Jerry Cotton 3334 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3334 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Der ehemalige Mafiapate Frankie Festucci wurde nach fünfzehn Jahren Haft entlassen. Er war ein gebrochener Mann, alt und todkrank. Doch in ihm brannte die Flamme des Hasses gegen die beiden mächtigen Männer, mit denen er noch eine Rechnung offen hatte. Es handelte sich um die Clanbosse Silvano Pastore und Rocky di Mazo. Mithilfe seines einbeinigen Freundes Toni Grippo begab sich Festucci auf einen blutigen Rachefeldzug. Auf seiner Liste standen Entführung, Vergewaltigung und Kindesmord. Phil und ich nahmen seine Spur auf und beteten, dass es nicht noch mehr Tote geben würde!


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Seitenzahl: 147

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Am Ende wird abgerechnet

Vorschau

Impressum

Am Ende wird abgerechnet

Hoffentlich werde ich bald erlöst, dachte Frankie Festucci. Er hockte mit angezogenen Knien auf dem Boden vor einem geschlossenen McDonald's und fror erbärmlich.

Mit Beginn der Dämmerung hatte ein penetranter Dauerregen eingesetzt und die Luft merklich abgekühlt. Alles, was Festucci am Leib trug, war klamm vor Feuchtigkeit. Der verfilzte Mantel, das löchrige Hemd darunter, seine schwarz-weiß karierte Hose, die ihn aussehen ließ wie einen heruntergekommenen Clown.

Die kleine Nebenstraße war an diesem Samstag so gut wie menschenleer. In der umgedrehten Schiebermütze auf dem asphaltierten Gehsteig lagen lediglich ein paar Münzen.

Festucci wollte schon aufgeben, als sie plötzlich vor ihm stand. Blutjung und rothaarig. In ihrem kurzen grünen Ledermantel sah sie zum Anbeißen aus.

Mit einem Gesicht voller Güte bückte sie sich zu ihm herunter, hielt ihm zwei Dollarscheine hin.

Jäh schossen Festuccis dürre Hände vor und umklammerten ihren Hals. »Miststück«, knurrte er heiser, »verdammtes geiles Miststück!«

Als Aileen erwachte, war ihre erste Empfindung, dass sie von etwas geblendet wurde. Sie blinzelte irritiert und schirmte die Augen mit der Hand ab.

Es dauerte einige Sekunden, bis die Wirklichkeit Gestalt annahm.

Sie sah zwei alte Männer vor sich, die sie beide durch ihre Nickelbrillen angafften. Der eine kauerte auf einem schiefen Klappstuhl. Er trug ein altmodisches Jackett mit Fischgrätenmuster und breiten Aufschlägen, in dem er mit seinem dürren Hals verloren wirkte, und eine braune Cordhose. Fettglänzende weiße Haarsträhnen klebten an seinem knochigen Schädel.

Der andere saß in einem Rollstuhl, mit einer braunen Wolldecke über dem Schoß. Ein faltiges Mondgesicht mit Fischaugen. Hinter den beiden stand ein tragbarer Antennenfernseher auf einer weiß lackierten Anrichte.

»Scheiße, Frankie, wir haben sie wieder«, sagte der Mann im Rollstuhl. »Dachte schon, du hättest zu fest zugedrückt.« Über seiner blauen Trainingshose wölbte sich ein Kugelbauch, von seiner schlappen Unterlippe troff Speichel.

Der, den er »Frankie« genannt hatte, grinste höhnisch. »Hätte passieren können, Toni. Du kennst mich ja. Wenn ich erst mal in Fahrt komme ...«

Er ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen, was bei Toni ein meckerndes Gelächter auslöste.

Unvermittelt kehrte die Erinnerung zurück. Frankie war der Clown, dem sie die zwei Dollar hatte geben wollen.

Was, zum Teufel, war mit ihr geschehen?

Aileen blickte an sich hinunter. Sie lag halb aufgerichtet auf einer abgeranzten Cordsamtcouch und trug noch immer den grünen Ledermantel. Einer der Männer musste ihn aufgeknöpft haben. Als sie den Kopf drehte, um sich im Raum umzusehen, schmerzte ihr Hals.

Im grellen Licht zweier Neonröhren unter der Decke wirkte das dürftige Inventar so fremd wie die Installation eines zu Depressionen neigenden Künstlers.

Ein flaches Doppelbett mit zerknüllten Laken, ein Campingtisch mit drei Klappstühlen, eine ramponierte Küchenzeile mit jeder Menge Geschirr in einer gelben Plastikwanne. Das war alles. Umrahmt von einer stockfleckigen Blumentapete.

Ein Fenster, dessen Scheibe mit einer milchigen Folie abgeklebt war, hinter dem Tisch.

»Brauchst dich nicht zu wundern«, sagte Frankie. »Ist ein guter Ort, um ungestört zu bleiben.« Seine Stimme klang schwach und angestrengt.

Verdammt, was wollte dieser beschissene Greis von ihr?

Sie betrachtete ihn genauer.

Über Stirn, Wangen und Kieferknochen spannte sich eine gelbliche Haut, dünn wie brüchiges Pergament. Die hinter der Brille zwischen Schlupflidern und geschwollenen Lymphknoten halb verborgenen Augen waren entzündet.

Bisher hatte Aileens Bewusstsein auf dem schmalen Grat zwischen Traum und Wirklichkeit balanciert. Doch jetzt, da sich ihr Blick in dem des alten Mannes verfing, erkannte sie das Böse darin. Angst erfasste sie und löschte für Sekunden jeden Gedanken aus.

»Toni hat mir geholfen, dich herzubringen«, sagte Frankie. »Wir werden uns gemeinsam um dich kümmern.«

Aileen holte tief Luft und riss sich zusammen. Sie war in Gefahr, musste verstehen, in was sie da reingeraten war.

»Dein dich liebender Vater wird dich hier nicht finden«, fuhr Frankie fort.

Aileen senkte den Kopf und hielt kurz die Luft an. Das war's also.

Diese beiden Penner hatten sie entführt. Was offenbar mit dem Mann zusammenhing, den alle nur »den Iren« nannten, weil er eine Irin geheiratet hatte. Dieser Mann war ihr Vater und das Oberhaupt der mächtigen Sforza-Familie.

Aileen hatte gerade erst ihren siebzehnten Geburtstag gefeiert. Als Tochter eines Mafiabosses hatte sie früh gelernt, die natürlichen Gesetze eines Lebens außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu respektieren. Deren oberstes lautete: Zeige dich niemals schwach!

»Meinem Vater«, sagte sie, »wird es nicht gefallen, was Sie hier abziehen.«

»Genau das habe ich mir auch gedacht«, erwiderte Frankie spöttisch. »Ich wette, er wird toben.«

»Schön, dann haben Sie ja erreicht, was Sie wollten. Ich mach mich jetzt mal auf den Weg.« Aileen stand entschieden auf und legte ein triumphierendes Funkeln in ihren Blick. »Ich denke, ich finde allein hinaus.«

Ein prasselndes Geräusch am Fenster ließ sie zusammenzucken.

»Es regnet wieder«, sagte Frankie. »Keine gute Idee, jetzt rauszugehen.«

»Besser, als mit euch hier abzuhängen«, erwiderte Aileen patzig.

Toni kicherte vergnügt. »Du hast echt 'nen schrägen Humor.«

Er raffte die Decke in seinem Schoß zusammen und warf sie neben den Rollstuhl. Dann griff er mit der Linken nach der schwarzen Pistole, die darunter verborgen gewesen war.

Aileen kannte sich mit Waffen aus. Was dieser Freak da in der Hand hielt, war eine Beretta M9, wie sie von der Army verwendet wurde.

»Ich könnte dir damit irgendwo ein hübsches Loch verpassen, Kleines. Willst du das riskieren?«, erkundigte sich Toni. »Ich frag nur, weil ich's echt gerne machen würde.«

Aileen schwieg, der Anblick der Waffe ließ ihre Angst versiegen und schaffte Platz für ein anderes Gefühl. Kalte Wut, gepaart mit einer nüchternen Sorge um ihr Leben.

Aileen ließ sich zurück auf das durchgesackte Couchpolster sinken.

Nur nichts überstürzen. Sie war sich sicher, dass sie den alten Narren geistig überlegen war. Sie musste sich das zunutze machen, auf ihre Chance warten.

»Also schön«, sie neigte lächelnd den Kopf und strich sich eine lockige Haarsträhne aus der Stirn, »ich sehe, dass ihr es ernst meint. Also werde ich mitspielen. Ihr wollt meinen Dad abkassieren, stimmt's?«

Toni lachte glucksend und wirbelte seinen Rollstuhl vergnügt im Kreis. »Die ist echt scharf, Frankie, mit der werden wir unseren Spaß haben.« Er streckte den Arm mit der Beretta und spielte mit dem Finger am Abzug.

Aileen blickte jetzt genau in die Mündung der Waffe. »Ich kann euch natürlich helfen.«

Toni verzog missbilligend das Gesicht und legte die Beretta wieder in den Schoß. Dann lenkte er sein klappriges Gefährt seitlich an Aileen heran. Schnuppernd reckte er den Hals in ihre Richtung. »Du riechst noch frisch, Kleines, wie ein junges Kälbchen. Ich wette, du bist ganz heiß drauf, deine Unschuld zu verlieren.«

»Lass sie in Ruhe!«, forderte Frankie scharf und trat dicht an ihn heran. »Glaubst du, sie gibt sich mit einem gottverdammten Krüppel ab?«

Toni erstarrte ruckartig, den Mund weit geöffnet. Seine Finger krampften sich um die Armstützen des Rollstuhls. Die Brust hob und senkte sich hektisch, als bekäme er schlecht Luft.

Aileen rutschte auf der Couch vorsichtig zum Rollstuhl. Sie nahm an, dass dieser Moment ihre Chance war.

Sie warf den Oberkörper vor und hangelte hastig nach der Beretta in Tonis Schoß.

Etwas schlug hart gegen ihren Nacken.

Ihr Bewusstsein drohte, sich in farbigen Schlieren aufzulösen.

Wie von weit her drang die heisere Stimme Frankies zu ihr durch. »Du gehörst jetzt mir, Miststück, besser, du findest dich damit ab.«

Stöhnend versuchte sie sich aufzurichten, als sie der nächste Schlag traf. Hart und kompromisslos ins Gesicht.

»Bitte«, flehte sie erstickt, »bitte, bitte ...«

Sie registrierte den bitteren Geschmack von Blut im Mund und die jäh aufsteigende Angst vor dem, was noch kommen würde.

»Wenn du weiter so bummelst«, frotzelte Phil, »sind wir am Ende noch zu spät.«

»Was wahrhaft eine Schande wäre«, erwiderte ich sarkastisch.

»Man sollte einflussreiche Persönlichkeiten nicht warten lassen, Jerry.«

Ich steuerte meinen Jaguar durch das nervtötende Verkehrschaos der Bronx, während Phil neben mir der Stimme von Adele lauschte, die mit Hello, can you hear me? ihrem Herzschmerz Ausdruck verlieh.

Es war der Tag, auf den der Kalender den Beginn des Frühjahrs datierte. Ein unpassend regnerischer Tag, an dem ganz New York, in dunstiges Grau gehüllt, Trauer zu tragen schien. Dazu noch Wochenbeginn, was vielen Einwohnern des Big Apple zusätzlich die Stimmung vermieste, weil sie den nichtsnutzigen Müßiggang des Wochenendes mit der unliebsamen Pflicht der Lohnarbeit vertauschen mussten.

Auf den Mann, mit dem Phil und ich um zwölf Uhr verabredet waren, traf das allerdings nicht zu. Er besaß ohne Zweifel ein solch hohes Vermögen, dass er Mühe haben würde, es zu Lebzeiten noch unter die Leute zu bringen. Ihm flogen die gebratenen Tauben in den Mund, ohne dass er dafür eine Hand hätte rühren müssen.

Ich hätte ihm seinen Reichtum gegönnt, wenn er nicht mit dem Blut anderer bezahlt worden wäre. So aber verursachte der Gedanke an das Treffen mit ihm jenes Unbehagen, das man immer dann empfindet, wenn man seiner Abscheu nicht Ausdruck verleihen darf.

In diesem speziellen Fall war es sogar so, dass Phil und ich bei Rocky di Mazo als barmherzige Schutzengel auftreten würden. Er hatte das FBI darüber informiert, dass seine siebzehnjährige Tochter entführt worden sei, und um Hilfe gebeten.

Di Mazo war der Boss der Sforza-Familie, einer von New Yorks fünf Cosa-Nostra-Clans. Seine Tochter füllte trotz ihres zarten Alters die Klatschspalten der Regenbogenpresse und war ein gern gesehener Gast in einschlägigen Talkshows. Sie galt als hübsch, intelligent und schlagfertig. Ihr wichtigstes Attribut war, dass sie ihr erstaunlich exzessives Intimleben in immer neuen Varianten der Öffentlichkeit darbot.

Als ich die Straße runterfuhr, an der Rocky di Mazo in einem von zwei neu erbauten Wolkenkratzern wohnte, hatte sich der Verkehr etwas gelichtet und der Regen deutlich nachgelassen. Nur einzelne Tropfen klatschten noch gegen die Windschutzscheibe.

»The Arches« lautete die anspruchsvolle Benennung der beiden Glas- und Betontürme, was auf noble Wohnverhältnisse hinweisen sollte. Entsprechend hatte das Objekt für Furore gesorgt, denn in der Bronx hatte es Derartiges bislang nicht gegeben.

Nachdem ich den Jaguar in einem Parkhaus abgestellt hatte, ging ich mit Phil zum Wohnkomplex hinüber. Dabei wurde mir bewusst, wie deplatziert er in seiner Umgebung wirken musste. Gelegen an einem besonders tristen Abschnitt der 135th Street, gleich gegenüber vom lärmenden Major Deegan Expressway. Mit Mieten, die an die Preise in Manhattan heranreichten, galt er als unpassend luxuriös und zugleich extrem überteuert.

»Von wegen exklusiv«, sagte Phil, »die Dinger sind komplett geschmacklos.«

Ich stimmte ihm zu. Die Häuser waren klotzige Ungetüme, ihre Fassaden einfallslos und monoton.

Über dem Eingang hielt eine Kamera ihr starres Augen auf die Besucher gerichtet. Das polierte Messingschild mit den Namen der Bewohner hob den Rocky di Mazos durch größere Buchstaben hervor. Das hatte den Gangster vermutlich eine hübsche Stange Geld gekostet. Ich drückte den Klingelknopf.

Nach wenigen Sekunden sagte eine befehlsgewohnte Stimme: »Vierundzwanzigster Stock, nehmen Sie den linken Lift.«

Die gläserne Eingangstür öffnete sich summend. Phil und ich betraten eine riesige, mit blauem Marmor ausgelegte Vorhalle. Es gab zwei weit auseinanderliegende Aufzüge, die vermutlich zu den jeweiligen Wohntürmen gehörten.

Während der Fahrt zum vierundzwanzigsten Stock rieselte dezente Geigenmusik aus unsichtbaren Lautsprechern. Als die Tür aufglitt, blickten Phil und ich in einen weitläufigen Raum mit dunklem Parkettboden. Eine von weißen Apollostatuen flankierte Bibliothek dominierte die hintere Wand, in deren Mitte eine stoffbezogene Tür in das angrenzende Zimmer führte. Rechts gruppierten sich rosafarbene Sitzmöbel um einen barocken Couchtisch aus Nussbaumholz. Eine bis zum Boden reichende Fensterfront links säumten schwere weinrote Samtvorhänge.

Von der Decke hing ein pompöser Kronleuchter, dessen warmes Licht das durch die Fenster drängende Grau kompensierte.

»Ich frage mich«, sagte Phil grinsend, »ob es sich bei diesen Büchern nicht um Attrappen handelt.«

Ich sah genauer hin. Die gleichförmigen Buchrücken bildeten lückenlose, säuberliche Reihen.

Ich kam nicht dazu, meinem Freund zu antworten, denn die hintere Tür wurde geöffnet und Rocky di Mazo betrat den Raum. Anders als auf den Fotos, die ich von ihm kannte und auf denen er offensiv in die Kamera lächelte, wirkte er in sich gekehrt und umdüstert. Ein Eindruck, den der eng anliegende schwarzer Anzug, schwarz glänzende Schuhe und streng gescheiteltes schwarzes Haar noch verstärkten. Einziges Farbelement war die violette Krawatte über dem weißen Hemd.

»Ich bin froh«, sagte er förmlich, »dass Sie sich die Zeit genommen haben.« Seine scharfe metallische Stimme schien den Raum in zwei Hälften zu teilen.

Er kam zu uns herüber, sein federnder, rhythmischer Gang verriet den Kampfsportler. Di Mazo hatte vor Jahren einige Titel als Boxer eingeheimst. Er galt damals als Amerikas Hoffnung im Mittelgewicht.

Außerdem gab es in seiner Familie eine Zirkustradition. Er selbst hatte sich früh in der Kunst des Messerwerfens geübt.

Er legte Wert darauf, uns die Hand zu schütteln. Vermutlich wollte er klarstellen, dass wir von nun an Partner sein würden. Phil und ich machten das Spiel mit, um es zu keiner unnötigen Verstimmung kommen zu lassen. Schließlich wollten wir herausfinden, warum ein berüchtigter Mafiaboss wie di Mazo ausgerechnet das FBI zum Retter in der Not erkoren hatte.

Doch ich zögerte instinktiv, ehe ich nachgab. Di Mazo musste es bemerkt haben, denn er hielt meine Hand länger fest als nötig. Dabei tasteten seine wasserblauen Augen akribisch mein Gesicht ab, als wollten sie jede Regung darin erkennen und deuten.

»Ich denke, wir werden uns gut verstehen, Agent Cotton.«

Mir fiel auf, dass eine schmale Narbe im Mundwinkel unmerklich zuckte, wenn er sprach.

Di Mazo löste sich von mir und deutete zu der Sitzgruppe. »Bitte nehmen Sie Platz.«

Phil und ich entschieden uns für zwei lederbezogene Sessel, von denen aus wir den Raum überblicken konnten. Kaum saßen wir, schwebte durch die Tür zwischen den Buchregalen eine silberblonde Fee mit einem Tablett herein. Sie trug ein ärmelloses mintgrünes Kleid und pinkfarbene Highheels. Ich schätzte sie auf Anfang zwanzig. Ihre mageren, nackten Arme waren ebenso bleich wie das zwar hübsche, jedoch ausgezehrte und maskenhafte Gesicht. Die schmollenden, blutrot geschminkten Lippen wirkten grotesk und unpassend.

Di Mazo wartete, bis sie ein komplettes Kaffeeservice samt Milch und Zucker auf dem Barocktisch abgestellt und sich mit einem sterilen Lächeln wieder verdrückt hatte. Dann ließ er sich gegenüber von Phil und mir nieder.

»Erhält sie die Drogen von Ihnen?«, erkundigte sich Phil freundlich bei di Mazo.

»Im Gegenteil, Agent Decker, sie hat damit aufgehört, weil ich es von ihr verlangt habe. Ohne mich hätte das Zeug sie aufgefressen.« Er füllte unsere Tassen mit dampfendem Kaffee aus der weißen Jugendstilkanne und nickte aufmunternd. Er machte sich nicht schlecht in der Rolle des aufmerksamen Gastgebers.

»Mister di Mazo«, kam ich auf den Grund unseres Besuchs zu sprechen, »warum nehmen Sie an, dass Ihre Tochter entführt wurde?«

»Ihre Mutter Enya rief mich bereits am Samstagmorgen an. Aileen ist in der Nacht nicht nach Hause gekommen. Seither gibt es kein Lebenszeichen von ihr. Heute Morgen fand Enya eine Nachricht in ihrem Briefkasten. Sie hat sie mir gegeben.«

Er zog eine Postkarte aus der Innentasche seines Jacketts und legte sie auf den Tisch. Touristische Dutzendware, New York bei Nacht, das gängige Frank-Sinatra-Klischee. Ich nahm die Karte und drehte sie um.

Sechs aufgeklebte Buchstaben, offenbar aus einer Zeitung ausgeschnitten.

AILEEN.

Darunter ein mit Bleistift hingekritzelter Totenkopfsmiley.

Ich reichte die Karte Phil.

»Können wir sie mitnehmen?«, fragte ich.

»Selbstverständlich. Ich setze meine ganze Hoffnung in Sie.«

Er sagte das mit einer Entschiedenheit, die kaum Zweifel daran ließ, dass er es ernst meinte.

Zumindest schien es so.

Phil beugte sich zu di Mazo vor. »Wir stehen auf verschiedenen Seiten des Gesetzes. Warum wollen Sie, dass wir Ihnen helfen?«

Di Mazo zuckte mit den Schultern. »Das habe ich mich auch gefragt, Agent Decker.« Er setzte seine Kaffeetasse an die Lippen und nahm einen Schluck. »Womöglich ist die Sache ganz einfach, ich liebe meine Tochter, ich will sie zurück.« Er stellte die Tasse auf dem Tisch ab und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

»Vielleicht«, erwiderte Phil, »ist diese Erklärung wirklich zu einfach.«

»Wenn sie Ihnen nicht reicht, hätte ich noch eine andere zu bieten. Ich will einen Krieg vermeiden. Sie wissen vermutlich, dass das Verhältnis zwischen meinen Leuten und der Uccello-Familie ziemlich angespannt ist. Falls dieser Schweinhund Silvano hinter der Entführung steckt, wäre ich geneigt, eine Dummheit zu begehen und seinen Kopf auf einen Spieß zu stecken. Dann wäre der Teufel los, und es gäbe auf beiden Seiten eine Menge Tote, was die drei anderen Familien freuen würde.«

»Zumal wir dann«, fügte ich hinzu, »einen guten Grund hätten, Sie einzubuchten.«

Er lächelte schmal. »Eben, es ist besser, der Staat kümmert sich um das Problem.«

So ungewöhnlich di Mazos Darlegungen auch waren, sie leuchteten ein. Silvano Pastore und er standen an der Spitze der beiden einflussreichsten der fünf New Yorker Cosa-Nostra-Familien. Wenn die Uccellos und Sforzas gegeneinander in den Krieg zogen, böte das für die Clans der Trinci, Casorati und Zanzotto eine einmalige Chance, ihre Macht auszubauen.

Durch einen schnellen Blick verständigten Phil und ich uns darüber, dass wir es bei dieser Antwort di Mazos vorläufig beließen. Sollte er uns etwas verheimlichen, würden wir das herausfinden.

»Wir benötigen noch einige Informationen«, wandte sich Phil an di Mazo. »Leben Sie und Aileens Mutter nicht zusammen?«

»Um Himmels willen, nein. Ich war noch sehr jung, als ich Enya in einem dieser heruntergekommenen Hip-Hop-Schuppen hier in der South Bronx kennenlernte. Na ja, sie war nicht gerade mein Typ, klein, breiter Hintern, schmale Schultern und kaum Brüste. Eine sture Irin. Aber okay, ich war betrunken, und Sie wissen ja selbst, wie's dann geht. Eine Nacht hat gereicht und sie wurde schwanger. Ich war stocksauer damals. Enya und ich mochten uns nicht einmal.« Er lachte trocken.

»Klingt nicht so«, bemerkte ich, »als wären Sie ein liebender Vater gewesen.«

»Ich war ein beschissener Vater, Agent Cotton. Doch in letzter Zeit ist mir Aileen ans Herz gewachsen.«

»Aber sie lebt bei ihrer Mutter?«

»Ja.«

Er nannte mir eine Adresse in Hell's Kitchen. Während ich die Daten in mein Handy tippte, fuhr Phil mit der Befragung fort.

»Hat Aileens Mutter irische Verwandte in New York?«

»Einen ganzen Haufen, sie bleiben alle unter sich.«