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Helen, Mr. Highs Sekretärin, stand unter Schock. Eine Freundin, die in Tucson lebte, war an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben. Ein Suizid? Während Helen zur Beerdigung aufbrach, hatten wir es mit einer männlichen Leiche im Riverside Park South zu tun. Das Opfer war übel zugerichtet, sodass nicht auszuschließen war, dass die schreckliche Tat mit dem organisierten Verbrechen zusammenhing. Dagegen sprach, dass die Crime Scene Unit im Gebüsch einen stümperhaft gefälschten Führerschein und ein Handy entdeckt hatte. Schneller, als uns lieb war, ging das Morden weiter. Und schon bald führte die Spur nach Tucson ...
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Mit der Liebe kam der Tod
Vorschau
Impressum
Mit der Liebe kam der Tod
»Robby braucht dringend eine Operation! Mein Kind muss sonst sterben!«, rief er durch den Hörer. »Ich flehe dich an, schick mir zehntausend!«
Joyce schluchzte. »Ich kann dir nichts mehr geben. Ich bekomme keinen Kredit mehr, und meine Mutter erst recht nicht.«
»Ich brauche das Geld. Frag deine Freunde!«
»Welche Freunde? Ich habe keine mehr. Der Arzt muss ihn operieren. Sag ihm, du zahlst später. Er soll ...«
»Macht er nicht. Hilf mir! Du bist schuld, wenn Robby ...!«
»Hallo? Hallo! Bist du noch dran?« Joyce wurde schwindelig.
Sie mixte sich einen Tablettencocktail, stürzte ihn herunter und spülte mit Rotwein nach. Hoffentlich schlief sie für immer ein, damit der Teufelskreis ein Ende hatte.
Phil und ich betraten das New Yorker Field Office. Ruhige Tage wie diese waren eine besondere Herausforderung für mich. Ich nahm mir vor, die alten und nicht mehr benötigten Dateien in Unterordner verschwinden zu lassen oder ganz zu löschen, früher nannte man das »Ablage«. Phil wollte zwischenzeitlich in der Teeküche nach dem Rechten sehen. Wir trennten uns.
Mein Weg führte am Vorzimmer von Helen vorbei, der Sekretärin von Mr. High. Es war um diese Zeit ungewöhnlich, dass die Tür offen stand. Deshalb blieb ich stehen und warf einen Blick hinein.
Nichts schien in Ordnung zu sein. Helen saß reglos auf ihrem Stuhl und stierte die gegenüberliegende Wand an. Ihre dunklen Haare waren zerzaust, die sonst glatt gebügelte Bluse zerknittert. Ich räusperte mich. Sie zuckte zusammen, drehte den Kopf langsam in meine Richtung, was mich wiederum erschreckte. Die Lider ihrer tränenverhangenen dunklen Augen waren dick geschwollen, Lippen und Teint blass.
In diesem Zustand musste ich mich um sie kümmern, auch wenn es nicht mein Spezialgebiet war.
»Alles okay?«, fragte ich vorsichtig.
»Fürchte nicht«, flüsterte Helen und vermied es, mich länger anzusehen.
Ich ging einen Schritt weiter vor. »Kann ich helfen?«
Nun brach sie völlig in Tränen aus.
Mr. High trat aus seinem Büro. »Sie sind ja immer noch da, Helen. Fahren Sie nach Hause, und erholen Sie sich erst einmal von dem Schock. Wann ist die Beerdigung Ihrer Freundin? Wo noch mal?«
»In Tucson. Der Bestatter gibt Bescheid.«
Mr. High nickte. »Gut. Ich meine ...« Erst jetzt sah er mich im Türrahmen stehen. »Ah, Jerry, kommen Sie bitte mit Phil zu mir. Sie haben einen Fall.« Er zog sich in sein Büro zurück.
Bevor ich Phil verständigte und dem Chef folgte, wandte ich mich noch einmal Helen zu, die fahrig ihre Handtasche packte.
Sie stellte sich dicht vor mich. »Es war ein Suizid – mit Schlaftabletten.«
Ich nickte mitfühlend und gab den Weg zur Tür frei.
»Das NYPD hat uns angefordert«, sagte Mr. High kurz darauf. »Es wurde eine männliche Leiche im Riverside Park South gefunden. Die Kollegen von der Crime Scene Unit sind dabei, die Spuren zu sichern. Sergeant Grace Baker leitet momentan den Fall. Gehen wir von der Zurichtung des Mannes aus, könnten wir es mit dem organisierten Verbrechen zu tun haben. Was dagegen spricht, ist, dass im Gebüsch ein stümperhaft gefälschter Führerschein und ein Handy entdeckt wurden. So etwas werfen solche Täter nicht achtlos weg. Finden Sie heraus, was an der Sache dran ist.«
Das Telefon klingelte.
Mr. High rief nach Helen, doch dann fiel ihm wohl ein, dass er sie nach Hause geschickt hatte. Er entschuldigte sich und hob den Hörer hoch, deckte ihn mit einer Hand ab. »Alles Weitere erfahren Sie von Sergeant Baker.«
Von Weitem sahen wir den abgesperrten Tatort, in einem Gebiet mit eng stehenden Bäumen und Büschen, wie man sie in einem Park meistens antraf. Der hier lag direkt am Hudson. Zwei Cops warteten am Flatterband, zur Sicherung des Tatorts, bis die Leiche abtransportiert werden konnte. Sergeant Baker gab ihnen gerade Anweisungen. Sie war eine große resolute Frau und hätte mit den braunen Haaren und dem dunklen Teint eine Italienerin oder Spanierin sein können. Ihr Name wies jedoch eher darauf hin, dass ihre Vorfahren Bäcker hießen und Deutsche waren.
Sergeant Baker stand nun bei dem Toten und machte sich Notizen, als würde sie ihn befragen.
Wir begrüßten sie, sagten, wer wir waren. Sie stellte sich und den Toten vor, hob langsam die Plane an.
Ich zuckte zurück. Nein, ich war nicht zimperlich, was Leichen anging, und hatte während meiner Laufbahn schon unzählige gesehen. Es war wohl eher der Schreckmoment, weil Mr. High in seiner Beschreibung des Toten nicht konkret geworden war.
Vor uns lag ein nackter Mann mittleren Alters, dem auffallend wichtige Köperteile fehlten. Ich musste mich zwingen, woanders hinzuschauen, und sah mir sein Gesicht an. Das linke Auge war blaurot zugeschwollen, die Nase zertrümmert, als hätte ein hitziger Zweikampf stattgefunden. Von vorne konnte ich kein Einschussloch im Körper erkennen oder eine größere Wunde ausmachen, abgesehen von den Armen.
Phil stierte die ganze Zeit darauf und sprach aus, was ich dachte. »Wo sind die Hände?«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Sergeant Baker.
Phil drehte sich zum Hudson River um.
»Wir haben alles abgesucht und nur das hier gefunden«, fuhr sie fort und reichte mir einen Plastikbeutel, in dem ein Führerschein steckte.
Bereits durch den Beutel erkannte ich die schlecht gefälschte Fahrerlizenz. Das Bild war aufgeklebt, die Klebereste schauten hervor, das Hologramm fehlte.
»Tony Krims«, sagte sie. »Es scheint nicht sein richtiger Name zu sein. Wir haben das Foto auf die Schnelle durch das Gesichtserkennungsprogramm gejagt. Es hat über zwanzig verschiedene Namen ausgeworfen. Die Aufnahme von ihm könnte allerdings echt sein. Sonst würde die Lizenz ja keinen Sinn ergeben. Der Gerichtsmediziner des OCME wird uns schnellstmöglich ein Foto vom Toten schicken, wenn er ihn auf dem Tisch liegen hat und die Nase einigermaßen rekonstruieren konnte.«
Phil und ich nickten gleichzeitig.
»Das war noch nicht alles«, fuhr sie fort, bevor ich den Mund für eine Frage öffnen konnte. »Außerdem lag neben dem Führerschein ein Handy. Das habe ich sofort zum Labor geschickt. Je schneller wir wissen, was sich darauf befindet, desto eher können wir reagieren.«
Anderthalb Stunden später war der Tote längst abgeholt und zur Gerichtsmedizin gebracht worden. Die Dringlichkeit der Autopsie war dort bekannt.
Sergeant Bakers Handy klingelte. Sie zog sich für das Gespräch zurück.
»Meinst du, die sind so schnell, Jerry?«, fragte Phil.
»Rate mal«, antwortete ich und besah mir die Stelle, wo der Leichnam gelegen hatte.
Die immense Blutmenge, die der Boden dort nicht einmal vollständig hatte aufnehmen können, deutete darauf hin, dass Krims hier sein Leben hatte lassen müssen und nicht erst tot durch die Gegend gefahren worden war, um ihn an diesem Platz abzulegen. Was noch auffälliger gewesen wäre, als es ohnehin schon war.
Phil hockte sich zu mir. »Da stellt sich mir die Frage, warum der Täter sein Opfer nicht in den Hudson geworfen hat. Sollte die Leiche gefunden werden?«
»Als Abschreckung?«, schlug ich vor. »Das ist ihm gelungen. Aber vielleicht finden wir im Fluss das Messer oder Beil, mit dem die Hände abgetrennt worden sind.«
»Hast du deinen Taucheranzug dabei?«, fragte Phil.
Manchmal half ein wenig Humor, wenn man den Ernst der Lage nicht aus den Augen verlor.
Sergeant Baker kehrte zu uns zurück. »Auf dem gefundenen Handy waren keine Fingerabdrücke.«
Phil räusperte sich. »Doktor Bruckner, unser IT-Spezialist, wird sich um die Auslesung der Daten kümmern.«
»Das Smartphone hat ein automatisches Löschprogramm«, gab Sergeant Baker zu bedenken.
»Dann richten wir uns auf eine längere Wartezeit ein«, meinte mein Partner.
Wir hatten mehr als zehn Theorien, welcher Drogenboss oder welche ehrenwerte Gesellschaft dahinterstecken könnte. Abgehackte Finger waren innerhalb der Mafia ein probates Mittel, um eine Warnung auszusprechen. In diesem Fall musste es jemand mächtig übertrieben haben.
Da uns nicht nach Schweinshaxe zumute war, fuhren wir zu unserem Stammrestaurant Mezzogiorno.
Es war das perfekte Timing. Gerade verdrückten Phil und ich den letzten Bissen, da klingelte mein Handy. Mr. High bat uns, umgehend in sein Büro zu kommen, es gebe Neuigkeiten im Fall Krims.
Eine halbe Stunde später begrüßte uns der Chef freundlich und kam sofort zur Sache. »Ben hat Krims' Handy ausgewertet.«
»Das ging schneller als gedacht«, meinte ich.
»Ben fand eine Liste mit rund hundert Frauennamen. Hinter den Namen sind Nicknamen notiert und hinter den Nicknamen Männernamen, die sich zum Teil wiederholen. Unter den Frauennamen gibt es Notizen wie ›verheiratet‹, ›geschieden‹, ›Witwe‹, ›liebt Hunde‹, ›mag Katzen‹, ›Hausbesitzerin‹, ›Frühaufsteherin‹ und so weiter.« Er lehnte sich zurück. »Die Frauen wurden oder werden anscheinend ausspioniert. Ben hat die Namen überprüft und festgestellt, dass zwei der auf der Liste stehenden Frauen erst kürzlich verstorben sind. Eine lebte in Phoenix und eine in Tucson.« Er beugte sich wieder nach vorne. »Ich weiß nicht, was mit den Frauen los ist.«
Phil und ich sahen uns bestürzt an. Noch nie hatte er mit uns derart über das weibliche Geschlecht gesprochen. Doch da hatten wir wohl etwas gründlich missverstanden.
»Warum stehen diese Frauen auf der Liste? Was bedeuten die Männernamen dahinter? Warum mussten der Mann und die Frauen sterben? Das gilt es, schnellstmöglich zu klären. Fliegen Sie am besten gleich nach Phoenix. SAC Charles Coon vom örtlichen Field Office wird Sie unterstützen. Er weiß Bescheid.«
Die Zeit im Flieger nutzten wir, um nähere Informationen zu erhalten. Als Erstes rief ich die Liste mit den Frauennamen auf und stellte fest, dass nicht nur die beiden verstorbenen Frauen darauf vermerkt waren, sondern auch Krims. Er stand direkt hinter dem Namen von Liz Green aus Phoenix. Ich las, wie sie ihren Suizid begangen hatte. Phil würde staunen.
Drei Personen befanden sich auf einer Liste und hatten fast gleichzeitig sterben müssen. Neben dem, was Mr. High grob umrissen hatte, wussten wir von Ben nun auch, woher die Nicknamen stammten. Es waren Benutzernamen aus den weit verbreiteten sozialen Netzwerken, und davon gab es eine ganze Menge.
»Wie ist dein Nickname auf Facebook, Phil?«, fragte ich.
»Facebook? Ich bin bei TikTak.«
»Wo?«, hakte ich nach. Diese Plattform stand nicht auf Bens Liste.
»Heißt das nicht so?«, fragte mein Freund und lächelte unschuldig. »Natürlich bin ich nicht in sozialen Netzwerken unterwegs, sondern nur mit dir. Das reicht mir.«
»Haha.«
»Schau dir lieber mal die vorläufigen Obduktionsergebnisse von Krims an. Die kann ich dir unmöglich im Flugzeug vorlesen.«
Ich öffnete die Akte. Pseudonym Tony Krims, männlich, Weißer, ungefähr vierzig Jahre alt, sechs Fuß groß, circa hundertneunundsiebzig Pfund schwer, dunkelbraunes Haar, dunkelbraune Augen. Ein Auge durch Prellung zugeschwollen, das andere geöffnet, Lippen un-, Nase hakenförmig – nach Rekonstruktion mehrfacher Nasenbeinbruch. Schwellung des Auges vermutlich durch starke Gewalteinwirkung auf das Gesicht. Die beiden Hände wurden im Handgelenkbereich mit einem scharfen Gegenstand und mit Wucht abgetrennt. Einzelheiten siehe Fotos. Hände nicht vorliegend. Besondere Körpermerkmale: keine Tattoos. Kleidung nicht vorhanden. Leber auffallend groß, wiegt vier Komma vier Pfund. Normalerweise müsste sie drei Komma drei ... Ich brach ab. Der Rest war mit medizinischen Fachausdrücken gespickt.
Vier Stunden später verließen wir das Flughafengebäude. Die Hitze prallte uns entgegen. Sky Harbor in Phoenix war immer schon ein heißes Pflaster gewesen, auch was die Temperaturen anging.
Erst war er mir nicht aufgefallen, sein zielstrebiger Gang durch die Eingangshalle, direkt auf uns zu, ließ mich jedoch erahnen, dass es sich dabei um den avisierten Mitarbeiter von SAC Coon handelte, der uns abholen sollte.
»Agent Cotton und Agent Decker?«, fragte er rein rhetorisch.
Phil nickte für mich mit.
»Ich bin Agent Marc Marc.« Er grinste. »Den Namen habe ich mir nicht ausgesucht. Ich bringe Sie zum Field Office.« Er verzog das Gesicht und hielt sich den Magen.
Agent Marc war nicht mehr der Jüngste, aber er schien ansonsten topfit zu sein, von den Magenschmerzen und seiner Nervosität einmal abgesehen.
Wir fuhren mit einem Chevrolet Tahoe LS der Fahrbereitschaft über hügelige und holprige Schleichwege. Marcs Versuche, uns nach den für ihn realistischen Karrieremöglichkeiten in New York zu befragen, kamen ebenso holprig. Phil wich der Antwort aus, indem er sich nach der Obduktion der beiden Frauen erkundigte.
»Erste Berichte schicke ich Ihnen gleich zu.« Marc schluckte schwer.
Der Leiter des Field Office SAC Coon tippte auf seiner Tastatur herum, als hätte er nur noch zwei Stunden zu leben und müsste bis dahin alles geschafft bekommen. Generell hatten er und sein Team es nicht leicht. Im Bereich der Field Operation Section Mountain waren die Ermittlungen im bergigen Gebiet sehr unübersichtlich.
Mit einem grimmigen Brummen sah er zu uns hoch. Doch dann erhellte sich seine Miene. Er sprang auf. Wir waren auf Augenhöhe.
»Da sind Sie ja. Hatten Sie einen guten Flug?«, begann er mit einer Floskel, die ich mit einem »Ja, danke, es war okay« beantwortete.
Phil beschränkte sich auf sein formvollendetes Nicken.
Wir kannten Special Agent in Charge Coon von einem anderen Einsatz und schätzten ihn als Kollegen. Er war ein impulsiver Mensch, der jedoch nicht nachtragend war. Wenn er Sinn darin sah, half er gerne, man musste ihn nicht lange bitten.
Wir kamen der Aufforderung nach, uns zu setzen. Alles stand auf dem Tisch im Besprechungsraum bereit. Becher, Kaffeekanne, Kekse und eine kleine Auswahl an gekühlten Getränken sowie ein Notebook, das hyperventilierte.
SAC Coon sah zu Agent Marc. Der dimmte das Licht. Schon begann die Präsentation.
»Ich zeige Ihnen nun die Fundorte der beiden Frauenleichen.«
Phil schnappte sich einen Keks.
»In Arizona hat es innerhalb kürzester Zeit zwei Todesfälle gegeben. Die Frauen, beide um die vierzig, vormals gesund, sportlich, berufstätig, also mitten im Leben stehend, sollen sich selbst getötet haben. Die erste Tote heißt Liz Green, fünfundvierzig Jahre alt, Schwarze, fand man in der Nähe des Papago Park. Sie stürzte sich von einem der Felsen. Ob freiwillig, bleibt zu klären.«
»Wo genau fand man sie und wer?«
»Ein Mann hat sie gefunden, Agent Cotton, als er den Park verlassen und aus gesundheitlichen Gründen dringend eine Stelle aufgesucht hat, wo er ... Er rief den Notruf über das Handy an und schrie um Hilfe.«
»Haben Sie die Koordinaten?«, fragte ich.
»Vorhin eingetippt«, antwortete SAC Coon. »Das Satellitenfoto gibt Aufschluss über die Beschaffenheit der Umgebung.« Er klickte auf den Laserstift, der gleichzeitig die Fernbedienung war.
Wir sahen den Papago Park und die Straße davor. Es war die E McDowell Road. Während der Öffnungszeiten war sicher viel los, wenn man von den riesigen Parkplätzen ausging. Das sollten Phil und ich uns vor Ort anschauen.
»Wann ist es geschehen?«, fragte ich weiter.
»Das wissen wir nicht so genau. Die Hitze hat da vermutlich einiges beschleunigt. Es könnte gegen Mittag oder am späten Nachmittag gewesen sein, aber es war an dem Tag auch bereits am Vormittag heiß. Wüstengebiet. Phoenix eben.«
»Was weiß man über Liz Green?«, schaltete sich Phil ein.
SAC Coon las von seinen Notizen ab. »Liz Green, fünf Fuß fünf groß.«
Er zeigte uns eine Nahaufnahme der Toten. Die Arme und Beine waren surreal abgewinkelt. An dem Felsen, von dem sie gesprungen sein sollte, war ein weißer Pfeil zu sehen und eine Linie, die die angenommene Flugbahn darstellte. Sie hatte den Sturz vom Felsen nicht überlebt, was mich aufgrund der Höhe nicht wunderte, zumal sie nicht auf einem Gebüsch, sondern auf Stein aufgetroffen war.
»Warum hat sie das gemacht?«, erkundigte sich Phil.
»Keine Ahnung, warum«, gab SAC Coon zurück. »Wir wissen auch nicht, warum sie hierhergekommen ist, denn Nachbarn haben berichtet, dass sie eigentlich selten aus dem Haus gegangen ist. Sie haben sie kaum zu Gesicht bekommen. Das Essen hat sich Liz Green liefern lassen.«
Ich nickte. »Verstehe.«
»Wir haben uns in der Wohnung umgesehen und ihre Lebensumstände recherchiert. Schulden hatte sie keine. Auch keinen Mann, Freund, Partner, Kind, Hund, Katze, Maus, was auch immer. Ihre Mutter ist gestorben, da war sie sechs Jahre alt. Miss Green kam zur Großmutter, die starb wiederum, als Miss Green siebzehn war. Der Vater kümmerte sich nicht um sie, kaufte ihr ein Apartment in Phoenix City und schickte regelmäßig Geld. Ansonsten war er mit dem Vertrieb von Klimaanlagen betraut. Nach seinem Tod vor ein paar Jahren erbte Liz Green alles. Sie verkaufte die Firma. Der Erlös war beträchtlich, allerdings ist davon nicht mehr viel übrig. Es gibt unzählige anonyme Überweisungen mit Western Union und regelmäßige Scheckkartenbezahlungen um die tausend Dollar und mehr.«
»Ein teurer Lieferservice«, meinte Phil lakonisch.
»Wurde Bargeld in der Wohnung gefunden?«, wollte ich wissen.
»Nein, kein Cent. Nicht einmal eine Spardose. Wir checken jetzt die Western-Union-Zahlungen. Das wird schwierig und kann dauern.«
Ich sah das nicht so. Dafür hatten wir Ben, und darin hatten wir Erfahrung, denn beim organisierten Verbrechen war das anonyme Überweisen ein beliebter Geldtransfer. Doch ich wollte nicht prahlen, sondern sagte ihm, dass wir das übernehmen können.
»Wurde der Laptop gesichert? Ein Handy gefunden?«, fragte Phil, nachdem ich das Telefonat beendet hatte.
»Den Laptop oder PC haben wir nicht gefunden. Handy ja, ist vollkommen zerstört. Entweder hat sie es selbst in den Mixer gesteckt, oder jemand anders hat es getan. Exitus.« Fast sah es so aus, als würde Coon dem Handy gedenken. Er senkte den Kopf und hielt inne.
Ich erkundigte mich schnell nach der zweiten Toten, die für mich die interessanteste war, denn ich hatte da eine Vermutung.
»Die zweite Tote Joyce Daylon«, der SAC seufzte, »soll sich unter Alkoholeinfluss mit einem Küchenmesser erstochen haben. Na ja.«
Agent Marc, der bisher ruhig auf seinem Stuhl gesessen und sich alles angehört hatte, wurde nervös.
»Sie wohnte in Tucson.«
Klick. Zu sehen war eine Frau, in unentspannter Haltung, auf der Couch liegend. Auf dem Brustkorb lag ein Messer, das vormals zwischen ihren Rippen gesteckt haben musste, weil man die blutverkrusteten Einstiche deutlich sah. Das Messer gehörte zu der mittelgroßen Sorte, war also kein Koch- oder Brotmesser. Das erkannte ich am danebenliegenden Maßband der Forensik. Neben ihren steif wirkenden Gliedmaßen und dem offen stehenden Mund fielen die weit aufgerissenen Augen kaum noch ins Gewicht.
Bei Phil schon. »Sie hat ihrem Mörder direkt in die Augen schauen müssen«, mutmaßte er.