1,99 €
Der chinesische Triadenboss Wan Lon besuchte seine Konkubine. Als er und seine Leibwächter, die auf ihn gewartet hatten, nach dem Schäferstündchen aufbrachen, erschien eine Gestalt mit einer Maschinenpistole und erschoss die Männer. Am Tatort erfuhren Phil und ich von Gerüchten, nach denen Wan Lon seinen Machtbereich hatte ausweiten wollen. Im Zuge dessen hatte Lon offenbar seinen Konkurrenten Boa Zhang bedroht. Möglicherweise war der Mörder daher in Zhangs Reihen zu finden. Weitere Tote folgten. Und ehe wir uns versahen, gerieten wir zwischen die Fronten eines erbitterten Bandenkriegs in Chinatown!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Bandenkrieg in Chinatown
Vorschau
Impressum
Bandenkrieg in Chinatown
Beinahe lautlos schlich die Gestalt durch die Tiefgarage. Sie durfte keinesfalls bemerkt werden, weder von dem Bodyguard, der im Wagen ihrer Zielperson auf die Rückkehr seines Bosses wartete, noch von einem arglosen Hausbewohner.
Sie entdeckte eine kleine Nische, die jemand als Lager für Autoreifen nutzte. Perfekt. Hinter den aufgestapelten Reifen konnte sie sich verbergen und den Aufzug im Auge behalten, ohne entdeckt zu werden. Die Gestalt zwängte sich an den Pneus vorbei und hockte sich auf den kühlen Betonboden. Der Platz war beengt, sie spürte die raue Wand im Rücken. Es roch unangenehm nach Gummi.
Doch das machte ihr nichts aus. Sie schätzte, dass die Zielperson in etwa zwei Stunden auftauchen würde. So lange würde sie es aushalten.
Ihre Rechte glitt in die Umhängetasche. Die Gestalt spürte das kühle Metall der Maschinenpistole unter ihren Fingern. Vorsichtig zog sie die Mini-Uzi heraus, griff nach dem Schalldämpfer und schraubte ihn auf den Lauf.
Ihre Augen richteten sich auf die Metalltür des Fahrstuhls.
Sie war bereit.
Wan Lon lächelte zufrieden. Wie immer hatte sein Besuch bei Jing seine Erwartungen mehr als erfüllt. Obwohl die schöne Chinesin erst einundzwanzig Jahre alt war, verfügte sie über einen reichen Erfahrungsschatz und wusste, womit sie Männer glücklich machen konnte.
Vor allem, wie sie Wan Lon glücklich machen konnte. Die vergangenen zwei Stunden war ihm jeder einzelne der tausend Dollar wert gewesen, die er für ihre Dienste bezahlt hatte.
Ein leiser Glockenton ertönte, als der Fahrstuhl die Tiefgarage erreichte. Mit einem polternden Geräusch öffneten sich die Türen. Lon betrat das Parkdeck, dicht gefolgt von Jin Xu, seinem Bodyguard. Der kahlköpfige Hüne mit dem Stiernacken und den kleinen dunklen Augen hatte in einem Nebenzimmer gewartet, während sich Lon mit Jing vergnügt hatte.
Lons schwarzer Cadillac Escalade stand etwa vierzig Yards vom Aufzug entfernt in einer der Parktaschen. Sammo Ma, sein zweiter Bodyguard, saß hinter dem Steuer. Seine Erscheinung war nicht ganz so beeindruckend wie die von Xu, doch er hatte das Herz eines Kriegers und beherrschte die Kunst des Nahkampfs auf beeindruckende Weise. Als er Lon erblickte, entriegelte er die Türen.
Jin Xu überholte ihn mit eiligen Schritten, um ihm die Tür zum Fond aufzuhalten.
In diesem Moment sprang Ma aus dem Wagen und stieß einen Warnruf aus.
Lon wurde zur Seite gestoßen. Er prallte mit der Stirn gegen einen Betonpfeiler. Sterne explodierten vor seinen Augen. Der Schmerz zwang ihn in die Knie, und er musste sich mit einer Hand an dem schartigen Beton abstützen. Etwas zischte an seinem Ohr vorbei. Er hörte die Schreie seiner Männer.
Dann war wieder Stille.
Lon wandte den Kopf und blinzelte, um wieder deutlich sehen zu können. Hinter seiner Stirn tobte ein pochender Schmerz.
Jin Xu lag ein paar Yards von ihm entfernt auf dem Bauch, seine Smith-&-Wesson-Pistole noch in der Hand. Eine Blutlache breitete sich unter seinem Kopf aus. Hinter dem Escalade entdeckte er Sammo Ma. Nur sein Oberkörper war zu sehen, der Rest wurde von der Schnauze des Wagens verdeckt. Ma lag auf dem Rücken, sein leerer Blick ging zur Decke, das Gesicht war blutüberströmt.
Lon reagierte instinktiv, stieß sich von dem Pfeiler ab und rannte los, Richtung Wagen. Doch er war erst vier Schritte weit gekommen, als ihn der harte Schlag zwischen die Schulterblätter traf. Mit einem heiseren Aufschrei stürzte er zu Boden. Ein Tritt in die Seite. Er stöhnte auf, wälzte sich auf den Rücken.
Erst blickte er in die Mündung eines Schalldämpfers. Dann erkannte er den Angreifer, der die Waffe auf ihn gerichtet hatte. Seine Augen weiteten sich.
»Du?«
Die Antwort war eine weitere Garbe mit der Maschinenpistole.
Drei Tage zuvor
Boa Zhang lehnte sich in seinem weinroten Ledersessel zurück und musterte den Mann, der vor ihm auf einem schlichten Holzstuhl Platz genommen hatte. Zhang war Chinese, seine Vorfahren waren Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten eingewandert. Er war achtundsechzig Jahre alt, jedoch immer noch fit und agil, der unumstrittene Anführer seiner Triade, deren Mitglieder seit über hundert Jahren in den Straßen von Chinatown ihren dunklen Geschäften nachgingen. Drogen, Geldwäsche, Prostitution.
Zhang war nur ein kleiner Fisch im großen Tummelbecken der Kriminalität im pulsierenden New York, aber er war nie unzufrieden gewesen. Seine Einkünfte reichten aus, um sich, seinen Kindern und seinen ihm treu ergebenen Mitarbeitern ein Leben in Wohlstand zu ermöglichen, und das hatte ihm stets genügt. Gier war ein Gefühl, das ihm fremd war.
Wan Lon, der ihn mit seinen auffällig schiefen Zähnen angrinste, war ein anderes Kaliber. Er mochte kaum halb so alt sein wie Zhang, war mindestens einen Kopf größer und von schlanker Statur. Im Gegensatz zu ihm war sein Haar voll und glänzte schwarz von dem reichlich verwendeten Öl, das die nach hinten gekämmten Strähnen an Ort und Stelle hielt. Seine dunklen Augen funkelten vor Tatendrang.
»Ich möchte sichergehen, dass ich dich richtig verstehe, Wan«, ergriff Boa Zhang mit seiner von vielen Tausend gerauchten Zigaretten rau gewordenen Stimme das Wort. »Du bietest mir also an, dass ich mich dir anschließe. Ich und meine Männer. Und dafür bekomme ich sechzig Prozent von dem, was ich mit meinen Geschäften einnehme.«
»Ich sehe schon, mein lieber Boa, du hast mich nicht in jedem Detail richtig verstanden.« Lon verzog das schmale Gesicht zu einem emotionslosen Lächeln. »Ich biete dir nicht an, dass du dich mir anschließt. Ich biete dir an, dass du für mich arbeitest. Ein Anteil von sechzig Prozent ist ein großzügiges Angebot, das musst du zugeben.«
Zhang hörte neben sich ein Schnaufen. Das war sein Sohn Cai, der zu Beginn des Gesprächs auf dem ebenfalls roten Ledersofa Platz genommen hatte und jetzt unruhig darauf herumrutschte. Zhang warf seinem Sohn einen Blick zu. Cai, eine späte Frucht seiner Lenden, war modisch gekleidet in Jeans, T-Shirt und schwarzer Lederjacke. Die Haare standen ihm wild vom Kopf ab, wie das bei vielen Jugendlichen gerade Mode war. Ja, Cai war jung, und er war wütend. Er funkelte Lon an, und es war nicht zu übersehen, dass er sich am liebsten auf ihn gestürzt hätte. Die beiden Bodyguards, die hinter ihrem Boss Aufstellung genommen hatten, richteten bereits nervöse Blicke auf Cai.
Zhang machte eine knappe Handbewegung, woraufhin sich sein Sohn etwas entspannte, Lon jedoch weiter finster anstarrte. Der hatte es natürlich bemerkt und setzte ein höhnisches Grinsen auf.
»Gut, dann habe ich es jetzt verstanden«, nahm Zhang das Gespräch wieder auf. »Aber eines ist mir nicht ganz klar: Was für einen Vorteil habe ich dabei?«
Er griff nach der geöffneten Zigarettenschachtel auf dem kleinen Tisch neben sich, zog einen der extra starken Glimmstängel heraus und zündete ihn an, ohne Lon einen anzubieten.
»Boa, lass mich dir eine Gegenfrage stellen: Was geschieht, wenn ein Delfin auf einen weißen Hai trifft und es zum Kampf kommt?«
»Ich nehme an, der Delfin zieht den Kürzeren.«
»Höchstwahrscheinlich. Zwar kann sich der Delfin gegen den Hai durchaus behaupten, aber auf sich allein gestellt wäre der Ausgang des Kampfes mehr als ungewiss. Doch wenn sich der Hai einem ganzen Rudel Delfine gegenübersieht ...«
»... sind die Karten neu gemischt. Der Hai hätte keine Chance.«
»Korrekt. Gemeinsam sind die Delfine stärker. Und genau davon rede ich, Boa. Wenn wir Chinesen jeder für sich unsere Kreise ziehen, können wir in Wahrheit nicht viel erreichen. Zusammen haben wir dagegen mehr Macht als alle anderen. Wir könnten Chinatown beherrschen. Vielleicht sogar diese ganze verdammte Stadt. Denk mal nach. Verdienen alle mehr, verdienst auch du mehr. Und dann werden die sechzig Prozent irgendwann eine höhere Summe sein, als es deine hundert Prozent heute sind.«
»Was würden unsere Brüder von der Mafia dazu sagen?«
Lon machte eine abfällige Handbewegung. »Die sind völlig verweichlicht. Mischen fast nur noch in legalen Geschäften mit, machen viel zu wenig Dollars. Sie werden uns in Ruhe lassen.«
Zhang war sich da nicht so sicher, er kommentierte das jedoch nicht. Stattdessen zog er genüsslich an seiner Zigarette, blies den Rauch aus, zog noch einmal. Dabei ließ er Wan Lon nicht aus den Augen. Die Prozedur wiederholte er noch dreimal und beobachtete dabei zufrieden, wie sein Gegenüber immer ungeduldiger wurde. Zwei weitere Züge, dann hatte Lon genug.
»Also, was ist nun?«, platzte es aus ihm heraus.
Zhang ließ sich einige weitere Sekunden Zeit, bevor er antwortete. Lons Bodyguards, einer ein Hüne, der andere schlank und durchtrainiert, warfen ihm grimmige Blicke zu, was ihn nicht einschüchterte. Nur drei Yards hinter ihm hatten sich seine eigenen Bodyguards postiert. Es herrschte also ein Patt zwischen ihnen, und solange sich Cai beherrschte, würde nichts geschehen.
»Ich muss dein Angebot ablehnen, Wan. Ein alter Reiter wechselt nicht mehr gerne das Pferd. Wenn ich dein Vorhaben überdenke, sehe ich sehr viele Fragezeichen vor meinem geistigen Auge. Es wird Unruhen geben zwischen den Banden. Die Polizei wird aufmerksam werden und hier herumschnüffeln. Ein großes Chaos wird entstehen, das sich niemand wünschen kann. Dein Plan beinhaltet meiner Meinung nach mehr Risiken als Chancen. Deshalb sage ich Nein.«
Lon lachte trocken auf, ein genervter Ausdruck erschien auf seinen Zügen. Lästigen Widerstand war er augenscheinlich nicht gewohnt. Schnell fing er sich wieder und beugte sich auf seinem Stuhl vor, sodass sein Gesicht kaum zehn Inch von dem Zhangs entfernt war.
»Boa, ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich mich offensichtlich schon wieder unklar ausgedrückt habe. Ich habe keinen Wunsch geäußert, sondern eine Anweisung gegeben. In Wahrheit hast du keine Wahl, verstehst du?«
Zhang nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und blies Lon den Rauch ins Gesicht. Der zuckte zurück. In seinen Augen war jetzt deutlich die Wut über sein unbotmäßiges Verhalten zu sehen.
»Ich habe also keine Wahl«, wiederholte Zhang seine Worte. »Und was ist, wenn ich trotzdem Nein sage? Wirst du mich dann töten? Mich und meine Männer? Du persönlich oder deine armseligen Leute aus deiner armseligen Bande, Wan?«
»Es ist bedauerlich, dass du mich so unterschätzt, mein Freund. Ja, es wäre durchaus möglich, dass man dich irgendwann in deinem Sessel findet, so wie jetzt. Nur ohne Zigarette im Mund, dafür mit einem Loch in der Stirn. Ich habe Respekt vor deiner Lebensleistung und würde das sehr bedauern. Aber so weit muss es ja nicht kommen. Ach übrigens, wie geht es eigentlich deiner Tochter Dan?«
Zhang bemerkte aus dem Augenwinkel, dass sich Cai kerzengerade auf dem Sofa aufgerichtet hatte.
»Ihr geht es gut«, antwortete er so gelassen, wie es ihm möglich war.
Er konnte allerdings nicht verhindern, dass sich ein dünner Schweißfilm auf seiner Stirn bildete. Dan, dreiundzwanzig Jahre alt, hübsch, clever und von ihm abgöttisch geliebt, war sein wunder Punkt. Das wusste Wan Lon. Er würde es jedoch nicht wagen, seine Tochter als Druckmittel gegen ihn einzusetzen.
Oder doch?
»Bestimmt geht es ihr gut«, sagte Lon, sorgfältig jede Silbe betonend. »Nur heutzutage kann sich das schnell ändern. Die Welt ist so gefährlich geworden. – Jin.«
Er schnippte mit den Fingern. Der Hüne zog ein Handy aus der Jackentasche und reichte es Lon. Der wischte mit dem Zeigefinger darauf herum, dann drehte er es um, sodass Zhang das Display sehen konnte.
Ein Video. Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und ebenmäßigen Gesichtszügen. Sie saß in einem schmucklosen Raum auf einem einfachen Bürostuhl und blickte ängstlich in die Kamera.
Dan.
»Meine Männer, die jetzt gerade auf sie aufpassen, sind manchmal etwas ungehobelt, verstehst du?«, erklärte Lon. »Bei einer schönen Frau besteht immer die Gefahr, dass sie ihre guten Manieren vergessen.«
»Du Dreckskerl!«
Cai war aufgesprungen. Bevor Zhang es verhindern konnte, schoss er vor und packte Lon am Kragen. Der Hüne reagierte blitzschnell, krallte seine Finger in Cais Haarschopf und zerrte ihn in die Höhe. Der Junge stieß einen Schmerzensschrei aus und schlug mit der Faust nach dem Mann, aber der wich geschickt zur Seite aus und platzierte im Gegenzug einen Schwinger auf Cais Nase, gleichzeitig ließ er sein Haar los. Die Wucht des Schlags warf Cai zurück. Er landete hart auf dem Sofa und wäre beinahe damit nach hinten umgekippt. Blut tropfte aus seiner Nase und befleckte sein weißes T-Shirt.
»Cai, stopp!«, brüllte Zhang.
Tatsächlich hatte Cai bereits wieder aufspringen wollen, doch er gehorchte und blieb sitzen.
Zhang fuhr herum. Seine Bodyguards standen direkt hinter ihm, die Hände in den Ausschnitten ihrer Sakkos.
»Ihr auch! Zurück mit euch!«, herrschte er sie an. Dann wandte er sich wieder Lon zu. »Wo ist sie?« Er verfluchte sich selbst, weil er das leichte Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken konnte.
»Das möchtest du gerne wissen, natürlich. Sie ist an einem sicheren Ort. So sicher ein Ort eben sein kann, wenn sich auch meine Männer dort aufhalten.« Er grinste.
In diesem Moment war es Zhang, der sich am liebsten auf ihn gestürzt hätte. Er wusste allerdings, dass er damit nichts gewinnen konnte.
»Was willst du von mir, Wan?«
»Habe ich dir schon gesagt. Du schließt dich mir an. Pardon, du arbeitest für mich.«
»Schlange«, zischte Zhang.
»Nicht doch, keine Beleidigungen, ich bitte dich. Wir sind schließlich alle Brüder, nicht wahr? Hör zu, was ich dir sage, mein lieber Boa. Ich werde Dan freilassen, sobald ich zurückgekehrt bin. Betrachte diese kleine Demonstration als Warnung, wozu ich fähig bin. Du hast eine Woche Zeit, dann erwarte ich deine Antwort. Denk sorgfältig nach, sonst ...« Er betätigte einen kleinen Schalter an der Seite des Handys, und das Display wurde schwarz. »Meine Nummer hast du ja. Ruf einfach an.«
Wan Lon erhob sich, nickte Zhang und seinem Sohn noch einmal süffisant lächelnd zu, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Seine Bodyguards verharrten für einen Augenblick, als fürchteten sie, Zhang und Cai könnten ihrem Boss hinterherstürzen. Dann wandten sie sich ab und folgten Lon.
Zhang hörte das dumpfe Klacken der Tür.
»Yazhen, Wei, ihr könnt gehen«, forderte er seine Bodyguards auf.
Die Männer verließen wortlos das geräumige Apartment. Jetzt waren er und sein Sohn allein.
»Du musst ihn töten!« Cai war in einer fließenden Bewegung vom Sofa gerutscht und hatte sich neben den Sessel gekniet. »Wenn du es nicht machst, tue ich es.«
»Sei still!«, herrschte Zhang ihn an. »Noch treffe ich hier die Entscheidungen. Geh ins Bad und kümmere dich um deine Nase.«
Mit einem unwilligen Laut stand Cai auf und eilte hinaus.
Zhang blieb auf seinem Ledersessel sitzen und starrte ins Leere.
Unser Ziel war nur wenige Minuten vom FBI Field Office an der Federal Plaza entfernt. Ein Wohnhaus in der Canal Street, unmittelbar an der Grenze zu Chinatown. Es war halb neun morgens. Mein Partner Phil Decker und ich hatten unser Büro gerade erst betreten, als wir schon wieder losgeschickt wurden. Jetzt fuhren wir, so schnell der dichte Verkehr es zuließ, mit eingeschalteter Sirene und dem Warnlicht hinter dem Kühlergrill zum Tatort.
Mord, hatte die Meldung gelautet. Ich war gespannt, was dahintersteckte. Bei einem einfachen Mordfall wurde das FBI normalerweise nicht hinzugezogen.
»... und diese Pekingente, wirklich fantastisch. Die Haut war so knusprig, der reine Wahnsinn.«
Unwillkürlich musste ich schmunzeln. Phil hatte gestern Abend ein neues chinesisches Restaurant ausprobiert, das er vor einigen Wochen entdeckt hatte. Seit ich ihn an unserer üblichen Ecke abgeholt hatte, schwärmte er mir davon vor. Das Lokal lag mitten in Chinatown. Fast eine Ironie des Schicksals, dass wir jetzt in genau diese Gegend unterwegs waren.
»Warst du eigentlich allein da?«, unterbrach ich seinen Redefluss.
»Äh, nein.«
Ich wartete einen Moment, doch es kam keine weitere Erklärung.
»Warum plötzlich so einsilbig?«
»Wenn du's genau wissen willst, ich hatte ein Date, Jerry. Eine hübsche Irin, die ich vor ein paar Tagen im Supermarkt kennengelernt habe.«
»Im Supermarkt?«
»Ihr war Waschmittel runtergefallen, und ich habe es für sie aufgehoben.«
»Verstehe. Ein Gentleman alter Schule.«
»Tja ...«
»Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. War's ein Reinfall?«
»Nun ja ... Sie ist ein großer Ballettfan und hat den ganzen Abend von nichts anderem gesprochen. Von wirklich nichts anderem. Dabei kann ich mit Ballett so viel anfangen wie ein Pferd mit Baseball. Ich kam nicht mal zu Wort, sie hat sogar beim Kauen weitergeredet.«
»Es war ein Reinfall.«
»Leider. Sie sieht echt gut aus. Aber für Schwanensee kann ich mich einfach nicht erwärmen.«
»Wenigstens war die Ente lecker.«
»Witzbold.«
Ich lenkte den Jaguar F-Type nach links, da wir in diesem Augenblick unser Ziel erreicht hatten. An der Einfahrt zur Tiefgarage stand ein Cop, der uns durchwinkte. Über eine enge Kurve erreichten wir das Untergeschoss. Als wir auf das Parkdeck fuhren, sah ich bereits die blinkenden Lichter mehrerer Streifenwagen. Uniformierte und Zivilisten standen in einer Ecke der Garage versammelt. Ich rollte so nah wie möglich heran und schaltete den Motor aus. Ein Mann in einem beigefarbenen Anzug mit blondem Bürstenhaarschnitt und wachen blauen Augen trat auf uns zu.
»Seid ihr die Jungs vom FBI?«, begrüßte er uns.
Ich nickte. »Special Agent Cotton, das ist mein Partner Special Agent Decker.«
»Ich bin Detective Palmer, fünftes Revier. Kommen Sie!«
Er führte uns zu der kleinen Gruppe. Ein Mann in Jeans und Sweatshirt, offenbar ein Kollege von der Spurensicherung, fotografierte gerade etwas auf dem Boden. Als wir näher kamen, sahen wir, um was es sich handelte. Ein Mann in einem Anzug lag auf dem Rücken. Um seinen Oberkörper herum hatte sich eine rote Lache gebildet.
»Sehen Sie mal da rüber«, forderte Palmer uns auf und zeigte nach rechts.
Wir drehten die Köpfe. Einige Yards entfernt lag noch ein Mann, auf dem Bauch. Hinter einem schwarzen Cadillac Escalade entdeckten wir eine weitere Leiche. In dem Kotflügel des schweren Wagens prangten mehrere Einschusslöcher, sauber in einer armlangen Reihe hintereinander ins Blech gestanzt.