Jerry Cotton 3340 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3340 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Ava Bianco, die Tochter des New Yorker Unterweltbosses Mario Sacchi, warf dem Richter Gregory Alistair vor, sie sexuell belästigt zu haben. Der Fall schlug hohe Wellen. Denn ein hochrangiges Mitglied der Sacchi-Familie stand gerade vor Gericht. Der vorsitzende Richter: Alistair. Die Sache schien im ersten Moment klar: Sacchi hatte seine Tochter auf Judge Alistair angesetzt, um ein Druckmittel gegen den Mann in der Hand zu haben. Doch die Beweislage gegen Alistair war erdrückend. Außerdem hatte Ava schon länger keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater oder seiner Organisation gehabt. Fast zu spät erkannten wir, dass wir es mit einem mörderischen Doppel zu tun hatten!


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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Mörderisches Doppel

Vorschau

Impressum

Mörderisches Doppel

Lloyd Kramer betätigte den Zapfhahn des Wasserspenders. Naserümpfend beobachtete er, wie das lauwarme Rinnsal in den Pappbecher plätscherte. Der Hahn hätte schon vor Wochen gereinigt werden müssen. Aber der Spender war ja nur für das gemeine Fußvolk im Manhattan-Federal-Court-Gebäude bestimmt. Für Richter und Staatsanwälte standen stets gekühlte Getränke in den Büros und Aufenthaltsräumen bereit.

Kramer, der hier seit dreißig Jahren seinen Wachdienst versah, nippte nur kurz und hätte sich dennoch um ein Haar verschluckt.

Das Geräusch, das durch den Flur bebte, hätte ihn in jeder Situation alarmiert. Doch in diesen heiligen Hallen wirkte es besonders falsch.

Es war ein Schrei. Der Angstschrei einer Frau!

Lloyd Kramer sah sich nach beiden Seiten um. Zu dieser vorgeschrittenen Stunde waren die oberen Stockwerke des Court House so gut wie verwaist. Die Verhandlungen hatten vor Stunden geendet, und im Gebäude hielten sich höchstens noch ein paar Angestellte der Verwaltung auf, die ihre Papierberge abarbeiteten.

Kramer warf den Becher mitsamt Inhalt in den dafür vorgesehenen Abfalleimer, dann eilte er in die Richtung, aus der er den Schrei gehört hatte.

Er erreichte die Gangbiegung, als er einen sich schnell bewegenden Schatten bemerkte, der sich vor ihm auf der Wand abzeichnete. Irgendjemand war kurz davor, um die Ecke zu stürmen.

Kramer blieb stehen und legte die Hand auf den Kolben seiner Dienstwaffe.

Nur zwei Sekunden später taumelte tatsächlich jemand um die Ecke. Eine blutjunge Frau, vielleicht Anfang zwanzig, die an diesem Ort völlig deplatziert wirkte. Ihre halb langen dunklen Haare waren zerzaust. Die einfarbige Bluse stand halb offen und offenbarte einen tiefen Einblick auf einen schwarzen Spitzen-BH.

»Bitte ... Helfen Sie mir!«

Kramer war sofort bei ihr und stützte sie.

»Ma'am, ist alles in Ordnung?« Er war sich bewusst, wie unsinnig diese Frage war. Um sich vom Gegenteil zu überzeugen, genügte ein einziger Blick.

Er führte sie zum Wasserspender, füllte einen Becher zur Hälfte und wollte ihn ihr geben, sie schlug seine Hand jedoch barsch beiseite. Das Nass verteilte sich auf dem grauen Teppich.

»Rufen Sie die Cops!«, sagte sie mit heiserer Stimme.

Sie warf einen gehetzten Blick über die Schulter, doch der nüchterne Gang hinter ihr war vollkommen leer.

»Okay. Und was soll ich denen ...?«

»Er hat versucht, mich zu vergewaltigen!«

Lloyd Kramer sah sie fassungslos an. Das Gebäude war zu jeder Tages- und Nachtzeit streng bewacht. Ausgeschlossen, dass ein Triebtäter hier unbemerkt hineingelangte.

»Wer soll ...?«

»Gregory Alistair!«, spie sie ihm regelrecht entgegen.

Seine Augen wurden noch größer. Natürlich kannte er diesen Namen. Jeder im Gericht und vermutlich auch die halbe Stadt.

Alistair war einer der renommiertesten Richter am Court und hatte in den letzten zwanzig Jahren bei zahlreichen aufsehenerregenden Prozessen den Vorsitz gehabt.

Lloyd Kramer schluckte, als ihm die Tragweite dieser Anschuldigung bewusst wurde.

Dann griff er nach seinem Handy und informierte den Chef des hauseigenen Sicherheitsdienstes.

Ich war ausgesprochen guter Laune, als ich Phil an diesem Morgen an unserer üblichen Ecke abholte. Und dafür gab es auch ausreichend Grund. Nach einer Woche voll nasskalter Regentage hatte sich der Frühling mit voller Wucht zurückgemeldet. Alles grünte und blühte, selbst in der Stadt. Es war angenehm, fast frühsommerlich warm, und die Menschen auf den Straßen begegneten sich – was für New York mehr als ungewöhnlich ist – mit auffälliger Freundlichkeit. Ich sah kaum eine griesgrämige Miene, als ich den Jaguar aus der Tiefgarage gefahren und lässig mit heruntergekurbeltem Fenster durch die Straßen von Manhattan gekurvt war.

»Fahr los!« Überrascht blickte ich zu meinem Freund und Partner Phil Decker, der die Beifahrertür zuschlug und betont umständlich nach dem Gurt angelte.

Die Wolken, die sich am Himmel über der City verzogen hatten, schienen sich stattdessen vor Phils Gesicht zusammenzubrauen. Auf seiner Stirn klaffte eine tiefe Furche, und die Spitzen seiner Brauen waren pfeilgerade auf seine Nasenwurzel gerichtet.

»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte ich, während ich den Jaguar in den Verkehr einfädelte.

»Gar nichts.«

»Klingt aber nicht nach nichts«, meinte ich lächelnd, denn ich hatte nicht vor, mir heute die Laune verhageln zu lassen.

»Wenn ich es dir erzähle, hältst du mich für einen Spießer.«

»Das tu ich doch jetzt schon«, versetzte ich grinsend, womit ich mir nur einen weiteren bösen Blick einfing.

»Wenn du es genau wissen willst, ich habe eine neue Nachbarin! Zwei, um genau zu sein.«

»Du hast meine volle Aufmerksamkeit.«

»Mitte zwanzig, die eine blond, die andere Asiatin. Beide Studentinnen, beide attraktiv, mit einem Augenaufschlag, der Stahl zum Schmelzen bringen würde.«

»Furchtbar«, gab ich sarkastisch zurück. »Wie hältst du das aus?«

»Hör mir zu! Die beiden machen seit drei Tagen ununterbrochen Party. Jeden Abend ist in der Wohnung Halligalli bis in die Puppen! Und immer diese Beats. Ich will nicht wissen, was die für eine Anlage haben.«

»Hast du dich nicht beschwert?« Ich setzte den Blinker und bog ab.

»Natürlich!« Die Antwort kam etwas zu schnell. »Na ja, so gut wie.«

»Wie kann man sich denn ›so gut wie‹ beschweren?«

»Ich habe geklingelt. Geöffnet hat die Asiatin. Und dann, na ja ...«

Ich begann zu verstehen, worauf das Ganze hinauslief.

»Der Augenaufschlag.«

»Stahl, sage ich dir! Zum Schmelzen!«

»Okay, und wie ging's weiter?«

»Sie hat mich spontan eingeladen und mir einen Drink angeboten.«

»Das kann man nicht ablehnen«, sagte ich mit bierernster Miene.

Phil ignorierte, dass ich ihn auf den Arm nahm. »Es war gerade elf, und ich dachte, okay, ein Drink kann nicht schaden. Vielleicht kann ich dabei ja anregen, den Abend so langsam ausklingen zu lassen.«

»Und weiter?«

»Die Drinks waren perfekt gemixt. Es stellte sich heraus, dass einer ihrer Freunde als Barkeeper arbeitet.«

»Es blieb also nicht bei dem einen.«

»Es blieb auch nicht bei zweien.«

»Bei wie vielen blieb es denn?«, fragte ich halb gespannt, halb belustigt.

»Nach dem dritten habe ich aufgehört zu zählen.«

Ich zuckte mit den Schultern, während ich die Federal Plaza ansteuerte. »Das klingt doch nach einem lustigen Abend.«

Ächzend fasste sich Phil an die Stirn. »War's auch. Bis zu 'nem bestimmten Punkt. Was denkst du, mit was für einem Schädel ich aufgewacht bin?«

»Du hast halt über die Stränge geschlagen. Kommt vor. Und weiter?«

»Du verstehst nicht. Die haben mich für heute Abend schon wieder eingeladen! Das steh ich nicht durch.«

»Dann gehe einfach nicht hin.«

»Schlafen kann ich aber auch nicht bei dem Lärm! Und jetzt kann ich mich nicht mal mehr beschweren. So verdammt nett, wie die alle waren.«

»Ekelhaft!«

Ich setzte den Blinker und steuerte die Tiefgarage des Federal Building an. Der F-Type holperte die Rampe hinunter, und ich fand einen Parkplatz in der Nähe des Aufzugs.

Vier Minuten später traten wir in den Flur unseres Field Offices, wo uns Helen, Mr. Highs Sekretärin, im Vorgehen abfing.

»Guten Morgen. In fünf Minuten ist Krisensitzung beim Chef«, meinte sie knapp.

»So? Wo kriselt's denn wieder?« Eigentlich hatte ich den Morgen für das Verfassen eines Berichts eingeplant.

»Ihr hört keine Nachrichten, oder?«

»Heute noch nicht.«

Helen schenkte mir ein zuckersüßes Lächeln. »Dann könnt ihr auch noch fünf ...« Sie unterbrach sich und sah auf die Uhr. »Vier Minuten länger warten.«

Mit lässigem Hüftschwung schwebte sie den Gang hinunter.

Auf dem Weg zum Büro unseres Chefs begegneten wir unserem indianischen Kollegen Zeerookah. Wie immer todschick gekleidet, mit Sakko, Seidenhemd und blank gewienerten Schuhen.

»Harte Nummer, oder?«, meinte er leise, als ich ihm den Vortritt ließ.

Ich machte nur eine ahnungslose Geste, die genügend Spielraum für Interpretationen ließ.

Während Phil die Tür hinter uns schloss und wir unsere Plätze in der Sitzgruppe des geräumigen Büros einnahmen, war ich mehr als gespannt.

Bisher war nur Steve Dillaggio anwesend. Er begrüßte uns mit einem schlappen »Morgen«. Bevor er noch mehr sagen konnte, trat Helen mit einem Tablett ein und servierte jedem von uns eine Tasse ihres vorzüglichen Kaffees.

Beim Rausgehen gab sie unserem Chef die Klinke in die Hand.

Der distinguierte Gentleman mit den silbergrauen Haaren und den feingliedrigen Fingern trug wie meistens ein sphinxhaftes Pokerface zur Schau, als er sich zu uns setzte. »Ich nehme an, Sie wissen, worum es geht.«

Steve und Zeerookah nickten.

»Gregory Alistair«, meinte der Cherokee leise.

Jetzt horchte ich auf, denn der Name war mir natürlich ein Begriff. Der Zweiundfünfzigjährige war vorsitzender Richter im Prozess gegen drei führende Mitglieder des Sacchi-Clans, der gerade vor dem Federal Court in Manhattan verhandelt wurde. Ein öffentlichkeitswirksamer Mafiaprozess, der nicht zuletzt dank der Ermittlungsarbeit unserer Task Force zustande gekommen war.

»Wenn ihr mich fragt, stinkt die Sache zum Himmel!«, knurrte Steve mit vor der Brust verschränkten Armen.

Ich räusperte mich, da ich zunehmend das Gefühl hatte, dass ich ohne ein Nachfragen meinerseits niemals erfahren würde, worum es eigentlich ging.

»Könnt ihr uns vielleicht kurz das Drehbuch reichen? Phil und ich sind nicht ganz auf dem aktuellen Stand.«

Steve sah mich überrascht an, dann tauschte er einen kurzen Blick mit Mr. High, der auffordernd nickte.

»Jerry, Judge Alistair wurde gestern Abend verhaftet«, sagte der blonde Italo-Amerikaner mit ernster Miene.

»Was? Wieso das denn?« Phils entsetzte Frage galt der gesamten Runde.

»Eine Praktikantin des Courts wirft ihm eine versuchte Vergewaltigung vor«, antwortete Steve.

Das wurde ja immer besser. Ich wusste im ersten Moment gar nicht, wie ich auf diese Enthüllung reagieren sollte.

»Ein schwerer Vorwurf«, meinte ich.

»Aus genau diesem Grund habe ich die Anweisung von ganz oben erhalten, der Angelegenheit diskret nachzugehen«, erklärte Mr. High.

»Von ganz oben«, hieß vermutlich aus dem Justizministerium, aber ich hakte nicht nach.

»Das Ganze riecht förmlich nach einem Komplott«, sagte Steve, den ich selten so aufgebracht erlebt hatte. »Die Praktikantin, die die Vorwürfe erhebt, ist Mario Sacchis Tochter!«

Und wieder hatte er meine volle Aufmerksamkeit.

»Die Tochter eines der berüchtigten New Yorker Mafiabosse arbeitet als Praktikantin im Federal Court?«

Mr. High hob beschwichtigend die Hand. »Ava Bianco hat der Familie schon lange den Rücken gekehrt, Jerry. Sie ist, wenn Sie so wollen, das schwarze Schaf der Familie und hat zu ihrem Vater seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr. Sie hat sogar ihren Nachnamen abgelegt.«

Steve wirkte nicht überzeugt. »Blut ist dicker als Wasser. Und dass sie und ihr Vater angeblich ein gestörtes Verhältnis haben, macht ihre Behauptung nur umso glaubwürdiger.«

»Aber was hätten die Sacchis von einer falschen Anschuldigung?«, warf Zeerookah ein. »Judge Alistair wäre aus dem Rennen, und ein anderer würde seinen Platz übernehmen. Der Prozess wird deshalb ja nicht ausgesetzt.«

»Einschüchterung, Zeery«, gab Steve zurück. »Sacchi signalisiert damit jedem möglichen Nachfolger: Überlege dir lieber genau, mit wem du dich anlegst.«

»Das sind alles nur Mutmaßungen«, meinte Phil. »Dass ausgerechnet Sacchis Tochter diese Vorwürfe erhebt, macht es zu offensichtlich, als dass dahinter ein Plan stecken könnte. Für den Job hätte er sicher auch eine andere Frau gefunden.«

»Genau das ist ja so genial!« Steve war von seiner Haltung nicht abzubringen. Er schien die Sache persönlich zu nehmen.

»Der Prozess wurde fürs Erste ausgesetzt«, erklärte Mr. High. »Zumindest so lange, bis ein Nachfolger bestimmt ist. Ich will, dass Sie die Zeit nutzen, um den Vorwürfen nachzugehen. Dabei interessiert auch, welche Kontakte Ava Bianco hat. Und ob es noch ein anderes Motiv gibt, Greg Alistair zu belasten.« Der SAC wandte sich an Steve und Zeerookah. »Ich möchte, dass Sie beide Miss Biancos Umfeld durchleuchten. In welchen Kreisen verkehrt sie? Mit wem trifft sie sich?«

»Wir drehen jeden Stein um«, versprach Steve mit felsenfester Miene.

Ich konnte seinen Eifer durchaus nachvollziehen. Insbesondere er hatte sehr viel Zeit und Energie in die Ermittlungen gegen den Sacchi-Clan gesteckt, die schließlich dazu geführt hatten, dass drei Mitgliedern der Führungseben, darunter Sacchis ältestem Sohn, Geldwäscheaktivitäten nachgewiesen werden konnten. Es wäre höchst ärgerlich, würde der Prozess bereits in diesem frühen Stadium platzen.

»Jerry, Phil«, richtete sich Mr. High dann an uns. »Sie beide sprechen direkt mit Miss Bianco. Lassen Sie sich ihre Version der Ereignisse im Detail schildern. Fühlen Sie ihr auf den Zahn – mit dem gebotenen Feingefühl. Nach allem, was wir wissen, ist sie das Opfer eines sexuellen Übergriffs. Unter keinen Umständen dürfen wir sie wie eine Verdächtige behandeln.«

»Versteht sich von selbst«, entgegnete ich.

Mr. Highs eindringlicher Appell verdeutlichte mir vor allem, wie delikat die Angelegenheit war.

»Ich verlasse mich auf Ihre Menschenkenntnis!«

Ich nickte noch einmal bestimmt, fragte mich jedoch, wie weit wir allein damit kommen würden.

Wir fanden heraus, dass Ava Bianco ins Mount Sinai Hospital am östlichen Rand des Central Park gebracht und zur Beobachtung für ein paar Tage dabehalten worden war.

Ich parkte den Jaguar auf dem Parkplatz vor dem Gebäude, dann steuerten wir den Haupteingang an.

»Ich bin mir nicht sicher, ob Steves Näschen in diesem Fall nicht trügt«, meinte Phil, der während der Fahrt auffällig schweigsam gewesen war. »Ich glaube kaum, dass Miss Bianco ein Interesse daran hat, auf diese Art in die Schlagzeilen zu geraten. Schon gar nicht, nachdem sie alles getan hat, um nicht mehr mit ihrer Familie in Verbindung gebracht zu werden.«

Da hatte mein Partner nicht ganz unrecht. Ihre Herkunft und ihre Familiengeschichte würden nun zweifelsohne ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt und vor allem von der Boulevardpresse genüsslich zelebriert werden. Nicht unbedingt das, was man sich erhoffte, wenn man sich nach dem Bruch mit den eigenen Eltern einen neuen Namen und damit eine völlig neue Identität zulegte.

Am Empfang zeigten wir unsere Ausweise und ließen uns die Zimmernummer geben.

In den Gängen und Aufzügen herrschte geschäftiges Treiben. Männer und Frauen in weißen Kitteln eilten von A nach B oder schoben Patienten auf Tragen oder in Rollstühlen durch die Gegend.

Das Mount Sinai war eines der ältesten und größten Krankenhäuser der Vereinigten Staaten und galt als eines der besten.

Wir nahmen den Aufzug in den zweiten Stock. Das Zimmer mit der Nummer 213 lag am Ende des Flurs. Ich klopfte, bevor ich die Tür vorsichtig öffnete.

Ava Bianco war nicht allein. Sie saß aufrecht im Bett und unterhielt sich mit einem Mann in einem weißen Arztkittel, der ein Diktiergerät in der Hand hielt und sie einer Befragung unterzog.

»Wie gut kannten Sie Richter Alistair vor diesem Vorfall?«

»Ich ... weiß nicht ...« Die junge Frau wirkte verunsichert. »Wir sind uns hin und wieder begegnet. Was tut das zur Sache?«

Als der Mann unser Eintreten bemerkte, warf er einen kurzen Blick über seine Schulter und rief: »Wir sind fast fertig. Wenn Sie noch einen Moment draußen warten würden ...«

Phil und ich tauschten einen vielsagenden Blick. Irgendetwas an dem Mann und an der ganzen Situation erschien uns merkwürdig. Was war das für ein Arzt, der solche Fragen stellte?

Wortlos waren wir uns einig, uns nicht abwimmeln zu lassen. Ich ging voran, Phil schloss die Tür hinter uns. Erst als er unsere Schritte hörte, schien dem Mann klar zu werden, dass wir immer noch da waren.

»Hören Sie, ich führe hier gerade ein vertrauliches Gespräch und ...« Er verstummte abrupt, als er auf meine ID Card blickte, die ich ihm am ausgestreckten Arm entgegenhielt.

Der Mann war um die vierzig, hatte schütteres Haar und einen gebräunten Teint, der zu dieser Jahreszeit nicht natürlichen Ursprungs sein konnte.

»FBI«, sprach ich die Buchstaben aus, die bereits auf der Karte standen, und stellte uns vor.

Der Name unserer Behörde verfehlte nicht seine Wirkung. Er stand von seinem Stuhl auf und sah uns grimmig an. Ich ließ mich nicht davon beirren.

»Und Sie sind? Doktor ...?«

»Peterson«, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Mein Blick wanderte prüfend an seinem Arztkittel hinab.

»Alle Krankenhausmitarbeiter, denen wir begegnet sind, haben Namensschilder getragen. Wo ist Ihres?«

Er rang einen Moment lang nach Worten, dann drängte er sich an mir vorbei. »Was soll der Mist? Ich muss mir keine Anschuldigungen anhören.«

Er wollte zur Tür, Phil stellte sich ihm jedoch abrupt in den Weg.

Der angebliche Arzt funkelte meinen Partner angriffslustig an. »Hey, spinnen Sie?«

»Sir, wir müssen davon ausgehen, dass Sie sich hier unbefugt aufhalten. Wenn Sie mir einfach Ihren Ausweis ...«

»Ich bin wohl im Irrenhaus!«

Wutentbrannt stieß er Phil zur Seite und stürmte zur Tür. Das ließ mein Partner nicht auf sich sitzen. Mit zwei langen Sätzen hatte er ihn eingeholt, schlang einen Arm um seinen Oberkörper, zog ihn zu sich heran und nahm ihn in den Polizeigriff. Dann fasste er in seine Gesäßtasche, zog eine Brieftasche heraus und warf sie mir zu. Ich fing sie und klappte sie auf.

»Herbert Parker«, las ich den Namen auf dem Presseausweis vor, der hinter einem Klarsichtfenster steckte. »Von der New York Post.«

Der Pressemann warf mir einen Blick zu, als wollte er mich töten.

Phil nahm ihm das Diktiergerät ab, dann stieß er ihn von sich. »Das können Sie sich im Lauf der Woche bei uns im Field Office abholen. Gelöscht natürlich.«

Ich zog mein Smartphone hervor und fotografierte den Ausweis. Dann klappte ich die Brieftasche zusammen und warf sie ihm zu. Er angelte mit beiden Händen danach, schlug sie bei dem Versuch, sie zu fangen, jedoch nur weg. Fluchend bückte er sich danach, murmelte irgendetwas von Polizeibrutalität, dann verschwand er wie ein geprügelter Hund durch die Tür.

»Unfassbar!«, rief Ava Bianco. »Und ich habe ihm geglaubt.«

»Sie dürfen nicht so vertrauensselig sein«, sagte Phil. »Vor allem nicht jetzt. Sie werden in nächster Zeit noch vielen Leuten begegnen, die es alles andere als gut mit Ihnen meinen.«

Sie nickte traurig, ihr Blick wanderte ins Leere.