hat Mister Ridgecraft eine Waffe?«, fragte ich.

»Nein«, sagte Mrs. Carver. Zumindest glaubte sie, dass er keine Waffe hatte.

In diesem Augenblick wurden wir unterbrochen.

Captain Smirnov trat ein. »Wir sind inzwischen ein kleines Stück weitergekommen. Wir haben den Wagen von Adam Mertens gefunden. Er hat ihn am Wolfe's Pond Park abgestellt.«

»Wo ist das?«

»Ein Stück weiter südwestlich, Agent Cotton. Am Wasser gelegen. Im Sommer ziemlich überlaufen, aber jetzt im Winter praktisch leer. Von hier sieben Minuten mit dem Auto, fünf Minuten zu Fuß, wenn man am Strand entlanggeht.«

Warum hatte der Mann dort geparkt? Es wäre problemlos möglich gewesen, am Ende der Yeomalt Avenue direkt gegenüber Nummer 72 zu parken. Dort stand man niemandem im Weg. Der einzige plausible Grund, den Wagen woandershin zu stellen, dürfte sein, dass man nicht gesehen werden wollte.

»Im Handschuhfach lag eine ganze Reihe interessanter Dinge«, sagte Harry Smirnov. »Zunächst einmal das Handy, das Mertens nicht mitgenommen hatte, außerdem seine Brieftasche mit etwas über dreihundert Dollar, drei verschiedenen Kreditkarten und einem halben Dutzend Visitenkarten.«

»Wer lässt sich heute noch Visitenkarten drucken?«, amüsierte sich Phil.

»Mehr Leute, als Sie glauben«, entgegnete Smirnov. »Eine der Karten gehört Mister Ridgecraft.«

»Das ist ein guter Fund«, sagte ich. »Wenn wir Glück haben, können wir damit die übrigen Teilnehmer dieses tödlichen Treffens identifizieren.«

»Das ist noch nicht alles«, erwiderte der Captain. »Im Handschuhfach lag außerdem ein Schlüssel.«

Es war ein ganz normaler Sicherheitsschlüssel, wie man ihn für seine Haus- oder Wohnungstür verwendete.

»Mrs. Carver, können Sie mir mal bitte Ihren Haustürschlüssel geben?«, fragte ich.

Der Vergleich bestätigte, was ich bereits vermutet hatte: Es war ein weiteres Exemplar des Schlüssels zu dem Haus Yeomalt Avenue 72.

Es gab noch einen Punkt, den ich überprüfen wollte, bevor es dunkel wurde. »Wir wissen bis jetzt nur, auf welche Weise Adam Mertens zu dieser Zusammenkunft gekommen ist. Er hat seinen Wagen auf dem Parkplatz am Wolfe's Pond abgestellt.«

»Wo haben die anderen Gäste geparkt?«, fragte Phil.

Das wussten wir nicht.

»Vielleicht auch am Wolfe's Pond? Komm mit, wir gucken uns diesen Parkplatz einmal aus der Nähe an.«

Der Weg war nicht weit. Wir gingen ein paar Hundert Yards am Strand entlang. Während das Haus Nummer 72 durch eine Uferbefestigung aus aufgeschütteten Gesteinsbrocken gesichert war, fehlte im angrenzenden Strandabschnitt jede Art von Küstenschutz.

Phil schüttelte den Kopf. »Leichtsinn. Das ist doch nichts als bodenloser Leichtsinn! Hier im Wald ist das wahrscheinlich egal, aber da drüben, bei den Häusern, da liegt der Rasen beinahe auf Strandniveau. Jede Sturmflut muss direkt in die Häuser eindringen.«

Wir verließen den Strand und gingen auf einem wunderschön ausgebauten Wanderweg parallel zur Küste Richtung Wolfe's Pond. Da war die Zufahrtsstraße und gleich dahinter der riesige Parkplatz. Meiner Schätzung nach fasste er mindestens hundert Autos. Jetzt, an einem Spätnachmittag im Winter, war deutlich weniger Betrieb. Auf den Flächen, die der Zufahrt am nächsten lagen, zählte ich ganze fünf Fahrzeuge. Der Wagen von Mertens war nicht mehr da, die Polizei hatte ihn zur Untersuchung abgeschleppt. Ich besah mir die Kennzeichen der übrigen Autos. Vier kamen aus New York. Der fünfte war ein Mercedes älterer Bauart, der in Pennsylvania zugelassen war. Das Kennzeichen begann mit dem Buchstaben H. Ich zog mein Handy hervor. Laut Internet bedeutete H, dass der Wagen vor vier bis sechs Jahren zugelassen worden war, der hohen Nummer nach zu urteilen wahrscheinlich ungefähr vor sechs Jahren.

Unter den Visitenkarten aus dem Handschuhfach des Bierbrauers gab es nur eine, deren Besitzer aus Pennsylvania stammte, ein gewisser Brian Murphy. Ich rief bei unserem IT-Spezialisten Dr. Ben Bruckner an und erhielt wenig später die Bestätigung, dass dieser Mercedes in der Tat der Wagen von Brian Murphy war. Auch der zweite Teilnehmer des Treffens in der Yeomalt Avenue hatte es also vorgezogen, seinen Wagen nicht in unmittelbarer Nähe des Hauses zu parken.

Als wir von unserem Spaziergag zurückkehrten, traf gerade Stephen Ridgecraft ein.

»Es ist unfassbar!«, rief er statt einer Begrüßung. »Es ist einfach unfassbar, was hier passiert ist. Mrs. Carver hat mich angerufen. Ich bin gleich nach Hause gefahren. Zwei Tote! Unfassbar. Wer sind die beiden? Brian Murphy etwa? Oder Colin? Und der Verletzte? Adam womöglich? Adam Mertens? In den Nachrichten hieß es ja nur, dass er ins örtliche Krankenhaus eingeliefert worden ist.«

»Dazu kommen wir gleich noch«, sagte Phil kühl und stellte uns vor. »Sie können sich sicher vorstellen, dass wir einige Fragen an Sie haben.«

»Ja. Ich kann mir vorstellen, dass meine Haushälterin, die gute Mrs. Carver, Sie damit zur Verzweiflung gebracht hat, dass sie einfach überhaupt nichts weiß von den Dingen, die sich hier abgespielt haben. Um ehrlich zu sein, das ist alles meine Schuld. Ich wollte sie nicht in etwas hineinziehen, was sie vermutlich wegen ihrer streng katholischen Erziehung missbilligt hätte.«

»Das müssen Sie uns näher erläutern.«

»Ich werde mein Bestes tun, Agent Decker. Darf ich Sie also in meinem Haus – oh!« Er hatte die Blutflecke auf dem Parkett entdeckt. »Da haben sie also gelegen? Ja natürlich, das ist ja eine ganz dumme Frage, irgendwo müssen sie ja gelegen haben!« Er lachte nervös. »Jedenfalls wollte ich sagen, dass ich Sie in meinem Haus willkommen heiße.«