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Von einem Informanten erfuhren Phil und ich, dass es in Little Italy verstärkt zu ungewöhnlichen Aktivitäten gekommen war. Ständig wurden Boten zwischen den fünf Mafiafamilien hin und her geschickt. Offenbar stand ein Machtwechsel an, der auf einem Geheimtreffen der Dons besiegelt werden sollte. Um ein mögliches Blutbad zu verhindern und herauszufinden, wer bei dieser heiklen Zusammenkunft als Sieger hervorgehen würde, heiratete ich zum Schein eine FBI-Kollegin und zog mit ihr in die Nachbarschaft eines Consigliere, der an der Organisation des Treffens beteiligt war. Und schon bald überschlugen sich die Ereignisse, die das Leben meiner frisch angetrauten Frau in höchste Gefahr brachten!
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Mr. & Mrs. Cotton
Vorschau
Impressum
Mr. & Mrs. Cotton
Bobby Pendenza legte des Besteck ordentlich auf den leeren Teller und lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. Die Pasta war nicht so gut gewesen wie die seiner Mutter – Gott habe sie selig –, aber nicht übel. Nein, überhaupt nicht übel.
Er lächelte. Zeit, wieder zu seinen Geschäften zurückzukehren.
Mit einem knappen Nicken gab er seinen beiden Leibwächtern am Nebentisch das Zeichen zum Aufbruch, als die Tür zu der Trattoria in Little Italy aufging, in der sie zu Mittag gegessen hatten. Zwei uniformierte Polizisten traten ein, sahen sich um und hielten dann auf seinen Tisch zu.
Bobby Pendenza verdrehte die Augen. Cops. Mal wieder. Bloß, weil er zu einer der fünf Mafiafamilien New Yorks gehörte, hieß das nicht, dass sie einem ständig auf die Nerven gehen mussten.
Er wandte den Kopf zu seinen Leibwächtern, um ihnen zu bedeuten, dass sie sich ruhig verhalten sollten, als einer der beiden Polizisten seine Waffe zog und Pendenzas Leute mit ein paar schnellen Schüssen ausschaltete. Im nächsten Augenblick hatte der zweite Cop Pendenzas Tisch erreicht. Pendenzas Pupillen weiteten sich, als sich die Waffe des anderen Uniformierten auf ihn richtete und ihm ein blutiges drittes Auge verpasste.
Einige Wochen später
Der blinde Francis war der beste Augenzeuge, den man sich wünschen konnte. Er hatte keinen Stammplatz, sondern driftete durch Little Italy wie weggeworfenes Burgerpapier, das man in dieser Gegend aber naturgemäß nur äußerst selten fand. Den blinden Francis allerdings fand man, wenn man es darauf anlegte. Heute trieben wir ihn an der Ecke Mulberry und Hester Street auf. Er saß auf seinem unvermeidlichen Karton, hatte die Beine bis auf den Gehweg ausgestreckt und seinen Hut dazwischen platziert. Das schmale Gesicht unter den schütteren, zurückgegelten Haaren wurde von einer dunklen Sonnenbrille dominiert. Neben ihm lag ein Blindenstock.
»Hallo, Francis«, grüßte ich, während ich in die Hocke ging und eine Fünfdollarnote in den Hut segeln ließ.
»Agent Cotton. Ist mir immer eine Freude, Ihre Stimme zu hören.«
Phil, der neben mir stand, lachte leise.
»Ah, und Agent Decker ist auch da.«
»Ja.« Phil verdrehte die Augen. »Als wäre das so eine große Überraschung für dich, Francesco.«
Francis kicherte belustigt vor sich hin. »Was kann ich an einem schönen, sonnigen Tag wie dem heutigen für Sie tun, Gentlemen?«
»Uns in einer Stunde zu einer kleinen Gesangsdarbietung im Collect Pond Park treffen«, sagte ich.
»Zwischen den ganzen Gerichtsgebäuden?« Trotz der Brille konnte man sehen, wie sich seine Brauen hoben. »Aber da fühle ich mich immer so unwohl.«
Phil griff in seine Jacke, zog eine Fünfzigdollarnote hervor und hielt sie kurz in die Luft, bevor er sie wieder verschwinden ließ. »Mein Freund hier, Präsident Grant, sagt, er stellt sich als Schmerzensgeld für deine Unannehmlichkeiten zur Verfügung.«
»Ah, Präsident Grant«, erwiderte der blinde Francis versonnen. »Solch ein überzeugender Redner.«
Eine Stunde später hockten wir zusammen mit dem blinden Francis in dem kleinen, zwischen den Gebäuden der New Yorker Zivil-, Familien- und Strafgerichte liegenden Park auf einer Bank. Insbesondere das imposante Strafgerichtsgebäude schien es Francis angetan zu haben, denn unwillkürlich drehte sich sein Kopf immer wieder in dessen Richtung, nur um umgehend wieder zurückzuschnellen.
»Mir scheint, das Strafgericht hat eine heilende Wirkung auf dich«, bemerkte Phil. »Kommt deine Sehkraft zurück?«
Wir wussten nur zu gut, dass Francis Augen hatte wie ein Adler. Was wir uns in gewissen Abständen zunutze machten. Natürlich nicht so oft, dass es auffällig geworden wäre. Das wiederum wäre Francis nicht gut bekommen und hätte unsere Zusammenarbeit mit ziemlicher Sicherheit schnellstens beendet. Ich wusste zwar, dass er hervorragend sehen konnte, wie es jedoch um seine Schwimmkünste bestellt war, zumal mit einem Zementblock an den Füßen, konnte ich nicht beurteilen.
»Na dann, mein Vogel«, ich schob ihm einen Becher Coffee-to-go zu, »sing! Was treiben deine Mafianachbarn so in letzter Zeit?«
Das meiste, das Francis zu berichten hatte, war zumindest auf den ersten Blick uninteressant, aber dann kam er doch mit einer Geschichte um die Ecke, die uns die Ohren spitzen ließ.
»Irgendwas ist bei denen im Busch. In ganz Little Italy herrscht seit einigen Wochen ein ständiges Kommen und Gehen. Leute, die sich sonst nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen würden, treffen sich plötzlich in den einschlägigen Restaurants, Klubs oder Geschäften. Ich habe sogar geseh... mitbekommen, wie sich ein Soldat der Bonaventura-Familie mit einem Mann der Gambettas unterhalten hat. Am helllichten Tag und auf offener Straße, nicht etwa in einer dunklen Gasse. Und ohne Schlagring!«
Francis ließ das Gesagte in der Luft hängen.
Phil und ich tauschten einen Blick. Phil zog eine Braue hoch.
»So weit, so ungewöhnlich«, sagte ich. »Vor allem, wenn man bedenkt, wie wenig tief empfundene Liebe in den letzten paar Jahren unter den einzelnen Familien herrscht.«
Francis nickte nachdrücklich. »Einmal haben sich sogar Don Briscola und Don Cacciatore im La Donna È Mobile der Bonaventuras getroffen und sind erst nach zwei Stunden wieder herausgekommen.«
Das war in der Tat ungewöhnlich. Wenn sich zwei der fünf Dons New Yorks, die beinahe schon legendär gegensätzliche Positionen innerhalb des hiesigen Mafiagefüges vertraten, in einem der Restaurants eines dritten Dons trafen, war das schon mehr als dazu angetan, einen aufhorchen zu lassen. Vor allem, wenn man für das FBI und dessen Taskforce zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens arbeitete.
Phil blickte nachdenklich drein.
»Und so was kommt ständig vor«, fuhr der blinde Francis fort. »Nicht auf dieser hohen Ebene, aber trotzdem. Immer wieder suchen Leute einer der fünf Familien Kontakt zu Leuten einer anderen, und das obwohl zwischen ihnen eigentlich böses Blut herrscht. Little Italy summt wie ein Bienenstock.«
Francis ahmte den Flug einer Biene nach, mit dem damit verbundenen Soundtrack. Der ohnehin schon ein wenig fragwürdige Effekt wurde zusätzlich durch seine Sonnenbrille verdorben, die ihm eher das Aussehen einer Stubenfliege als einer Biene verlieh.
Nachdem wir ihn noch ein bisschen weiter gegrillt hatten, was jedoch nichts wesentlich Neues zutage förderte, verabschiedeten wir uns von ihm. Phil streckte ihm den versprochenen Fünfzigdollarschein hin. Francis schnappte sich die Banknote, bevor er den Kopf erneut zum Strafgerichtsgebäude drehte.
»Ist ja komisch«, erklärte er mit einem breiten Grinsen, »jetzt tut es schon gar nicht mehr so weh.«
»Wir bleiben in Kontakt«, sagte Phil. »Kann sein, dass wir noch ein paar Fragen haben.«
»Alles klar, Agent Decker. Und bringen Sie ruhig wieder Ihren Freund Präsident Grant mit. Oder einen seiner Kollegen.«
»Übertreib es nicht.«
Der blinde Francis nickte uns zu, dann tappte er, den Becher mit mittlerweile kaltem Kaffee in der einen Hand, den Blindenstock in der anderen, wieder nach Norden. Heim nach Little Italy.
»Was hältst du davon?«, fragte Phil, während wir in die entgegengesetzte Richtung zurück zur Federal Plaza gingen.
Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn Francis mit seinen Beobachtungen richtig liegt, woran ich keinen Zweifel habe, dann sind diese hektische Betriebsamkeit, das ständige Kommen und Gehen bei den Familien und die eigenartigen Konstellationen, die dabei entstehen, definitiv etwas, worauf wir ein sehr wachsames Auge haben sollten.«
Phil nickte stumm, und schweigend setzten wir unseren Weg fort, wobei jeder seinen Gedanken nachhing.
In den letzten drei oder vier Jahren hatte unter den fünf Familien nicht gerade eitel Sonnenschein geherrscht. Nach Jahren der verhältnismäßigen Ruhe, in denen sich neue Strukturen und Bündnisse gebildet hatten, war es zu einem unübersehbaren Wiedererstarken der italienischen Mafia in New York gekommen, was auch zur Bildung unserer FBI-Taskforce geführt hatte. Die Verbrechen nahmen stetig zu, Konflikte unter den einzelnen Familien waren dagegen selten. Man schien sich miteinander abgestimmt zu haben. Jede Familie begnügte sich mit ihrem Stück des Kuchens, jeder Don mit seinen kriminellen Sparten und seinem Revier. Doch dann war mit Jimmy »The Ear« Basile der Mann eines erstaunlicherweise natürlichen Todes gestorben, den die Medien als den »Capo di tutti i capi« bezeichneten. Den Boss der Bosse.
In Mafiakreisen benutzte man keine dieser beiden Bezeichnungen, da das nur zu Spannungen zwischen den einzelnen Familien und ihren affiliierten Unterorganisationen geführt hätte. Tatsache war jedoch, dass es schon seit den 1920er-Jahren immer jemanden gegeben hatte, der eine Art obersten Vorsitz innegehabt hatte. Jemanden, der bei allen grundsätzlichen Entscheidungen, die die hiesige Cosa Nostra betrafen, das letzte Wort hatte. In der Regel war das der Kopf der gerade stärksten Familie gewesen.
Hier in New York war es nach dem Wiedererwachen der Mafia aus einem langen, aber immer noch zu kurzen Dornröschenschlaf besagter Jimmy »The Ear« Basile gewesen, der die grobe Marschrichtung vorgegeben hatte. Nach seinem Ableben hatte Richard Briscola, der bis dahin sein zweiter Mann gewesen war, die Zügel für die Basile-Familie übernommen. Und damit hatte der ganz Ärger erst richtig angefangen.
Don Briscola war, um es gelinde auszudrücken, speziell. Ein Freund markiger, aber nicht notgedrungen wohlüberlegter Worte. Ein Freund harter, aber ebenso wenig wohlbedachter Aktionen. Ein Mann, dem weniger an der Mafia selbst lag als vielmehr an sich selbst und seiner Stellung innerhalb derselben. Wobei er sich stets den Anschein gab, nichts als die Interessen aller ihrer Mitglieder zu vertreten, vom kleinsten Botenjungen bis hin zum obersten Don. Was ja auch streng genommen seine Aufgabe war, unabhängig davon, wie wenig wir vom FBI davon halten mochten.
Schließlich ging es darum, die Familien zu einen und gegen die Strafverfolgungsbehörden zu stärken. Stattdessen hatte Don Briscola durch sein erratisches Verhalten und seine ständig wechselnden Koalitionen für stetige Unruhe gesorgt. Was man ihm zugute halten konnte, wenn man das denn wollte, war, dass er das, was er sagte, in dem Moment, in dem er es äußerte, auch tatsächlich so meinte. Das konnte am nächsten Tag oder sogar in der nächsten Minute allerdings schon wieder ganz anders aussehen.
So war das Leben als Mafioso in New York in den letzten paar Jahren ein äußerst unsicheres geworden. Es kam zu Übergriffen dieser oder jener Familie ins Territorium oder den Geschäftszweig einer anderen, hier und da gab es Tote und Verletzte.
Der letzte Mord, der von bisher unbekannten Tätern verübt worden und auf die unsichere Atmosphäre in der Welt des organisierten Verbrechens zurückzuführen war, war der an Bobby Pendenza gewesen, einem der Hauptgeldeintreiber der Scalise-Familie.
Seitdem waren die Beziehungen unter den Familien bis auf den Gefrierpunkt abgekühlt. Nur Don Briscola thronte über allem und verkündete hier und da, wie blendend alles laufe und dass man sich doch darauf konzentrieren solle, das Anrücken anderer Organisationen, die sich in New York breitzumachen versuchten, zu verhindern. Das wiederum verschaffte ihm besonders bei den Mafiosi auf der Straße, die für ein rabiates Vorgehen bei der Durchsetzung ihrer Interessen waren, ein gewisses Maß an Sympathie und Vertrauen. Bei denen, denen mehr an einer der allgemeinen Lage angepassten, moderaten Entwicklung ihrer kriminellen Tätigkeiten lag, und auf der Managementebene der Mafia sah es zum Teil schon wieder ein wenig anders aus, wobei Briscola auch dort starke Verbündete besaß.
Hatte die nun ausgebrochene Hyperaktivität, die der blinde Francis beobachtet hatte, etwas damit zu tun? Wurden einfach nur neue Bündnisse geschlossen und neue Absprachen getroffen, um nach über drei harten Jahren wieder etwas Ruhe einkehren zu lassen? Oder stand uns ganz im Gegenteil ein Krieg zwischen den Familien bevor?
Beunruhigt beschleunigte ich meinen Schritt, und Phil, der offenbar zu einem ähnlichen Schluss gelangt war wie ich, tat es mir mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck gleich.
Mr. High, dem wir unverzüglich nach unserer Rückkehr Bericht erstattet hatten, stimmte Phils und meiner Einschätzung zu.
Man konnte ihm seine Beunruhigung ansehen, als er sagte: »Dem müssen wir nachgehen. Und zwar schnellstens. Wir können es nicht riskieren, dass sich New York in ein noch größeres Pulverfass verwandelt, als es ohnehin schon ist – und dass es, ohne dass wir vorbereitet sind, plötzlich explodiert und uns um die Ohren fliegt.«
Sein Finger drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage, und er bat Helen, seine Sekretärin, Steve Dillaggio sowie alle gerade verfügbaren Kollegen unserer Taskforce T. A. C. T. I. C. S. in einen der Besprechungsräume zu bestellen. Keine Stunde später waren Phil und ich zusammen mit Zeerookah, Joe Brandenburg und Les Bedell wieder unterwegs, um Kontakt zu weiteren Informanten aufzunehmen.
Über die zwei nächsten Tage hatten wir alle unsere Ohren auf der Straße und sprachen mit jedem, der in irgendeiner Form etwas von den aktuellen Aktivitäten der Mafia mitbekommen haben könnte: Restaurantbesitzer, Geschäftsleute, Straßenhändler. Selbst den blinden Francis suchte ich ein weiteres Mal auf, doch er hatte nichts Neues zu berichten.
Als wir uns am Abend des zweiten Tages wieder im Besprechungszimmer einfanden, wussten wir nur, dass definitiv etwas im Gange war. Die Betriebsamkeit ihrer kriminellen Nachbarn oder auch Bekannten waren weder den normalen Geschäftsleuten noch den Spitzeln entgangen.
»So weit, so gut«, sagte Mr. High, »aber das hilft uns nicht weiter.«
»Wir brauchen irgendeinen greifbaren Hinweis.« Steve Dillaggio blickte müde in die Runde. »Hat irgendwer eine Idee, wie wir den bekommen könnten? Es wird wohl kaum reichen, wenn wir darauf warten, dass uns der alles erklärende Anhaltspunkt wie eine gebratene Taube in den Mund fliegt.«
Ein kollektives Kopfschütteln war die Antwort.
»Wir haben uns vielleicht ein bisschen zu sehr auf Nachforschungen in und um Little Italy konzentriert«, sagte Phil schließlich.
»Wir nicht«, warf Joe Brandenburg ein. »Les und ich haben unsere Fühler auch in Richtung Bronx ausgestreckt.«
»Und?«
Joes Schulterzucken sagte mehr als tausend Worte.
»Vielleicht«, überlegte ich laut, während in meinem Kopf eine Idee Gestalt annahm, »sollten wir uns weiter südlich orientieren.«
»Weiter südl...«, begann Zeerookah.
»Ernsthaft?«, warf Phil ein, der sofort begriff, worauf ich hinauswollte.
»Hast du eine bessere Idee?«
Phil sah mich ein paar Sekunden an, bevor er sich zu einer Antwort hinreißen ließ. »Nein.«
»Dann«, sagte ich, während ich ihm ein schiefes Grinsen zuwarf, »wird es wohl Zeit für ein kleines Schachspiel.«
Am nächsten Vormittag fuhren Phil und ich hinüber nach Brooklyn und von dort weiter nach Süden, wo wir vom Ocean Parkway nach Brighton Beach abbogen.
In einiger Entfernung rechts von uns erstreckte sich der Strand, der Coney Island und Brighton Beach in der Vergangenheit zu den beliebtesten Ausflugszielen der New Yorker gemacht hatte. Auch heute noch übten sie an den Wochenenden eine magische Anziehungskraft auf die von einer harten Arbeitswoche müden New Yorker aus. Und natürlich auf die obligatorischen Touristen.
Brighton Beach selbst war ein wahrer Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen – und gleichzeitig das Zentrum der russischen Mafia in New York.
Ausgerechnet hier hofften wir, ein paar Antworten auf unsere Fragen zu erhalten.
Wir lenkten unseren Dienstwagen durch die von russischen Geschäften und Restaurants dominierten Straßen und fanden schließlich, was wir suchten. Beziehungsweise wen wir suchten.
Anton Iwanow sah noch immer aus wie der nette ältere Herr von nebenan und keineswegs wie jemand, der den Großteil des organisierten Verbrechens in Brighton Beach kontrollierte. Er war mittelgroß, untersetzt und trug eine Schiebermütze, unter der ein Kranz weißer Haare hervorlugte.
Wie wir gehofft hatten, fanden wir ihn in dem winzigen Park am Rand der Strandpromenade, in dem er gelegentlich Schach spielte. Eine Handvoll Leibwächter standen gut verstreut unter den Bäumen des Parks und bewachten den Paten von Little Odessa. Auf einen Wink von ihm entspannten sie sich und ließen uns zu ihrem Boss vor.
Iwanow lächelte Phil und mich an, als wir uns dem gemauerten Tisch mit dem eingelassenen Schachbrett näherten, hinter dem er saß und auf einen Gegenspieler zu warten schien. Was er auch tat. So konnte er, wenn er an schönen Tagen hier Hof hielt, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
»Agent Cotton und Agent Decker.« Seine Stimme klang tief, voll, aber auch ein wenig rau. Ob Letzteres der Kugel zuzuschreiben war, die vor Jahren seine Stimmbänder verletzt hatte, oder einem regelmäßigen Konsum von Wodka, konnte ich schlecht beurteilen. »Was für eine Freude, Sie zu sehen.« Er hob die Brauen. »Es ist doch eine Freude Sie zu sehen, oder?«
»Wenn Sie damit fragen wollen, ob wir hier sind, um Sie zu verhaften ... Die Antwort auf diese Frage lautet definitiv ›Nein‹«, sagte ich.
»Also eine Freude«, stellte er fest, und das Lächeln auf seinem flächigen Gesicht wurde noch etwas breiter. Er deutete auf die beiden Plätze ihm gegenüber.
Phil und ich setzten uns.
»Sie sind nie gekommen, um die Blinis meiner Mutter zu probieren«, sagte er beinahe ein wenig vorwurfsvoll. »Die hatte ich Ihnen ja versprochen, für den Fall, dass Sie den Mord an meinem alten Freund Vitali Koroljow aufklären, was Sie auch getan haben.«
Der Fall, von dem er sprach, lag etwas über ein Jahr zurück, und in der Tat hatten wir den Tod des ehemaligen Weggefährten Iwanows aufklären und zu den Akten legen können. Iwanows versprochene Belohnung, die Blinis seiner Mutter, allerdings, hatten wir aus gutem Grund nie angenommen.
»Das wäre Vorteilsnahme im Amt gewesen«, sagte ich.
»Bei einer Einladung zum Essen?«
»In Ihrem Fall ...«
»Ich verstehe schon. Auch wenn Sie nicht wissen, was Ihnen durch das Ausschlagen dieser kleinen Bestechung entgangen ist.«
»Ihrer Mutter geht es hoffentlich gut«, meinte Phil.
Iwanow nickte. »Danke der Nachfrage, es geht ihr bestens. Habe ich Sie etwa doch ein bisschen in Versuchung geführt?«
»Sogar sehr, aber ich fürchte ...« Phil beendete den Satz nicht.
Eine Weile lang sprach keiner von uns, dann sagte Iwanow: »Was kann ich sonst für Sie tun?«
»Sie könnten uns eventuell helfen«, gab ich zurück.
»Es geht also um Informationen.« Iwanows Worte klangen nicht wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung.
Ich nickte bestätigend.